Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Die Keto glitt in die Mitte des Rhenus. Langsam nahm sie ihre Fahrt auf. Bald hatte sie auf normale Reisegeschwindigkeit beschleunigt. Sabaco schritt langsam durch die Reihen seiner rudernden Männer, seine Art der Inspektion. Schaute, wie sie zurechtkamen und was für Gesichter sie zogen. Schaute beiläufig auch, was sie so unter ihren Ruderbänken an Beute eingesammelt hatten, was er wohlwollend zur Kenntnis nahm, aber nichts dazu sagte. Ansgar gehörte zu denen, die sich kein Andenken mitgenommen hatten. Das war allein dessen Sache. Das Plündern war eine freiwillige Angelegenheit gewesen und kein Befehl, ein Geschenk des Suboptios an seine Männer zum Lohn für den guten Kampf. Er sah auch nach den Verletzten, sprach kurz mit Eike, inspizierte die Männer an den Buggeschützen, wanderte wieder zurück zum Heck, die Hände hinter dem Rücken. Alles war zu seiner Zufriedenheit.


    Er ließ sich am Heck neben Nero nieder und verkniff sich, dessen Decke zurecht zu zupfen. Er ging davon aus, dass Nero die Wunde inzwischen, wie angewiesen, mit einem Druckverband gestopft hatte, so dass Sabaco sie daheim im Castellum in Ruhe nähen konnte. Er war, wie sie alle, inzwischen sehr müde, aber so viel Konzentration würde er schon noch zusammenkratzen.


    "Ich denke, wir hätten vor dem Subpraefectus vielleicht noch strammer stehen sollen", überlegte Sabaco. "Zeigen, dass uns das Ganze nix ausgemacht hat, weißt du? Die kochen auch nur mit Wasser und wir hatten eine beschissene Fahrt und ein Gefecht bei Sauwetter hinter uns, die nur einen Spazierritt. Aber mich ärgert, dass man uns angesehen hat, wie fertig wir sind. Das nächste Mal machen wir das anders. Dem Germanicus hätte man durch Perfektion eins reinwürgen müssen, vor jedem einzelnen Satz Subpraefectus Germanicus bellen müssen, dabei wie eine Statue stehen. Machen wir das nächste Mal, aber so richtig. Dann werden wir Zeuge, wie ihm vor lauter Geilheit einer abgeht. Immerhin haben die Equites den Rest der Brut ausgelöscht, so hatte es auch was Gutes. Das waren noch etwa 20 Mann, wenn ich mich nicht verzählt habe. Die machen jetzt keinem mehr Ärger."


    Sabaco blinzelte entspannt. Er rutschte langsam in den Feierabend-Modus und war sogar zu müde, sich über seinen Erzrivalen aufzuregen, fand die unerwartete Begegnung gerade eher unterhaltsam. Ein bisschen mussten sie noch durchhalten. Er grinste Nero an, was seine Augenringe vertiefte. Aber das Mundwerk funktionierte noch. So hielt er sich wach und seine Laune oben.


    "Ich glaub, es hat den Varro gehörig angekotzt, dass er sich nicht traut, bei seinen Leuten auch mal die Zügel frei zu geben. Die liegen vermutlich nachts wie Bretter im Bett, weil sie sogar im Schlaf strammstehen. Plündern gibt es bei dem nicht, nur eiserne Disziplin rund um die Uhr. Nun haben sie aber gesehen, dass es bei uns anders zugeht. Dass unsere Männer auch mal Männer sein dürfen und nicht nur Werkzeuge des Krieges. Den Neid in ihren Augen. Das weiß er, drum sind sie auch so schnell wieder abgedampft, ehe sie allzu viel Blut lecken. Na. Soll er ruhig petzen gehen, dass wir erschöpft sind, wenn es ihn tröstet."

    Das Segel, das als Dach hatte herhalten müssen, wurde wieder am Mast vertäut. Die aufkommende Helligkeit des Tages war wie eine Erlösung. Die Männer waren noch immer sehr müde, doch ein paar Stunden hatten sie geruht, bevor es zum Gefecht gekommen war, und Eike hatte die Verletzten versorgt und jene, die er für zu schwach zum rudern hielt, ausgesondert. Sabaco akzeptierte Eikes Entscheidungen diesbezüglich, sortierte zudem zwei weitere Männer aus, von denen er fand, sie sollten besser ausruhen.


