Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Fluchtwege gab es eine Menge, die Ecke war bestens einsehbar. Sein Auftragnehmer musste jedoch kurz warten, da die Tür zur Taberna sich öffnete. Sabaco blickte an ihm vorbei, sah seinem kleinen Bruder nach, der allein die Taberna verließ und durch die dunkle Straße ging.


    Das Gefühl der Erleichterung, weil Ocella allein war, währte nur kurz, denn der Kleine verzog sich, ohne an dem Abend auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Das tat weh. Was war nur los? Sabaco hatte doch bei der Classis sein Bestes gegeben, nicht gezündelt, auch wenn er von den Flammen träumte. Er hatte sich auch nicht mehr geprügelt und die Frauen des Ortes, sogar die Huren, in Ruhe gelassen, was vor allem Neros Verdienst war, doch der Grund war ja egal. Fakt war, dass Sabaco sich in der Öffentlichkeit anständig benommen hatte. Auch Ocella selbst hatte er nicht mit seiner brüderlichen Zuneigung bedrängt, sondern ihn sein eigenes Leben führen lassen und seine Freiheiten nicht versucht zu beschneiden. Zu den beiden kurzen Konfrontationen mit Varro hatte er sich zusammengerissen und professionell agiert.


    Sabaco fühlte sich wie ein Musterknabe. Es war doch alles so, wie Ocella es sich von seinem großen Bruder immer gewünscht hatte. Warum schnitt Ocella ihn trotzdem? Was fehlte? Was war zu viel? Er spürte Liebe und Schmerz, als er beobachtete, wie der kleine Bruder davonging. Erst, als Ocella aus seinem Blickfeld verschwand, richtete er seine Aufmerksamkeit auf sein Gegenüber. Der hatte sicher geschaut, wohin Sabaco die ganze Zeit so stierte, und daher Ocella gesehen. Zumindest ging Sabaco davon aus.


    "Der Mann, der gerade die Taberna verlassen hat, ist mein kleiner Bruder. Er benötigt meine Hilfe", erklärte er. "Ein Weib hat ihm die Sinne verhext. Ich habe Grund zur Annahme, dass sie seine Gutmütigkeit ausnutzen und sein Leben zerstören wird. Leider kann ich ihm nicht persönlich helfen, weil mein Dienst mich zeitlich sehr bindet und auch, weil ich nicht die Zuneigung meines Bruders verlieren möchte."


    Den Rest, der da vielleicht irgendwo im letzten Winkel von Ocellas Herz schimmelte.


    "Er versteht nicht, dass ich es gut mit ihm meine. Trotzdem kann ich nicht tatenlos zusehen, wie er in seinen Untergang marschiert. Welcher Bruder würde das tun? Die Frau, von der ich spreche, ist die Wirtin dieser Taberna, Eila. Ich möchte, dass sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Am besten so, dass mein Bruder ihren Tod gar nicht bemerkt. Es würde ihn nur aufregen, es ist besser, wenn er glaubt, sie hätte ihn sitzengelassen, damit es ihm für die Zukunft eine Lehre ist. Hundert Sesterze erhältst du als Anzahlung, davon kannst du ein Vierteljahr in Saus und Braus leben und dich ganz auf die Erfüllung des Auftrags konzentrieren. Die restlichen Neunhundert gibt es für ihr abgezogenes Gesicht als Nachweis."


    Der ganze Kopf war nervig schwer, tropfte rum und war beschissen zu transportieren.


    "Ich gebe dir für den vollen Lauf eines Mondes Zeit, damit du alles gründlich vorbereiten kannst. Danach erlischt der Auftrag und jemand anders wird sich die tausend Sesterzen verdienen. Sind wir im Geschäft?"

    Er erhob sich und klopfte auf den Tisch. "Jungs." Und mit diesem letzten, formlosen Gruß verschwand Sabaco aus dem Leben von Ansgar und den Kameraden bei der Classis. Die Rechnung des heutigen Abends ging auf ihn, vielleicht die einzige gute Erinnerung, die sie an ihren verabscheuten "Sub" haben würden. An diesem letzten Geschenk an sie änderte auch das Rumgebocke nichts.


    An Nero gewandt, sagte er: "Bin kurz frische Luft schnappen." So wusste Nero, er würde zurückkehren und wenn nicht, so sollte er vielleicht nach dem Rechten sehen.


