Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    "Hör auf, meine Gedanken zu lesen!"


    Dem Mann konnte man nicht mal eine Muschel schenken, ohne dass er sofort Bescheid wusste! Sabaco blickte sich rasch um und lauschte nach den Vögeln - nichts, sie waren nach wie vor allein. Sabaco beruhigte sich wieder. Tief atmete er die heiße Sommerluft ein. Nero hatte ihm seine Geschichte im Vertrauen erzählt und Sabaco würde sie nicht weitertratschen. Trotzdem machte ihn das Wissen nervös und so schwelgte er in blutigen Fantasien.


    "Wenn du den Scheißkerl fängst, helfe ich dir, ihn zu zerlegen. Wie heißt er, kommt man an den ran? Wir schicken der Hure, die ihn auf die Welt geschissen hat, seine abgezogene Visage. Den Rest nageln wir irgendwo hin. Seinen Schädel nutzen wir als Galeonsfigur."


    Er musterte Nero. Dessen Gesicht, Schultern und alles schien ihm käsig. "Du bist blass für jemanden, der zur See fährt." Er selbst war von Kopf bis Fuß braun gebrannt, da er gern im Rhenus schwamm und zwischendurch am Ufer in der Sonne briet.


    "Komm mal mehr in den Schatten, sonst verbrennst du dich. Für einen Tribun braucht es mehr als guten Willen, Nero. Ich war noch nicht mal mit dem Schiff unterwegs. Und woher soll ich das Stück Land nehmen? Einen Patron bräuchte ich auch, der tut mir jetzt schon leid."

    Sabaco presste sich flach auf den Bauch, ließ den Kopf aber in Neros Richtung gedreht, und beobachtete ihn. Er war es nicht gewohnt, dass ihm Leute vertrauten und suchte misstrauisch im Gesicht des anderen, ob der ihn verarschte. Doch Sabaco sah nichts, dass gekünstelt wirkte. Zumal Stilo den Wahrheitsgehalt bezeugen könnte, wenn sie beide ihn kannten.


    "Ich bin kein Küken. Ich bin innerlich steinalt, Nero. Ich habe so viel erlebt und getan, dass es für drei Leben reicht. Dir geht es wie mir, wir sind dazu verdammt, unseren Weg allein zu gehen, während um uns herum alle sterben oder andere Wege einschlagen. Wir sind allein. Hatte ich dir schon erzählt, dass ich Stilo am Strand von Tarraco kennenlernte? Du scheinst recht damit zu haben, dass der Ozean einem manchmal Schätze vor die Füße spült, auch wenn man sie nicht gleich als solche erkennt."


    Er schob sich die Arme unter seinen Kopf und verschränkte sie, so dass sie ein Kissen bildeten. Sie piksten, das war der Nachteil, wenn man sich der römischen Mode der Ganzkörperenthaarung hingab. Man sah ordentlich aus und fühlte sich an wie ein Igel.


    "Was ich bereit bin, für einen Traum zu opfern? Ich habe keine Träume, Nero, und keine Hoffnung. Ich hangle mich von Tag zu Tag, von Mission zu Mission. Blicke ich in die Zukunft, sehe ich nur den Tod. Sehe ich nach hinten, erblicke ich Verlust. Dinge, die ich nicht mehr habe. Was ist mit dir? War es dein Traum wert? Du sprichst in der Vergangenheit von Thalatio. Änderte er die Richtung seiner Schritte oder war sein Weg für ihn zu Ende? Man hätte euch beide für Hochverräter halten können, nach allem, was du erzählst. Bist du deswegen hier? Vor Anklage und Prozess geflohen? Oder bist du hier im Norden, weil der Wind in Cappadocia deinen Namen heult und dich daran erinnert, wer unter seinem Staub verdorrt?"


    Sabaco ließ eine kurze Pause, weil ihm seine eigenen Worte Schmerzen zufügten. Er wusste nicht mit dem Gesagten umzugehen. Er hob eine geöffnete, aber leere Muschelschale auf, die vor ihm im Sand lag, und legte sie vor Nero.


    "Ich würde Stilo für keinen Traum der Welt über die Klinge springen lassen, wenn ich Träume hätte. Ich würde demjenigen, der es versucht, die Eingeweide herausreißen und ihn damit erwürgen."

