Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    "Schön zu hören, dass es Musa gut geht." Sabaco hatte sie noch nie gesehen, und so fehlte ihm in Wahrheit der Bezug. Es war für ihn nur irgendeine Base. Aber er freute sich, wenn Avianus sich über ihr Wohlbefinden freute. "Aber Ocella geht es nicht gut! Er war verletzt ... Bauchstich. Ich war ihn im Valetudinarium besuchen, er sah so blass aus, Avianus, so blass und dünn."


    Sabaco sah weg, da er mit seiner Fassung rang. Die meisten hätten auf Ocellas Zähigkeit verwiesen, aber Sabaco sah ihn durch die Augen des großen Bruders. Für ihn war das Brüderchen nicht zäh, sondern nur tapfer und in Wahrheit hilfsbedürftig. Den Kleinen allein in der Obhut von Menschen zurückzulassen, für die Ocella nur ein Patient von vielen war, und nicht an seinem Bett wachen zu dürfen, war Sabaco schwergefallen.


    "Inzwischen ist er wieder entlassen, aber so eine Verletzung braucht ihre Zeit. Dieser Germanicus Varro ... du weißt schon, der Bekannte vom Alten, der mit den Pferden ... der ist jetzt Ocellas Vorgesetzter bei der Ala. Er schindet unseren Bruder, er sieht nicht, dass Ocella mehr gibt, als gesund für ihn ist und ausgebremst werden muss. Germanicus lässt sich für seine Siege preisen und feiern, doch das läuft alles auf dem Rücken seiner Männer. Er verschleißt sie, verheizt sie und streicht ohne mit der Wimper zu zucken die Lorbeeren dafür ein."


    Als Varro im Krankenzimmer aufgetaucht war, hatte Sabaco in dessen Augen nur Eis gesehen. Dieser Mann hatte kein Herz. Varro würde den jüngsten Matinier-Bruder bestenfalls als Funktionsträger schätzen, der ihn selbst in noch größerem Glanz erstrahlen ließ. Nie aber würde er Ocella so sehen, wie dieser sich das wünschte. All die Aufopferung war vergebens. Sabaco schüttelte den Kopf, um das Bild des blassen und abgemagerten Ocella im Krankenbett aus seinen Gedanken zu vertreiben, der selbst in diesem Zustand für den Eisklotz Dienst schieben wollte, doch das Kopfschütteln genügte nicht. Sabaco benötigte Ablenkung.


    "Bruder, ich muss los. Du besuchst mich bei der Castra Classis Sectioni Mogontiacum, ja?! Dann kannst du mir erzählen, was du hier in Germania treibst."

    Sabaco knuffte zurück.


    "Ja, ich bin ganz und heil, mir geht es blendend. Aber ein guter Bruder hätte mich nach all den Jahren der Trennung in die Arme geschlossen. Zumal ich frisch gebadet bin." Sabaco hatte sich extra schick gemacht heute, wenn auch nicht für Avianus, von dessen Ankunft er nichts gewusst hatte. "Schön zu wissen, dass du noch manchmal an deine Brüder denkst und uns besuchen kommst. Der Kleine ist auch hier in Mogo, weißt du?!"


    Was für ein grandioser Abend. Erst hatte er sich mit Nero angefreundet und nun waren auch noch alle drei Matinier-Brüder wieder auf einem Fleck vereint. Er grinste, wobei er sein Trümmergebiss blitzen ließ.


    "Also, was steht an bei dir und wie kann ich dir dabei helfen? Was für Arbeit erspart es dir, mich hier zu treffen? Lange kann ich gerade nicht reden, ich bin hier mit wem und wir wollten gerade aufbrechen, noch bisschen die Stadt unsicher machen. Wann hast du Zeit?! Aber die Fragen musst du mir noch beantworten, damit ich dir helfen kann, bevor wir uns mal in Ruhe auf eine Cervisia treffen."

    Das war doch ...! Über Neros Glatze hinweg sah Sabaco dem Mann nach, der an ihnen vorbeiging und auf die Tür zuhielt.


    "Warte. Nicht abhauen."


    Sabaco gab Nero frei und folgte der Gestalt, die soeben an ihnen vorbei in die Taberna gegangen war. Sabaco stellte sich genau hinter den Mann und trat ihm mit der Sandalensohle zärtlich in den Allerwertesten, damit er sich umdrehte. Der Minitritt war vollkommen schmerzfrei.

    Ah ja. Gut, dass die Mannschaft mitdachte. Fragend sah Sabaco Ruga an.


    "Würdest du das Reinigungsritual auf der Keto durchführen? Was benötigst du dafür?"


    Sabaco hatte keine Ahnung, wie so etwas ablief und was dabei getan werden musste. Aus dieser Warte gesehen war es praktisch, dass er die Toten kurzzeitig an Deck geholt hatte, so konnte er dem Ritual beiwohnen und etwas lernen. Hatte die Keto eigentlich auch einen Coronarius? Sicher nicht, sonst hätte Ansgar nicht auf den Terentier verwiesen. Aber für die Zukunft wäre es sicher nicht schlecht, jemanden entsprechend auszubilden, nur für den Fall, dass Sabaco als Quasi-Landratte wieder mal mit beiden Füßen in das Fettfass des seemännischen Aberglaubens sprang und Ruga gerade nicht anwesend war, um die Sache zu retten.

