Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    "Du hast die Methoden deiner Seeschlange verinnerlicht, wie man hört. Trotz Vertrauen schlängelst du dich um jede klare Aussage herum. Also schön. Die Frage, auf wen ich stehe, steht im Unterschied dazu, was ich als Beute betrachte. Wirkliches inneres Sehnen hat nichts mit so einer ... Ernte zu tun."


    Sabaco hatte leicht reden, denn wenn er sich pflegte und sein Mundwerk zügelte, konnte er sich solche arroganten Aussagen durchaus leisten. Vermutlich lag es an den blauen Augen. Sabacos Blick zuckte zu Nero, als dieser ihm sagte, er solle sich keine Sorgen machen, weil dessen Geschmack nicht ihm gelte. Wollte der alte Grottenolm ihm sagen, dass er hässlich sei oder was sollte das?


    "Du wärst mir eh zu alt", knurrte Sabaco zurück. "Wahrscheinlich warst du schon kahl, als Romulus und Remus noch an den Zitzen der Wölfin hingen. Jetzt zur Abwechslung mal Klartext und kein Schlangengezisch: Um meine seelische Gesundheit brauchst du dir keine Sorgen zu machen, da ist nichts mehr zu retten. In meiner Zeit als Phoca habe ich Gestalten kennengelernt, dagegen kann jedes Theater einpacken. Wärst du dort samt Thalatio erschienen, würdet ihr zu den Langweilern gezählt haben."


    Wehmütig schaute Sabaco zum Kaminfeuer, als er an die wilden alten Zeiten dachte. Er hatte sie freiwillig hinter sich gelassen und trotzdem fehlten sie ihm.


    "Die beste Lektion auf der Straße war vielleicht, dass ich die Menschheit unmaskiert erlebt habe in all ihrer Vielfalt und nicht als die graue Masse, als die sich darstellt, wenn man nur ab und zu über den Markt flaniert. Die meisten, die sich für Exoten halten, sind in Wahrheit eine Alltäglichkeit, nur merkt man tagsüber davon nichts. Mit deiner Seeschlange kannst du mich nicht schocken und ich zerfalle auch nicht, wenn du mich versehentlich - da ich so widerlich bin - berührst.


    Dass du das Feuer liebst und die Welt brennen sehen willst - das hat schon mehr Exotenstatus. Aber auch damit bist du nicht allein, Allmachtsfantasien hatten auch Catualda und mein Sklavenfreund Armàndos. Der einzige Unterschied ist, dass du vielleicht etwas planvoller vorgegangen bist. Catualda ist ein Stümper und Armàndos ein Maulheld. Weißt du, aber deine Gedanken zu den Officiumhengsten teile ich. So einer hätte ich werden sollen, wenn es nach meinem Vater gegangen wäre! Ich, damals Phoca, in einem Officium! Dabei wollte ich so gern Vigil werden ... ", schmachtete er. "Und jetzt? Lasse ich mir von einem alten Seebären den Floh vom Tribunat ins Ohr setzen."


    Kurz fantasierte er davon, wie Ruga vor ihm salutieren musste und malte sich aus, was dann wohl gedanklich ablästern würde. Das ließ Sabaco zufrieden vor sich hingrinsen. Und dann faselte Nero auch noch davon, wie es wäre, wenn Sabaco auf dem Thron säße. Das ließ ihn heiser feixen und den Kopf schütteln.


    "Wie das aussehen würde, säße ich auf dem Thron? Das kann ich dir sagen! Ocella würde mit mir zusammen in meinem gigantischen Palast am Meer hausen, vielleicht auf Capri, wie der unsägliche Tiberier. Dort hätte mein Bruder eine riesige luxuriöse Wohnung, bewacht von gut bezahlten Prätorianern." Vor allem, damit er sich nicht noch einmal verdünnisierte. "Jeder Wunsch würde ihm erfüllt werden und meinetwegen sperre ich ihm auch diesen Germanicus dazu und stelle ihnen ein paar Pferde in den Garten. Ocella würde für den Rest seines Lebens keinen Finger mehr krümmen müssen und eines Tages als fetter gelangweilter Greis todunglücklich in seidenen Kissen sterben, genau wie Stilo, du und alle anderen, die ich noch dazu zu sperren gedenke. Ich wäre der einzige, der glücklich wäre."


    Ja, das wäre dann wohl der Lauf der Dinge.


    "Ich würde an jeden wichtigen Posten Günstlinge setzen, egal wie fähig oder unfähig sie sind, damit sie mir trotz meiner Unfähigkeit loyal bleiben. Und meinen Sohn würde ich ebenfalls an den Hof holen, um ihn zu einem fähigeren Nachfolger heranzuziehen. Mein Sohn müsste hoffen, dass ich mich möglichst schnell zu Tode gesoffen hätte, bevor das Imperium von meiner Misswirtschaft vollends ruiniert worden wäre und er nur noch die Scherben zusammenkehren kann. Ach ja, und ich würde verbieten, Hunde zu essen, das ist Barbarei. Wie würde Rom aussehen, würdest du auf dem Thron sitzen?"

    Sabaco fragte sich, ob Ruga nur besonders weit ausholte, um den Fuß beim nächsten Tritt bis zum Knöchel in seinem Arsch zu versenken. Im ersten Moment hätte man die Schilderung Rugas als kameradschaflich deuten können, doch Sabaco blieb misstrauisch. Bei der nächsten Gelegenheit würde Rugas Tritt ihn doppelt hart treffen.