    Die Männer der Ala zogen inzwischen wieder ab. Sabaco hatte den frischgebackenen Subpraefectus nicht aus den Augen gelassen, da er nicht einschätzen konnte, was er vorhatte. Allerdings verstand er die Worte nicht. Bald saßen alle Marini mitsamt ihrer Beute an Bord. In einem Tuch hatte Sabaco möglichst heimlich auch den Kopf mit an Bord geschmuggelt, eingewickelt, damit Nero nicht wieder die Krise bekam. Den Waffengurt, den Militärgürtel und das Schwert des Toten hatte er ebenso bei sich.


    Die Keto war bereit zum Abfahren. Alles wartete auf die Rückkehr von Nero.

    "Dann wurden ja alle Probleme bereits gelöst. Wir waren auf einer Patrouille, haben dabei in Confluentes Holzkohle aufgenommen. Mit der Lieferung begaben wir uns auf den Rückweg zum Castellum. Auf halber Strecke gerieten wir in ein Unwetter und mussten anlanden. Einige Männer waren erschöpft. Bei der Rast wurden wir von diesem Pack da überfallen.


    Ich hatte zu Beginn des Gefechts einen Mann losgeschickt, um im Castellum Bescheid zu geben, da in der Dunkelheit die Zahl der Angreifer und der Ausgang zunächst nicht einschätzbar war. Wir konnten die Angreifer jedoch abwehren. Tote haben wir keine zu verzeichnen, nur ein paar gehfähige Verletzte. Wie viele davon noch rudern können, weiß ich noch nicht, da ich gerade in den Nachbereitungen unterbrochen wurde."

    "Eike! Stopf dem Gubernator die Wunde, Druckverband. Ich nähe sie dann selber." Das konnte Eike jetzt interpretieren wie er wollte, ob als Zweifel an seiner Heilkunst oder als pragmatische Entscheidung, weil man bei der Dunkelheit ohnehin zu wenig zum Nähen sah. Sabaco war es egal. Niemand außer ihm nähte an Nero herum.


    Er wurde in seiner Sorge unterbrochen. Eine verhasste Stimme erklang, zu der eine noch verhasstere Erscheinung gehörte. Die Kackbratze hatte ihm gerade noch gefehlt. Sabaco ließ den Germanenkopf in seiner Hand fallen und trat vor Varro. Dort drosch er sich die Faust auf die Brust.


    "Suboptio navalorum Matinius Sabaco, Classis Germanica! Ich habe hier das Kommando."

    Sabaco gab den Befehl, die toten Germanen auf einen Haufen zu schmeißen und die Keto wieder startklar zu machen. Wer wollte, durfte die Leichen nach lohnenswerten Andenken fleddern. Wegen des hier vergossenen Blutes wollte vermutlich ohnehin keiner der abergläubischen Besatzung hier die Nacht verbringen. Wer schlief schon gut neben einem Berg von Leichen, nicht mal Sabaco tat das. Er selbst machte sich an dem enthaupteten Leichnam des Anführers zu schaffen. Gürtel und Schwert wurden seine Beute. Dass Nero verletzt war, bemerkte er nicht.

    Stilo hatte Sabaco die Braut geklaut? Und Cimber erzählte ihm das brühwarm? Nicht nur Duccius Ferox erlitt eine Gesichtsentgleisung. Während er Gastgeber mit seinem Met herumhustete, starrte Sabaco Cimber an, als würde er jeden Moment über ihn herfallen. Freilich tat er das nicht, sondern starrte nur. "Mein Bruder bei der Ala ist Matinius Ocella, Vexillarius. Ich hoffe, zu dem bist du netter als zu mir." Vor allem, weil Ocella dann Cimbers Vorgesetzter war und genau so ungemütlich wie Sabaco werden konnte, wenn ihm was nicht passte. Der Kleine. Ein verliebter Ausdruck strich über Sabacos Gesicht, als er sich bildhaft vorstellte, wie Ocella den Cimber für sein loses Mundwerk zusammenbrüllte und mit einem Stock triezte und den treulosen Stilo gleich mit. Das Starren löste sich darob auf.


    Als Ferox ihm seine Frage zur Architektur beantwortete und von Cappadocia berichtete, nickte Sabaco anerkennend. "Ja, Cappadocia soll Landschaftlich sehenswert sein. Wenn man Stilo glaubt, ist es das Elysium auf Erden. Ich hätte es mir auch gern mal angesehen. Aber wer weiß, wohin das Schicksal mich noch führt."