    "Komm mit auf die Decke. Was meinst du, warum ich mich an den Rand quetsche?" Sabaco klopfte neben sich.


    Mit den Zähnen entkorkte er seine Flasche, spuckte den Korken weg, erwiderte den Trinkgruß und nahm einen großen Schluck unverdünnten Wein. Und das zum frühen Nachmittag. Wie dekadent. "Weil du vorhin fragtest - ich bin siebenundzwanzig. Was dir an Haaren fehlt, wuchert mir für uns beide auf dem Kopf. Keiner aus meiner Familie neigt zu Haarausfall, dafür werden wir zeitig grau." Auch Sabacos Schläfen waren silbern gestichelt und in seinem Bart glitzerten die ersten weißen Stoppeln.


    "Ich weiß von Stilo, dass die Tuccii Schlangen sind. Ihre Worte sind wie süßes Gift, sagt man. Du trägst den gleichen Namen wie der sogenannte Wahlbruder von Stilo. Eigentlich ist es sein Vetter." Sabaco gab sich keine Mühe, seine Eifersucht zu verbergen. "Ansonsten weiß ich nicht viel über Cappadocia. Warum fragst du? Hat das was mit dir zu tun?"

    << RE: Officium Gubenator Titus Vorenus Nero


    Nicht alles ist so, wie es scheint. Ein finsteres Wäldchen barg ein Herz aus Licht. Dort breitete Sabaco im heißen Sand eine große Wolldecke aus.


    Zu ihren Füßen raunte und murmelte der Rhenus. Das Schilf bildete eine Pforte zum Wasser. Über weichen Sand führte der Weg ins kühle Nass, wenn ihnen danach war. Das Schilf am Ufer rauschte und übertönte die Geräusche aus dem Castellum, genau so wie den Lärm der Stadt. Weder hörten Sabaco und Nero die Dinge da draußen, noch würde man sie in ihrem Versteck hören können. Die Vögel in den Baumkronen waren zuverlässige Wächter und würden mit ihrer Nervosität jeden verraten, der sich auf dem geheimen Pfad näherte.


    Sabaco legte seine Kleider zusammen und machte es sich halb liegend in der Sonne gemütlich. Er wartete darauf, dass Nero die Getränke verteilte.

    Sabaco ließ sich ohne Widerstand aus dem Officium schieben, das Kleinod hielt er noch immer in der Hand.


    "Wir holen uns was zu trinken aus der Taberna Pulchra Patria. Die Taberna Silva Nigra ist ja abgebrannt. Die Getränke kaufen wir in Flaschen und nehmen sie mit, dann lassen wir es uns am Rhenus gutgehen. Ich habe eine Stelle gefunden, bei der man ungestört ist, und sie hat sogar einen Sandstrand. Wie alt bist du eigentlich? Verrate es mir, bevor ich falsch rate und mir eine einfange."


    Bei Leuten mit Glatze war das immer so schlecht einzuschätzen, da man den Status ihres Haarausfalls und die Menge ihrer grauen Haare nicht erkannte. Sabaco holte eine Decke und einen Korb aus seiner Wohnung. Gemeinsam gingen sie einkaufen und marschierten dann vollbepackt zum Strand.


    Zwei Soldaten am Rhenusstrand >>

    "Mein Navigationsgerät", wiederholte Sabaco und betrachtete das Geschenk. Seine Finger umschlossen es fest und er drückte es an sich, nickte. Auf die Dinge, die Nero dann aufzählte konnte er nicht antworten. Nicht jetzt, nicht hier. Auch Wände hatten Ohren. Der Ausflug war eine gute Idee.


    "Lass uns aufbrechen. Von dir weiß ich praktisch noch nichts, außer, dass du eine poetische Ader hast, besser fischen kannst als ich und besondere Schätze sammelst. Du bist schlau, aber in einer Sache irrst du dich. Ich weiß sehr gut, wann ich aufstehen sollte. Die Frage ist - will ich das? Ich war müde und draußen wartete der Dienstalltag, also konnte ich guten Gewissens bis zur letzten Minute liegen bleiben. Und ich kam nicht zu spät. Worauf du stehst, darüber hatten wir noch nicht gesprochen, ich kann also nicht wissen, ob du Kastraten heiß findest."


    Sabaco grinste schamlos, wobei er sein Trümmergebiss offenbarte. "Also, wohin soll es gehen?"

