Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Nach einem weiteren Becher begann Sabaco den Wein endlich vernünftig zu merken. So taute er ein wenig auf.


    "Ich brauche dir nichts mehr zu berichten, Nero. Wenn ich rede und dir nur einen Splitter erzähle, ergänzt du ihn zu einem Ganzen. Du liest mich wie ein Buch. Nur mich, oder alle Menschen? Reden wir trotzdem, der Gemütlichkeit wegen. Ja, ich vermisse die Sommer am Strand von Tarraco. Wir machten Feuer, wir grillten, badeten, tranken. Ocella war damals noch dabei. Die Hunde tollten um uns herum, wir spielten mit Lederbällen, Stöcken, versuchten irgendwas zu bauen, meist eine Angel, ein Floß oder ein Haus, oder wir balgten. Aber ist es wirklich Tarraco, was mir fehlt? Oder ist es die Zeit meiner Jugend? Die Menschen? Dann bin ich verloren, so wie du."


    Trauer für Nero, Neid für den Toten. Sabaco fragte sich, was ihm selbst fehlte, dass ihn niemals wer so ins Herz schloss. Er schob die Teller, Becher und Amphoren auf dem Tisch beiseite und kuschelte sich auf die Unterarme. In dieser Haltung goss er sich nach.


    "Ich gehe meist in die Stadt, unter die Menschen, um mich aufzumuntern. Kurzzeitig funktioniert das. Aber wie sollen Saufkumpanen, die man irgendwo aufgabelt, Freunde ersetzen, oder eine Prügelei die Zeit mit den Jungs auf der Straße, oder ein schneller Fick die verflossene Liebe. Das funktioniert nicht. Man will mehr davon, weil es besser als nichts ist, immer mehr, aber es ist nie genug, Nero, niemals genug. Verstehst du?"


    Das erste Mal gab er zu, dass ihm die Kontrolle über diese Dinge längst entglitten war. Für einen Offizier ein drohender Genickbruch. Doch Sabaco musste trinken, er musste sich schlagen und das innere Feuer und den Schmerz umarmen. Er musste herumhuren ohne Wahl und ohne Maß, nur um einen Menschen in seinen Armen zu spüren, aß aus purer Gier Dinge, die ihm nicht schmeckten, genau wissend, was ihn all das kostete, und war doch unfähig, damit aufzuhören, denn etwas anderes hatte er nicht. Wenn all das nicht mehr half, um sich noch lebendig zu fühlen, dann rief er das Feuer. Auch die Strafe für Brandstifter war ihm bewusst. Sie schreckte ihn nicht.


    "Kommst du mit in die Stadt? Der Abend ist noch jung und ich war lange nicht draußen. Ich lade dich ein. Und unterwegs erzählst du mir, was du an den Tagen tust, an denen du dich heimatlos fühlst."

    Unelegant kamen die entblößten Ärsche wieder auf ihre angedachten Plätze, als die Artemis mit dem Ramsporn nur knapp das Heck der Keto verfehlte. Dieser Punkt ging an Ruga. Sabacos Mundwinkel zuckten, als einige volle Amphoren den nagelneuen Rumpf der Keto trafen. Der Gestank, der ihm in die Nase stieg, verriet die Fracht. Für Sabacos Männer hieß das eine Zusatzschicht nach der Heimkehr, denn so stinkend würde das Schiff nicht bleiben.


    Na warte.


    Erneut beschleunigte die Keto, um das derbe Spiel fortzusetzen, doch etwas stimmte nicht. Schlagartig änderte sich die Stimmung an Bord des anderen Schiffes, noch bevor Ruga das Signal für Gefahr an die Keto rübergab. Ruga ließ halten und den Anker auswerfen. Sabaco sah auch an der Körperhaltung der Männer auf der Artemis, dass die Übung vorbei war. Sabaco bestätigte das erhaltene Signal. Sofort marschierte er an den Bug, so dass er einen guten Blick auf das Wasser hatte, während er Nero zu verstehen gab, am Heck zu verbleiben. Die Schützen drängten sich neben ihn und ihre Augen folgten seinem Blick.