    Es gab für ihn momentan nichts hinzuzufügen und er nickte nur.


    Sabaco fragte sich jedoch, warum der Centurio sie empfing, ob das nur eine Routine war oder ob er etwas Bestimmtes wollte.

    Sabaco schob seinen Becher zur Seite und kuschelte sich auf seine Unterarme, um Nero zu lauschen, während er mit einem Untersetzer spielte. Nero redete gern und viel. Doch das Ende und der Blick brachten Sabaco dazu, sich wieder aufzurichten und den Blick starr zu erwidern. Eine Gänsehaut schüttelte ihn durch bei dem Gedanken, etwas niederzubrennen. Zum Orcus ... seine Körperhaltung versteifte sich, als er den Kamningeruch des Schankraumes in seine Nase sog wie eine Droge.


    "Du spielst auf meine Brandnarbe an?", stellte Sabaco sich dumm. "Ich war den Göttern sei Dank zu diesem Zeitpunkt bewusstlos vom Rauch. Die brennende Tunika hatte sich untrennbar mit meinem Fleisch verbunden."


    Der fixierende Blick zwischen den beiden Männern hielt an. Sabaco schmiegte sich wieder auf seine Arme, ohne Nero aus den Augen zu lassen. Oh er sollte nicht zu sehr an das lodernde Inferno denken, an den Funkenregen und das Knacken des Holzes, an die Hitze auf seinem Gesicht und das Pochen zwischen seinen Schenkeln.


    "Du bist ein Meister darin, viel zu reden und nichts zu sagen. Dein Tuccius war ein guter Lehrmeister, wie mir scheint. Thema eins willst du ein andermal besprechen. Thema zwei soll sich von allein ergeben. Thema drei soll ich mir denken können. Du wirfst mir kleine Häppchen hin, nennst mich Freund und köderst mich mit Formulierungen wie Vertrauen und der Aussicht auf ein Grundstück, dass du vermutlich gar nicht besitzt. Vertraust du mir denn, Nero? Oder warum hältst du dich so bedeckt?"


    Sabaco schob ihm den Becher vor die Nase. Sabaco war viel betrunkener als der Gubernator und dieser begann, mit ihm zu spielen. Doch noch war Sabaco nicht so betrunken, dass er das nicht merken würde oder dass es ihm egal wäre.


    "Gut, meine Antworten zu deinen drei Fragen. Aber sie werden nicht detaillierter ausfallen aus deine.


    Ich suche das verlorene Paradies.

    Beute tut, was ich sage und quatscht nicht.

    Doch was ich begehre ... das ist die Frage, die falsch gestellt wurde. Sie muss lauten: Wen."

    Es waren seine Tirones gewesen, seine. Er wünschte sich einen Schuldigen, den er für ihren Tod zerfleischen konnte, einen besonders abstoßenden Barbaren mit schadenfrohem Grinsen, um es ihm mit dem Knauf seines Schwertes mit kleinen, harten Hieben zahnweise aus dem Gesicht zu trümmern, ehe er ihm mit den finalen Schlägen den Gesichtschädel eindellte. Noch immer war Sabaco der Überzeugung, dass er aus Adalrich und Tiro brauchbare Soldaten geformt hätte, wenn die zwei ihn nur gelassen hätten. Nun waren sie tot ... abgehauen wegen der Musterung, und in ihrem jugendlichen Leichtsinn aufgeschlitzt wie zwei Karpfen.


    Der Ruf, dass der Centurio an Deck war, riss ihn aus seinen Gedanken. Der Ruf bewirkte bei ihm das Gleiche, wie beim Rest der Mannschaft - er verfestigte sich zur Salzsäule und starrte vor sich hin, abwartend, was nun noch folgen würde. Den alten Centurio mochte Sabaco eigentlich ganz gern, weshalb seine Stimmung stoisch blieb. Mal hören, was Ruga so über Sabaco ablästern würde ...

    Sabaco war inzwischen gut dabei. Als der Wirt ihnen zwei Becher brachte, drückte er seinen fest gegen den von Nero, trank dann aber nur einen Schluck und stellte ihn wieder ab.


    "Du stellst die falschen Fragen. Sie gehören auch nicht zwangsläufig zusammen." Er hob den Blick. "Am Ende mache ich keinen Unterschied. Warum sollte ich, es geht nur um eine Nummer. Es ist gleichgültig, wer mir den Sack leert. Beantworte mir deine Fragen doch einmal selbst ... ich bin neugierig."

    "Es gab eine Vermisstenmeldung und eine Suche." Sabaco rechnete kurz. "Mitte Mai war ich beim Centurio Classicus* und habe darauf hingewiesen, dass sie verschwunden sind. Adalrich und Tiro waren nicht zur Grundausbildung erschienen und die anschließende Suche** innerhalb der Castra blieb ergebnislos."


    Der Optio verschätzte sich. Dass Sabaco ihn nicht leiden konnte, lag nicht in seinem Auftreten, sondern in der Ungerechtigkeit begründet, dass Ruga ihn im Officium des Centurios abweisend angeschaut hatte, ohne ihn zu kennen. Egal, wie gewissenhaft Sabaco bis dato gearbeitet hätte, wie vorbildlich, wie dienstbeflissen ... in dem Moment hatte Terentius Ruga bereits sein vernichtendes Urteil über ihn gefällt. Die Gegenreaktion des gekränkten Sabaco war entsprechend ausgefallen. Er mochte den Optio Spei auch nicht und stellte ihn sich zur persönlichen Schadenfreude als einen Vollversager im Bett vor.


