Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    So ein Pech. Die Geschichte hatte nämlich eine Wendung genommen, die er lange schweigend mit sich herumgeschleppt hatte. Nun rang er sich endlich durch, sie auszusprechen - und da wollte der kleine Bruder sie zu Sabacos Empörung nicht hören. Er überlegte, ob er Ocella die Information einfach in Kurzfassung aufs Auge drücken sollte, auch wenn Ocella die Augen schon zufielen. Und er entschied sich dafür. So hatte Ocella wenigstens was anderes zum Nachdenken als das verkackte Gefecht.


    "Ich habe das Kind von Gwendolyn einige Jahre später gesehen. Der Junge ist gesund und kommt nach seinem Vater. Der Vater ist aber nicht Catualda, der Vater bin ich. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht leugnen. Du bist Onkel, Ocella, auch wenn es nichts Offizielles ist. Ich dachte, dass solltest du wissen. Jetzt weißt du es und ich lasse dich in Ruhe. Sieh zu, dass du wieder gesund wirst und bleib bis dahin gefälligst im Bett. Wenn ich dich in dem Zustand auf einem Pferd erwische, schleif ich dich an den Eiern zurück ins Valetudinarium. Hab dich lieb, Kleiner."


    Ocella wurde zum Abschied noch einmal getätschelt und sein herausschauender Fuß liebevoll zurück unter die Decke geschoben, dann stapfte Sabaco von dannen. Er hatte noch ein wenig zu tun und beschloss, danach eine Runde Schwimmen zu gehen, um was Konstruktives gegen die Gefühle zu machen, die in ihm tobten. Mit einem Dach über dem Kopf würden sie zu einem Echo werden, das tausendfach zurückgeworfen wurde, doch draußen unter freiem Himmel ging es ihm meist wundersamerweise besser. Der verlockende Ruf der Straße oder der Natur, wer wusste das schon ... doch er würde ihm nicht folgen. Er hatte gewählt. Er würde nur ein wenig daran schnuppern.


    Perlentauchen im Rhenus >>

    Sabaco blickte auf seinen halbvollen Teller. Reichte noch - zumindest für ihn. Mit überheblichem Blick hob er einen tropfenden Bratenstreifen hielt ihn sich vor den Mund und angelte ihn mit der Zunge ins Innere, ehe er sich Finger und Lippen sauberleckte. Dann kaute er zwei Mal und spülte das kaum zerteilte Fleisch mit einem Met herunter.


    "Du bist neu in der Stadt." Sabaco riet ins Blaue herein, weil das Früchtchen irgendwie so aussah. "Mogontiacum ist ein gefährliches Pflaster. Die Taberna Silva Nigra - abgebrannt, weil der Wirt und seine Schlampe dem Falschen dumm kamen. Es ist empfehlenswert, sich Freunde zu machen in Mogo. Manchmal passieren sonst üble Dinge."


    Er schnippte nach der Bedienung und kurz darauf standen zwei neue Becher Met auf dem Tisch. Einen schubste Sabaco zu dem anderen rüber. Der Becher glitt elegant über die polierte Holzplatte und blieb genau vor seinem Gegenüber stehen.

    "Allein zu überleben ist nicht schwer. Aber macht es Spaß? Nein, Nero. Das tut es nicht. Man braucht Freunde und Kameraden, am besten beides in einem, damit sich die ganze Scheiße auch lohnt."


    Als Nero Sabaco betrachtete, konnte er sehen, dass dieser auf Höhe des Herzens eine große Brandnarbe auf seiner Flanke trug. Sein Körper war übersät von kleineren Narben, besonders an den Händen, Knien und im Gesicht, doch keine davon wies auf eine bedrohliche Verletzung hin. Die Muskulatur war sehr gut entwickelt, man durfte annehmen, dass Sabaco zusätzlich trainierte, um nicht nur funktional zu sein, sondern auch eine respekteinflößende Ausstrahlung zu gewährleisten.


    Sabaco blieb entspannt liegen, bis Nero fertig gegafft hatte. Dann folgte er ihm mit dem Speer in der Hand zum Fluss und Sabaco revanchierte sich für die neugierigen Blicke. Nero war ein kompaktes Kraftpaket und Sabaco fragte sich, wie er wohl trainierte. Insbesondere die Flanken sahen bei Nero gut aus, während Sabaco sich vergebens mühte, seine dämliche Taille wegzutrainieren.


    "Du musst mir deine Sammlung wertloser Schätze mal zeigen", fand Sabaco, während er ins klare Wasser der Furt watete, die Augen auf den Grund gerichtet.