    Dem bärtigen Zecher gab Sabaco ein Zeichen, ihm vor die Tür zu folgen. Innerlich amüsierte er sich über dessen Dreistigkeit. Bei tausend Sesterzen stellte niemand Forderungen. Sie sprachen hier von gut drei Jahresgehältern eines Soldaten. Für einen kleinen Arbeiter oder was der Kerl auch immer war, mochte es um 10 Jahresgehälter gehen! Der Tod einer gewissen Person war Sabaco sehr viel wert.


    Dass der Bursche von der Ala gesucht wurde, wusste Sabaco nicht.


    Draußen schlug ihnen eine klare Winternacht entgegen. Sabaco schlenderte an die schräg gegenüberliegende Hausecke, von der aus er alle Wege und auch den Eingang der Taberna im Blick behalten konnte. Es handelte sich um ein Gewerbegebäude oder etwas in der Art, jedenfalls war es des Nachts unbewohnt und alle Fenster verschlossen. Es konnte sie beide niemand belauschen, ohne dass Sabaco denjenigen sehen würde.


    Er wartete, bis der andere sich zu ihm gesellte.

    "Und was meint ihr, würden diese Stämme weit oben im Norden verlangen, damit sie wen auf Nimmerwiedersehen verschwinden ließen?", hakte Sabaco mit gesenkter Stimme nach. "Wenn man einen Bekannten von diesen Stämmen für so einen Auftrag anheuern würde? Hundert Sesterze?" Er ließ die Zahl wirken, die mehr als das Dreifache des monatlichen Solds eines Soldaten ausmachte. "Oder vielleicht, mit einer symbolischen Provision an den Übermittler des Auftrags ... " Er blickte vielsagend in die Runde. "... Tausend?"

    Ein eigenwilliges Sammelsurium an Menschen hatte sich inzwischen eingefunden. Sabaco amüsierte sich über den verspannten Schnösel am Tresen. Er glaubte, dessen Gefühle nachempfinden zu können, sich wie der einzige Zivilisierte unter einem Haufen Barbaren zu fühlen. Sabaco war Eques und hatte von der Sache her nichts in den Unteroffiziersrängen der Classis oder sonst irgendeiner Einheit verloren. In der endlosen Suche nach den Gründen dafür, warum er keinen Draht zum tumben Durchschnitt hatte, schob er es gern auch auf den Standesunterschied.


    Sein Hassobjekt war inzwischen auch eingetrudelt. Hatte er schon Nero von Eila erzählt? Wenn nicht, dann bedurfte es nun keiner Worte, denn Sabacos Blick sprach Bände. Seinen Hass nur mühsam herunterschluckend, wie ein ekliges Stück Essen, das ihm halb im Hals stecken blieb und wieder herauswollte, wandte er sich wieder Ansgar zu.


    "Spar es dir, mich zu verscheißern, Ansgar. Du bist nicht der einzige Peregrinus, mit dem ich im Leben gesprochen habe. Ein Kumpel ist Kelte. Die haben immer noch einen Heiligen Hain und rennen bisweilen nackt in die Schlacht. Menschenopfer gehören bei denen zum guten Ton, wenn man den Göttern einen besonders großen Gefallen erweisen will. Du bist der Erste, der mir erzählen will, dass die Germanen östlich des Limes das nicht mehr machen, obwohl die noch viel ursprünglicher leben als die Kelten. Die Frage ist also nicht das Ob, sondern mich interessieren die Bedingungen."

    Natürlich bemerkte Sabaco seinen Bruder. Er bemerkte alles, denn er war als Beutegreifer von Haus aus ein aufmerksamer Beobachter. Genauso bemerkte er, dass Ocella ihm den Rücken zuwandte und sich unsichtbar stellte. Ocella war allein gekommen. Niemand ging allein in eine Taberna. Die Schlussfolgerung war blond und toxisch. "Undankbares kleines Aas", grollte Sabaco leise in seinen Becher.


    Der Blick, den er Nero nach einem kräftigen Schluck zuwarf, war rückversichernd. Sie waren nichts weiter als Kameraden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegten, ein Wechsel, der Sabaco problemlos gelang, doch auch jetzt wollte er wissen, inwieweit ihr Bündnis galt.


    Plötzlich kam ihm ein Gedanke. "Sag mal, Ansgar, führt ihr Germanen eigentlich noch Menschenopfer durch?", fragte er neugierig. "So, wie die Kelten?" Bei denen gehörte das ja praktisch zum Alltag.

