Die Anerkennung des kleinen Bruders nahm Sabaco mit einem Lächeln zur Kenntnis, ohne sie abzuwiegeln. Er verwahrte das Lob in seinen Gedanken und erfreute sich daran.
Zum Thema Germanen wedelte er jedoch mit dem Finger. "Mit so einer Sichtweise bleiben wir in einer ewigen Verteidigungshaltung, lassen uns von den Barbaren ihre Regeln aufzwingen. Man muss sich entscheiden: Will man diesen Streifen Land? Wenn ja, dann muss man ihn auch kompromisslos an römisches Recht anpassen. Momentan hat man das Gefühl, dass die Germanen es sind, die hier die Gesetze machen, während wir ängstlich herumeiern, um sie keinesfalls zu provozieren. Was nützt uns diese Friedfertigkeit? Sie hat nicht funktioniert. Das tut sie nie."
Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn, denn er hätte fast seinen kleinen Bruder verloren wegen des Kuschelkurses, der momentan gefahren wurde.
"Man muss da anders herangehen. Aber nun ist ja der Caesar in Germania, der reißt unserem friedfertigen Legatus hoffentlich den fetten Arsch bis über beide Ohren auf!"
Sabaco zog ein Bein hoch auf den Stuhl, dann das andere, so dass er im Schneidersitz zum sitzen kam. Nun stützte er die Ellbogen auf die Knie und bettete das Kinn in die Hände. Es würde eine umfangreichere Erzählung werden, doch andererseits ... Ocella hatte ja Zeit. Ein bisschen Stoff zum Nachdenken würde ihn von seiner Verwundung ablenken. Lange sah Sabaco seinen kleinen Bruder an und lauschte, ob Schritte nahten. Was er zu berichten hatte, war nur für die Ohren von Ocella bestimmt. Als er nichts hörte, begann er mit gesenkter Stimme seine lange Erzählung.
Sim-Off:Ich hab das Blau der wörtlichen Rede für den langen Text entfernt; ist sonst zu schlecht lesbar auf dem dunklen Grund.
"Die Geschichte von Gwendolyn möchtest du also hören. Ich wünschte, ich könnte sagen, sie war nur ein Fick, aber es gehört leider mehr dazu. Und wie jede meiner Geschichten ging auch diese schlecht aus. Höre also zu und lerne, damit du nicht die gleichen Fehler begehst, denn Gwendolyn stammte ab von Germanen und Inselkelten.
Es begab sich eines regnerischen und kalten Frühlings just zu der Zeit, als Varro dich mitnahm. Erinnerst du dich? Wir beide waren bis dahin jeden Tag zusammen unterwegs. Alles, was ich konnte und wusste, habe ich dich gelehrt, von den Hausaufgaben bis hin zu den Körperstellen, an denen ein Gegner kampfunfähig gemacht werden kann. Für dich habe ich mich mit unserem alten Erzfeind Catualda geprügelt, dich in den Nächten gewärmt und in den Schlaf gesungen. Du warst meine Lebensaufgabe und ich habe sie gern erfüllt. Unsere Tage und Nächte waren turbulent, rau und kalt, aber auf ihre Weise fühlten sie sich gut an. Ich behaupte, wir waren zu keiner Zeit im Leben je wieder so frei im Herzen und im Geist.
Nach einem größeren Brand, den ich gelegt hatte und der ein bisschen über das geplante Maß hinweg angewachsen war, tauchte auf einmal Gaius Germanicus Varro auf. Vielleicht war er ein Freund unseres Vaters gewesen, vielleicht war er nur gedankenlos, vielleicht hatte er ein Auge auf dich geworfen oder vielleicht hatte er einfach Spaß daran, mein Leben zu zerschlagen wie einen unliebsamen Tonkrug. Er nahm dich mit zu seinen Pferden, ließ dich die Tiere streicheln und versprach, dich das Reiten zu lehren, während ich dich suchte, ohne dich zu finden. Wir waren jung, es liegt mir fern, dir Vorwürfe zu machen ... aber als du dich verabschieden kamst, war ich von deiner Entscheidung enttäuscht. Jeden Tag wartete ich darauf, dass du es dir anders überlegst, ihm davonläufst und zu mir zurückkehrst. Doch du kamst nicht.