    Dass Nero einen Neffen namens Cimber hatte, war Sabaco bekannt. Nun standen sie beide hier, Neffe und Onkel. Aber irgendwie missfiel ihm die Verwandtschaft. Eigentlich missfiel ihm gerade vieles, Cimber hatte ihm den Abend verdorben. Na, wenigstens war Nero nun da. "Salve, Gubernator", schnurrte Sabaco. "Dein Neffe hat seine Schwester lieber an Stilo verheiratet als an mich. Was sagt man dazu. Fast wären wir beide Verwandte geworden."

    Sabaco winkte ab. "Praefect und Caesar haben anderes zu tun. Lass die mal machen. Und ich mache meins."


    Wenn Sabaco getrunken hatte, verspürte er keine Müdigkeit. Hinzu kam, dass er in seiner Jugend einen Tag-Nacht-Rhythmus gelebt hatte, bei dem er bis Mittags schlief und nachts herumstrolchte. Und ob irgendein Gastwirt und dessen Gesindel sich den Feierabend herbeisehnten ... wen scherte es. Sabaco bezahlte sie schließlich mit gutem Geld. Und so saß er Stunde um Stunde mit seinem Krug und saugte die Gegenwart von Ocella in sich auf, selbst als es schon längst nichts mehr zu sagen gab. Erst, als er von draußen den Beginn der ersten Tagesgeschäfte vernahm, die auf den baldigen Sonnenaufgang hindeuteten, erhob er sich. Zu Sonnenaufgang begann der Ausbildungsbetrieb und er musste sich vorher wenigstens noch mal waschen und der Latrine einen Besuch abstatten.


    Er überschlug im Kopf, was sie beide verfressen und vertrunken hatten, legte die Münzen mit einem Trinkgeld in die Mitte des Tisches und erhob sich.

    Ocella kam in den Genuss, einem der seltenen Augenblicke beizuwohnen, in denen Sabaco lächelte. Es kam von Herzen, was man daran sah, dass er auf die Tischplatte blickte, als es ihn überkam. So lächelnd konnte er keinen Blickkontakt halten.


    "Ist das so. Dann hier die Auflösung des Rätsels, Ocella. Es gibt keinen Befehl, den ich verweigern würde, wäre ich tatsächlich dein Untergebener. Ich stelle meinen eigenen Bruder nicht bloß. Warum sollte ich das tun? Dich zu sehen, wenn du deinen Mann stehst, erfüllt mich mit Stolz. Ich habe dir alles gegeben, wozu ich fähig war, um dich zu einem Mann zu machen, der seine Gegner erzittern lässt. Und das, Ocella, mache ich dir und mir nicht kaputt. Ich bin dein Bruder, nicht dein Feind. Jedoch", er hob seinen Finger, "habe ich nicht ohne Grund so lange nachgehakt. Ich dachte, du kommst vielleicht von allein darauf. Wir beide stehen in unterschiedlichen Befehlsketten, wir laufen parallel zueinander, nicht in hierarchischer Ordnung. Mein höchster Vorgesetzter ist der Praefectus classis, deiner ist der Praefectus alae. Keiner von uns beiden ist folglich dem anderen weisungsbefugt, es sei denn, er wird dem anderen im Rahmen einer Mission unterstellt.


    Freilich sollte man den Offizieren anderer Einheiten gegenüber dennoch respektvoll auftreten. Das ist eine Frage der Höflichkeit und des Anstands, nicht jedoch der Hierarchie. Würde ein Außenstehender meine Männer sanktionieren, anstatt mit seiner Beschwerde über das Fehlverhalten an mich heranzutreten, könnte der was erleben. Ich habe mir schließlich etwas bei ihrer Erziehung gedacht, Lohn und Strafe sorgsam abgewägt, mit der Grammwaage dosiert sozusagen, um sie perfekt zu schleifen, und kann niemanden gebrauchen, der das mit seinem Herumgepfusche sabotiert."


    Er zögerte kurz, als wäre seine kommende Bemerkung nur eine beiläufige Ergänzung, dabei war sie der Kern der Sache.


    "Außerdem gehören sie mir."