    Sabaco schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte auf dem Tisch geschlafen und seine verschränkten Unterarme als Kissen benutzt. Auf der Suche nach Orientierung blickte er sich um. Das Feuer hatte man herunterbrennen lassen und vom Spießbraten war fast nur noch ein Gerippe übrig. Ocella war nicht zu sehen, entweder war der schon nach Hause gegangen, und Sabaco hatte das im Suff nicht bemerkt, oder er war gerade Wasser wegschaffen. Das gefiel Sabaco nicht, er konnte es nicht leiden, wenn Leute plötzlich verschwanden.


    Sabaco blickte sich argwöhnisch um. Die Hure - oder Wirtin, das war das Selbe - war jedenfalls noch da. Und irgendso ein neuer Spack saß jetzt am Tisch gegenüber. Sabaco streckte sich. Die Taberna war leer, sein Bruder verschwunden und er selbst noch nicht abgewrackt genug, um schon in die Castra zu gehen. Er griff seinen Krug, seinen noch halbvollen Teller und trug beides zum Tisch gegenüber, ohne den anderen Gast zu fragen, ob diesem das überhaupt Recht war.


    "Mahlzeit. Bestell den Braten, der ist gut."


    Sabaco ließ sich auf dem Stuhl nieder wie auf einem Thron.

    "Ich bin hier, um zu bleiben. Wenn ich nicht gehen muss, dann tue ich es auch nicht. Und ich werde alles geben, damit es nicht so weit kommt."


    Auch, weil Ocella hier war und sich um Sabaco bemüht hatte. Ihn wollte er nicht enttäuschen. Sabacos Worte waren ehrlich mit all dem Willen, der dahinterstand, aber auch mit all den Lücken, die dieses Versprechen enthielt, denn er leugnete nicht die Andeutung. Es gab Dinge, die er manchmal tun musste und dann half keine Vernunft mehr. Um sich selbst hatte er noch nie Angst gehabt, er fürchtete keine Konsequenzen, weder Tod noch Züchtigung. Doch als Ocella die Hand auf seine Schulter legte und ihm sagte, wie er zu ihm stand, wurde Sabacos Blick weich. Was keine Erklärung der Welt vermocht hätte, schaffte eine Geste der Zuneigung.


    "Ich liebe dich auch, Kleiner. Mach dir keine Sorgen wegen Varro. Irgendwann werde ich mich daran gewöhnen, dass zwei Leben heißt, auch zwei Wege zu gehen, die bestenfalls parallel verlaufen, aber trotzdem zwei Wege sind und nicht ein breiter."


    Er wusste, dass er das nicht konnte. Aber er wollte Ocella nun etwas Positives sagen und nicht länger streiten. Er war hierher gekommen, um nach seinem Bruder zu sehen und nicht, um diesem noch mehr Sorgen zu bereiten. Vorsichtig half er Ocella, sich wieder hinzulegen, damit der nicht länger seine Bauchmuskeln anspannen musste.


    "Gwendolyn hat überlebt. Die Vigiles und einige Milites von der Legio IX Hispana haben sich gemeinsam um den Brand gekümmert. Möchtest du den Rest hören oder benötigst du eine Pause? Dann erzähle ich ihn dir ein andermal, wenn es dir besser geht."

    Keine Konkurrenten? Das konnte auch in der Weise verstehen, dass Varro dermaßen über Sabaco erhaben war, dass der gar nicht mehr ins Gewicht fiel. Sabaco betrachtete den schwerverletzten Ocella und der Anblick tat ihm körperlich weh. Das war sein kleiner Bruder, viele Jahre der Mensch, auf den er das einzige Gute fokussiert hatte, was in ihm steckte. Man konnte Sabaco vieles vorwerfen, doch er hatte sich aus ganzem Herzen um ihn gekümmert. Und Sabaco hielt Varro sehr wohl vor, was dieser verzapft hatte.


    "Ich habe nicht vor, zu gehen", grummelte er. "Du zweifelst an mir, aber ich bin gern bei der Classis. Und wäre ich nicht gern da, müsste ich trotzdem bleiben. Ich habe einen Eid geschworen."


    Und falls ihn doch irgendwann einmal etwas fortrief, dann würde er vermutlich nicht in Germania bleiben, sondern Stilo suchen. Interessant wäre die Frage allerdings, wie Ocella sich entscheiden würde, wenn Varro ihm befahl seine Treue zu beweisen und die Jagd aufzunehmen. Würde er seinen eigenen Bruder niederstrecken? Sabacos Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an, als dieser Gedanke durch seinen Geist waberte wie ein schwarzes Miasma.