    Sabaco wich nicht. Er sah Nero immer noch in die Augen, als dieser unmittelbar vor ihm stand. Den Blick wandte er erst von seinem Gesicht ab, als der Gubernator ihm einen seiner Schätze in die Hand drückte. Sabaco wünschte, er würde nicht verstehen, was Nero damit sagen wollte. Gern hätte er sich eingeredet, dass er sich die Botschaft nur einbildete, doch er verstand sie genau. Er wusste, was Nero sagen wollte und dass er sich nicht irrte.


    "Das vermeintliche Navitationsgerät. Die erste Geschichte, die ich schreiben soll, dreht sich darum, den richtigen Weg zu finden." Es war beängstigend, dass sie die Botschaften des anderen wortlos begriffen.


    Verdammt, dieser Nero! Er fühlte sich, als hätte der Kerl ihn ausgezogen. Sabaco schielte in Richtung Tür. Alles riss gleichzeitig in Sabacos Innerem: die Freude über einen Gesprächspartner, mit dem er so auf einer Wellenlänge war, und die Angst davor, wie gut sie sich verstanden. Wer einem nah war, erfuhr früher oder später die dunklen Geheimnisse, von denen Sabaco viele hatte. Das war nicht gut, denn mit seiner Vita, wäre sie bekannt, würde ihn keine Armee genommen haben. Nero würde früher oder später herausfinden, wo Sabaco verwundbar war. Auf der Straße war so etwas egal, notfalls gab es Konsequenzen ... aber hier hing sein Beruf daran. Sabaco würde seinen Vorgesetzten nicht gewaltsam zum Schweigen bringen können. Sabaco war hier nicht Phoca, war nicht der König der Straße. Hier in der Classis hatte Nero die Macht, Sabacos Leben zu vernichten.

    Sabaco verschlug es die Sprache. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er hatte nicht erwartet, dass Nero nach seiner schroffen Erklärung etwas Freundliches zu ihm sagen und ihm damit den Wind aus seinen schwarzen Segeln nehmen würde. Mehr noch, der Kerl umschwamm sämtliche seiner Barrikaden, alle Untiefen und Klippen. Er setzte den Fuß auf sein Schiff, stand direkt vor ihm und berührte den Rest des roten Herzens, der innerhalb des schwarzen Klumpens lag, der in seiner Brust schlug. Das Gefühl war beängstigend, ihr Blickkontakt intensiv.


    "Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll, Nero. Es gelingt nicht vielen, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen."

    "Gut, keine Kritik. Du bist der Gubernator, wer bin ich, den Gubernator zu kritisieren. Noch bin ich ja kein Tribun, hab noch keinen Sumpf erhalten. Aber wenn ich meine Honesta Missio bekomme, ist Grund und Boden dabei. Dann könnte ich auf meine alten Tage noch mal als Tribun loslegen, falls ich dann noch lebe.


    Nein, ich war noch nie in Cappadocia. Ich habe es mir immer wie Hispania vorgestellt. Meine Heimat. Aber vielleicht liegt das daran, dass Stilo davon als seine Heimat sprach. Ja, es stimmt, was du über ihn sagst. Er ist ein Mensch, an dem ich beim besten Willen nichts Schlechtes finden kann, abgesehen davon, dass er meinen Brief noch nicht beantwortet hat."


    Er schluckte den Rest herunter und schaute Nero zu, wie er hin und her watete. Während Nero weiter fischte, verlor Sabaco die Lust. Also setzte er sich auf die Decke und begann, den bereits erlegten Fisch zu köpfen und auszunehmen, wobei er darauf achtete, die Gallenblase nicht zu beschädigen. Die Innereien warf er ins Wasser.


    "Brauchst du den Kopf? Manche machen ja Suppe daraus." Fragend hielt er ihn hoch und winkte ein wenig damit.

    Sabaco merkte, dass etwas in ihm sich dagegen sträubte, den Blickwinkel der anderen Seite einzunehmen. Es erzeugte in ihm eine tiefe Abwehr, weil er genau wusste, dass er egoistisch mit anderen Menschen umging. Selbst seine Liebe war durch und durch egoistisch. Er wollte nicht wissen, was andere wirklich über ihn und seine Taten dachten, die er selbst vollkommen richtig fand. Es hätte es gekonnt, er hatte die Fähigkeit dazu, die Gegenseite zu verstehen, doch er wollte nicht.