    Nun aber gab es einen konkreten Anlass für Rugas Stimmung, der für Sabaco nachvollziehbar war und deswegen keinen zusätzlichen Groll verursachte. Er grüßte also noch einmal korrekt, schlug seine Faust aufs Herz und riss den Arm zur Seite weg.


    "Optio Spei Terentius Ruga! Suboptio Navalorum Matinius Sabaco meldet sich zur Stelle."


    Normalerweise konnte Sabaco sich gut artikulieren, wenn er es darauf anlegte und die Stammtischformulierungen wegließ. Doch eine Pause entstand, in der er die Miene und Körperhaltung seines Gegenübers mit dem Blick sezierte, um dessen Reaktion vorausdeuten zu können. Sabaco traute dem Kerl nach seinem ungerechten Urteil nicht mehr und erwartete entsprechend nichts Gutes, wenn er die Kehle entblößte.


    "Ich war wegen der Toten durcheinander", gab er schließlich gezwungenermaßen zu. "Das waren zwei meiner Tirones."


    Jetzt, wo es ausgesprochen war, ging in Sabaco eine seltsame Transformation vor. Ein irrationales Glücksgefühl überkam ihn, als er die körperliche Züchtigung erwartete, fast schon Erleichterung, dass die verbale Demütigung gleich vorbei sein würde. Sein Gesicht entspannte sich.

    Sabaco stand auf, er war trotz seines angetrunkenen Zustandes noch sicher auf den Beinen.


    "Ein Grottenolm ist ein dürrer Schwanzlurch. Man nennt ihn auch Menschenfischlein, weil er so blass ist. Ich habe noch nie einen leibhaftig gesehen, aber ich stelle ihn mir so vor, wie du momentan aussiehst. Kränklich. Wir werden dafür sorgen, dass du wieder anzusehen bist wie ein Seemann. Lass uns in die Taberna Pulchra Patria gehen und danach ... kommt es drauf an, was du suchst."


    Neben professionellen Diensten gab es die Möglichkeit, draußen Beute zu machen - Sabacos bevorzugte Jagdgründe. Ein Lupanar bot nicht das gleiche Gefühl des Erfolges, außerdem konnte es Ärger mit den Inhabern geben. Er hatte in etlichen Lupanaren Hausverbot. Aber wenn Nero dorthin wollte, würde er ihn begleiten. Hauptsache, er kam mal wieder zum Zug.


    Gemeinsam verließen sie die Castra und tauchten ein in die Nacht von Mogontiacum.


    Taberna pulchra patria >>

    Die letzte Asche


    Noch fünf Tage später dampfte die Asche. Der Geruch verbrannten Holzes umschmeichelte Sabacos Nase, während er die Stelle des Brandes durchstreifte wie ein Raubtier, das noch einmal über die abgenagten Gebeine leckte, um den Nachhall der Jagd zu spüren. Die Vigiles rissen mit schwerem Gerät die letzten Mauern um, damit die Trümmer niemanden erschlugen. Hier war nichts mehr zu reparieren und zu retten. Diese Insula war Geschichte. Der Centurio der Vigiles, der den klangvollen Namen Wolf trug, ein germanischstämmiger Haudegen, sah Sabaco finster nach. Doch was sollte er tun? Es gab keine Beweise, nur einen jungen Mann, der seine Freude an der Inspektion von Tatorten fand. An einer ruhigen Stelle, an der niemand arbeitete, ließ Sabaco sich nieder. Warme Kohlestückchen knisterten unter seinen Beinen. Seine Finger gruben sich genussvoll in das brüchige Schwarz, bargen eine Handvoll Asche. Sabaco zerrieb die Krümel zwischen den Fingern. Dann rieb er seine Hände langsam damit ein, als handele es sich um eine wohltuende Salbe.


    Vertraute Schritte nahten und Ocella hockte sich zu ihm, die Brauen in Sorge verzogen. Gegensätzlicher hätte der Ausdruck in ihren Gesichtern nicht sein können. Sabaco hob den Blick und sah den Bruder vollkommen entspannt und sehr glücklich an. Ocella war inzwischen kein Kind mehr, doch das änderte nichts daran, dass Sabaco ihn hütete wie seinen Augapfel.


    Es gab keinen anderen Menschen, für denen er auch nur annähernd so tief empfand. So gehörte er auch zu den wenigen, die in diesem Alter noch nie eine feste Liebschaft eingegangen waren. Was sein Körper trieb, war von seinen Gefühlen vollständig entkoppelt, bisweilen empfand er beim Akt sogar Ekel und Wut, als würden diese dreckigen Huren (die keineswegs immer Huren waren) es darauf abgesehen haben, Ocella ein Stück von der ihm zustehenden Liebe zu rauben. So kam es vor, dass Sabaco die Frauen, die sich ihm hingaben, würgte oder, wenn sie den Fehler machten, beim Akt zu sprechen, schlug, damit sie schwiegen. Sie waren Fleisch. Und Sabaco interagierte nicht mit Fleisch, er benutzte es. So hatte er sich auch angewöhnt, sie umzudrehen, um ihre Gesichter nicht sehen zu müssen.


    Mit seinem Zeigefinger malte er Ocella zärtlich einen schwarzen Strich von der Stirn bis zur Nasenspitze. Der ließ die Neckerei über sich ergehen, blieb aber ernst.