    "Das Haus von Gwendolyns Familie stand an jenem Tag in Flammen", sagte er unvermittelt. "Es war nicht das größte Feuer, was Tarraco bis dahin gesehen hat, aber es war das Schönste. Und ich stand diesmal nicht irgendwo am Rand, sondern mitten drin, während um mich herum der Orcus auf Erden brannte. Dieses Nest gehörte mir und es würde meines bleiben mit allem, was darin je gelebt hatte. Ich bin nicht dafür bekannt, zu teilen. Und ich wich nicht einen Schritt, als die Flammen sich schlossen."

    "Ich sehe fast nichts im Rhenus unter Wasser. Die Strömung wirbelt alles durcheinander und am Ufer ist so viel Schlamm, dass das Wasser trübt, sobald man den Grund berührt. Man muss vermutlich am Ufer langgehen und so suchen", überlegte er laut, während er sich in der Sonne fläzte. "Was hat dir das Meer denn alles Schönes vor die Füße gespült? Irgendwas von Wert? Ich fand Muscheln, Steine und Feuerquallen. Schon mal eine ins Gesicht bekommen?"


    Sabaco lachte bei der Erinnerung daran, wie er bei einer Quallenschlacht jemandem eine davon ins Gesicht gedrückt hatte. Dass ihm die Hand vernesselt worden war, war ihm die Untat wert gewesen.


    "Was ist an Brandungsangeln so gut? Was macht es besser als normal zu angeln? Ein sonderlich guter Angler bin ich nicht - selbst gebaute Angeln sind nicht sonderlich effektiv, aber es genügt, um nicht verhungern zu müssen. Mein größter Fisch war ein Rochen - er hat mir die Angel aus der Hand gerissen und ist damit abgedampft. Ich bin der Angel noch hinterher gerannt, aber der Rochen flüchtete ins Tiefe und weg war er, samt meiner Angel."


    Er rollte sich auf die Seite, während Nero schon nach dem Speer griff. Sabaco griff träge nach seinem, aber machte noch keine Anstalten, aufzustehen. Nach dem Schwimmen immer so wunderbar faul, sobald er sich einmal hingelegt hatte. Am liebsten würde er schlafen, aber gemeinsam Fische zu jagen - dafür würde er den Schlaf sausen lassen. Er musste nur in die Gänge kommen, was eine Willenssache war.


    "Landläufer ist ein interessanter Name für das ganze Gesocks. Wobei ich mich frage, ob es auf einem Schiff besser ist, oder ob dort genau so viele Idioten leben. Verrate du es mir."

    "Die Muscheln vergraben sich? Dann kann ich ja ewig suchen. Zum Fischen musst du da drüben schauen, hier ist das Wasser zu tief." Er wies flussabwärts in die Richtung, wo eine Fuhrt lag. Das von ihr aufgestaute Wasser verursachte den tiefen Bereich, in dem Sabaco tauchen war. Erfreut registrierte er die zwei Speere. Nero hatte vor, ein Weilchen zu bleiben.


    Dass der Gubernator es sich nun seinerseits auf Sabacos Schlafstatt gemütlich machte, fand er amüsant. Es erinnerte ihn an jene Zeiten, als das Bett von seinen Freunden genauso selbstverständlich okkupiert wurde wie ein Stuhl. Zufrieden legte sich Sabaco neben Nero. Nachdem er sich eine Mulde im Sand zurechtgerückt hatte, blinzelte er entspannt in die Sonne.


    "Am Ufersaum liegt der Anfang aller guten Dinge. Erinnerst du dich an eine schlechte Begebenheit am Strand? Ich nicht, nur an viel Gutes. Vielleicht zieht es mich darum immer wieder an Strände, weil ich dort die Dinge suche, die ich früher dort fand und in meiner Zeit auf dem Inland wieder verloren habe. Du scheinst dich mit dem Fischen auszukennen? Was war dein größter Fisch?"

    Sabaco glitt über den Grund. Die Strömung wirbelte Sedimente auf und drückte Millionen winziger Luftblasen unter die Wellen, die als weiße Schleier die Sicht behinderten. Der Suchradius war entsprechend nicht groß. Sabaco blieb in Ufernähe, denn er kannte die Strömung des Flusses noch unzureichend. Er war ein guter Schwimmer, doch Flüssen war mit Misstrauen zu begegnen, denn auch wenn ihre Oberfläche glatt und träge wirkte, konnten tückische Strömungen einen nach unten ziehen und dort halten. Im Tulcis westlich von Tarraco waren bei Hochwasser jedes Jahr Menschen ertrunken.