    Sabaco ließ sich heute feiern. Dass er nicht der Beliebteste war, wusste er, doch darum war es ihm nie gegangen. Er hatte immer nur das Beste für seine Männer gewollt. Dass diese ihn dafür verfluchten, ertrug er klaglos. Manchmal wurmten sie ihn, der Undank, das Unverständnis, das Unwissen. Er hatte gehofft, nach dem Gefecht würden sie ihn verstehen, doch das hatte sich als Illusion erwiesen. Auch der nächste Schleifer würde es dieser Truppe nicht recht machen können. Wie würde es in der Legio werden? Vielleicht gab es eine verschworene Gemeinschaft, wie er sie sich wünschte, nur auf den Straßen von Tarraco. Vielleicht war es bei der Legio auch nicht besser als bei der Classis, ob Vollblutrömer oder nicht.


    Sabaco spürte, dass der Abgrund, der in seiner Seele klaffte, heute Nacht offen lag. So war es immer, wenn ein Abschied drohte. Wer ihn kannte, bemerkte es daran, dass er schweigend trank, und nicht wie sonst ohne Punkt und Komma schwafelte.


    Sein Blick strich über die Gesichter, verharrte kurz auf Rotschopf Ansgar, zu dem er nie hatte durchdringen können und den er so wenig verstand wie dieser ihn. Er wünschte ihm und allen anderen das Beste, auch wenn keiner verstand, dass er nie etwas anderes gewollt hatte.


    Er blickte weiter zu Nero, der bald kein Gubernator mehr sein würde. Erst hatte man ihn dem Meer und nun auch dem Fluss entrissen. Er würde bei der Legio nicht glücklich werden. Wie war es dazu gekommen, dass man diesen qualifizierten Seemann zu einer Plattfußeinheit versetzte? Ob er selbst darum gebeten hatte, Sabaco zuliebe?


    Sabaco wusste es nicht. Er wusste nur, dass dieser Abschied für sie beide grausam war.


    Allein die Marini frohlockten. Wenigstens die Marini. Als sie auf ihn tranken, weil es sich so gehörte, wenn jemand einen ausgab, hob auch er zum Gruß den Humpen, grinste voll Schmerz und trank.

    Sabaco frohlockte. Während den Giftzwerg nun jeder als kleines Arschloch wahrnahm, war er fein heraus. Er setzte seinen nachsichtigen Blick auf. "Der wird schon noch lernen, wie der Hase läuft", sprach er an Hadamar gewandt mit einer Geduld, die er nicht besaß. Damit wollte er dem Gastgeber ersparen, sich stellvertretend für ihn ärgern zu müssen.


    Stilo mochte ja irgendwelche Qualitäten besitzen, wenn man genau hinsah, aber mit seiner Es-renkt-sich-alles-von-selber-ein-wenn-man-nur-lange-genug-untätig-bleibt-Attitüde war er vollkommen unfähig, seinen Adoptivsohn zu erziehen. Die Ala würde das an seiner Stelle übernehmen und aus Fango einen Mann machen, der er nie werden würde, wenn man Stilo die Alleinverantwortung für den Knilch überließe. Zum Glück aller gab es das Exercitus.


    Vielleicht sollte er ein wenig nachhelfen ... ohne seinen entspannten Gesichtsausdruck zu verändern, sah er Fango nach, der mit Cimber in der Dunkelheit verschwand.


    "Kein Geschäft, Gubernator ... nach dem Exercitus bin ich entweder zu Grund und Boden gekommen und trete das Ritteramt an, oder ich melde mich erneut als Evocatus. So oder so werde ich in Caligae sterben."

    << RE: Edictiones - Bekanntmachungen


    Wahrscheinlich pfiffen es die Spatzen längst von den Dächern, dass "der Sub" die Classis verlassen würde. Das Wortspiel mit seinem Titel nahm der Suboptio navalorum mit bissigem Humor. Den Abschied nicht. Beim letzten Appell betrachtete er seine Mannschaft etwas länger als sonst.


    "Es wissen wahrscheinlich eh schon die meisten, aber jetzt wird es offiziell. Heute ist der Tag des Abschieds. Ich habe euch geschliffen, ich habe euch gequält. Manch einer hat darüber abgekotzt, aber beim letzten Gefecht hat sich gezeigt, wofür es gut war. Die Feuertaufe haben wir als Mannschaft ohne Verluste bestanden. Irgendwann werdet ihr mir vielleicht dankbar sein, dass ich euch mit Härte schliff und nicht mit einem Kuschelkurs.