    "Das war ein bisschen viel diesmal, Sabo. Meinst du nicht?"


    "Oh ja. So gut ist es mir noch nie gelungen. Die Nacht loderte so hell, man konnte normal sehen, als wäre es Tag gewesen. Es hatte etwas von einem besonders intensiven Sonnenaufgang. Die Funken fielen auf die Straßen wie brennender Regen. Wunderschön. Ich werde ein Gedicht darüber schreiben, ich spüre es schon in mir reifen. Wusstest du, dass man Tinte aus Asche macht? Die Geschichte dieser Welt wurde seit jeher in Asche geschrieben."


    Ocella sah ihn eindringlich an, was putzig aussah mit dem Strich auf der Nase. "Es sind Menschen gestorben, Sabo. Eine römische Familie mit drei Kindern."


    Sabaco zuckte mit den muskulösen Schultern. Da er sie nicht kannte, waren sie ihm gleichgültig. "Es sterben jeden Tag Menschen, Kleiner. Seit wann muss ich dir das erklären? Hätten die Götter gewollt, dass sie leben, hätten sie ihnen geholfen." Doch seine Stimme klang nicht so sicher wie sonst. Ihm gefiel Ocellas Tonfall nicht und sein Blick wirkte befremdlich. "Sag mal, was willst du eigentlich gerade von mir?", grollte Sabaco misstrauisch.


    "Ich will, dass du aufhörst, bevor es zu spät ist! Sei einmal in deinem Leben vernünftig. Wenn dir die Menschen schon gleichgültig sind, die du umgebracht hast, solltest du zumindest dir selbst gegenüber nicht gleichgültig nicht sein. Eines Tages wird man dich erwischen."


    Nun voll tiefstem Argwohn kniff Sabaco die Augen zusammen. "Ich habe niemanden umgebracht, sie sind gestorben. Du setzt mir gerade den Dolch auf die Brust. Du willst mich an den Wolf verpfeifen, wenn ich nicht deinem Willen nachkomme. Ist es das? Du willst mich an die Vigiles verraten!"


    Sie erhoben sich gleichzeitig, unter ihren Sandalen knisterte die Asche. In der Ferne rumpelten die Steine einer abgerissenen Mauer, die Vigiles riefen sich irgendwas zu - weit genug entfernt, und doch bedrohlich nahe. Die Brüder starrten sich gegenseitig in die Augen, beide entschlossen, sich zu verteidigen, doch zögernd, in dem Streit fortzufahren. Keiner von beiden fühlte sich wohl mit dieser Konfrontation. Zwar war es nicht das erste Mal, dass Ocella sein Missfallen an den Brandstiftungen äußerte, aber noch nie hatte er sich so gegen seinen großen Bruder gestellt.


    "Ich will dich nicht verraten, sondern uns retten", sprach Ocella betont ruhig. "Dich und mich. Das Feuer ist für dich längst kein Werkzeug mehr, sondern zu reinem Selbstzweck mutiert. Du liebst das Feuer, weil es dir irgendetwas gibt, das ich nicht verstehe. Was haben Flammen und Tod uns mit diesem Brand eingebracht? Oder das das letzte Mal? Überhaupt nichts, Sabo. Keinerlei praktischen Nutzen. Dafür aber viel Leid über anständige Römer. Dich bringt das Feuer in Lebensgefahr und mich auch, denn ich war dein Komplize. Das ist nun vorbei. Wir enden beide auf dem Scheiterhaufen, wenn wir so weitermachen. Lass es enden, Sabo!"


    Die Stimme des kleinen Bruders war ruhig, aber eindringlich. Ocella wirkte ... fremd. Völlig fremd! So als würde ein anderer durch ihn sprechen. Plötzlich begriff Sabaco. In seinem Hirn gellten alle Alarmglocken gleichzeitig. Gefahr. Höchste Gefahr!


    "Es ist dieser Germanicus Varro, den ich aus dir sprechen höre", keuchte er, blickte sich gehetzt um, sah aber nichts Verdächtiges. "Dieser missgünstige alte Sack, mit dem du die letzten Tage ausreiten warst. Vaters Bekannter. Nicht wahr? Da haben die Hoppapferdchen scheinbar ausgereicht. Sprich, Ocella: Seit wann bist du käuflich?"


    "Und seit wann hast du vor, mich mit dir in den Tod zu reißen?!", schnauzte Ocella zurück. "Varro wollte dich auch mit auf den Ausritt nehmen, er hatte das für uns beide geplant, weil er es gut mit uns meint! Du warst es, der nicht mitkommen wollte, weil du ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden kannst. Jetzt hörst du mir zu. Was du mit deinem Leben anstellst, ist deine Sache. Aber ich unterstütze dich nicht länger darin, uns beide zugrunde zu richten! Hör - damit - auf!"


    Sabacos Blick war lauernd. Ocella hatte nicht bestritten, dass Varro es gewesen war, der ihn bezirzt hatte. Der Mann rutschte schlagartig in die Kategorie 'Feind' und bestand nur noch aus schlechten Eigenschaften. Vor Eifersucht drehte sich Sabaco schier der Magen um, seine Hände schnappten zu Fäusten zusammen.