    "Halbe Kraft ..." Seine Stimme klang nicht länger feurig erregt, sondern dunkel. Die gefühlte Rivalität zu Ruga verpuffte, als hätte sie nie existiert, als Sabaco einen kurzen Blick mit ihm wechselte. Langsam ließ Sabaco die Keto neben die Artemis fahren, damit er sehen konnte, worauf Rugas Mannschaft starrte. Zwei Körper trieben am Ufersaum.


    Oh Nein ... die Tuniken ... das waren Kameraden!


    "Zwei bewegungslose Personen im Wasser!", brüllte er, damit jeder wusste, was los war. "Anker, lass fallen."


    Die Strömung würde die Keto stabilisieren, es war momentan gleichgültig, in welche Richtung sie zeigte. Der Abstand zur Artemis war ausreichend, um diese nicht zu behindern. Sofort leitete Sabaco alle Maßnahmen zur Rettung ein. Er unterdrückte den Impuls, selbst ins Wasser zu springen. Er war ein hervorragender Schwimmer und konnte Leute aus einer Notsituation wie dieser holen, aber seine Aufgabe war es, zu koordinieren.


    "Trupp eins - Rettungstrupp bilden. Ansgar und Fiete", bellte er zwei seiner Marini aus Trupp eins zu. "Raus aus den Klamotten und rein ins Wasser!" Diese Sekunden, in denen alles Störende abgelegt wurde, mussten sein, damit Ansgar und Fiete sich nicht gefährdeten, denn Metallteile waren schwer und eine herumtreibende Tunika konnte sich im Geäst verfangen. Im ungünstigsten Fall hatte man sonst vier Notfälle statt zwei. "Eike! Maßnahmen zur Ersten Hilfe vorbereiten!" Eike war der Capsarius an Bord.


    Und an Nero gewandt rief er: "Ich übernehme den Rettungstrupp. Gubernator - Kommando über das Schiff."


    Wäre Sabaco allein, müsste er alles selbst im Auge behalten, doch sie hatten den Luxus, Arbeitsteilung vornehmen zu können und gerade in einer Notsituation wäre er dumm, das nicht zu nutzen. Die Männer zogen die Ruder hoch und Trupp eins erhob sich von den Bänken. Sie würden Ansgar und Fiete unterstützen, die regungslosen Menschen an Bord der Keto zu bringen. Angespannt krallte Sabaco eine Hand in die Reling, den Blick auf die beiden treibenden Körper gerichtet.

    Da Nero als Ranghöherer ihm das empfahl, war es in Ordnung und damit war es Gesetz. Während Nero die Mannschaft anfeuerte und die Keto weiter beschleunigte, verschränkte Sabaco die Hände hinter dem Rücken, setzte seine Offiziersmine auf und spazierte die Ruderreihen entlang.


    "Hergehört! Wir werden noch einmal wenden, der Artemis entgegenfahren und sie auf gleiche Weise passieren", erklärte er in den Pausen von Neros Gebrüll. "Sobald wir an ihr vorbeiziehen, gebe ich das Kommando, die Ruder hochzunehmen. Gleichzeitig hebt ihr eure Ärsche samt eurer Tunika hoch. Wir werden wir das andere Schiff auf unsere Weise grüßen. Also! Wende Steuerbord! Ausführung!"


    Sabaco spazierte zurück an seinen Platz. Die Keto beschrieb eine erneute Kurve und diese war perfekt. Was für eine schöne Kurve. Kurz darauf fuhren sie erneut an der Artemis vorbei. Ob alle Marini dabei mehr als nur ihr Ruder hoben, sah Sabaco nicht, weil er aufrecht an Deck stand, um in Rugas Gesicht zu sehen, während ihm ein Haufen weißer Ärsche zum Gruß entgegen leuchtete.

    Mit einem Anflug von Bestürzung registrierte Sabaco, wie Nero seinen unverdünnten und nicht gerade schwachen Wein trank. Ihm schwante, dass es eine dumme Idee gewesen sein könne, einen Seemann unter den Tisch trinken zu wollen, der obendrein 20 Jahre mehr Übung darin hatte als er selbst.