    Eines Tages werdet ihr das römische Bürgerrecht innehaben, werdet Römer sein und es wird mit Fleiß, Disziplin und Blut verdient sein. Dass ich euch ein Stück des Weges dahin begleiten durfte, erfüllt mich mit Stolz. Wer Lust verspürt, ein letztes Mal die Präsenz seines alten Schleifers zu genießen: Ich gebe heute Abend einen in der Taberna pulcha patria aus. Ich wünsche euch auf eurem weiteren Weg alles Gute. War eine geile Zeit.


    Valete. Wegtreten."

    Zum Thema Kinder nickte er. "Kinder sind gut, sie sind die Zukunft und sie halten das Haus am Leben. Ich hab auch mindestens eins. Einen Jungen. Falls es mit einer Heirat in diesem Leben nichts mehr wird, erkenne ich den an und dann haben die Matinier ihren Stammhalter. Meine Brüder waren reichlich faul. Wenn das so weitergeht, sterben wir entweder aus oder ich muss mich mehr ranhalten." Insgeheim freute er sich darüber. Ocella besaß einen grauenvollen Frauengeschmack und er mochte den kleinen Bruder auch nicht mit irgendeinem Anhängsel teilen. Den Geschmack von Avianus hingegen kannte er gar nicht.


    "Tarraco", wiederholte Sabaco sinnierend. "Schön ist es da. Der Strand, der Ozean. Die Villen und die Weinberge. Und die Urbevölkerung da ist zivilisierter als das, was uns hier vor die Klingen springt. Wenn ich ein zahnloser Opa bin, will ich in die Heimat zurückkehren. Bei mir ist es wie bei dir. Was an Sippschaft noch übrig ist, haust größtenteils dort, auch wenn einige eine Zeitlang in Rom lebten. Meine beiden Brüder hat es allerdings ebenso nach Germania verschlagen. Wahrscheinlich haben sie mich vermisst, obwohl sie es nicht zugeben würden."


    Als Valentina sagte, dass ihn sein Ausspruch bezüglich Madara ehren würde, grinste Sabaco. Damit war die Zahl derer, die ihm jemals einen ehrbaren Charakterzug zugeschrieben hatten, auf zwei angestiegen. Er selbst wusste, warum er etwas tat und wofür. Wenn ehrbares Verhalten seinen Zielen im Weg stand, verzichtete er darauf.


    "Das Konsortium steht für alles, wofür die Romanisierung stehen sollte. Rom profitiert davon genauso wie die romanisierte Bevölkerung. Es muss Generationen gedauert haben, das aufzubauen. Und schwarzbraunes Fell ist gut - mein jetziger ist auch ein Schwarzbrauner." Irgendwer hatte mal gesagt, dass dieser Typus von Pferd eine besonders edle Ausstrahlung habe, weshalb hohe Leute bevorzugt auf Schwarzbraunen ritten. Vielleicht, weil das dunkle Fell so glänzte, wenn man es striegelte. "Wann kann ich ihn mir ansehen?"


    Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Cimber sich mit der kleinen Heulsuse anzufreunden versuchte, die Stilo da adoptiert hatte und fand, Fango bräuchte mal gehörig den Arsch voll. Er guckte zwar gerade unglücklich, aber seine Körperhaltung wirkte ansonsten recht frech. Fango war ein halber Iunier und die konnten allesamt Giftspritzen sein. Sollte ihn wundern, wenn es bei dem Exemplar anders wäre. Er hob den Becher an die Lippen, um sein breites Grinsen zu tarnen. "Wünsche euch viel Spaß."

    "Ah … eh?!"


    Sabacos Brauen vollführten eine Wellenbewegung von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Er hatte sich doch gerade erst eingelebt! Was hatte er falsch gemacht, wollte man ihn loswerden? Oder meinte man es gut mit ihm, weil die Legio ja eigentlich was Besseres war als die Classis? War das was Persönliches oder nur eine Frage der Organisation? Fassungslos starrte er den Marschbefehl an, ebenso den, der darüber hing. Nero würde mit ihm zur Legio kommen, das war gut. Ob irgendjemand ahnte …?!


    Gestresst kehrte Sabaco in sein Cubiculum zurück. Die Information musste er erst einmal setzen lassen.

    "Niemand, Nero. Ich habe mir nur den Kopf gestoßen. Das ist keine Geschichte, die zu erzählen sich lohnt und keine, für die es Vergeltung geben kann."