    Was noch lebte, war geflohen. Sabaco blickte sich um, gründlich. Aber er schickte niemanden hinterher, er war ja nicht blöd. Das war das Dümmste, was eine römische Einheit machen konnte, ihre Formation aufzulösen, für die sie ausgebildet und auf die sie spezialisiert war. Wenn einer Flüchtige verfolgte, dann waren es Reiter und die gab es hier und heute nicht. Er erachtete es auch nicht notwendig in dem Fall. Diese Germanen müssten irre sein, mit den wenigen Überlebenden noch einmal zurückzukehren, nachdem sie dahingeschlachtet worden waren.


    Sabaco packte den Germanen am Haarschopf. Ein grauenvolles Geräusch erklang, als er ihm den Kopf vom Rumpf trennte. An den Haaren hob er ihn empor, so hoch wie er konnte, drehte sich um und zeigte ihn seinen Männern, auf die er überhaupt nicht mehr wütend war. Sie hatten gesiegt, ganz gleich wie. Sie hatten die Einheit, die Keto und die Ladung verteidigt und ihre Stellung gehalten. Die Euphorie des Überlebenden packte ihn, wie er das nach Gefechten schon oft erlebt hatte.


    "ROMA VICTRIX!", tönte Sabacos heiserer Siegesschrei und er reckte den Arm mit dem Kopf des Anführers noch höher in die Luft, als in der Ferne zeitgleich ein mustergültiges Donnern erklang. Das Gewitter zog weiter, der Schneeregen war abgeklungen und die Germanen besiegt ... die Prüfung der Götter war bestanden.

    Sabacos Mund wurde ein schmaler Strich. Für einen eifersüchtigen Menschen war es nicht leicht verdaulich, wenn derjenige, den er als besten Freund betrachtete, dann noch einen anderen Freund hatte, der ihn gleich mal Bruder nannte. Wie viele "beste Freunde" und "Brüder" besaß Stilo eigentlich da draußen?


    "Kann sein, dass er mal erwähnt hat, in irgendeinem Gestüt mit irgendwem aufgewachsen zu sein", brummelte Sabaco, beschloss aber trotz des Stichs, den er in seinen Eingeweiden spürte, Cimber im Laufe des Abends etwas auszuhorchen zu den Gegebenheiten in Cappadocia und bei der Ala. So drückte er ihm mit verkniffenem Gesicht einen Becher heißen Met von den Essensständen in die Hand. Danach fühlte er sich irgendwie erleichtert, so als ob nun ein Bündnis geschlossen sei. "Danke für die ausgerichteten Grüße, ich kann ihn leider nicht sinnvoll erwidern. Ich hoffe, die Reise war gut und das Wetter ist hier nicht schlechter als in Cappadocia?! Die Männer sind es jedenfalls nicht." Er nahm sich einen Teller und bediente sich. Obwohl er Fleisch liebte, nahm er heute lieber Oliven und ein paar lecker aussehende Teigbällchen. "Ich habe einen kleinen Bruder bei der Ala ..."


    Der Gastgeber entpuppte sich als Centurio. Zum Glück rannte der im Gegensatz zu Sabaco nicht in vollständiger Uniform herum, so dass es nicht dramatisch war, dass er nicht mit formellem Salut gegrüßt worden war. Man grüßte niemanden, der gerade offensichtlich in Zivilkleidung unterwegs war mit militärischem Gruß. Während Ferox erzählte, wie das Haus aufgebaut war, ließ Sabaco den Blick darüber schweifen und nickte anerkennend.


    "So muss das sein", urteilte Sabaco kraft der Überzeugung, dass sein Urteil für die Welt relevant sei. "Diese Ungezwungenheit gefällt mir. Man nimmt sich von beiden einfach Kulturen das Beste, wenn man schon in zwei überlappenden Kulturkreisen wohnt, und vermischt sie, bis einem das Resultat gefällt. Wie wir das beim Militär zum Beispiel mit den feminalia gemacht haben." Er klopfte auf seine warm eingepackten Beine. "Anstatt uns in römischer Manier den Arsch abzufrieren." Wobei der Arsch genau genommen nicht von den feminalia bedeckt wurde und daher immer noch fror. "Ich bin auch ein großer Freund germanischen Mets. Wenn Römer versuchen, den nachzubrauen, schmeckt er zum Speien. Dafür ist der römische Wein um Längen besser, besonders der von den sonnigen Hängen Hispanias. War Cappadocia für dich ein Kulturschock, nachdem du hier aufgewachsen bist?"