    "Niemand weiß das heiße Herz des Feuers wahrhaft zu würdigen, der nicht den klammen Griff des Winters in seinen Knochen gespürt hat." Sabaco sprach achtsam, denn ihm durfte nichts Falsches diesbezüglich herausrutschen. "Manche behaupten, man würde gegen Kälte abstumpfen, aber das stimmt nicht. Man lernt höchstens, sich mit dem Zittern abzufinden und damit, auf Füßen zu gehen, die man nicht spürt und mit Händen zu greifen, die beinahe vollständig steif sind. Wofür es keine Akzeptanz geben kann, sind die gesundheitlichen Folgen solcher Kälte. Der Klassiker ist die Lungenentzündung. Dann kommst du entweder in eine warme Umgebung und wirst gepflegt, oder du stirbst."


    Einmal. Einmal hatte er jemanden aus Mitleid mitgenommen. Armándos. Das hatte Ärger gegeben. Er schaute böse und schüttelte den Kopf. Er konnte sie nicht in die Casa Matinia schleppen. Theoretisch könnte sein Haus sie alle durchfüttern ... praktisch nicht. So funktionierte das nicht, so funktionierte Rom nicht. Er trank auch den zweiten Becher. Der von Nero war noch voll, so konnte er ihm nicht nachschenken, aber sich.


    "Wir wollten nicht von Kälte sprechen. In meinen Adern fließt hispanisches Blut, ich benötige Sommer, Sonne und Wärme. Wie bist du von Cappadocia nach Germania gekommen? Es ging ja alles drunter und drüber bei dir, ich stelle mir die Abreise chaotisch vor. Und hast du manchmal Heimweh?"


    "Diese Weisheit sagt mir nichts."


    Sabaco schaute plötzlich argwöhnisch drein, fühlte sich ertappt, musterte Neros Gesicht. Dann wischte er den Gedanken beiseite. So war der Gubernator nicht. Und woher sollte Nero auch wissen, was sich bei der Taberna Silva Nigra zugetragen hatte ... niemand wusste es. Es gab keine Zeugen. Er ließ sich auf dem anderen Stuhl nieder.


    "Feuer ist beseelt, Nero, das spürt man. So wie die See oder der Rhenus. Die Penaten leben darin, unter anderem, aber vielleicht ist da noch mehr. Mir ist wichtig, dass das Feuer in meinem Ofen niemals ausgeht, so lange ich an einem Ort wohne. Außerdem mag ich es gern warm. Zu erfrieren ist unter den möglichen Todesarten einer der angenehmsten, sagt man, doch der Zustand davor, die Kälte, das ist grausam."


    Er griff nach dem Becher unverdünnten Weins, hob ihn, blickte Nero in die Augen und sprach: "Auf uns." Er trank den Wein, als wäre es Wasser, leerte den Becher in einem Zug. Hitze flutete sein Inneres, er rutschte mit der Hüfte nach vorn und streckte die Beine aus, während er entspannte. Treuherzig schlug er die Augen auf und schaute Nero an.

    << RE: Zwei Soldaten am Rhenusstrand


    Mit einem vollen Seesack betraten sie Sabacos kleine Wohnung. Die Unterkunft hatte den Charme eines Officiums. Zur Hälfte traf das zu, denn am Fenster stand ein aufgeräumter Schreibtisch. Sie wirkte sehr ordentlich, aber auch kahl, ohne irgendetwas Persönliches darin. Ansonsten gab es einen Tisch mit zwei Stühlen, eine Pritsche und eine Truhe, sowie einen Rüstungsständer und ein Regal für die Ausrüstung. Die gekauften Habseligkeiten stellte Sabaco neben den Tisch mit den zwei Stühlen. Das ewig brennende Feuer fütterte Sabaco mit drei Holzscheiten, die in einem Korb aus Weidengeflecht bereitstanden, damit es schön prasselte. Entsprechend warm war es in der Unterkunft, denn von der Außentemperatur her wäre ein Heizen völlig unnötig gewesen.


    "Komm rein, mach es dir bequem", verlangte Sabaco gut gelaunt.