    "Du scheinst dir ja neuerdings seeehr viel selbst zu bedeuten, Brüderchen. Ich wusste gar nicht, dass ich dich zu so einem Egoisten erzogen habe. Wobei ... das habe ich auch nicht. Das sind die giftigen Einflüsterungen von deinem neuen Freund. Was, wenn ich Nein sage zu deiner Forderung? Marschierst du dann zum Wolf, und lieferst mich ihm aus, um deine eigene Haut vor der Justiz zu retten? Ein Geständnis kann da viel bewirken. Sei Zeuge, damit man mich dran kriegt. Deine Drohungen bewirken bei mir nichts. Du brauchst auch nicht zu versuchen, mich ein zweites Mal zu einem Gespräch mit Varro zu zwingen. Mit dem bin ich durch. Meine Antwort lautet Nein, Nein und nochmals Nein!"


    Die letzten Worte hatte Sabaco gebrüllt. Ocella wurde es zu viel. Er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging. Wie konnte Sabaco es auch wagen, so vom heiligen Varro zu sprechen! Irgendwann würde der Kleine sich schon wieder beruhigen - Varro würde am nächsten Tag ohnehin abreisen und sein Gift wieder mit in den heimischen Pferdestall nehmen. Sabaco stand in seinem Aschehaufen, sah seinem kleinen Bruder nach und ließ ihn ziehen. Ocella würde die Nacht irgendwo anders verbringen und bei Sonnenaufgang wieder zu ihm zurückkehren, in der Hand etwas zu Essen, um es mit ihm zu teilen. Sabaco würde annehmen und sie würden gemeinsam frühstücken. Danach wäre alles wie früher.


    Doch Ocella kam am nächsten Morgen nicht.


    Mit der Hilflosigkeit eines verirrten Welpen stand Sabaco völlig allein an ihrem Grillplatz am Strand, wo er geschlafen hatte und wo sein Bruder ihn normalerweise nun mit dem Frühstück aufgesucht hätte. Dass Ocella nicht erschienen war, warf ihn völlig aus der Bahn. Stundenlang wartete er am selben Platz, unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Gegen Vormittag irrte er dann durch die Straßen, schaute in jede Taberna, rannte schließlich der Länge nach von Osten nach Westen über den gesamten Strand von Tarraco. Fragte Passanten, suchte überall, rief, schrie den Namen seines kleinen Bruders, drehte fast durch und riss sich die Haare aus. Für ihn kam nur eine schreckliche Gewalttat infrage. Als seine Suche erfolglos blieb, sprintete er nach Hause, um die Familie zu informieren, dass ihr jüngster Sohn verschwunden war, damit sie die Vigiles informieren und eine breitgefächerte Suche einleiten konnten.


    Doch zu Hause erwartete ihn etwas völlig anderes als besorgte Eltern und viele Dinge schienen im Haus zu fehlen. Als er das leere, aufgeräumte Bett sah, zersplitterte seine Welt in tausend Scherben, der Sinn seines Lebens verflüchtigte sich wie Rauch, der vom Wind erfasst und davongetragen wurde. Der kleine Bruder hatte Varro samt sehr viel Gepäck in die Fremde begleitet. So, wie es aussah, war keine zeitnahe Rückkehr geplant. Wo das Gestüt lag, verriet Sabaco niemand.


    Die folgende Gedächtnislücke musste einige Stunden betragen, denn die Dunkelheit kroch von Osten her über Tarraco. Der Himmel hatte alle Schleusen geöffnet und es schüttete warmen Sommerregen. Vollkommen hilflos fand Sabaco sich allein am menschenleeren Strand wieder vor der kalten Feuerstelle, wo er mit Ocella und den Freunden regelmäßig gegrillt und getrunken hatte. Ocella war alles gewesen. Ohne Ocella war alles nichts. Sabacos Tunika klebte nass an seinem Körper. Bei dem Wetter war niemand hier und es würde auch niemand kommen. Der Regen spülte die Asche aus der Feuerstelle fort und sie lief als kleiner schwarzer Bach hinunter zum Meer. Sabaco brach in sich zusammen und stürzte in den Sand, wo er sich in inneren Qualen zusammenkrümmte. Eingerollt wie ein Embryo lag er an dem verlassenen Platz und rührte sich lange Zeit nicht mehr.

    Wie praktisch, da war er ja, der Optio spei. Sabaco würde ihn ausreden lassen und dann mit seinem Anliegen an ihn herantreten. Der Suboptio stapfte zum Landesteg an Dock II, wo Terentius Ruga auf ihn wartete und so dreinschaute, als müsse man vor ihm salutieren. Also grüßte Sabaco ihn und nahm dann Haltung an.

    "Ich kann nicht sagen, ob ich meinen Sohn wirklich liebe. Es liegen viel Zeit und viel Raum zwischen uns. Bis ich ihn das erste Mal sah, hielt ich ihn für einen Bastard. Sein offizieller Vater, der ihn auch aufzog, ist ein Germane namens Catualda aus dem Osten, ein Harier. So einer von denen, die nachts angreifen, sich schwarz kleiden und ihre Gesichter und Oberkörper mit Asche beschmieren. Wie Schatten brechen sie der Dunkelheit über einen herein, sie sind extrem unangenehm und wohl mit den Vandalen verwandt. Keine Ahnung, wie es so einen nach Hispania verschlug, aber so war es. Ich glaube nicht, dass mein Sohn weiß, dass es mich gibt. Falls doch, kann seine Mutter ihm nichts Gutes von mir berichten. Er würde seinen leiblichen Vater für das halten, was er ist, für einen -"


    Sabacos Mund schloss sich mit einem Klacken seiner Zähne. Verdammter Wein. Er starrte Nero an, versuchte in dessen Gesicht zu lesen, wie viel er aus seinen bisherigen Informationen zu kombinieren vermochte. Der Gubernator kannte die große Brandnarbe an seiner Flanke. Nein. Die Fakten lagen zu weit auseinander, um eine mögliche Verbindung zwischen ihnen zu vermuten. Sabaco sah weg und schüttelte den Kopf.