    Ein Blick zur Seite. Nero konzentrierte sich auf seine eigenen Gegner. Hoffentlich vergaß er nicht zu kommandieren. Sabaco nutzte die kurze Pause, die sein Gegner ihm gönnte, um einen schnellen Blick auf die übrigen Männer zu werfen. Sah so weit gut aus, sie waren erfahren und hielten die Linie von allein. Keiner brach aus und keiner wich zurück. Gute Männer. Der Blick hatte nur eine Sekunde gedauert, dann schaute Sabaco schon wieder nach vorn.


    Im gleichen Moment schlug plötzlich Ansgar mit seinem Schwert zur Seite, so dass Sabaco gezwungen war, mit einem Ausfallschritt nach hinten auszuweichen, wenn er nicht dessen Arm ins Gesicht bekommen wollte. Wieso fuchtelte der so herum, der Gladius war eine Stichwaffe! Zu wenig Drill, zu zu wenig Zucht, von allem zu wenig! Gerade eben war er noch stolz auf die Spacken gewesen, nun bekam er mitten im Kampf fast einen Ellbogen in die Fresse! Aber er sagte keinen Ton, um Ansgar nicht abzulenken, wartete, bis dieser seinen Gegner gefällt hatte, und trat dann sofort wieder neben ihn, wehrte einen auf Ansgar gezielten Hieb mit dem Schild ab und stach auch nach diesem Gegner. Diesmal kam sein Angriff allerdings von der Seite und er traf. Ob der Mann starb, beachtete Sabaco nicht, es genügte, dass er kampfunfähig zusammenbrach.


    Während der Krieger sich krümmte, stieg Sabaco über ihn hinweg, die ganze Reihe rutschte ein Stück nach. Die Römer drängten vor. Langsam wurde der Boden uneben, wenn die Germanen überall ihre Toten herumliegen ließen, doch sie fanden schon noch Raum für die Füße ... wo war der Scheißkerl ... stand da immer noch!


    Sabaco trat hart in den Schlamm, um ihn dem Gegner ins Gesicht zu spritzen, ein brauner Sprühregen übergoss den Germanen. Er hoffte, dass er reflexartig die Augen schloss. In dem Moment, als das geschehen müsste, stach Sabaco über seinen eigenen Schild hinweg nach dessen Hals.

    Ocella starrte. Sabaco guckte zurück.


    "Hrm, Kleiner. So weit, so vollständig, deine Erläuterung. Aber was gedenkst du mir aufzutragen, um meinen Gehorsam auf die Probe zu stellen?"


    Das hatte schon Varro versucht ... und Sabaco damit den Besuch bei seinem Bruder im Valetudinarium versaut. Allein dass er diese ausdruckslose Fischvisage hatte sehen müssen, hatte ihm damals den Tag verdorben, selbst wenn Varro zur Abwechslung einmal nett gewesen wäre.

    "Salve, Duccius Ferox. Suboptio Navalorum Publius Matinius Sabaco. Classis Germanica. Von den Matiniern aus Tarraco. Danke für das Willkommen, schön habt ihr's hier in der Villa Duccia, zumindest im Garten. Den Rest kenne ich ja nicht. Urig. Zur Architektur habe ich eine Frage. Wie viel Prozent davon sind germanisch und wie viel römisch?" Und er nickte in Richtung von dessen Soldatengürtel. "Welche Einheit?"


    Als ihm Cimber vorgestellt wurde, kniff Sabaco die Augen zusammen. "Dich kenne ich! Du bist ein Freund von Stilo."

    Sabaco hatte von der Feierlichkeit gehört, die von der Gens Duccia veranstaltet wurde. Ein Kamerad, der mit irgendwem hier befreundet war, hatte ihn gefragt, ob er mitkommen wolle, war aber schon im Getümmel verschwunden. Hatte irgendeinen Bekannten erspäht, gewinkt und weg war er. Nun war Sabaco allein hier, angetan mit seiner warmen Wolltunika, über welcher er die blaue Diensttunika der Classis und die übrigen Insignien des Soldatenstandes trug und betrachtete etwas hilflos herumschlendernd das Anwesen, das einen rustikalen Charme verströmte.