    Er gab ihm einen Kuss. Nero würde nicht verstehen, wie jemand so eifersüchtig sein konnte, dass er sich selbst zerstörte, weil es anders nicht zu ertragen war. Sabaco verstand sich ja selbst nicht, kam aber aus seiner Haut nicht heraus. Im Vergleich zu früher benahm er sich sogar recht gemäßigt, die Legio hatte ihn mehr Selbstbeherrschung gelehrt. Früher hätte er Nero lieber an seiner Wunde sterben lassen, als zuzulassen, dass jemand seinen nackten Bauch mit den Händen berührte. In weiteren zehn Jahren war er vielleicht so entspannt, dass er keinen körperlichen Gegenschmerz mehr brauchte. Er grinste Nero breit an und griff ihm kurz in den Schritt.


    Als sie alles beisammen hatten, half Sabaco Nero noch in die Klamotten und Sandalen. Dann machten sie sich auf zum Baden, um sich aufzuwärmen und die blutigen, salzigen und schlammigen Reste des Gefechts von der Haut zu spülen. Wegen der Wunde würden sie aufpassen müssen, aber dreckig konnte der Gubernator nicht bleiben.

    Sabaco nickte Petronia Octavena respektvoll zu. Er würde nicht mit ihr tauschen wollen, so einen riesigen Hausstand zu verwalten mit allem, was dazu gehörte an Personal, Geschäften und Familienangelegenheiten. Vermutlich war sie den ganzen Tag dabei, Fehler auszumerzen und Leuten zu erklären, wie man es richtig machte, weil die Welt nun einmal fast nur aus Trotteln bestand. Als sie davon sprach, dass ihr Mann der letzte Hausherr gewesen war, sackten Sabacos Mundwinkel ein Stück herab und man sah ihm seine Betroffenheit an. "Das, äh, das tut mir leid. Hast du Kinder, wenn ich fragen darf?" Er mochte es nicht, wenn gute Leute starben. So eine Scheiße, Octavena war in dem jungen Alter schon verwitwet und hatte nun alles allein an der Hacke. Wenn da noch Kinder im Spiel waren, machte das einige Dinge leichter, andere schwerer. Zum Glück half Duccia Valentina, so wie es aussah, nach Kräften.


    Sabaco winkte ab, als Valentina höflich den Verlust seiner Braut bedauerte. "Bei Stilo ist sie in besseren Händen als in meinen. Bevor ich nicht mindestens Centurio bin, steht eine Heirat eh außer Frage." So war das Gesetz. Er hätte seine Braut trotzdem gern schon einmal sicher verwahrt gewusst, so als Reserve, wenn es dann so weit war, vielleicht schon mal ein paar Kinder in die Welt gesetzt. Doch während er Madara besitzen wollte, würde Stilo sie lieben.


    "Diese Freya Mercurioque hört sich an, als ob es viel zu tun gibt. Womit handelt ihr denn, habt ihr euch auf irgendwas spezialisiert oder ist das Querbeet? Auf Skrymir bin ich gespannt. Heute will ich euch nicht mit Arbeit belästigen, aber so die nächsten Tage? Wann habt ihr denn Zeit?"


    Cimber schaute er mit unbestimmtem Blick von der Seite an. "Natürlich bin ich zerknirscht! Siehst du nicht, wie zerknirscht ich bin?" Seine raue Lache bildete in der Kälte eine Dampfwolke vor seinem Mund. Beleidigt war er, immer nur an zweiter Stelle zu kommen! Aber dafür konnte niemand der Anwesenden etwas. "Die Pferde werden mich trösten. Einen Grauschimmel wollte ich schon immer mal haben. Vielleicht ist Skrymir ja zufällig einer. Aber Hauptsache groß und stark, gesund und zuverlässig."

    Sabaco legte die Hände flach auf Neros Bauch und zog vorsichtig die Wunde auseinander. Blut quoll hervor. Noch einmal lutschte er es weg und versuchte, in dem kurzen Moment, in dem die Wunde frei lag, zu erkennen, wie tief sie reichte, ehe sie sich erneut mit rotem Lebenssaft füllte, der überlief. Neros ganzer Bauch war mit einer Blutkruste bedeckt. Sabaco merkte, dass er viel zu lange das offene Fleisch anstarrte, weil er völlig hilflos war und nicht wusste, was zu tun war. Er wollte sich selbst um Nero kümmern, wusste aber nicht, wie. Es konnte doch nicht so schwer sein, eine Wunde zu nähen!