    "Meine Gedanken möchtest du hören? Gut, ich bin dabei. Ein Gedanke von mir - gegen einen von dir. Lass uns tauschen. Ich beginne.


    Der Name Phoca gilt hier nichts, und doch bin ich noch immer Phoca. Er ist ein Teil von mir. Der Seehund sammelt sich in Gruppen und ist dennoch ein Einzelgänger. Er sucht die Nähe anderer und ist doch allein. Die andere Seite meiner Geschichten interessiert mich nicht, Nero. Das ist der Grund, warum ich immer nur meine eigene Perspektive wähle. Ich bin ein grenzenloser Egoist und das ist die Wahrheit über mich. Mir gehört diese Welt, sie ist meine Spielwiese. Ich bin gut zu anderen, wenn sie meine Spielgefährten sind und dazu dienen, mein Leben zu bereichern. Der Rest ist Spielzeug oder Feind."


    Erschrocken über seine Offenheit suchte er den Blick des Gubernators. Sofort bereute Sabaco, dass er ehrlich gewesen war und ging in Richtung des Schreibtisches, wo die Dienstpläne lagen.

    "Das ist sehr ... fantasievoll." Sabaco meinte das nicht abwertend, sondern beim Sinn des Wortes selbst. "Sie sind deine Inspiration, deine Musen", schlussfolgerte er. "Deine Schätze. Finde ich gut. So kommen auch mal gute Geschichten bei raus, auf jeden Fall nicht immer das Gleiche. Ich selbst bin meine einzige Inspirationsquelle und entsprechend sind die Werke: pessimistisch, düster, manchmal blutig und voll Zorn, immer bitter."


    Er legte das Kleinod vorsichtig zurück. Es war Schrott, doch Nero bedeutete es viel und das respektierte Sabaco. Es war wie mit den Tunikas, die Ocella ihm geschenkt hatte. Für andere war eine warme Tunika nichts Besonderes, für Sabaco waren diese Exemplare eine Religion. Eine trug er selbst, die andere trug Nero, wenn es kalt wurde.


    "Gern kann ich eine deiner Geschichten festhalten, Nero. Ich schreibe gern und es wäre schade, wenn sie nie in Worte gekleidet werden würden." Er merkte nicht, dass er wieder zum vertraulichen Cognomen gewechselt war. Vermutlich ging das jedoch in Ordnung, sie sprachen gerade nicht dienstlich. "Aber dafür musst du sie mir erzählen. Du schuldest mir auch noch eine andere Geschichte - die des Hippocampus. Erinnerst du dich? Deine Geschichte, Nero."

    "Ja, genau! Du kennst Stilo?", rief Sabaco verblüfft. Klar, logisch ... wenn Nero ein Umbrenus war, dann wusste er, was im Gestüt seiner Sippe vorging! Und dass Stilo seine Kindheit dort verbracht hatte. Sabaco fragte sich, ob es gut oder schlecht war, dass Nero nun um diese Querverbindung wusste. "Aber warum hast du Cappadocia verlassen? Stilo meint, es sei das Elysium auf Erden."


    Als er gelobt wurde, blickte Sabaco zur Seite in Richtung der Forellen, dann wieder auf. "Du hast recht! Ich wäre ein guter Tribun." Da war Sabaco völlig von sich überzeugt, er fand auch, dass er genau der Suboptio war, den die Classis brauchte. "Aber Grund und Boden sind nun mal begrenzt, ein Kamerad wurde zu seiner Honesta Missio mit einem Sumpf in Mösien abgespeist. Es gab ordentlich Gelächter, als er das erzählte, nur er selber fand es nicht lustig. Vermutlich hocken deswegen so viele Legionen an der kappadokischen Grenze, weil sie auf das reiche Land der Parther als Altersruhesitz hoffen.


    Die Einladung nehme ich an, wann? Wo?" Mit einer gewissen Erregung beobachtete Sabaco den auf dem Speer zappelnden Fisch.

    Zu Sabacos Überraschung wurde er für seine Phantom-Dienstpläne auch noch gelobt.


    "Danke, Gubernator. Der Mann hätte sich seinen Urlaub verdient. Aber wir können das nicht entscheiden. Ich wollte, dass du Bescheid weißt, dass vielleicht bald ein anderer Dienstplan gültig ist."