    Die Gens Duccia war laut dem flüchtigen Kameraden eine ehrbare römische Familie, wenngleich sie ihre germanischen Wurzeln pflegten, was sich auch in der Architektur und anderen Details widerspiegelte, die Sabaco entdeckte. Für ihn war das in Ordnung. Ob die Duccier germanische Wurzeln hatten oder nicht, war ihm persönlich gleich, sie hatten ihren Dienst am Imperium geleistet. Auch die alten Fehden innerhalb der römischen Gentes hier vor Ort, von denen sein Kamerad ihm erzählt hatte, waren ihm schnurz. Die Einflusssphäre der Gens Matinia hatte sich stets im Wesentlichen auf Hispania beschränkt und die alten Konflikte hier gingen ihn somit nichts an.


    Hispania ... als Sabaco durch den Garten ging und ihn das muntere Treiben der Saturnalia umgab, überkam ihn ein Anflug von Heimweh. Er lebte schon so lange in Militärlagern, dass er das Gefühl, dass ein wirkliches zu Hause bot, beinahe vergessen hatte.


    Das Feuer zog ihn magisch an. Er stellte sich dazu, hakte die Daumen in den Gürtel und schnarrte: "Frohes Fest." Das war neutral formuliert, damit sich Römer wie Germanen gleichermaßen bewünscht fühlen konnten.

    Der Lanzenschaft von Ansgar schwebte in der Luft, war also nicht so einfach abzuhacken. Sabaco war daher guter Dinge, dass die Waffe von Ansgar noch funktionsfähig war, sonst musste er sofort zurückweichen und sich Ersatz geben lassen. Ihr Gegner ließ ihm sogar ausreichend Zeit, einen kurzen Blick auf Ansgars Speer zu werfen. Der verdammte Germane wich in die falsche Richtung zurück ... scheute den Kampf oder wollte ihn rauslocken. Wenn Sabaco nachsetzte, würde er die Linie verlassen müssen. Er war ja nicht bescheuert, seine Flanken zu entblößen.


    So wich er stattdessen zischend einen Schritt zurück, sich kurz hinter den Schild duckend, als hätte er sich durch den Schwerthieb erschrocken. Das Bürschlein war jünger, als er zuerst geglaubt hatte ... vielleicht unerfahren genug, um darauf hereinzufallen.

    Ein kurzer Blickkontakt, Sabaco erwiderte das Nicken, sah aus den Augenwinkeln auch Nero angreifen, dann sah er nach vorn. Der Schneeregen schmolz auf seiner Rüstung und tropfte seinen Helm hinab. Schwarz waren der Rosshaarkamm, der lang über seinem Nacken hing, und die beiden Federn. Eine andere Farbe kam für Sabaco nicht infrage.


    Der Krieg war ein grausames Geschäft, das den höchsten Tribut forderte, den ein Mensch geben konnte. Auch, wenn man zu den Überlebenden gehörte, starb man doch bei jedem Gefecht ein Stück. Zuerst verlor Sabaco seine Menschlichkeit, sah in dem Mann gegenüber nur noch einen anonymen Gegner, der jeder hätte sein können. Name, Geschichte, Persönlichkeit spielten keine Rolle. Der Mann stand auf der anderen Seite des Schlachtfelds, das war alles, was zählte. Sabaco war sicher, auch sein Gegner nahm ihn nur als "ein Römer" wahr. Der Germane kannte nicht Sabaco den Suboptio, der für seine Männer Holzkohle organisiert hatte, um die Seuche durch wohlige Wärme einzudämmen, nicht Sabaco den verlorenen Sohn, der seinen Eltern entglitten war, nicht Sabaco den Bruder, der die Tunika von Ocella als ein wollenes Heiligtum am Leib trug, nicht Sabaco den Liebhaber, der eifersüchtig behütete, was ihm gehörte und nicht Sabaco den Vater, dessen kleiner Sohn bei den Germanen lebte und den er aus Feigheit noch nie besucht hatte. Sabaco selbst war all das auch nicht mehr, er war Muskeln und Stahl, beseelt mit dem Willen zu töten. Er oder der andere, eine andere Lösung gab es nicht.


    Fast lässig rammte er den Germanen mit dem schweren Schild in Richtung Gesicht, damit er reflexartig abwehrte, und stach mit der Waffe nur um einen Lidschlag versetzt unter dem Schild hindurch in Richtung Unterleib.