    "Die Dienstpläne sind für die Augen jener bestimmt, die sehen, dass ich zu den unmöglichsten Zeiten bei dir ein und aus gehe. Sie sind die Antwort auf dumme Fragen, bevor sie gestellt wurden. Dein Angebot, einfach vorbeizukommen, werde ich annehmen. Heute möchte ich nirgendwo mehr hin gehen, Nero, ich stehe hier sehr gut. Aber du wolltest dir jemanden fürs Bett suchen, um nach hundert Jahren mal wieder ein wenig Spaß zu haben. Ich kann dir dabei helfen."


    Ihm selbst war der Bedarf vergangen, heute noch auf die Jagd zu gehen. Er hatte etwas viel Besseres gefunden.


    "Wenn du willst, kann ich dann auch mitkommen und wir teilen ... brüderlich."


    Nicht, dass er früher jemals erlaubt gehabt hätte, dass jemand seinem Bruder so nahe kam. Falls Ocella jemals irgendwen gehabt hatte in den guten alten Zeiten, dann wäre das nur heimlich hinter Sabacos Rücken möglich gewesen. Sabaco liebte Ocella abgöttisch und er hätte niemals freiwillig riskiert, dass jemand anderes es auch tat. Doch sie wurden alle älter ... Sabaco hatte gelernt, in kleinen, taktisch klugen Schritten zu denken und nicht mehr alles auf einmal zu wollen. Nicht sofort.


    "Also?", hakte er nach. "Wonach steht dir der Sinn?"

    "Jawohl, Centurio."


    Die verstorbenen Tirones in der Principia melden ... und bei wem? Sabaco würde vor Ort fragen. Vermutlich dem Centurio noch einmal formell, diesen ging es als erstes an, wenn seine Centuria dezimiert worden war. Andernfalls musste der ihn eben zum richtigen Offizier schicken.


    Weitermachen, so hatte der Centurio geendet ... Sabaco wartete auf das Signal von Ruga. Immerhin hatte dieser ihn gerade erst darauf hingewiesen, wo sein Platz war. Also wartete Sabaco darauf, ob der Optio spei noch etwas sagen wollte oder ob sie sich an die Reinigung der Keto machen konnten.

    Sabaco neigte das Haupt, so dass Nero bequem die Stirn an seine legen konnte. Sabaco Herzschlag wurde langsamer und seine Atmung ruhig. Seine notorisch versteinerte Gesichtsmuskulatur entspannte sich, seine Schultern sanken ein Stück herab. Sabaco fühlte sich nicht länger an wie eine eiserne Statue. Die brutale Umarmung, die Nero an Ort und Stelle gehalten hatte, nahm das Gefühl eines behütenden Nests an. Dass Nero kleiner war als er, gefiel Sabaco in diesem Zusammenhang. Noch etwas gefiel ihm - er hatte den Gubernator leise lachen gehört.


    "Was wir damit machen?", fragte Sabaco ruhig, ohne die Haltung aufzugeben. "Das, was du bereits vorgeschlagen hast - wir belagern uns künftig gegenseitig. Wobei ich damit schon begonnen habe ... normalerweise benötige ich nicht so viele Absprachen für den Dienstplan und frage auch nicht wegen jedem Scheiß drei Mal nach. Aber das weißt nur du. Du warst nicht dumm, Nero. Du hast ein selektives Gehör und hörst nur das, von dem du meinst, dass ich es sagen müsste. Du hörst nicht das, was ich tatsächlich sage."

    "Salve etiam, amicus Nero"*, erwiderte Sabaco.


    Vorerst antwortete er nicht, doch er bezahlte für sie beide. Heilige Scheiße, war er besoffen. Aber anderthalb Jahrzehnte Übung sorgten dafür, dass er trotzdem noch gerade aus reden konnte, was man von seiner Gangart nicht behaupten konnte. Langsam, um nicht zu auffällig zu torkeln, ging er nach draußen. Er hatte Glück, niemand lungerte bei der nächtlichen Kälte vor der Tür herum. Alles drängte sich in den Schankräumen. Vielleicht hätte er seinen Wollmantel mitnehmen sollen.


    Er blieb stehen, bis Nero ihm gefolgt war und hinter ihm die Tür ins Schloss fiel. Sie waren allein mit der Dunkelheit, während hinter der Tür gedämpft die Stimmen aus dem Schankraum drangen. Sabaco zögerte nicht, er umarmte er den Gubernator. Nicht zaghaft, sondern wie eine Schraubzwinge und hielt ihn dann fest. Dass er hier gerade einem Vorgesetzten seine Zuneigung aufdrängte, war ihm gleichgültig. Er hatte das Gefühl, Nero würde das jetzt brauchen. Er zog den kleineren Mann an sich und streichelte ihm wie zur Beruhigung die Glatze, über die er vorher noch gespottet hatte.