    Er stand auf, ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. "Ich muss Eike holen", presste er schließlich hervor, warf die Decke über Neros Unterleib und stürmte durch die Tür. Wenig später kehrte er mit einem klatschnassen Eike zurück, dessen Haut gerötet war und heiß dampfte. Augenscheinlich hatte Sabaco ihn aus den Thermen gerissen. Er hätte auch jemanden aus dem Valetudinarium holen können, aber nein. Das wollte er nicht.


    "Einmal nähen!" Nach dieser Ansage stürmte Sabaco wieder hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Er ging aufgrund seiner fürchterlichen Laune außer Hörweite, während Eike Neros Bauch nähte. Warum dauerte das eigentlich so lange? Was machte dieser Pfuscher mit dem Gubernator?


    Sabaco floh in seine Unterkunft, lehnte sich mit dem Kopf oberhalb der Stirn gegen die Wand und donnerte einige Male gegen den harten Putz. Er tat das nur an Stellen, wo Haare wuchsen, so dass man die zahlreichen Beulen, die er sich selbst immer wieder verpasste, nicht sah. Er spürte keinen Schmerz und donnerte kräftiger, war es schon viel zu sehr gewohnt. Er brauchte einen neuen Schmerz, einen anderen, aber er konnte sich auch nicht jedes Mal mit der Flamme einer Öllampe verbrennen, weil das schon auffällig geworden war. Auch die Schnittnarben an seinen Armen mussten alt und blass bleiben, wenn er weiter beim Militär Karriere machen wollte. Er brauchte unsichtbaren Schmerz, um wieder klar im Kopf zu werden, oder solchen, der ihn nicht als Irren dastehen ließ. Noch brutaleres Training, eine Schlägerei oder auch mal wieder so richtig hemmungslos ...


    Schritte.


    Sabaco stürmte nach draußen und wie ein durchdrehender Stier an Eike vorbei, der ihm entgegenkam und rasch Platz machte. Sabaco stürzte in Neros Unterkunft hinein, krachte die Tür hinter sich zu und schnauzte:

    "Ich will nichts davon hören!" Die Vorstellung, wie Eikes Grabschfinger am Bauch von Nero herumgefummelt hatten, war unerträglich. Das musste er nicht auch noch in schillernden Details erzählt bekommen, vielleicht noch, dass Eike freundlich und einfühlsam gewesen war. Sie brauchten einen hässlichen, garstigen Capsarius, der seine Patienten hasste. "Wir gehen jetzt in die Therme. Dir ist kalt und mir auch." Er packte Neros Badezeug zusammen.

    "Danke, ich trinke später was." Er schloss die Tür, legte die Capsa ab und trat an Nero heran. "Was den Subpraefectus Germanicus Varro betrifft, so hat das nichts mit dir zu tun. Die Adresse war ich. Er kann mich nicht ausstehen. Das ist eine persönliche Angelegenheit. Als Ocella noch ein süßer hübscher Jüngling war, hat Varro ihn weggelockt, auf sein Gestüt, zu seinen Pferden, ins sonnige Nirgendwo. Ich kannte die Adresse nicht, selbst der Name des Ortes oder der Provinz ist mir bis heute unbekannt." Sabaco sprach voller Verbitterung.


    "Ocella war fort, jahrelang verschwunden. Einfach nicht da und ich hatte keine Chance, ihn zu suchen und zu finden. Weißt du, wie schlimm das war? Ich wusste ja nicht, wie es ihm geht, was dieses Fischgesicht mit ihm anstellt, ob er vernünftig auf ihn aufpasst, ob es ihm gut geht oder ob er nach Hause will und auf mich wartet, damit ich ihn rette. Ich wusste gar nichts! Erst vor gar nicht langer Zeit habe ich Ocella wiedergefunden - und trotzdem ist er nicht mehr da."


    Sabacos Stimme klang dunkel und kalt wie die See. "Es ist, als hätte Varro sein Herz herausgenommen, es aufgefressen und durch ein anderes Herz ersetzt und die Wunde schlecht zugenäht. Ocella ist nicht mehr der selbe, obwohl ich ihn so sehr liebe und alles für ihn geben würde. Du, Stilo und Ocella seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben und zwei Drittel davon fehlen einfach, wie abgehackt. Stilo ist weit fort und Varro hat mir meinen Bruder geraubt."