    "Trotzdem würde ich gern sehen, wie er heute aussieht und erfahren, wie es ihm geht, wie er sich so macht. Ihm anonym etwas Geld zukommen lassen, damit er sich mal einen Wunsch erfüllen kann, den er vielleicht schon lange hegt. Ich wäre ihm gern ein besserer Vater gewesen oder überhaupt ein Vater. Doch dafür ist nicht jeder gemacht. Der größte Gefallen, den ich meinem Sohn und seiner Mutter erweisen konnte, war, mich aus ihrem Leben zu verabschieden und nie mehr zurückzukommen."


    Er war froh, dass Nero es sich anders überlegte und nun mit ihm die Stadt unsicher machen wollte. Ablenkung brauchte er dringend. Dass Nero ihn mit dem kleinen Bruder ködern wollte, ließ Sabaco wieder grinsen.


    "Ocella hat gerade eine schwere Verletzung überstanden, er benötigt noch Ruhe, bevor ich ihn wieder durch Mogontiacum schleifen kann. Aber vielleicht sehen wir etwas, das ich ihm kaufen werde.


    Deine Seeschlange hätte nicht gewollt, dass du den Rest deiner Tage in einem Officium versauerst und immer bleicher, faltiger und kahler wirst. Im Moment erinnerst du an einen Grottenolm. Aber das kriegen wir wieder hin, wir haben ja schon angefangen, dich an die Sonne zu gewöhnen und jetzt stürzen wir uns ins Nachtleben. Worauf hast du Lust, wie hast du dich früher amüsiert? Das holen wir jetzt nach. Auf geht's."

    Ein Muskel arbeitete an Sabacos Wange, während er das Mienenspiel des Gubernators beobachtete und ihn nicht aus den Augen ließ. Aus seiner Zeit bei der Legio, die er mit einem wahren Zuckerstückchen von einem Ausbilder hatte durchleben müssen, war er es gewohnt, dass ihm in solchen Momenten vor versammelter Mannschaft der Kopf abgerissen wurde. Zu seiner Überraschung folgte jedoch eine ruhige und durchaus wohlwollende Erklärung. Er richtete sich weiter auf und entspannte sich.


    "In der Nähe des Kriegshafens gibt es ein Sacellum des Merkur und eine Jupitersäule. Zu beidem gehört aber keine Priester, das sind nur den Göttern geweihte Orte, die jeder benutzen kann. Ein Heiligtum der Magna Mater befindet sich in der Stadt. Sonst ist mir in Mogontiacum kein Tempel bekannt."


    Der einzige von Priestern bemannte Tempel musste natürlich ausgerechnet diesen Kult beherbergen! Kurz dachte er an Zmertorix und fragte sich, ob er tatsächlich einen Eunuchen in Damenkleidern an seinem Schiff herumfummeln lassen sollte. Waren Frauen nicht auf Schiffen verboten? Gestresst stemmte er eine Hand in die Hüfte, die Stirn von Sorgenfalten zerklüftet, als Ansgar den rettenden Hinweis gab.


    "Der Coronarius, na klar", freute Sabaco sich. "Terentius Ruga wird bald eintreffen. Bis dahin putzen und wienern wir die Keto, bis sie glänzt! An die Arbeit!"

    Sicher glitt die Keto durch die Hafeneinfahrt des Portus Militaris. Die Molen dienten als Ankerplätze, schützten aber zugleich das künstlich angelegte Hafenbecken vor der Abtragung durch die Strömung. Sabaco brauchte nichts zu sagen, die Männer wussten, was zu tun war. Nur er wusste es nicht. Das Leichenwasser musste herunter, aber wahrscheinlich musste auch noch ein Opfer her. Müde rieb er sich den Hinterkopf. Er wusste es nicht.


    "Die Keto muss noch gründlicher als sonst gereinigt werden. Kennt sich jemand mit Entsühnungen und so was aus? Muss die sofort erfolgen?"

    "Zwei. Eine für Neptun und eine für den zwiegehörnten Rhenus*", grummelte Sabaco und setzte sich hin. Ihm war nicht gut und er war dankbar, dass Nero die Seebestattung übernahm. Den Anblick, wie er die zwei eingewickelten Körper anhob und wie Getreidesäcke ins Wasser wuchtete, würde er so schnell nicht loswerden. Die Veränderung von atmendem Mensch zu reglosem, seelenlosen Fleisch - nicht greifbar, wenn man es nicht selbst gesehen hatte.


    Als die Keto den Rückweg antrat, erinnerten nur das Schweigen der Männer und der Geruch an Deck noch an die beiden Toten. Sie zogen an den baumbewachsenen Ufern vorbei und Sabaco entdeckte das erste braune Laub auf den Fluten treiben. Die Dinge schienen ihm seltsam fern und entrückt. Zug um Zug brachten die Ruderschläge die Keto und ihre Mannschaft in Richtung Mogontiacum. Sabaco empfand keine Freude. Sein Magen knurrte und seine Blase drückte. Eigentlich hatte er in Borbetomagus mit den Männern rasten wollen, damit sie etwas essen und sich die Beine vertreten konnten. Als sie an der großen Furt vorbeikamen, leuchtete kurz die Nachmittagssonne zwischen den grauen Wolken hervor, doch dann zog der Himmel wieder vollständig zu. Es waren keine Rinder mehr zu sehen und keine winkenden Bauern.