    "Vielleicht kapierst du es jetzt. Ich habe keine Berührungsängste, sie sind nicht vorhanden. Vermutlich wäre es gesünder, ich hätte welche. Ich bin nicht für meine Distanziertheit bekannt. Das ist das Problem, die Leute fühlen sich von mir belagert. Dass ich auf Abstand gehe, ist bei mir das geringste Risiko, Nero. Die meisten hätten sich vermutlich genau das gewünscht."


    Ein lichter Moment ließ Sabaco erahnen, dass Ocella sich aus diesem Grund von ihm losgerissen hatte. Es war nicht das Feuer gewesen, es war die Kette, an deren anderen Ende Sabaco schwerer hing als eine Eisenkugel und jeden seiner Schritte überwachte, damit Ocella nichts geschah, und ihn eifersüchtig abschirmte. Der Erinnerungsschmerz verdunkelte schlagartig den kurzen Lichtblick, der sich mit der Entspannung eingestellt hatte. Sabaco hätte damals auf sein Bauchgefühl hören und Varro damals rechtzeitig töten müssen. Dann wäre Ocella nie gegangen.


    Und nun stand Nero hier und bibberte, damit Sabaco blieb. Es war beinahe komisch. Nero kannte nur den Sabaco, der sich verstellte, um halbwegs gesellschaftstauglich zu sein. Er kannte nicht den Sabaco, der das Elysium niederbrannte und den Orcus auseinanderriss, um seinen Willen zu bekommen. Nicht den Sabaco, der seinen Kopf gegen eine Wand schlug, bis er umfiel, oder sich mit einem Gürtel bewusstlos würgte, weil sein Verstand nicht ausreichte, um sich davon abzuhalten, sein Leben mit einer Untat zu ruinieren. Der schiere Egoismus brachte ihn dazu, sich zu zügeln, keine Einsicht und kein Mitleid. In einer rechtsfreien Gesellschaft wäre er mit reinem Gewissen ein vielfacher Mörder. Wählte er nur die Flasche, nur eine Prügelei oder nur harten Sex, war das für seine Verhältnisse ein guter Schritt.


    "Ich kenne keinen Haufen langweiliger Pyromanen, sondern einen Haufen Typen, die sich mit anderen Typen vergnügen. Das war es, was ich meinte. Was mich selbst betrifft, so sagte ich bereits, dass ich keinen Unterschied mache, aber du hast es natürlich gekonnt überhört. Ich gehe nicht, Nero. Um mich loszuwerden, musst du schon andere Geschütze auffahren."


    Es klang wie ein Spaß, doch die Wahrheit dahinter erhob sich bedrohlich wie ein aufziehendes Unwetter. Noch immer hielt er Nero fest und fast hoffte er, dass dieser wütend reagierte.


    Sim-Off:

    *"Salve auch, Freund Nero."

    Das war also der Grund für Neros Geeier. Er hatte Sorge, dass Sabaco sonst auf Distanz ging. Zum Glück war Sabaco schon besoffen, sonst hätte er das jetzt nachholen müssen.


    "Deine Gedanken schlängeln sich auf merkwürdigen und verwundenen Pfaden. Hör auf, mir sagen, wie uninteressant ich für dich bin. Das beruhigt mich nicht, sondern macht mich mürrisch. Wer bekommt schon gern die eigene Ersetzlichkeit aufs Brot geschmiert? Du hast doch erkannt, dass ich nur gelästert habe, um dir eins reinzuwürgen. Warum erkennst du den Rest nicht? Hast du eine Ahnung, wie viele Typen ich kennengelernt habe, die so ticken wie du? Ich auch nicht - ich kann sie nicht mehr zählen. Du magst mich zum Freund haben? Hier bin ich."


    Er stieß ihre Becher aneinander.


    "Rom mit dir auf dem Thron wäre durchdachter als meine Version. Die Sache mit den kurzen Dienstwegen gefällt mir. Als ich zur Classis kam, war manches dort in einem maroden Zustand, doch die Keto ist eines der Dinge, die zeigen, dass jetzt endlich wieder was vorangeht.


    Ob man auch mit einem Finger weniger das Schwert führen kann, weiß ich nicht. Kommt sicher darauf an, welcher Finger das ist. Mit einem Ei kann man meines Wissens zur Legio, ob man ohne Eier die notwendige Leistung erbringen kann, weiß ich nicht. Eine Lösung wäre, überhaupt keine Einschränkungen vorzugeben und jeden männlichen Bürger zum Eignungstest zuzulassen. Der müsste dann entsprechend gestaltet werden, so dass sich die Spreu vom Weizen trennt und niemand darüber zu diskutieren braucht, ob man nun zehn Finger, neun oder acht benötigt, um effektiv Schild und Waffe zu führen, oder wie viele Eier jemand mindestens haben muss. Entweder man schafft den Test oder nicht."

    "Du hast die Methoden deiner Seeschlange verinnerlicht, wie man hört. Trotz Vertrauen schlängelst du dich um jede klare Aussage herum. Also schön. Die Frage, auf wen ich stehe, steht im Unterschied dazu, was ich als Beute betrachte. Wirkliches inneres Sehnen hat nichts mit so einer ... Ernte zu tun."