    Sabacos Finger strichen über Neros schmutzigen, kalten Körper. Er musste dann unbedingt ins Warme, zumindest die Füße sollten heiß baden dürfen. Die Wunde sah übel aus. Sabaco verfrachtete Nero aufs Bett. Mit einem Stupser gegen die Brust ließ er Nero sich hinlegen und beugte sich über dessen Bauch. Beim Anblick der Wunde wurde ihm schlecht. Kurz überlegte er, ob er nicht doch lieber Eike rufen sollte. Er untersuchte sie genau, saugte vorsichtig daran, leckte das Blut ab und schaute wieder.


    "Sind deine Organe verletzt oder ist das nur Schwarte? Ich kann das nicht erkennen, hilf mir mal. Vergiss die Tunika, die nähe ich dir auch, ich nähe dir alles, aber wichtiger bist jetzt du."

    Cimber schwärmte von seinem fernen Gestüt und Sabaco trank und futterte derweil. An gesundem Appetit hatte es ihm noch nie gemangelt. Man sah ihm auch an, dass er schwerer gebaut war als die meisten anderen Soldaten, er war groß und bullig, wog seine zwei Zentner.


    "Die Classis* ist es. Ich bin Suboptio navalorum Publius Matinius Sabaco, Classis Germanica, Sectioni Mogontiacum. Von den Matiniern aus Tarraco."


    Die ellenlange Vorstellung floss wie von selbst von seinen vom heißen Rotwein verfärbten Lippen. In der anderen Hand hielt er inzwischen ein mit Bratenfleisch gefülltes Brot. Das Gestüt hörte sich gut an. Jeder, der Pferde hielt, schwärmte scheinbar von ihnen, außer er selbst mit seinem Schwarzbraunen. Der war auch nicht mehr der Jüngste und tausende von Meilen mit Sabaco im Sattel hatten ihm den Rücken und die Beine verbogen.


    "Ich würde mir gern mal bei Gelegenheit eure Pferde ansehen, nachdem Stilo nicht nur meine Braut geraubt, sondern mir obendrein kein Pferd geschenkt hat. Für mich sollte es stabil gebaut sein. Ich suche eins, das schon zugeritten und in den Grundlagen ausgebildet ist, aber dabei nicht zu alt ist, damit ich eine Weile was von ihm habe. Der Feinschliff für die Zwecke des Militärs muss natürlich noch erfolgen."


    Da konnte sicher Ocella mit Rat und Tat helfen, der war auch so ein Pferdenarr, im Gegensatz zu Sabaco, der nur drauf reiten wollte. Nun mochte er gern auch etwas Persönliches von Valentina erfahren. "Du bist hier also die Dame des Hauses?" Verheiratet wohl noch nicht, wenn sie die Schwester vom Duccius Ferox war und noch in dessen Haushalt lebte. "Führst du für die Gens irgendwelche Geschäfte oder so was oder widmest du dich ganz der Familie?"


    Sim-Off:

    *Er wird bald zur Legio wechseln, das weiß er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

    Die Keto fuhr in den Militärhafen ein. Mit wenigen gezielten, leichten Ruderschlägen glitt sie um die Kurve, ganz sacht. Ohne anzustoßen hielt sie an und Sabaco befahl, den Anker zu werfen. Er freute sich darüber, wie gut alles funktionierte, obwohl sie in den letzten Stunden Dreck und Blut gefressen hatten. Sabaco ließ die Marini antreten. Eike machte Meldung über die exakte Anzahl der Leichtverletzten, wofür er später auch noch einen detaillierten Bericht anfertigen sollte. Schwerverletzte gab es den Göttern sei dank keine.


    Sabaco hielt eine sehr kurze Abschlussrede, aber er hielt eine, um die Leistung der Männer zu würdigen und weil es einfach dazugehörte. Routinen schufen Sicherheit, Sicherheit beruhigte. Danach entließ er die Männer in den Feierabend. Sie würden noch die Keto in Schuss bringen und ihre Ausrüstung putzen, danach hatten sie Ruhe. Sabaco würde versuchen, einen Tag dienstfrei für morgen einzuschieben, damit sie sich gebührend ausruhen konnten. Die Holzkohle würde von anderen abgeladen werden, das veranlasste er noch.