    Sabaco sah Ocella ruhig an, während dieser vor sich hin maulte. Dann nickte er zufrieden. Diese Zukunftspläne ersparten Sabaco ein weiteres schwarzes Kreuz in seiner Biografie. Sein lieber moralischer Bruder ... niedlich. Manchmal etwas trottelig, aber niemand war perfekt und Sbacao war ja hier, um das auszugleichen. Am Ende grinste er vor sich hin und spielte mit dem Krug in seinen Händen.


    "Brauchbare Pläne und gut für dich. Ich muss also tun, was du mir sagst? Was sagst du mir denn ... so als mein vorgesetzter Offizier?" Da war er ja mal gespannt, was der Kleine jetzt für eine Schote reißen würde. "Aber bedenke, dass du meinen Gehorsam dann auch durchsetzen musst, wenn die Worte einmal ausgesprochen sind."

    Sabaco hatte Armàndos nicht nur vom Kreuz holen lassen ... er war derjenige, der ihn überhaupt erst bei den Vigiles verpfiffen hatte. Wie sonst hätte er ihn retten können?


    "Manche Leute muss man zu ihrem Glück zwingen", sprach er im Tonfall eines Weisen. "Davon, den Leuten ihren freien Willen zu lassen, habe ich noch nie viel gehalten. Menschen sind dumm. Sie bedürfen umsichtiger Führung. Wenn kein kluger Kopf sie organisiert, stürzen sie sich selbst ins Verderben." Der kluge Kopf war freilich er selbst. "Eine Armee ist dafür ein gutes Beispiel, aber auch ein Pater familias, mit dessen Umsicht eine Gens steht oder fällt. Wir sind dem Stand nach Equites, Ocella, vergiss das nicht, auch wenn uns der notwendige Grundbesitz fehlt, die entsprechenden Ämter auszufüllen. Menschen zu führen liegt uns im Blut, ist vielmehr sogar unsere göttliche Pflicht. Und ich gedenke, davon großzügig Gebrauch zu machen, anstatt die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Armàndos freizukaufen, hat niemandem geschadet, im Gegenteil hatten am Ende alle etwas davon: Die Milites, die ihn bewachten, deren Centurio und vor allem Armàndos selbst. Und ich besitze nun einen guten und sehr loyalen Sklaven, wie ich ihn auf keinem Markt bekommen hätte." Manchmal musste man dem Glück eben nachhelfen. "Armàndos sterben zu lassen, hätte niemandem etwas genützt. So war es für viele Menschen eine gute Tat." Er blinzelte. "Sag bloß, du hast niemals irgendwen erpresst oder bestochen, seit unsere Wege sich trennten? Das wäre in der Tat ... sehr unrömisch."


    Korruption beherrschte das Imperium. Posten wurden in allen Bereichen oft nach der Offenheit des Geldbeutels und weniger nach der Eignung vergeben. Man verlor oder gewann Prozesse je nachdem, wen man im welchen Umfang bestach und welchen Advokat man anschleppte - nicht etwa dann, wenn man unschuldig war. Mit genügend Geld konnte man jeden beliebigen Mann juristisch ins Verderben stürzen, man brauchte ihm nicht einmal körperlich etwas antun, es genügte, seinen Ruf und seine Finanzen völlig zu ruinieren. Manche bevorzugen scheinbar trotz dieser Möglichkeiten für ihr Leben den steinigen Weg. Was allerdings nur daran liegen konnte, dass der Kleine sein ganzes Geld versoffen, verspielt und verhurt hatte, so dass er sich keine Gefälligkeiten leisten konnte. Wenn Sabaco mal nicht hinsah ... na ja. Dafür hatte Ocella ja ihn.


    "Ad bestias? Ich bin eine Bestie?" Milde schüttelte er den Kopf. "Ich bin nur ein Spiegel der Zeit, in der wir leben. Harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen. Harte Maßnahmen erfordern harte Männer. Ich bin das, wozu das Leben mich gemacht hat, Ocella. Nicht mehr, nicht weniger. Würden wir in elysischen Zuständen leben, wäre ich fett und faul und würde es mir in Tarraco in der Hängematte im Garten gutgehen lassen. Wusstest du, dass viele Bestien liebevolle Eltern sind? Löwen, Wölfe, sogar Krokodile.