    Nachdem er das Feuer gefüttert hatte, half er Nero, den Tisch zu decken und mit dem gekauften Essen und den Getränken zu bestücken.

    Die kalte Gischt flog ihnen um die Ohren, Sabacos Kleidung wurde feucht. Er nahm an, Nero stellte ihm bewusst diese Falle, damit er bewies, dass er trotz allem einen klaren Kopf behielt. Darauf hatte er so gar keine Lust! Sabaco schnaubte wie ein Stier durch die Nase, die Augen waren starr auf den fingierten Gegner gerichtet. Er war in der Laune, irgendwen mit bloßen Händen auseinanderzunehmen und musste stattdessen reden!


    "Es ist nur ein Stresstest", knurrte er schließlich, während die Keto immer schneller vorwärts raste. "Wir würden die Mannschaft der Artemis gefährden, wenn wir ihnen das Segel zerschießen, und Classis-Eigentum zerstören."

    Als Sabaco am Heck ankam, blieb er einen Moment so stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, das Schiff fixierend, das auf sie zuraste. Mit dem gebauschten Segel wäre es ein eindrucksvoller Anblick, wäre Sabaco offen dafür, der Artemis ein positives Gefühl entgegenzubringen. Doch Sabaco spürte nur Zorn, der sich schlagartig zu Hass steigerte. Am Heck stand er, Ruga, die Sau, auf seinem alten Pisspott. Das war dann wohl der Stresstest.


    Na warte, Freundchen.


    "Volle Kraft", röhrte Sabaco, damit die Keto schnellstmöglich ihre verwundbare Flanke aus der Fahrbahn bekam. Er fuhr herum und brüllte die Männer an, wünschte sich eine lange Peitsche in die Hand, wie man sie zum Bändigen von Bullen verwendete. "Trahite! Trahite!*", schrie er, um die Männer anzufeuern. Die Keto beschleunigte rasant, ein Vorteil des leichten Gewichts. "Wende fortsetzen!"


    Als die Keto sich bei der hohen Geschwindigkeit in die Kurve legte, spürte Sabaco deutlich die Fliehkräfte wirken. Eine Navis Lusoria war äußerst wendig, aber auch instabil, was man vor allem beim Segeln merkte. Das Segel der Keto war allerdings eingerollt - das der Artemis stand voll im Wind. Wenige Ruderschläge später präsentierte die Keto der Artemis nicht länger die Flanke, sondern den Rammsporn. Und der hielt auf sie zu.


    "Beschleunigen auf Rammgeschwindigkeit!" Er riss den Arm nach vorn, um den Angriff einzuleiten.


    Das Spielchen konnte man auch andersrum spielen.


    Sim-Off:

    Zieht! Zieht!

    Ab und zu ging Sabaco hin und her, um sich die Beine zu vertreten. Vorn am Bug drängten sich ihre Schützen, die den Ausblick, den sie schon auswendig kannten, mehr oder weniger genossen. Falls irgendwem langweilig wurde, der weiter hinten saß, so konnte er sechs Stunden Dauerbeschallung durch die beiden Offiziere genießen, die ihren Theorieausbildern die Freudentränen in die Augen getrieben hätten. Sabaco beobachtete nichtsdestoweniger aufmerksam die Umgebung und die Mannschaft, doch seine gelegentlichen Kommandos waren eher Alibi, um zu demonstrieren, dass er bei der Sache war. Von der Sache her kümmerte die Mannschaft sich allein darum, einen vernünftigen Weg über den Rhenus zu finden.


    So erreichten sie ohne Schwierigkeiten Borbetomagus. Im Hintergrund zeichneten sich die Rauchsäulen der Öfen und Kamine gegen den Himmel ab. Die Fahrt war frei, keine störenden Schiffe in Sicht. Nicht einmal Terentius Ruga, dessen Mannschaft entweder schlechter trainiert war als seine oder der bewusst Abstand hielt, um Sabacos Anblick nicht ertragen zu müssen. Passiert war ihm wohl nichts, da die Keto voranfuhr und alles ruhig gewesen war.