    Sabaco hatte leicht reden, denn wenn er sich pflegte und sein Mundwerk zügelte, konnte er sich solche arroganten Aussagen durchaus leisten. Vermutlich lag es an den blauen Augen. Sabacos Blick zuckte zu Nero, als dieser ihm sagte, er solle sich keine Sorgen machen, weil dessen Geschmack nicht ihm gelte. Wollte der alte Grottenolm ihm sagen, dass er hässlich sei oder was sollte das?


    "Du wärst mir eh zu alt", knurrte Sabaco zurück. "Wahrscheinlich warst du schon kahl, als Romulus und Remus noch an den Zitzen der Wölfin hingen. Jetzt zur Abwechslung mal Klartext und kein Schlangengezisch: Um meine seelische Gesundheit brauchst du dir keine Sorgen zu machen, da ist nichts mehr zu retten. In meiner Zeit als Phoca habe ich Gestalten kennengelernt, dagegen kann jedes Theater einpacken. Wärst du dort samt Thalatio erschienen, würdet ihr zu den Langweilern gezählt haben."


    Wehmütig schaute Sabaco zum Kaminfeuer, als er an die wilden alten Zeiten dachte. Er hatte sie freiwillig hinter sich gelassen und trotzdem fehlten sie ihm.


    "Die beste Lektion auf der Straße war vielleicht, dass ich die Menschheit unmaskiert erlebt habe in all ihrer Vielfalt und nicht als die graue Masse, als die sich darstellt, wenn man nur ab und zu über den Markt flaniert. Die meisten, die sich für Exoten halten, sind in Wahrheit eine Alltäglichkeit, nur merkt man tagsüber davon nichts. Mit deiner Seeschlange kannst du mich nicht schocken und ich zerfalle auch nicht, wenn du mich versehentlich - da ich so widerlich bin - berührst.


    Dass du das Feuer liebst und die Welt brennen sehen willst - das hat schon mehr Exotenstatus. Aber auch damit bist du nicht allein, Allmachtsfantasien hatten auch Catualda und mein Sklavenfreund Armàndos. Der einzige Unterschied ist, dass du vielleicht etwas planvoller vorgegangen bist. Catualda ist ein Stümper und Armàndos ein Maulheld. Weißt du, aber deine Gedanken zu den Officiumhengsten teile ich. So einer hätte ich werden sollen, wenn es nach meinem Vater gegangen wäre! Ich, damals Phoca, in einem Officium! Dabei wollte ich so gern Vigil werden ... ", schmachtete er. "Und jetzt? Lasse ich mir von einem alten Seebären den Floh vom Tribunat ins Ohr setzen."


    Kurz fantasierte er davon, wie Ruga vor ihm salutieren musste und malte sich aus, was dann wohl gedanklich ablästern würde. Das ließ Sabaco zufrieden vor sich hingrinsen. Und dann faselte Nero auch noch davon, wie es wäre, wenn Sabaco auf dem Thron säße. Das ließ ihn heiser feixen und den Kopf schütteln.


    "Wie das aussehen würde, säße ich auf dem Thron? Das kann ich dir sagen! Ocella würde mit mir zusammen in meinem gigantischen Palast am Meer hausen, vielleicht auf Capri, wie der unsägliche Tiberier. Dort hätte mein Bruder eine riesige luxuriöse Wohnung, bewacht von gut bezahlten Prätorianern." Vor allem, damit er sich nicht noch einmal verdünnisierte. "Jeder Wunsch würde ihm erfüllt werden und meinetwegen sperre ich ihm auch diesen Germanicus dazu und stelle ihnen ein paar Pferde in den Garten. Ocella würde für den Rest seines Lebens keinen Finger mehr krümmen müssen und eines Tages als fetter gelangweilter Greis todunglücklich in seidenen Kissen sterben, genau wie Stilo, du und alle anderen, die ich noch dazu zu sperren gedenke. Ich wäre der einzige, der glücklich wäre."


    Ja, das wäre dann wohl der Lauf der Dinge.


    "Ich würde an jeden wichtigen Posten Günstlinge setzen, egal wie fähig oder unfähig sie sind, damit sie mir trotz meiner Unfähigkeit loyal bleiben. Und meinen Sohn würde ich ebenfalls an den Hof holen, um ihn zu einem fähigeren Nachfolger heranzuziehen. Mein Sohn müsste hoffen, dass ich mich möglichst schnell zu Tode gesoffen hätte, bevor das Imperium von meiner Misswirtschaft vollends ruiniert worden wäre und er nur noch die Scherben zusammenkehren kann. Ach ja, und ich würde verbieten, Hunde zu essen, das ist Barbarei. Wie würde Rom aussehen, würdest du auf dem Thron sitzen?"

    Sabaco fragte sich, ob Ruga nur besonders weit ausholte, um den Fuß beim nächsten Tritt bis zum Knöchel in seinem Arsch zu versenken. Im ersten Moment hätte man die Schilderung Rugas als kameradschaflich deuten können, doch Sabaco blieb misstrauisch. Bei der nächsten Gelegenheit würde Rugas Tritt ihn doppelt hart treffen.


    Es gab für ihn momentan nichts hinzuzufügen und er nickte nur.