    Man roch die Stadt, bevor man sieh sah. Rund um die Uhr schickten zahllose Öfen schwarze Rauchsäulen hinauf in die Wolken. Jetzt, da es nachts kälter wurde, noch mehr als im Sommer. Pünktlich mit dem Einbruch der Dunkelheit grüßte die dunkle Mauer der Castra der Ala sie, auf der die Wachposten gelangweilt ihre Runden zogen. Das Hämmern der Schmiede in der Fabricia hörte man bis hier. Wie immer, wenn er daran vorbeikam - was bisher nur auf dem Landweg der Fall gewesen war - nahm Sabaco sich die Zeit, nach Ocella Ausschau zu halten, während die Keto sich an der 1000 pes vom Ufersaum entfernten Mauer vorbeischob. Es war aussichtslos, auf die Entfernung würde er seinen Bruder mit Helm und Rüstung nicht erkennen. Enttäuscht schaute er wieder nach vorn.


    "War das gerade ein Lächeln?" Sabacos Mundwinkel zogen sich weit auseinander und offenbarten sein klaffendes Trümmergebiss, das ihn leicht lispeln ließ. "Wusste gar nicht, dass du das kannst. Ich sage es keinem weiter." Für einen Moment hatte der Gubernator ganz anders ausgesehen als sonst, dann war es schon wieder vorbei - aber nicht ganz. Denn nachdem er das kaputte Instrument auf dem Larenschrein entdeckt hatte, glomm noch ein Schmunzeln nach. "Unser Hafen ist hier. Das ist jetzt unser Heimathafen. Ich liebe das Wort. Heimathafen. Das sagt doch alles, oder? Ich will doch sehr hoffen, dass du bis zum Ende dabei bleibst. Auf uns."


    Wie es seine Art war, stieß Sabaco nicht an, sondern drückte seinen Becher fest gegen den von Nero, ehe er ihn in einem langen Zug leerte. Der wievielte war das jetzt? Inzwischen bewegte sich der Gubernator langsam hinter seinem Ende des Tisches hin und her und wirkte ziemlich unscharf. Doch Sabaco vermochte noch weitestgehend deutlich zu sprechen.


    "Ein Navigationsgerät hilft einem nur, den Weg zu finden, wenn man das Ziel kennt. Meine Ziele sind vage. Meine Aufgabe gut erledigen, vielleicht ergibt sich die eine oder andere Beförderung. Du hast einen Plan für ein Grundstück, meintest du am Strand? Das würde nützen. Meinen Sohn ... Resultat einer ausgebrannten Liebschaft ... würde ich gern einmal von nahem sehen. Und Stilo noch einmal."


    Er blickte zur Tischplatte, als er an ihn dachte, weil der Trennungsschmerz im Laufe der Monate kein bisschen weniger geworden war. Geschrieben hatte Stilo ihm auch noch nicht, vermutlich hatte er ihn einfach vergessen. Sich in die Arbeit und sein neues Leben gestürzt. Sabaco sah wieder auf.


    "Mehr Ziele habe ich im Moment nicht. Was sind deine?"

    Sabaco schenkte sich ebenfalls nach. Da ihm auffiel, dass er vergessen hatte, etwas Festes zu sich zu nehmen, tunkte er Brot in den Wein und biss die aufgeweichte Ecke ab.


    "Das hört sich nicht tröstlich an", brummelte er, "jeden Tag Selbstgespräche über die gleichen Dinge zu führen, weil keiner dir zuhört. Dabei sind deine Geschichten durchaus hörenswert, doch es bedarf Ohren, die bereit sind, zu hören. Da wir beschlossen haben, künftig zusammen den Feierabend zu verbringen, kannst du sie fortan mir erzählen, wenn dir danach ist. Es mag sein, dass wir beide heimatlos sind, weil wir das verloren haben, was uns Heimat war, doch zu zweit ist der Weg nicht so lang und vor allem nicht so trist."


    Sabaco nickte in Richtung des Larenschreins an der Wand. Zwischen einigen Tonfigürchen, der Kerze und der Opferschale stand auf einem zusammengefalteten Tuch das kaputte Navigationsgerät, das Nero ihm geschenkt hatte. Sabaco zwinkerte dem Gubernator zu.


    "Ich verstecke mich nicht vor mir selbst, glaub mir. Wer und was ich bin, weiß ich sehr gut. Ich bin so sehr ich selbst, wie es mir unter den gegenwärtigen Umständen möglich ist. Und wie ich es sein kann, ohne aus der Classis geworfen zu werden."

    Sabaco sah Nero noch lange an, nachdem dieser seine Ausführungen bereits beendet hatte, als ob er in dessen Gesicht die ganze Geschichte lesen wolle, die sich darunter noch verbarg. Die Augen des Gubernators wirkten nicht wirklich blau, sondern vielmehr blass wie die eines Fisches, gräulich und kalt. Die faltige Haut war wettergegerbt, auch wenn die Arbeit im Officium ihn hatte bleich werden lassen. Erst, als die Artemis neben die Keto aufschloss, wandte Sabaco den Blick von ihm ab, um zum Optio spei hinüberzusehen. Terentius Ruga war wie Nero eine Kreatur der See, genau so verwittert, genau so unergründlich. Der Optio spei wartete schweigend und beide Offiziere sahen Sabaco an.