    "So", brüllte Sabaco nicht ganz militärisch, als sie die besagte Stelle kurz vor Borbetomagus erreichten. Er trat in die Mitte des Ganges, damit jeder ihn gut hören konnte. Nicht, dass sein Stimmvolumen nicht ausgereicht hätte, aber nach sechs Stunden lebhaftem Reden klang er doch etwas heiser und nahm die Gelegenheit wahr, nicht lauter als nötig brüllen zu müssen.


    "Wir führen hier insgesamt drei Wendemanöver durch. Zunächst eine Wende in jede Richtung, beginnend mit der Wende über Backbord. Es folgt eine Wende nach Steuerbord. Nach der zweiten Wende landen wir in Fahrtrichtung an und vertreten uns am Ufer die Beine. Sobald wir wieder an Bord sind, führen wir eine letzte Wende durch, um auf Fahrtrichtung Heimweg zu kommen. Es folgt der zweite Teil der Übung, danach geht es nach Hause.


    Also! Klar zur Wende nach Backbord!"


    Seine gute Laune steckte scheinbar sogar Leute an, die er noch nie zuvor hatte grinsen sehen, wie den Rotschopf Ansgar. Sabaco spazierte zurück auf seinen Platz, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Lieblingskörperhaltung aller Offiziere.

    "Ich lebe wie du - meine Wohnung ist natürlich bei der Classis! Da müssen wir nach dem Umtrunk naturgemäß nicht mehr an der Torwache vorbei."


    Amüsiert beobachtete Sabaco, wie Nero sich schon wieder anzog. So schnell konnte es gehen. Sie waren nicht ein einziges Mal im Wasser gewesen, aber immerhin hatten sie sich die Sonne auf den nicht vorhandenen Pelz brennen lassen. Als auch Sabaco seine Tunika übergezogen hatte und seine Füße wieder in Caligae steckten, faltete er die Doppeldecke, um sie fest und platzsparend einzurollen. Die herumliegenden Habseligkeiten verstaute er wieder im Beutel.


    "So, wir können! Was zu trinken haben wir noch ... haben wir überhaupt nur einen Schluck getrunken? Na ja, so bleibt mehr für später."

    Sabaco grinste, weil Nero so rau lachte. Mit Kollegen arbeitete man, Kameraden half man und mit Freunden lachte man.


    "Weil man besoffen so gut Spaß haben kann", antwortete Sabaco auch entprechend. "Es tut einfach gut, gemeinsam einen über den Durst zu trinken und vielleicht noch einen wegzustecken. Für ein paar Stunden ist die Welt in Ordnung und der Kater ist es allemal wert. Niemand wird uns am Tor aufhalten oder uns verpfeifen - weil wir gar nicht besoffen an den Torwachen vorbeiwanken werden. Zu dir oder zu mir?"

    Der Patrouille kam Sabacos Motivationsschub zugute. Wohlwollend ruhte sein Blick auf der Mannschaft, was die Männer nicht sahen, da sie ihm den Rücken zukehrten, während sie die Keto auf Reisegeschwindigkeit beschleunigten. Nachdem klar war, dass die Ruderer ihren Rhythmus gefunden hatten, betrachtete Sabaco die Strömung, die verborgene Hindernisse unter Wasser verraten konnte, und den Ufersaum. Die Soldaten ließ er während der Fahrt miteinander plaudern. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie langweilig die täglichen Übungsmärsche sein konnten und das galt natürlich auch für die zu Wasser. Für ihn aber barg diese Fahrt noch den Reiz des Unbekannten. Falls die Puste knapp wurde, würden die Marini von selbst ruhiger werden. Er selbst plauderte auch.


    "Vielleicht sehen wir unterwegs die Ala. Musst mal schauen, ob sie gerade Patrouille reiten." Die Wege, die sie zu Land schützten, verliefen parallel zum Fluss. Sabacos Arm wies in die Richtung, wo die Castra der Ala II Numidia sich als dunkler Schemen im Morgennebel abzeichnete. Von der Sache her kein erwähnenswerter Umstand, doch Nero wusste, warum Sabaco sich dafür interessierte.