    Sabaco fragte sich jedoch, warum der Centurio sie empfing, ob das nur eine Routine war oder ob er etwas Bestimmtes wollte.

    Sabaco schob seinen Becher zur Seite und kuschelte sich auf seine Unterarme, um Nero zu lauschen, während er mit einem Untersetzer spielte. Nero redete gern und viel. Doch das Ende und der Blick brachten Sabaco dazu, sich wieder aufzurichten und den Blick starr zu erwidern. Eine Gänsehaut schüttelte ihn durch bei dem Gedanken, etwas niederzubrennen. Zum Orcus ... seine Körperhaltung versteifte sich, als er den Kamningeruch des Schankraumes in seine Nase sog wie eine Droge.


    "Du spielst auf meine Brandnarbe an?", stellte Sabaco sich dumm. "Ich war den Göttern sei Dank zu diesem Zeitpunkt bewusstlos vom Rauch. Die brennende Tunika hatte sich untrennbar mit meinem Fleisch verbunden."


    Der fixierende Blick zwischen den beiden Männern hielt an. Sabaco schmiegte sich wieder auf seine Arme, ohne Nero aus den Augen zu lassen. Oh er sollte nicht zu sehr an das lodernde Inferno denken, an den Funkenregen und das Knacken des Holzes, an die Hitze auf seinem Gesicht und das Pochen zwischen seinen Schenkeln.


    "Du bist ein Meister darin, viel zu reden und nichts zu sagen. Dein Tuccius war ein guter Lehrmeister, wie mir scheint. Thema eins willst du ein andermal besprechen. Thema zwei soll sich von allein ergeben. Thema drei soll ich mir denken können. Du wirfst mir kleine Häppchen hin, nennst mich Freund und köderst mich mit Formulierungen wie Vertrauen und der Aussicht auf ein Grundstück, dass du vermutlich gar nicht besitzt. Vertraust du mir denn, Nero? Oder warum hältst du dich so bedeckt?"


    Sabaco schob ihm den Becher vor die Nase. Sabaco war viel betrunkener als der Gubernator und dieser begann, mit ihm zu spielen. Doch noch war Sabaco nicht so betrunken, dass er das nicht merken würde oder dass es ihm egal wäre.


    "Gut, meine Antworten zu deinen drei Fragen. Aber sie werden nicht detaillierter ausfallen aus deine.


    Ich suche das verlorene Paradies.

    Beute tut, was ich sage und quatscht nicht.

    Doch was ich begehre ... das ist die Frage, die falsch gestellt wurde. Sie muss lauten: Wen."

    Es waren seine Tirones gewesen, seine. Er wünschte sich einen Schuldigen, den er für ihren Tod zerfleischen konnte, einen besonders abstoßenden Barbaren mit schadenfrohem Grinsen, um es ihm mit dem Knauf seines Schwertes mit kleinen, harten Hieben zahnweise aus dem Gesicht zu trümmern, ehe er ihm mit den finalen Schlägen den Gesichtschädel eindellte. Noch immer war Sabaco der Überzeugung, dass er aus Adalrich und Tiro brauchbare Soldaten geformt hätte, wenn die zwei ihn nur gelassen hätten. Nun waren sie tot ... abgehauen wegen der Musterung, und in ihrem jugendlichen Leichtsinn aufgeschlitzt wie zwei Karpfen.


    Der Ruf, dass der Centurio an Deck war, riss ihn aus seinen Gedanken. Der Ruf bewirkte bei ihm das Gleiche, wie beim Rest der Mannschaft - er verfestigte sich zur Salzsäule und starrte vor sich hin, abwartend, was nun noch folgen würde. Den alten Centurio mochte Sabaco eigentlich ganz gern, weshalb seine Stimmung stoisch blieb. Mal hören, was Ruga so über Sabaco ablästern würde ...

    Sabaco war inzwischen gut dabei. Als der Wirt ihnen zwei Becher brachte, drückte er seinen fest gegen den von Nero, trank dann aber nur einen Schluck und stellte ihn wieder ab.


    "Du stellst die falschen Fragen. Sie gehören auch nicht zwangsläufig zusammen." Er hob den Blick. "Am Ende mache ich keinen Unterschied. Warum sollte ich, es geht nur um eine Nummer. Es ist gleichgültig, wer mir den Sack leert. Beantworte mir deine Fragen doch einmal selbst ... ich bin neugierig."

    "Es gab eine Vermisstenmeldung und eine Suche." Sabaco rechnete kurz. "Mitte Mai war ich beim Centurio Classicus* und habe darauf hingewiesen, dass sie verschwunden sind. Adalrich und Tiro waren nicht zur Grundausbildung erschienen und die anschließende Suche** innerhalb der Castra blieb ergebnislos."


    Der Optio verschätzte sich. Dass Sabaco ihn nicht leiden konnte, lag nicht in seinem Auftreten, sondern in der Ungerechtigkeit begründet, dass Ruga ihn im Officium des Centurios abweisend angeschaut hatte, ohne ihn zu kennen. Egal, wie gewissenhaft Sabaco bis dato gearbeitet hätte, wie vorbildlich, wie dienstbeflissen ... in dem Moment hatte Terentius Ruga bereits sein vernichtendes Urteil über ihn gefällt. Die Gegenreaktion des gekränkten Sabaco war entsprechend ausgefallen. Er mochte den Optio Spei auch nicht und stellte ihn sich zur persönlichen Schadenfreude als einen Vollversager im Bett vor.