    Gespannt starrte er auf die sich öffnende Truhe und auf das, was der Gubernator daraus zum Vorschein brachte. Ein besonders skurriles Objekt hob Sabaco vorsichtig auf, um es zu untersuchen. "Sieht aus wie ein nautisches Instrument, oder? Aber welches? Es ist völlig kaputt. Du liebst die See und sie spuckt dir solchen Plunder vor die Füße. Andererseits hast du so was zum Tüfteln."


    Neros Vorstellung von den Gegenständen, die in eine Schatztruhe gehörten, gefiel Sabaco. Sie verriet eine Weltsicht, in der Schätze keinen materiellen Wert hatten und materielle Werte keine Schätze waren.

    Sabaco merkte nicht einmal, dass er die Zeche geprellt hatte und Ocella verhinderte, dass er hier Hausverbot erhielt. Er stand schwankend mit sich selbst beschäftigt am Türrahmen, bis sein kleiner Bruder ihn von dort abpflückte und in die Castra geleitete. Die Lichter in den Fenstern kreisten um Sabaco in der ansonsten finsteren Nacht. Als sie die Stadt verließen, glänzte der Mond auf dem feuchten Pflaster und ließ den Nebel in den Wiesen weiß leuchten. Die Castra stand wie ein schwarzer Klotz am stillen Rhenus, die Geräusche des Dientbetriebs hingegen verstummten auch Nachts niemals ganz.


    Dass Sabaco bisher keinen Ärger für seine regelmäßigen Besäufnisse bekommen hatte, grenzte in der Tat an ein Wunder. Bisher hatte ihn immer irgendjemand gedeckt. Auch jetzt half ihm ja Ocella und Sabacos Welt war in Ordnung. Das hatte die Nebenwirkung, dass heute niemand aufs Maul bekommen würde. Zufrieden ließ er sich in Schlängellinien nach Hause führen und verkürzte ihnen den Heimweg mit einem unanständigen Lied, das man noch lange in der Ferne hörte, nachdem man die beiden schon nicht mehr sah.

    "Deine Schrottsammlung." Sabaco grinste mit seinen zertrümmerten Zähnen, als er sich an Neros Tisch niederließ. "Dienstpläne können nicht perfekt genug sein. Ein Kamerad hat überlegt, ob er vielleicht Urlaub beantragen möchte. Für den Fall, dass er das tut und der Urlaub bewilligt wird, habe ich einen alternativen Dienstplan erstellt. So haben wir ihn dann sofort griffbereit und müssen nicht umplanen."


    Er tippte auf die oberste Tafel. Darunter waren die anderen Alternativdienstpläne gestapelt, die mit unterschiedlichen Personalmöglichkeiten kalkulierten, beispielsweise was gute oder weniger gute Genesungsfortschritte von Seppi mit seinem Finger betraf, und ganz unten lag der aktuelle Dienstplan, begraben unter einem Stapel von Fiktionen.

    "Was ich davon habe, mich zu ärgern? Nichts. Das ändert trotzdem nichts daran, dass ich keine gute Laune bekommen kann, nur weil ich es mir einrede. Ein Freund von mir hat einen ... Kumpel?!" Es war schwer, Zmertorix eine vernünftige Bezeichnung zu geben. "Der will Galluspriester werden und kann dir erklären, wie schön es ist, sich die Eier abschneiden zu lassen. So ungefähr hört sich deine Erklärung auch an. - Da drüben sind Forellen, aber die sind zu klein." Er wies mit dem Speer ins Wasser.


    "Ich habe mich bei der Legio IX Hispana rekrutieren lassen, zur Classis versetzt wurde ich erst dieses Jahr. Besagter Freund, ein Sisenna Seius Stilo, hat mich damals in Tarraco mit in die Castra genommen. Er meinte, die Legio wäre was für mich." Er zuckte mit den Schultern, die Augen immer noch aufs Wasser gerichtet. "Vermutlich hat er mir in Wahrheit damit das Leben gerettet. Es klingt paradox, das Leben gerettet zu bekommen, indem man zu den Truppen geht, aber die meisten kehren von dort Heim, während die Straße jeden tötet. Er hat mir damit aber noch mehr gerettet - meine, na ja, meine Gesellschaftstauglichkeit. Das, was davon noch übrig war."