    6er Würfel: Publius Matinius Sabaco hat eine 1 gewürfelt.


    Als er wieder auftauchte, waren seine Hände leer. Dafür entdeckte er, dass es sich jemand sich auf seiner Decke bequem gemacht hatte. Sabaco schwamm zurück und watete ans Ufer, um zu schauen, wer dort lag. Amüsiert erkannte er den Gubernator. Nackt salutierte es sich so unwürdig. Sabaco tat es trotzdem, nachdem er an Land gewatet war.


    "Salve, Gubernator! Ich hoffe, du liegst bequem. Melde: Kein Muschelfund beim ersten Tauchgang."


    Sim-Off:

    Ich lasse Fortuna entscheiden, ob ich eine Muschel finde (6) und ob in dieser eine Perle liegt (1).

    Sabaco setzte sich auf die geklopfte Bettkante, wobei er darauf achtete, wenig Erschütterungen zu verursachen und Ocella nicht anzustoßen. Er drehte sich so, dass sie sich ansehen konnten.


    "Varro ist nicht mein Vorgesetzter. Mich aus dem Lager werfen ist alles, was er kann. Darüber hinaus muss er bei den Offizieren der Classis vorsprechen und ihnen sein Leid mit mir klagen. Was will er denen sagen? Dass ich mich auf das Wort der von ihm ausgebildeten Wache verließ, die mich wegen eines Notfalls durchwinkte?"


    Er würde Ocella noch vom Schicksal Gwendolyns und ihrer Familie erzählen, doch die Konfrontation mit dem Germanicus wurmte ihn gerade. Dass Ocella den Kerl wie einen Halbgott verehrte, war wie ein glühender Nagel in Sabacos Fleisch. Ein düsterer Ausdruck zog über sein Gesicht, als er die Stelle betrachtete, wo Ocellas Wunde sich befand.


    "Der Dienst an Rom ist gefährlich, Ocella, keine Frage. Wir alle gehen diesen Weg, weil es etwas gibt, das uns mehr wert ist als die eigene Sicherheit. Aber ich will dich nicht verlieren, nur weil du diesem Germanicus irgendetwas beweisen willst. Unter seinem Kommando geschah das hier."

    Sabaco wartete ab, was der Germanicus tun wollte, doch der beließ es bei einer Moralpredigt. Diese quittierte Sabaco am Ende mit einem "Jawohl, Decurio." Darauf konnte der Alte sich einen hobeln. Anschließend ließ der Decurio die Brüder wieder allein. Sabaco sah Varro nach; es lag keine Freundlichkeit in seinem Blick. Was fand Ocella an dem? Wieso hatte er Varro seinem eigenen Bruder vorgezogen all die Jahre?


    Als die Schritte verklungen waren, setzte Sabaco sich wieder auf den Scherenstuhl am Kopfende von Ocella, das Schwert ließ er auf dem Tisch liegen. "Netter Kerl, dieser Varro." In seiner Stimme schwelte das Gift der Eifersucht, auch wenn Sabaco sich alle Mühe gab, den Klang zu unterdrücken.

    Natürlich war er in Waffen - er war direkt vom Dienst gekommen, als er gehört hatte, dass die Ala in ein schweres Gefecht verwickelt gewesen war, um nach seinem Bruder zu sehen. Aber ein Brunnenfrosch würde es nie begreifen, wenn man vom Meer sprach. Sabaco zog ein Gesicht, als würde er lachen wollen.


    "Wovor hast du Angst? Mach den Jungs am Tor keinen Ärger wegen mir, sie meinten es gut, als sie mich so durchgewunken haben. Aber wenn es deine Nerven beruhigt ..."


    Er schlang sich den Waffengurt ab und legte ihn samt dem Gladius auf den Tisch. Dann trat er von der Waffe zurück, wobei er den Germanicus nicht aus den Augen ließ.

    Der Frühling war dieses Jahr ausgefallen - der lange, regnerische Winter war von einem Tag zum anderen in brütende Hitze umgeschlagen. Die Luft über dem Exerzierplatz flimmerte, fette schwarze Fliegen ärgerten die Soldaten, denen sie sich in die Augen setzten, um die Tränenflüssigkeit zu trinken, oder unter die Tunika schwirrten und sie kitzelten. Jemand hatte einen Sammeltopf für tote Fliegen neben die Latrinentür gestellt, dazu eine Fliegenklatsche und das verschriftliche Ziel, den Topf zu füllen. Der Boden des Topfes war längst schwarz von erschlagenen Brummern und trotzdem wurden es nicht weniger. Wenn die Sonne unterging, verzogen sich die Fliegen und die Mücken kamen heraus, im Schilf quakten die Frösche dermaßen laut, dass es beim Schlafen störte.