    Die Fahrt pegelte sich ein und Sabaco wechselte zwischendurch einige Worte mit Nero, der wirkte, als sei er mit dem Betreten des Schiffes von den Toten auferstanden. Der Gubernator durfte sich von einem sehr stolzen Suboptio alle technischen Details zum Schiff anhören ... 18 Meter Länge, 2,80 Meter Breite, fünf Tonnen Gewicht, mehr als 4000 von der Classis geschmiedete Nägel in kochendes Leinöl getaucht, hervorragendes Eichenholz aus der Umgebung, entrindet und gefällt von der Classis selbst (mit den besten Äxten, natürlich auch von der Classis geschmiedet). Nach Sabacos Ausführungen konnte man glauben, die Navis lusoria stelle den Höhepunkt der römischen Zivilisation dar, mit der das Imperium aufstieg und ohne sie fiel. Der erfahrene Gubernator wusste all diese Dinge vermutlich besser als Sabaco, doch der schwärmte weiter, während sie sich in Richtung Südosten voarbeiteten. Bei Borbetomagus gab es eine Stelle, an welcher der Rhenus besonders breit und tief war. Diese war ihr Ziel. Dort wollte Sabaco mit den Männern eine Übung durchführen.


    Nach zwei Biegungen öffnete der Rhenus sich zu doppelter Breite. Der Fluss wirkte in die Ferne betrachtet still wie ein See, doch das täuschte, denn die Strömung war übel. Die Kronen untergegangener Weiden ragten rechter Hand aus dem Wasser. Aufgrund der starken Regenfälle standen die Bäume mitten im Wasser. "Mitte Fahrwasser steuern, das Hindernis großzügig umfahren." Die Ruder sollten sich nicht mit den Ästen verhaken, die noch unsichtbar unter der Wasseroberfläche lauerten, weshalb Sabaco wert darauf legte, ausreichend Sicherheitsabstand einzuhalten. Die Strömung in der Mitte war stärker, fordernder. Auch wenn man das bei der Breite des Flusses kaum wahrnahm, so spürten die Ruderer es an der Kraft, die sie einsetzen mussten. Die Sonne ließ den Fluss idyllisch glitzern, doch verrieten die schweren Wolken und der aufziehende Wind, dass der Himmel seine Drohung vom täglichen Regen auch heute wahrmachen würde.

    Seppi winkte, als sei die Welt in Ordnung. Dabei trug er die Schuld daran, dass Sabaco diese Mannschaft wie eine Strafkompanie behandelte. Sabaco fühlte sich von Seppis Fröhlichkeit provoziert, noch mehr von der Tatsache, dass er ihn heute nicht als Überborder ins Wasser schmeißen durfte. Es würde irgendwen anders treffen. Während einige Kameraden dem Winker gut gelaunt zugrinsten, tat Sabaco, als wäre Seppi Luft. Die Ignoranz verflog schlagartig, als der Gubernator Titus Umbrenus Nero im Eiltempo am Pier aufkreuzte und mit Armbewegungen signalisierte, dass er auch noch mitfahren wolle. Hatten die Götter einmal was richtig gemacht! Einige sanfte Ruderschläge ließen die Keto erneut anlegen. Sabaco salutierte.


    "Willkommen an Bord der Keto, Gubernator!", grüßte er nun kaum weniger fröhlich als Seppi. Zwar grinste er nicht, doch man hörte die gute Laune an seiner Stimme.


    Dass er das mal sagen würde. Sein Schiff, sein wunderbares Schiff, und seine Mannschaft, die er an den Rand der Perfektion geschliffen hatte. Der Stolz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Unter seiner blauen Diensttunika trug er heute die von Ocella. Viel zu warm an einem Sommertag, doch er würde ja nicht rudern und so war sein kleine Bruder bei Sabacos erster Fahrt mit dem eigenen Schiff auf diese Weise dabei.