    Deine Loyalität bedeutet mir was." Mehr, als auszusprechen angemessen war. Auch wenn Sabaco bislang daran zweifelte, dass ihre Definitionen von Loyalität sich sonderlich weit überschnitten. "Dass du gleichsam immer auf mich zählen kannst, weißt du. Ein Wort genügt und ich führe jeden, der dich plagt, eigenhändig seiner gerechten Strafe zu. Es soll dir gut gehen, Ocella. Das ist einer der wenigen Wünsche, die ich für dieses Leben habe. Wie sieht es mit deinen Wünschen aus? Was sind deine Pläne für die Zukunft?"


    Hoffentlich nicht, irgendeine Germanin zu ehelichen. Das würde Sabaco verbieten, zum Wohle seines kleinen Bruders, notfalls mit unlauteren Mitteln. Er sah sich als Oberhaupt der Familie, da alle anderen entweder nicht daran interessiert waren ... er sah kurz zum großen Bruder zwei Tische weiter ... oder selbst noch Schutz und Führung bedurften und wenn sie noch so sehr behaupteten, allein zurechtzukommen.

    Das Kopfschütteln von Nero warf Sabaco für einen Moment aus der Bahn. Er verstand es nicht, wo lag sein Fehler, was machte er falsch?! Mit aufgerissenen Augen sah er sich um, ein Reflex in der Dunkelheit. Wo lag der Fehler? Seine sonst eisblauen Augen wirkten bei diesen Lichtverhältnissen schwarz, weil die Pupillen sich stark geweitet waren.


    Auf dem Schiff gab es einen kurzen Tumult. Meinte Nero das? Wie war es überhaupt dazu gekommen?!


    Ganz hinten war der Rhenus zur Rückendeckung. Am Ufer ankerte die Keto.

    Davor war ein Freiraum, eine Lichtung. Dort standen seine Männer, eine waffenstarrende Mauer zwischen Feind und Schiff.

    In einigen Metern Sicherheitsabstand zur Keto flackerten im Sturm die Lagerfeuer, so dass sie die Germanen besser sehen sollten als diese sie.

    Ganz außen, um all das herum, standen die Bäume, wo auch das Segel als Witterungsschutz gespannt war. Da kamen die Germanen her.


    Wie zum Geier aber kam ein Germane auf das Schiff, ohne durch das eisige Wasser geschwommen zu sein? Oder hatte er genau das getan? Die Aufstellung ließ eigentlich kein unerkanntes Nahen eines Feindes zu, es sei denn, all seine Leute waren blinde Trottel. Sabaco regte das auf. Er schonte die Gegner nicht, als das Gefecht sich fortsetzte. Zwar griff er selbst kaum in die Kampfhandlungen ein, weil er seine Augen scheinbar überall haben musste, doch so waren eben seine Männer der Arm seiner schlechten Laune.


    Die Götter forderten ihren Tribut ... Mann um Mann gingen zu Boden. Die Marini waren gerüstet, Profis, die Germanen nur ein paar übermütige Jünglinge, wie es schien. Aber der da ... der einzige Germane, der wirklich etwas draufzuhaben schien, das war der Anführer. An dessen Hüfte doch tatsächlich ein Cingulum militare prangte. Rotzfrech. Entweder ein Dieb oder einer, der etwas konnte. Den würde Sabaco sich holen, danach sollte der Rest in wortwörtlich kopflose Zustände verfallen.


    "Gubernator, du übernimmst das Kommando, bis ich mit dem da fertig bin! Wir drängen mit dem linken Flügel ..." Flügel, bei dem winzigen Haufen. "... auf den Gegner ein, die Formation muss halten! BRANDOLF!" Was machte der Sack eigentlich noch hier?! "Ans Geschütz! ANSGAR! Hierher, gib mir Deckung!"


    Sabaco hatte die Nase voll. Er würde diese germanische Sackratte da vorn mit ihrem erbeuteten Militärgürtel eigenhändig enthaupten oder selbst dabei abkratzen, wen kümmerte es! Das Schwein hatte es gewagt, Sabacos Einheit anzugreifen. Seine Einheit, seine Männer! Mit nichts anderes als dem Tod konnte das vergolten werden. Ansgar würde ihm dabei helfen, er hatte sie alle schließlich in diesen erbärmlichen Zustand geritten mit seiner Heldenrede, und sollte Gelegenheit erhalten, seine angeknackste Ehre wieder reinzuwaschen.


    Als der Augenblick günstig war und Ansgar ihm zur Seite stand, griff Sabaco den Anführer der Germanen an.