    Sabaco aber liebte den Sommer, den er mit durchzechten Nächten am Strand verband, mit dem Schwimmen im Meer und dem Tauchen nach Muscheln, mit feuchtfröhlichen Quallenschlachten und dem Grillen von selbst geangeltem Fisch. Mit Feuern am Strand und Waldbränden, deren scharfen Rauchgeruch man noch in einem Tagesritt Entfernung wahrnahm. In Mogontiacum gab es keinen Strand und keine Quallen, für Waldbrände war es trotz allem noch zu feucht. Das Ufer des Rhenus war größtenteils zugewuchert, mit einigen Kiesbuchten dazwischen. Mit Tarraco war es nicht zu vergleichen. Aber es gab Muscheln im Rhenus, hatte Nero erzählt, und in manchen sollte es Flussperlen geben. Sabaco wollte sein Glück versuchen.


    Nach dem Essen schnappte er sich ein Handtuch und eine Decke, einen Beutel mit etwas zu Trinken und Krempel und suchte sich eine Bucht. Dort schlug er sein Lager auf, zog sich aus und watete langsam in die kühlen Fluten. Nach einigen Metern glitt er ins Wasser, verschwand vollständig, um seinen Kopf zu kühlen, und tauchte an anderer Stelle wieder auf, wo er eine Weile schwamm, ehe er den ersten Tauchgang zum Grund begann.


    Sim-Off:

    Wer will, darf sich dazugesellen.

    Wenn man von Geschmeiß sprach. "Germanicus Varro, wie schön ... alt bist du geworden."


    Sabaco wurde bewusst, dass dieser schmierige Päderast seinen Bruder nach wie vor an der Kette hielt, denn Ocella diente nicht irgendwo. Er diente in der Einheit von Varro! Sabaco hatte nie erfahren, wo das Anwesen der Germanici lag, auf welchem Ocella seine Jugend verbracht hatte, seit Varro ihn fortgelockt hatte. Andernfalls hätte Sabaco schon dafür gesorgt, dass sein Bruder wieder zurück nach Hause fand, zu seiner wahren Familie. Jetzt aber würde es ihm leichter fallen, die Adresse herauszufinden ...

    Mit Argusaugen beobachtete Sabaco, was der Medicus an Ocella herumfummelte, doch er schien sich zufriedenstellend um den Kleinen zu kümmern und so war Sabaco auch nicht gezwungen, ihm seine Arbeit deutlicher zu erklären. Stattdessen grinste er ihm auf die Rückfrage hin mit seinem Trümmergebiss entgegen, das fast so sehr funkelte wie die Rüstung von Decurio Calenus.


    "Machen keinen Ärger mehr, Dicax. Aber gebt meinem Bruder mehr zu Essen, er fällt vom Fleisch. Falls es an der vorgeschriebenen Rationierung liegt ... daran soll es nicht scheitern."


    Er klopfte auf seine Gürteltasche, in der neben seiner kleinen Notizkladde, Feuerzeug, mehreren Drähten und Schnüren, etwas Trockenfleisch und allerlei Gerümpel irgendwo auch ein Geldbeutel herumgeisterte. Der Medicus indes flutschte wie eine Seife an Sabaco vorbei, obwohl er nicht viel Raum im Rahmen gelassen hatte, was ein verwirrtes Blinzeln verursachte. Normalerweise ließ Sabaco sich umständlich aus der Tür bitten. Es gab nicht viele, die einfach so vorbeischlüpften.

    Sabaco erwiderte den Blick seines Bruders. "Was meinst du, habe ich getan, als ich erfuhr, dass ich all das Geld, den Verzicht und die Mühen einem Kuckuck in den Rachen geschmissen habe, der sich in mein Nest gesetzt hatte und dessen Ei meine Frau ausbrütete? Was meinst du, tat ich, an dem Tag, an dem Gwendolyn und Catualda, dieses germanische Geschmeiß, mir meine Familie nahmen?"


    Bevor Ocella antworten konnte, hob Sabaco die Hand, damit er schwieg, um zu lauschen. Schritte erklangen auf dem Gang. Er erhob sich und ging zur Tür. Dort wurde er eines Verletzten ansichtig.


    "Suchst du was?"


    Sim-Off:

    Gut erkannt, Bro! Sabaco erzählt eine zu seinen Gunsten geschönte Variante.

    Die Anerkennung des kleinen Bruders nahm Sabaco mit einem Lächeln zur Kenntnis, ohne sie abzuwiegeln. Er verwahrte das Lob in seinen Gedanken und erfreute sich daran.