    Er ließ Nero den Vortritt, sich einen gemütlichen Platz zu suchen. Im Gegensatz zu größeren Schiffen gab es auf einer Navis lusoria keinen bequemen Aufbau für die Offiziere*. Nicht mal eine eigene Bank. Bestenfalls konnte man bei Mistwetter ein kleines Zelt hinten aufspannen, worauf Sabaco jedoch verzichtete. Erstens schien die Sonne und zweitens schränkte so ein Ding die Sicht ein. Die Offiziere konnten also entweder hinten auf der Reling sitzen oder auf dem schmalen Gang vor und zurück geistern. Als Nero seinen Platz gefunden hatte, machte auch Sabaco es sich am Heck bequem.


    Nach dem Befehl, abzufahren, erklärte Sabaco Nero die Rahmenbedingungen der heutigen Flusspatrouille, da er die Einweisung auf dem Exerzierplatz verpasst hatte. Die Marini kümmerten sich selbst darum, vernünftig abzulegen und in Fahrt zu kommen. Mehr als zu beobachten, brauchte er nicht tun. Sabaco für seinen Teil hatte auch kein Problem damit, wenn die Marini während des Ruderns plauderten.


    In den Bäumen zu beiden Seiten des Rhenus zwitscherten die Morgenvögel. Der Nebel lichtete sich und die aufsteigende Sonne leckte den Tau vom Holz des Schiffes. Getrommelt wurde auf einer Navis lusoria auch nicht - nach dem Befehl, die Ruder ins Wasser zu senken, fanden die Soldaten allein ihren Rhythmus. Gleichmäßig zogen sie die Ruder durchs Wasser. Der Herzschlag der Keto bestimmte die Fahrt.


    "Verurteilen? Was denn?" Die Frage war nicht rhetorisch. Er wusste tatsächlich nicht, was Nero meinen könnte. "Dass du mich besoffen in Mogontiacum aufgesammelt und mir zu einer Heimkehr ohne Disziplinarverfahren ermöglicht hast? Dass ich in deinem Bett pennen durfte, damit niemand meinen Zustand bemerkt? Dass du der Erste von der Classis bist, der mit mir seine Freizeit verbringen will? Ich weiß nicht, an was für Leute du früher geraten bist, dass sie nicht bemerken, was für ein feiner Kerl du bist. Es gibt nichts zu verurteilen, Nero."


    Sabaco rutschte mit dem Hintern auf seiner Decke herum, machte sich flach und kratzte die verdammten juckenden Stellen, wo man ihn enthaart hatte und die von dem Gekratze inzwischen ziemlich rot waren.


    "Wenn ich getrunken habe, rede ich meistens zu viel. Ich tue auch zu viel ... Dinge, die ich sonst unterdrücke. Ich bin nicht sicher, ob ... was ich wirklich will, Nero. Außer, dass ich dich gern mal so richtig besoffen sehen möchte."

    Sabaco nickte. "Ich kenne das. Manches muss raus, sonst gährt es in einem. Wenn Worte nicht möglich sind, bricht es sich anders seine Bahn. Man kann nicht ewig alles in sich hineinfressen und es bricht irgendwann aus einem heraus. Meist in ungünstigen Momenten, und oft trifft es die falschen Leute. Da ist es gut, wenn man einen Weg kennt, kontrolliert Dampf abzulassen."


    Diese Worte klangen aus dem Mund von Sabaco heuchlerisch. Er wusste, dass er keinerlei Kontrolle über seine marodierte Gefühlswelt hatte. Doch er wusste auch, wie es eigentlich sein sollte und das quatschte er nun nach, ohne es für sich selbst zu fühlen.


    "Das Reden scheint dir gutzutun. Wenn du willst, leihe ich dir wieder mein Ohr, wenn du mal reden willst. Es bleibt alles unter uns."


    Auch er selbst hätte viel zu sagen, mehr, als er bisher ausgesprochen hatte, doch er konnte nicht. Er konnte es nicht. Schnaufend lag er auf seiner Decke und starrte vor sich hin. Trotz der ernsten Themen, trotz seines eigenen inneren Zustandes, fühlte er sich gerade sehr wohl in seiner Haut.


    "Du magst das Stadtleben nicht, kann das sein?"