    Stille lag über den Schiffen. Die Geräusche aus der Stadt wirkten so weit entfernt, als kämen sie aus einer anderen Welt, einer Welt des Lebens und des Lichts, während Sabaco spürte, wie sich die Dunkelheit über ihn legte. Er fröstelte, war froh über die zweite Tunika, die er unter der blauen Diensttunika trug, doch diese Kälte kroch nicht von außen über seine Haut.


    Er blickte zu den eingewickelten Körpern, sah die Konturen der Arme und suchte, wo die Gesichter lagen. Seine arbeitende Kiefermuskulatur ließ erahnen, dass einiges in ihm vorgehen musste. Sie offenbarte auch, dass diese Entscheidung ihre Zeit brauchte. Seeleute nannten eine andere Sicht auf die Dinge ihr Eigen, als der neue Suboptio es von der Legio gewohnt war. Karren rollten schwerfällig mit erdverklumpten Rädern durch seinen Geist, die Ladeflächen voll mit dem, was nach dem Gefecht übrig geblieben war. Doch Sabaco war nicht mehr bei der Legio und ein Transport für die Gefallenen nicht bei der Classis vorgesehen. Dass dies ein Scheideweg war, spürte er.


    "Gebt dem Rhenus, was des Rhenus ist", sprach er schließlich.

    Das Miasma der Toten zog in übelriechenden Schwaden über Deck. Ein Schwarm Krähen erhob sich aus einer Weide am Ufer, um mit vielstimmigem Gekreisch über sie hinwegzuziehen. Da Sabaco Krähen mochte, was für einen Angehörigen des Militärs nicht selbstverständlich war, hieß er die kleine Abwechslung willkommen. An den Gedanken, dass die Götter das Schiff mit weniger wohlwollenden Augen sehen könnten, seit zwei Tote darauf lagen, kam er nicht. Seiner Meinung nach hassten die Götter ihn ohnehin. In Sabacos Welt gab es nur die Option, die beiden Kameraden zurück an den Ort zu bringen, an den sie gehörten. Adalrich und Tiro waren davongelaufen und hatten dafür mit dem Leben bezahlt. Sabaco würde die beiden Tirones wieder nach Hause holen, in einem anderen Zustand, als er sich wünschen würde, doch nach Hause. Die Keto würde langsamer vorankommen, wenn die Männer gegen Übelkeit ankämpfen mussten, aber früher oder später würden sie alle den heimatlichen Hafen erreichen.

    Eike untersuchte die beiden geborgenen Personen trotz ihres offensichtlichen Zustands, um dem sichtlich aufgebrachten Suboptio zu zeigen, dass er alles in seiner Macht Stehende unternahm. Der hatte die Gesichter der beiden Toten erkannt und beugte sich mit steinerner Miene über sie. Hätte Eike ein Wunder vollbringen können, so hätte er es. Doch er war Capsarius und das Wundervollbringen musste er den Heiligen überlassen. Nur durch den Mund atmend schaute sich die Halswunden an und drückte die Hände, welche die Totenstarre schon wieder hinter sich hatten. Dann sah er den Suboptio an und schüttelte den Kopf. "Die sind Ex", war alles, was es noch zu sagen gab.


    "Aber das sind Adalrich und Tiro", rief Sabaco, als würde dieses Detail etwas an den Tatsachen ändern. "Meine zwei Tirones!"


    Da lagen sie, die zwei Prinzesschen, über die ein jeder hatte gelacht. Aber sie waren Sabacos Prinzesschen gewesen, er hätte sie schon noch zu Männern geformt. Nun lagen sie hier, nur noch Fleisch, aufgeschlitzt und blutleer, kalt und aufgequollen. Aufgebracht drehte Sabaco sich in die andere Richtung, stapfte ein paar Schritte und kam wieder zurück. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.


    Neben Ansgar und Fiete blieb er stehen, sah sie an. "Ihr habt alles getan, was ihr tun konntet", sprach er nun ruhig. "Gut gemacht." Dabei legte er ihnen die Hand auf die Schulter und drückte diese kurz. Sie hielten sich tapfer, aber eine Wasserleiche zu bergen, die man obendrein im lebenden Zustand gekannt hatte, war eine nervenzerreißende Aufgabe. Kurz überlegte Sabaco, ob er Ansgar und Fiete für die Heimfahrt mit den Schützen abwechseln lassen sollte, damit sie pausieren konnten, entschied sich jedoch dagegen. Es war besser, wenn sie nun etwas zu tun hatten.


    Sabaco schritt weiter. Lauter und an alle gewandt sagte er: "Wie kurz Adalrich und Tiro auch bei uns gewesen sein mögen, sie waren ein Teil von uns. Sie werden immer Teil von uns sein. Sie haben alles gegeben, was sie geben konnten und waren würdige Soldaten Roms. Erweisen wir unseren beiden Kameraden den letzten Dienst. Eike, bette sie in Rettungsdecken. Wir bringen die Kameraden nach Hause, wo sie eine würdige Bestattung erhalten werden. Gubernator, ich übernehme wieder. Trupp eins an die Plätze, Schützen wieder in Position. Anker lichten und Kurs auf Mogontiacum, wir fahren heim."