Die Tage waren leer, die Nächte strichen dunkel an mir vorüber, während meine eigene Zeit eingefroren zu sein schien. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Varro unterwies dich nun an meiner Stelle, trieb dir wahrscheinlich alles aus, was ich dir je beigebracht hatte. Drängte sich an meinen Platz, beanspruchte dich in einem Ausmaß, das ihm nicht zustand. Und ich war nun ein großer Bruder ohne kleinen Bruder. Hast du dich je gefragt, warum Varro nur dich mitnahm und nicht mich? Warum er uns auseinanderriss? Ich fragte mich das tausendfach, aber ich fand keine Antwort. Schmerz braucht ein Ventil. Ich gab ihn weiter an jeden, der es verdiente, doch meinen Bruder brachte mir das nicht zurück.
Es ist ein Naturgesetz, dass Leere gefüllt werden will. Man füllt alles Mögliche hinein, Wein vor allem, aber solche klaffenden Löcher scheinen einen Abfluss zu haben. Am Höhepunkt einer Zechnacht lernte ich Gwendolyn kennen. Ich war allein und sie war es auch. Die sentimentalen Einzelheiten erspare ich dir, lassen wir es dabei bewenden, dass es nicht bei dieser Nacht blieb. Eines Tages führte sie meine Hand auf ihren Bauch, der sich ganz hart anfühlte und einen komischen dunklen Streifen in der Mitte bekommen hatte. Sie trug ein Kind unter dem Herzen. Plötzlich, Ocella, war da wieder ein Sinn. Alles fügte sich. Ich habe sie umarmt und geküsst und ihr gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen. Alles wollte ich fortan besser machen. Unserem Kind würde es gut gehen, wir würden eine Familie sein. Den Namen Phoca streifte ich an jenem Tag ab, ich offenbarte ihr, wie ich wirklich hieß. So erfuhr sie auch dass ich nicht so ärmlich war, wie ich wirkte und sie sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen brauchte. Ich wollte sie beschützen, so wie ich dich zuvor beschützt hatte.
Sie stellte mich ihren Eltern vor. Es waren Peregrini, die nach Hispania gekommen waren, um Wein anzubauen, doch der Verkauf hat nicht funktioniert. Sie lebten in Armut und die Mutter war eine Trinkerin. Was ich an Geld besaß, habe ich ihnen gegeben, die ich nun auch als meine Familie ansah. Ich verzichtete auf Wein und brach die Kontakte zu den Tunichtguts von der Straße ab. Huren waren damals kein Thema und sie sollten auch keins werden, denn ich wollte treu sein. Ich schrieb Gwendolyn seitenweise Gedichte, um meine überbordenden Gefühle auszudrücken, legte ihr mein Herz zu Füßen. Mit ihrem Vater schmiedete ich Pläne, wollte ihn zu meinem Klienten machen und ihm helfen, vernünftig Fuß zu fassen in Hispania, ich bezahlte auch einen Medicus für die Mutter. Vermutlich war ich zu dieser Zeit der Vorzeigesohn, den unser Vater sich all die Jahre gewünscht hätte, denn ich lief in standesgemäßer Kleidung herum, achtete auf mein Äußeres und organisierte alles, was es zu organisieren gab. Und ich muss zugeben ... ich war glücklich, Ocella. In mir war das Gefühl erwacht, nun angekommen zu sein. Gwendolyn wurde immer runder, man merkte die Füßchen des Kindes unter ihrer Haut, wir planten unsere Hochzeit für den Herbst. Und dann ..."
Hinter seinem Blick schien sich eine Eisentür zu schließen.
"... erwischte ich Gwendolyn mit Catualda."