    Nun aber gab es einen konkreten Anlass für Rugas Stimmung, der für Sabaco nachvollziehbar war und deswegen keinen zusätzlichen Groll verursachte. Er grüßte also noch einmal korrekt, schlug seine Faust aufs Herz und riss den Arm zur Seite weg.


    "Optio Spei Terentius Ruga! Suboptio Navalorum Matinius Sabaco meldet sich zur Stelle."


    Normalerweise konnte Sabaco sich gut artikulieren, wenn er es darauf anlegte und die Stammtischformulierungen wegließ. Doch eine Pause entstand, in der er die Miene und Körperhaltung seines Gegenübers mit dem Blick sezierte, um dessen Reaktion vorausdeuten zu können. Sabaco traute dem Kerl nach seinem ungerechten Urteil nicht mehr und erwartete entsprechend nichts Gutes, wenn er die Kehle entblößte.


    "Ich war wegen der Toten durcheinander", gab er schließlich gezwungenermaßen zu. "Das waren zwei meiner Tirones."


    Jetzt, wo es ausgesprochen war, ging in Sabaco eine seltsame Transformation vor. Ein irrationales Glücksgefühl überkam ihn, als er die körperliche Züchtigung erwartete, fast schon Erleichterung, dass die verbale Demütigung gleich vorbei sein würde. Sein Gesicht entspannte sich.

    Sabaco stand auf, er war trotz seines angetrunkenen Zustandes noch sicher auf den Beinen.


    "Ein Grottenolm ist ein dürrer Schwanzlurch. Man nennt ihn auch Menschenfischlein, weil er so blass ist. Ich habe noch nie einen leibhaftig gesehen, aber ich stelle ihn mir so vor, wie du momentan aussiehst. Kränklich. Wir werden dafür sorgen, dass du wieder anzusehen bist wie ein Seemann. Lass uns in die Taberna Pulchra Patria gehen und danach ... kommt es drauf an, was du suchst."


    Neben professionellen Diensten gab es die Möglichkeit, draußen Beute zu machen - Sabacos bevorzugte Jagdgründe. Ein Lupanar bot nicht das gleiche Gefühl des Erfolges, außerdem konnte es Ärger mit den Inhabern geben. Er hatte in etlichen Lupanaren Hausverbot. Aber wenn Nero dorthin wollte, würde er ihn begleiten. Hauptsache, er kam mal wieder zum Zug.


    Gemeinsam verließen sie die Castra und tauchten ein in die Nacht von Mogontiacum.


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    Die letzte Asche


    Noch fünf Tage später dampfte die Asche. Der Geruch verbrannten Holzes umschmeichelte Sabacos Nase, während er die Stelle des Brandes durchstreifte wie ein Raubtier, das noch einmal über die abgenagten Gebeine leckte, um den Nachhall der Jagd zu spüren. Die Vigiles rissen mit schwerem Gerät die letzten Mauern um, damit die Trümmer niemanden erschlugen. Hier war nichts mehr zu reparieren und zu retten. Diese Insula war Geschichte. Der Centurio der Vigiles, der den klangvollen Namen Wolf trug, ein germanischstämmiger Haudegen, sah Sabaco finster nach. Doch was sollte er tun? Es gab keine Beweise, nur einen jungen Mann, der seine Freude an der Inspektion von Tatorten fand. An einer ruhigen Stelle, an der niemand arbeitete, ließ Sabaco sich nieder. Warme Kohlestückchen knisterten unter seinen Beinen. Seine Finger gruben sich genussvoll in das brüchige Schwarz, bargen eine Handvoll Asche. Sabaco zerrieb die Krümel zwischen den Fingern. Dann rieb er seine Hände langsam damit ein, als handele es sich um eine wohltuende Salbe.


    Vertraute Schritte nahten und Ocella hockte sich zu ihm, die Brauen in Sorge verzogen. Gegensätzlicher hätte der Ausdruck in ihren Gesichtern nicht sein können. Sabaco hob den Blick und sah den Bruder vollkommen entspannt und sehr glücklich an. Ocella war inzwischen kein Kind mehr, doch das änderte nichts daran, dass Sabaco ihn hütete wie seinen Augapfel.


    Es gab keinen anderen Menschen, für denen er auch nur annähernd so tief empfand. So gehörte er auch zu den wenigen, die in diesem Alter noch nie eine feste Liebschaft eingegangen waren. Was sein Körper trieb, war von seinen Gefühlen vollständig entkoppelt, bisweilen empfand er beim Akt sogar Ekel und Wut, als würden diese dreckigen Huren (die keineswegs immer Huren waren) es darauf abgesehen haben, Ocella ein Stück von der ihm zustehenden Liebe zu rauben. So kam es vor, dass Sabaco die Frauen, die sich ihm hingaben, würgte oder, wenn sie den Fehler machten, beim Akt zu sprechen, schlug, damit sie schwiegen. Sie waren Fleisch. Und Sabaco interagierte nicht mit Fleisch, er benutzte es. So hatte er sich auch angewöhnt, sie umzudrehen, um ihre Gesichter nicht sehen zu müssen.