    Als alle sich vom Acker machten, räumte er sein Beutegut in seine Unterkunft und vergrub den Kopf, damit die Natur ihr Werk vollbrachte und ihm einen schönen Schädel als Andenken bescherte. Die Kopfhaut mit dem langen Haar hatte er jedoch vorher abgezogen, weil er vielleicht daraus etwas basteln wollte. Mal schauen. Danach ging er mit einer geborgten Capsa (nicht der von Eike, der musste seine erstmal wieder reinigen und auffüllen) zu Nero, um nach dessen Wunde zu sehen.


    RE: Officium Gubenator Titus Umbrenus Nero >>

    "Hrrrm, hört sich idyllisch an, dein Elysium, Duccius. Und Cimber hat ganz recht - lieber mit guten Kameraden im Orcus als allein im Elysium."


    Sabaco nickte der Dame zu, die ein Gespräch mit Cimber begonnen hatte. Duccia Valentina, die Schwester vom Lucius Duccius Ferox. Er wusste sich durchaus zu benehmen und eine römische Dame war etwas anderes als das, was er so flachlegte. In seinem ganzen, langen und dunklen Leben hatte er sich bei aller Verdorbenheit nie der Unhöflichkeit gegenüber einer Römerin schuldig gemacht, auch wenn er nicht gerade eine sympathische Gestalt war. An diesem Eindruck konnte auch sein Bemühen um Höflichkeit für die meisten wenig ändern, so als würden sie die Dunkelheit hinter seinen trügerisch hellblauen Augen sehen oder irgendwie spüren, dass vor ihnen ein Beutegreifer stand.


    "Dank auch von mir. Echt lecker das Essen und die Feier kommt gerade recht. Das Wetter ist schlecht und der Dienst anstrengend, die Heimat fern. Ein bisschen Zerstreuung ... freundlich."


    Er würde entsprechend auch, wenn er ging, ein Geldgeschenk dalassen. Wenn er sich schon durchfraß und fremde Sklaven sein Geschirr wuschen, sollte es nicht zulasten der Kasse der Gastgeber gehen.

    "Das Elysium von Stilo sieht sicher völlig anders aus als unseres, Duccius Ferox. Lass doch mal hören ... wie würde dein persönliches Elysium aussehen? Meins wie Tarraco im Sommer. Eine saubere römische Stadt mit einem guten Theater, ein trockener Olivenhain, ein weicher Sandstrand am Meer. Nette Leute zum gemeinsamen Trinken, jemanden zum in die Arme schließen, nicht irgendwen, sondern die große Liebe. Und ein paar Rivalen, die einem das Leben interessant machen."


    Seinetwegen sogar der olle Germanicus, manchmal war der alte Spießer eigentlich ganz witzig, auch wenn Sabaco das nie zugeben würde. Und seinen kleinen Bruder, der ihn wieder mochte ... der ihm wieder der kleine Bruder war. Den hätte er auch gern im Elysium an seiner Seite.

    "Ach was", raunte Sabaco tröstlich, als Nero vor sich hin meckerte. Die Wunde machte dem alten Seebären scheinbar zu schaffen. Sonst war er nicht so bärbeißig, zumindest nicht gegenüber ihm. Sabaco würde jetzt nicht mit dem verletzten Nero diskutieren, wie viele Männer der Germanicus nun ausgelöscht hatte oder nicht und ob sie es das nächste Mal probehalber mit Kadavergehorsam versuchen sollten oder ihrer eigenen Linie folgten. Das waren Themen für andere Tage. Nero war gerade mies drauf und das durfte er auch sein. Das wichtigste war, dass alle mit leichten Blessuren davongekommen waren und sie ihren Auftrag erfüllen konnten. Zumindest hoffte Sabaco, dass die Wunde nur klein war. Er würde sie dann später ansehen, jetzt hatte er sein Schiff zu befehligen.


    Sabaco stand noch mal auf und schickte Eike nach hinten, um Neros Wunde zu versorgen, da Nero ihm allzu verkrampft schien und das Blut durch die Tunika sickerte. Sabaco dachte wieder daran, in welchem Zustand Ocella nach so einer Verletzung gewesen war. Wie er fast gestorben wäre. Nicht Nero, bei den drei mal verfluchten Göttern ... nicht Nero.


    Sabaco riss sich zusammen. Er musste als Kommandeur den Überblick behalten. Eike war gut, Eike kümmerte sich. Langsam schritt Sabaco erneut zwischen den Reihen entlang, auf und ab, während die Keto in Richtung Heimathafen glitt.


    Am späten Vormittag erreichten sie im fahlen Sonnenlicht Mogontiacum.