    Zum Thema Germanen wedelte er jedoch mit dem Finger. "Mit so einer Sichtweise bleiben wir in einer ewigen Verteidigungshaltung, lassen uns von den Barbaren ihre Regeln aufzwingen. Man muss sich entscheiden: Will man diesen Streifen Land? Wenn ja, dann muss man ihn auch kompromisslos an römisches Recht anpassen. Momentan hat man das Gefühl, dass die Germanen es sind, die hier die Gesetze machen, während wir ängstlich herumeiern, um sie keinesfalls zu provozieren. Was nützt uns diese Friedfertigkeit? Sie hat nicht funktioniert. Das tut sie nie."


    Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn, denn er hätte fast seinen kleinen Bruder verloren wegen des Kuschelkurses, der momentan gefahren wurde.


    "Man muss da anders herangehen. Aber nun ist ja der Caesar in Germania, der reißt unserem friedfertigen Legatus hoffentlich den fetten Arsch bis über beide Ohren auf!"


    Sabaco zog ein Bein hoch auf den Stuhl, dann das andere, so dass er im Schneidersitz zum sitzen kam. Nun stützte er die Ellbogen auf die Knie und bettete das Kinn in die Hände. Es würde eine umfangreichere Erzählung werden, doch andererseits ... Ocella hatte ja Zeit. Ein bisschen Stoff zum Nachdenken würde ihn von seiner Verwundung ablenken. Lange sah Sabaco seinen kleinen Bruder an und lauschte, ob Schritte nahten. Was er zu berichten hatte, war nur für die Ohren von Ocella bestimmt. Als er nichts hörte, begann er mit gesenkter Stimme seine lange Erzählung.


    Sim-Off:

    Ich hab das Blau der wörtlichen Rede für den langen Text entfernt; ist sonst zu schlecht lesbar auf dem dunklen Grund.


    "Die Geschichte von Gwendolyn möchtest du also hören. Ich wünschte, ich könnte sagen, sie war nur ein Fick, aber es gehört leider mehr dazu. Und wie jede meiner Geschichten ging auch diese schlecht aus. Höre also zu und lerne, damit du nicht die gleichen Fehler begehst, denn Gwendolyn stammte ab von Germanen und Inselkelten.


    Es begab sich eines regnerischen und kalten Frühlings just zu der Zeit, als Varro dich mitnahm. Erinnerst du dich? Wir beide waren bis dahin jeden Tag zusammen unterwegs. Alles, was ich konnte und wusste, habe ich dich gelehrt, von den Hausaufgaben bis hin zu den Körperstellen, an denen ein Gegner kampfunfähig gemacht werden kann. Für dich habe ich mich mit unserem alten Erzfeind Catualda geprügelt, dich in den Nächten gewärmt und in den Schlaf gesungen. Du warst meine Lebensaufgabe und ich habe sie gern erfüllt. Unsere Tage und Nächte waren turbulent, rau und kalt, aber auf ihre Weise fühlten sie sich gut an. Ich behaupte, wir waren zu keiner Zeit im Leben je wieder so frei im Herzen und im Geist.


    Nach einem größeren Brand, den ich gelegt hatte und der ein bisschen über das geplante Maß hinweg angewachsen war, tauchte auf einmal Gaius Germanicus Varro auf. Vielleicht war er ein Freund unseres Vaters gewesen, vielleicht war er nur gedankenlos, vielleicht hatte er ein Auge auf dich geworfen oder vielleicht hatte er einfach Spaß daran, mein Leben zu zerschlagen wie einen unliebsamen Tonkrug. Er nahm dich mit zu seinen Pferden, ließ dich die Tiere streicheln und versprach, dich das Reiten zu lehren, während ich dich suchte, ohne dich zu finden. Wir waren jung, es liegt mir fern, dir Vorwürfe zu machen ... aber als du dich verabschieden kamst, war ich von deiner Entscheidung enttäuscht. Jeden Tag wartete ich darauf, dass du es dir anders überlegst, ihm davonläufst und zu mir zurückkehrst. Doch du kamst nicht.


    Die Tage waren leer, die Nächte strichen dunkel an mir vorüber, während meine eigene Zeit eingefroren zu sein schien. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Varro unterwies dich nun an meiner Stelle, trieb dir wahrscheinlich alles aus, was ich dir je beigebracht hatte. Drängte sich an meinen Platz, beanspruchte dich in einem Ausmaß, das ihm nicht zustand. Und ich war nun ein großer Bruder ohne kleinen Bruder. Hast du dich je gefragt, warum Varro nur dich mitnahm und nicht mich? Warum er uns auseinanderriss? Ich fragte mich das tausendfach, aber ich fand keine Antwort. Schmerz braucht ein Ventil. Ich gab ihn weiter an jeden, der es verdiente, doch meinen Bruder brachte mir das nicht zurück.