    << RE: Antreten zur Flusspatrouille


    Sabacos Truppe kam in loser Formation vom Campus marschiert, wo die Marini sich getroffen hatten. Nach der kurzen Einweisung durch ihren Suboptio navalorum konnte es nun losgehen. Sabaco schaute, dass alles seinen Gang lief, musste aber nichts weiter tun. Die Männer kannten ihre Plätze an den Ruderbänken und die Abläufe. Das Segel blieb heute eingerollt.


    Einen Moment lang geisterten die beiden Tirones Adalrich und Tiro durch seine Gedanken, die kurz nach der Musterung verschwunden waren. Die Meinung der Marini besagte, dass sie sich abgesetzt hätten. Heute wäre die erste Patrouillenfahrt der beiden mit der Keto gewesen und bei ihrem ersten Feindkontakt hätten sie Kuchen ausgeben müssen, so wie es Brauch war. Sabaco dachte jedoch nur kurz an sie, denn zu ändern war an ihrem Verschwinden nichts. Dann äugte er nach seinem Rivalen Terentius Ruga, was der an seinem Schiff so trieb.


    Dann galt Konzentration ganz der Mission, als er den Befehl gab, den Anker einzuholen und in See zu stechen. Die Rivalität zu Ruga wich einer gelassenen Gleichgültigkeit.

    Die Navis lusoria "Keto"

    Flusskriegsschiff der Classis Germania

    sectioni Mogontiacum


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    "Tänzelndes Schiff" bedeutete ihr Name aufgrund ihrer Wendigkeit. Sie war nur 3 m schmal, dabei 20 m lang, so dass auch seichte und unübersichtliche Flussbereiche befahren werden konnten. Damit gehörte sie zur Kategorie der kleinen, schnellen Militärschiffe. Die Bordhöhe betrug nicht mal einen Meter. Diese leichte Bauweise ließ sie durch die Wellen gleiten wie ein heißes Messer durch Mutter, bei größtmöglicher Wendigkeit. Allerdings machte es sie auch anspruchsvoll zu manövrieren. Ihr Name lautete Keto*, wie das Meeresungeheuer, welches die Mutter aller Gorgonen war. Ein sympathisches Schiff.


    Das Holz des Wellentänzers wirkte noch recht neu, das Schiff stammte vom letzten Jahr. Die Keto bestand ganz aus Eichenholz. Die Bäume waren dazu fünf Jahre vor dem Fällen entrindet worden, so dass sie abstarben, und hatten durch Wind und Sonne trocknen können, bis sie gefällt und verwertet worden waren. Die Schiffsnägel bestanden aus Reineisen und waren nach dem Erhitzen in warmes Leinöl getaucht worden, um ihre Oberfläche maximal zu glätten. So wurden sie ziemlich resistent gegen die Gerbsäure in den Eichenholzplanken.


    Die übliche Besatzung bestand aus 30 gut ausgebildeten und ebenso gut bewaffneten Soldaten, 15 auf jeder Seite, die sowohl ruderten als auch Kampfeinsätze bestritten. Weitere 5 Soldaten schleuderten Geschosse in die Reihen der Angreifer. Diese Besatzung hatte keine Mühe, ihre Einsätze auch über 12 Stunden ununterbrochen zu fahren, wobei sie ein Vielfaches der Strecke zurücklegten, die ein Reiter schaffen würde.** Mit nur 6 verbliebenen Ruderern war es aufgrund der Leichtbauweise immer noch möglich, das Schiff gegen die Strömung zu rudern.


    Der Mast konnte getakelt werden, jedoch galt das Segeln von Lusoriae aufrund der flachen Rumpfform als äußerst anspruchsvoll.


    Nautae gehörten nicht zur Besatzung der Keto. Flusspatrouillenboote wurden ausschließlich von Marini gerudert, und mit der Navigation auf dem Fluss waren diese auch nicht überfordert. Nautische Offiziere waren daher nicht nötig, auch wenn sie trotzdem manchmal an Bord waren. Für die heutige Patrouille würde das nautische Personal daheim im Castellum bleiben.


    Alles in allem war die Keto in einem tadellosen Zustand und der Abfahrt stand nichts im Weg.


    Sim-Off:

    ** ca. 100 km / Tag