    Mit seinem Zeigefinger malte er Ocella zärtlich einen schwarzen Strich von der Stirn bis zur Nasenspitze. Der ließ die Neckerei über sich ergehen, blieb aber ernst.


    "Das war ein bisschen viel diesmal, Sabo. Meinst du nicht?"


    "Oh ja. So gut ist es mir noch nie gelungen. Die Nacht loderte so hell, man konnte normal sehen, als wäre es Tag gewesen. Es hatte etwas von einem besonders intensiven Sonnenaufgang. Die Funken fielen auf die Straßen wie brennender Regen. Wunderschön. Ich werde ein Gedicht darüber schreiben, ich spüre es schon in mir reifen. Wusstest du, dass man Tinte aus Asche macht? Die Geschichte dieser Welt wurde seit jeher in Asche geschrieben."


    Ocella sah ihn eindringlich an, was putzig aussah mit dem Strich auf der Nase. "Es sind Menschen gestorben, Sabo. Eine römische Familie mit drei Kindern."


    Sabaco zuckte mit den muskulösen Schultern. Da er sie nicht kannte, waren sie ihm gleichgültig. "Es sterben jeden Tag Menschen, Kleiner. Seit wann muss ich dir das erklären? Hätten die Götter gewollt, dass sie leben, hätten sie ihnen geholfen." Doch seine Stimme klang nicht so sicher wie sonst. Ihm gefiel Ocellas Tonfall nicht und sein Blick wirkte befremdlich. "Sag mal, was willst du eigentlich gerade von mir?", grollte Sabaco misstrauisch.


    "Ich will, dass du aufhörst, bevor es zu spät ist! Sei einmal in deinem Leben vernünftig. Wenn dir die Menschen schon gleichgültig sind, die du umgebracht hast, solltest du zumindest dir selbst gegenüber nicht gleichgültig nicht sein. Eines Tages wird man dich erwischen."


    Nun voll tiefstem Argwohn kniff Sabaco die Augen zusammen. "Ich habe niemanden umgebracht, sie sind gestorben. Du setzt mir gerade den Dolch auf die Brust. Du willst mich an den Wolf verpfeifen, wenn ich nicht deinem Willen nachkomme. Ist es das? Du willst mich an die Vigiles verraten!"


    Sie erhoben sich gleichzeitig, unter ihren Sandalen knisterte die Asche. In der Ferne rumpelten die Steine einer abgerissenen Mauer, die Vigiles riefen sich irgendwas zu - weit genug entfernt, und doch bedrohlich nahe. Die Brüder starrten sich gegenseitig in die Augen, beide entschlossen, sich zu verteidigen, doch zögernd, in dem Streit fortzufahren. Keiner von beiden fühlte sich wohl mit dieser Konfrontation. Zwar war es nicht das erste Mal, dass Ocella sein Missfallen an den Brandstiftungen äußerte, aber noch nie hatte er sich so gegen seinen großen Bruder gestellt.


    "Ich will dich nicht verraten, sondern uns retten", sprach Ocella betont ruhig. "Dich und mich. Das Feuer ist für dich längst kein Werkzeug mehr, sondern zu reinem Selbstzweck mutiert. Du liebst das Feuer, weil es dir irgendetwas gibt, das ich nicht verstehe. Was haben Flammen und Tod uns mit diesem Brand eingebracht? Oder das das letzte Mal? Überhaupt nichts, Sabo. Keinerlei praktischen Nutzen. Dafür aber viel Leid über anständige Römer. Dich bringt das Feuer in Lebensgefahr und mich auch, denn ich war dein Komplize. Das ist nun vorbei. Wir enden beide auf dem Scheiterhaufen, wenn wir so weitermachen. Lass es enden, Sabo!"


    Die Stimme des kleinen Bruders war ruhig, aber eindringlich. Ocella wirkte ... fremd. Völlig fremd! So als würde ein anderer durch ihn sprechen. Plötzlich begriff Sabaco. In seinem Hirn gellten alle Alarmglocken gleichzeitig. Gefahr. Höchste Gefahr!


    "Es ist dieser Germanicus Varro, den ich aus dir sprechen höre", keuchte er, blickte sich gehetzt um, sah aber nichts Verdächtiges. "Dieser missgünstige alte Sack, mit dem du die letzten Tage ausreiten warst. Vaters Bekannter. Nicht wahr? Da haben die Hoppapferdchen scheinbar ausgereicht. Sprich, Ocella: Seit wann bist du käuflich?"


    "Und seit wann hast du vor, mich mit dir in den Tod zu reißen?!", schnauzte Ocella zurück. "Varro wollte dich auch mit auf den Ausritt nehmen, er hatte das für uns beide geplant, weil er es gut mit uns meint! Du warst es, der nicht mitkommen wollte, weil du ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden kannst. Jetzt hörst du mir zu. Was du mit deinem Leben anstellst, ist deine Sache. Aber ich unterstütze dich nicht länger darin, uns beide zugrunde zu richten! Hör - damit - auf!"