    Es ist ein Naturgesetz, dass Leere gefüllt werden will. Man füllt alles Mögliche hinein, Wein vor allem, aber solche klaffenden Löcher scheinen einen Abfluss zu haben. Am Höhepunkt einer Zechnacht lernte ich Gwendolyn kennen. Ich war allein und sie war es auch. Die sentimentalen Einzelheiten erspare ich dir, lassen wir es dabei bewenden, dass es nicht bei dieser Nacht blieb. Eines Tages führte sie meine Hand auf ihren Bauch, der sich ganz hart anfühlte und einen komischen dunklen Streifen in der Mitte bekommen hatte. Sie trug ein Kind unter dem Herzen. Plötzlich, Ocella, war da wieder ein Sinn. Alles fügte sich. Ich habe sie umarmt und geküsst und ihr gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen. Alles wollte ich fortan besser machen. Unserem Kind würde es gut gehen, wir würden eine Familie sein. Den Namen Phoca streifte ich an jenem Tag ab, ich offenbarte ihr, wie ich wirklich hieß. So erfuhr sie auch dass ich nicht so ärmlich war, wie ich wirkte und sie sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen brauchte. Ich wollte sie beschützen, so wie ich dich zuvor beschützt hatte.


    Sie stellte mich ihren Eltern vor. Es waren Peregrini, die nach Hispania gekommen waren, um Wein anzubauen, doch der Verkauf hat nicht funktioniert. Sie lebten in Armut und die Mutter war eine Trinkerin. Was ich an Geld besaß, habe ich ihnen gegeben, die ich nun auch als meine Familie ansah. Ich verzichtete auf Wein und brach die Kontakte zu den Tunichtguts von der Straße ab. Huren waren damals kein Thema und sie sollten auch keins werden, denn ich wollte treu sein. Ich schrieb Gwendolyn seitenweise Gedichte, um meine überbordenden Gefühle auszudrücken, legte ihr mein Herz zu Füßen. Mit ihrem Vater schmiedete ich Pläne, wollte ihn zu meinem Klienten machen und ihm helfen, vernünftig Fuß zu fassen in Hispania, ich bezahlte auch einen Medicus für die Mutter. Vermutlich war ich zu dieser Zeit der Vorzeigesohn, den unser Vater sich all die Jahre gewünscht hätte, denn ich lief in standesgemäßer Kleidung herum, achtete auf mein Äußeres und organisierte alles, was es zu organisieren gab. Und ich muss zugeben ... ich war glücklich, Ocella. In mir war das Gefühl erwacht, nun angekommen zu sein. Gwendolyn wurde immer runder, man merkte die Füßchen des Kindes unter ihrer Haut, wir planten unsere Hochzeit für den Herbst. Und dann ..."


    Hinter seinem Blick schien sich eine Eisentür zu schließen.


    "... erwischte ich Gwendolyn mit Catualda."

    Sabaco sah dem Mann kurz nach, ohne dass in seiner Miene etwas zu lesen war. Er spürte, dass unterschiedliche Erwartungshaltungen an ihm zerrten. Während die einen meinten, er würde sich für ihre platten Kehrseiten interessieren, kaum dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte und nicht einmal auf den Gedanken kamen, dass ihre Dienstfähigkeit den für die Stärkemeldung zuständigen Suboptio auch dienstlich interessieren könnte, kam in anderen Ecken Unmut auf, wenn er einen dienstlichen Gruß dienstlich erwiderte. Da Sabaco hinsichtlich des bei der Classis von ihm erwarteten Umgangstons keine Instruktion erhalten hatte und sogar die Soldaten unterschiedliche Vorstellungen von der zu erwartenden Norm hatten, konnte er es nur falsch machen. Für die einen benahm er sich zu nahe, für die anderen zu herablassend, es würde ein ewiges Herumgeeier ergeben, wenn er sich davon beeindrucken ließ. Ein Rat von Oben wäre ihm zur Orientierung hilfreich gewesen, so aber war er auf sich allein gestellt und würde seinen Weg ohne Hilfe finden müssen.