    Ohne Folgen verbrachte man seine Kindheit und Jugend nicht auf der Straße. Je länge man solch ein Dasein fristete und sich daran anpasste, umso mehr verlor man die Fähigkeiten, die man für das andere Leben benötigte. Sabaco starrte angestrengt in Richtung der Forellen, auf der Suche nach einem fetten Exemplar unter den Mickerlingen, weil er merkte, dass die Erinnerung an ihm nagte. Er vermisste Stilo mehr, als er zugeben konnte, ohne sich lächerlich zu machen. Nachdem Sabaco sich sein Leben lang um Ocella gekümmert hatte, war er von Stilo das erste Mal selbst umkümmert worden zu einer Zeit, da er es am bittersten nötig gehabt hatte. Nun war Stilo in Cappadocia, Ocella stand auf eigenen Beinen und Sabaco war hier.


    "Stilo war jedenfalls der Grund, warum ich zu den Truppen ging. Weil sein Vater Centurio ist, konnte er sogar organisieren, dass wir im selben Contubernium landen, wo ich der Riesenwelpe wurde. Sie hatten es nicht leicht mit mir. Eigentlich bin ich Mitglied des Ordo Equester, hätte das Tribunat antreten können, aber mir mangelt es an Grund und Boden. Das haben immer andere geerbt. Zum Glück für die Legio, kann man wohl sagen. Ich als Tribun." Er grinste bei dem Gedanken. "Oder hier bei der Classis. Dann wäre ich dein Vorgesetzer. Dass du mir deine Geschichte erst später erzählen willst - ist das eine Einladung, Nero?"

    Sabaco klopfte, grüßte und trat ein. Inzwischen musste Nero auffallen, wie oft Sabaco mit unnötigen Nachfragen bei ihm eintrudelte und ihn blockierte. Auch heute schleppte er einen Stapel Dienstpläne in Gestalt von Wachstafeln mit sich, den er auf Neros Arbeitstisch knallen ließ. Diesen Stapel kannte Nero inzwischen vermutlich auswendig.


    "Ich habe ein paar Fragen zum Feinschliff der Dienstpläne, Gubernator!"


    Dabei schaute Sabaco sich ungeniert im Quartier um auf der Suche nach der Schrottsammlung, die Nero ihm hatte zeigen wollen.

    Sabaco blieb verwirrt im kalten Wasser stehen, das seine Waden umspülte. Was redete der da?!


    "Niemand kann entscheiden, ob es ihm Freude macht, andauernd allein irgendwo rumzuhängen oder allein einen gefangenen Fisch zu fressen. Mir macht es keinen Spaß und das wird sich auch nie ändern, nur weil ich es mir einrede."


    Auf die Schrottsammlung von Nero war gespannt.


    "Mein ... Schwarm an Leuten war unterschiedlich groß, Nero. Das hat dauernd gewechselt, genau wie die Leute. Es gab nur wenige, die dauerhaft blieben. Eigentlich niemanden. Irgendwann geht jeder seinen eigenen Weg. Sei es aus freiem Wunsch oder aus höherem Willen."

    Sabaco hob den blutunterlaufenen Blick. Das Brüderchen war gekommen, um ihm den Spaß zu verderben. Im Grunde wusste er, dass Ocella recht hatte, aber es war nicht schwer, Gründe zu finden, die dafür sprachen, sich trotzdem so zu benehmen, wie er es zu tun pflegte. Doch seinem Bruder würde er jetzt nicht das Leben schwer machen. Sabaco leerte die vollen Becher alle beide - Fremden schenkte er nichts, wenn er nichts dafür zurückbekam - und stemmte sich auf die Beine. Er hatte noch etwas Zeit, bis die zwei Becher Met ihre Wirkung entfalten würde und gedachte sie zu nutzen, um die Entfernung bis zu seinem Bett zurückzulegen.


    "Ich war gerade dabei, mir neue Freunde zu machen", grollte er, dann stand er gerade. Ein letzter Blick auf dem Teller, Bedauern wegen der Soße, die sich schlecht einpacken und mitnehmen ließ, und Sabaco stapfte angetrunken zur Tür. Seine Schritte polterten unregelmäßig auf dem Fußboden, dann erreichte er den Rahmen, an dem er sich abstützen konnte. Der Heimweg würde lustig werden, aber er war ein Tabernaveteran und würde heil in der Castra ankommen.