    Sabacos Blick war lauernd. Ocella hatte nicht bestritten, dass Varro es gewesen war, der ihn bezirzt hatte. Der Mann rutschte schlagartig in die Kategorie 'Feind' und bestand nur noch aus schlechten Eigenschaften. Vor Eifersucht drehte sich Sabaco schier der Magen um, seine Hände schnappten zu Fäusten zusammen.


    "Du scheinst dir ja neuerdings seeehr viel selbst zu bedeuten, Brüderchen. Ich wusste gar nicht, dass ich dich zu so einem Egoisten erzogen habe. Wobei ... das habe ich auch nicht. Das sind die giftigen Einflüsterungen von deinem neuen Freund. Was, wenn ich Nein sage zu deiner Forderung? Marschierst du dann zum Wolf, und lieferst mich ihm aus, um deine eigene Haut vor der Justiz zu retten? Ein Geständnis kann da viel bewirken. Sei Zeuge, damit man mich dran kriegt. Deine Drohungen bewirken bei mir nichts. Du brauchst auch nicht zu versuchen, mich ein zweites Mal zu einem Gespräch mit Varro zu zwingen. Mit dem bin ich durch. Meine Antwort lautet Nein, Nein und nochmals Nein!"


    Die letzten Worte hatte Sabaco gebrüllt. Ocella wurde es zu viel. Er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging. Wie konnte Sabaco es auch wagen, so vom heiligen Varro zu sprechen! Irgendwann würde der Kleine sich schon wieder beruhigen - Varro würde am nächsten Tag ohnehin abreisen und sein Gift wieder mit in den heimischen Pferdestall nehmen. Sabaco stand in seinem Aschehaufen, sah seinem kleinen Bruder nach und ließ ihn ziehen. Ocella würde die Nacht irgendwo anders verbringen und bei Sonnenaufgang wieder zu ihm zurückkehren, in der Hand etwas zu Essen, um es mit ihm zu teilen. Sabaco würde annehmen und sie würden gemeinsam frühstücken. Danach wäre alles wie früher.


    Doch Ocella kam am nächsten Morgen nicht.


    Mit der Hilflosigkeit eines verirrten Welpen stand Sabaco völlig allein an ihrem Grillplatz am Strand, wo er geschlafen hatte und wo sein Bruder ihn normalerweise nun mit dem Frühstück aufgesucht hätte. Dass Ocella nicht erschienen war, warf ihn völlig aus der Bahn. Stundenlang wartete er am selben Platz, unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Gegen Vormittag irrte er dann durch die Straßen, schaute in jede Taberna, rannte schließlich der Länge nach von Osten nach Westen über den gesamten Strand von Tarraco. Fragte Passanten, suchte überall, rief, schrie den Namen seines kleinen Bruders, drehte fast durch und riss sich die Haare aus. Für ihn kam nur eine schreckliche Gewalttat infrage. Als seine Suche erfolglos blieb, sprintete er nach Hause, um die Familie zu informieren, dass ihr jüngster Sohn verschwunden war, damit sie die Vigiles informieren und eine breitgefächerte Suche einleiten konnten.


    Doch zu Hause erwartete ihn etwas völlig anderes als besorgte Eltern und viele Dinge schienen im Haus zu fehlen. Als er das leere, aufgeräumte Bett sah, zersplitterte seine Welt in tausend Scherben, der Sinn seines Lebens verflüchtigte sich wie Rauch, der vom Wind erfasst und davongetragen wurde. Der kleine Bruder hatte Varro samt sehr viel Gepäck in die Fremde begleitet. So, wie es aussah, war keine zeitnahe Rückkehr geplant. Wo das Gestüt lag, verriet Sabaco niemand.


    Die folgende Gedächtnislücke musste einige Stunden betragen, denn die Dunkelheit kroch von Osten her über Tarraco. Der Himmel hatte alle Schleusen geöffnet und es schüttete warmen Sommerregen. Vollkommen hilflos fand Sabaco sich allein am menschenleeren Strand wieder vor der kalten Feuerstelle, wo er mit Ocella und den Freunden regelmäßig gegrillt und getrunken hatte. Ocella war alles gewesen. Ohne Ocella war alles nichts. Sabacos Tunika klebte nass an seinem Körper. Bei dem Wetter war niemand hier und es würde auch niemand kommen. Der Regen spülte die Asche aus der Feuerstelle fort und sie lief als kleiner schwarzer Bach hinunter zum Meer. Sabaco brach in sich zusammen und stürzte in den Sand, wo er sich in inneren Qualen zusammenkrümmte. Eingerollt wie ein Embryo lag er an dem verlassenen Platz und rührte sich lange Zeit nicht mehr.

    Wie praktisch, da war er ja, der Optio spei. Sabaco würde ihn ausreden lassen und dann mit seinem Anliegen an ihn herantreten. Der Suboptio stapfte zum Landesteg an Dock II, wo Terentius Ruga auf ihn wartete und so dreinschaute, als müsse man vor ihm salutieren. Also grüßte Sabaco ihn und nahm dann Haltung an.