    Gedanklich zuckte er mit den Schultern, körperlich blätterte er seine Seite seiner Aufzeichnungen um und überprüfte sein Wissen zu den kalten Zahlen: Wie schnell wurde die Navis lusoria mit wie vielen Ruderern, je im Durchschnitt und maximal, einmal mit dem Strom und einmal dagegen, alles jeweils in Abhängigkeit der mit dem Segel ausnutzbaren Windstärke. Sicher gab es eine mathematische Formel dafür, die würde ihn flexibler in der Kalkulation der Reisedauer machen und das Auswendiglernen ersparen, aber niemand hatte sie ihm verraten. Ärgerlich blickte er auf die Zahlen, überlegte, sie zum Ablesen der nicht enthaltenen Zwischenstufen in ein Koordinatensystem zu übertragen.


    Fahrig verscheuchte er eine Mücke, sie sich auf seinen Arm gesetzt hatte, die gute Laune war dahin. Bei aller zur Schau getragenen Gelassenheit ließ ihn die Begegnung erneut daran denken, was man ihm genommen hatte an dem Tag, als man ihr harmonierendes Contubernium in der IX Hispana auseinanderriss, weil umgeplant wurde, und man einen von ihnen ins ferne Cappadocia schickte und den anderen nach Germania, während der Rest der Zeltgemeinschaft wie ein verstümmelter Körper zurückblieb. Er fragte sich, wen man bestechen oder bedrohen musste, um die Trennung rückgängig zu machen. Er war Mitglied des Ordo Equester ... wenn er Landbesitz hätte, stünden ihm andere Möglichkeiten offen, vielleicht ausreichende Möglichkeiten. Und warum antwortete Stilo nicht auf seinen Brief?


    Er fuhr sich über das Gesicht und starrte erneut auf die Tabelle, ratterte die Zahlenkolonnen durch sein Hirn wie ein Reinigungskommando. An etwas Außerdienstliches zu denken war nicht gut. Dort lag nur Schwärze, in welche Richtung er auch sah.

    "Ich habe gewartet, bis du mich rausschmeißt", antwortete Sabaco ehrlich. "Ich wollte nicht wegschleichen, weil das nicht gut kommt. Es könnte falsch verstanden werden. Aber jetzt, da du wach bist, gehe ich."


    Als er auf beiden Füßen stand, die Caligae noch schlammig von gestern, lockerte er kurz die Schultern und das Genick . "Ich lag übrigens auf dem Boden, weil du mich dort abgekippt hast, Nero." Dann holte er seine Kladde aus der Gürteltasche. Er legte ein Papyrus mit Poesie-Notizen obenauf, als hätte er die Kladde soeben als Unterlage verwendet, und klemmte den Zettel mit seinen Fingern fest. Dann öffnete er die Tür und machte eine Halbdrehung hinaus.


    "Gut, dass wir das noch vor Dienstbeginn klären konnten, Gubernator. Danke für alles und Vale."


    Er wedelte wichtig mit der Kladde, machte einen Salut und grinste Nero durch die Tür unbotmäßig breit entgegen, ehe er die Tür mit dem Fuß hinter sich zuknallte und im Laufschritt zum Dienst verschwand. Er war ein bisschen spät dran, würde aber noch pünktlich kommen, wenn er sich beeilte und das Frühstück kalt herunterschlang. Den Kater spürte er deutlich, ihm war übel und sein Schädel dröhnte, doch das interessierte ihn nicht weiter. Er war glücklich. Seine Marini würden heute einen sehr harmonischen Diensttag mit ihrem Suboptio navalorum erleben.

    "Ja ... dann kannst du wegtreten und mit deinem Kram weitermachen", meinte Sabaco, dem gefiel, dass die Marini mitdachten und sich um ihre Aufgaben kümmerten, ohne dass er sie ihnen hatte sagen müssen. Ihm selbst waren keine Mängel oder Beschädigungen der Keto aufgefallen, aber die Marini waren, was das anging, erfahrener und fanden vielleicht etwas, das ihm entgangen war. Dann würde er sich das zeigen lassen.


    Er erspähte Optio Terentius Ruga, der sein eigenes Schiff begutachtete. Elektra hieß sie, wie die Mutter der Harpyien. Keto war die Mutter der Gorgonen. Scheinbar waren die Namen der Schiffe aufeinander abgestimmt, das gefiel ihm. Sabaco sah Ruga zu, wie er vorging, in welche Ecken er länger schaute, ehe der Optio sich wieder verdrückte. Dessen Schiff konnte auf eine längere Geschichte zurückblicken als das seine. Die Geschichte der Keto aber nahm mit Sabacos Mannschaft ihren Anfang. Er gedachte, sie gut zu schreiben.


    Vielleicht mal wieder Anlass für ein Gedicht ...