Fugitivus
Jetzt war er also erwachsen. Sollte bei fast jeder Cena anwesend sein und kluge Dinge sagen, um die Gäste der Eltern zu beeindrucken. Tatsächlich fiel es Sabaco nicht schwer, sich so zu geben, wie man es von ihm erwartete, doch mangelte es ihm an der Lust dazu. So blieb er den meisten Cenae fern und verbrachte die Zeit im Kreise der Menschen, in deren Gegenwart er sich wohlfühlte.
Ungewöhnlich war an seinen Streifzügen insofern nichts, als die meisten Römer seines Standes in diesem Alter es ähnlich hielten. Formell waren sie erwachsen, die Schule war vorüber, doch für die Karriere der hohen Stände waren sie zu jung. So waren die Nächte von Tarraco voll von nutzlosen jungen Männern, die herumstreiften und sich die Zeit auf nicht standesgemäße Weise totschlugen. Sie zogen durch Tabernae und durch Lupanare, lümmelten herum und stießen sich die Hörner an jenen ab, die ihnen weder gesellschaftlich noch körperlich etwas entgegenzusetzen hatten. Die Vigiles konnten gegen diese Krawallbrüder nichts tun, es waren freie Männer aus den besten Familien.
Mit einem Mal war Sabaco nicht mehr nur mit dem Volk von der Straße, sondern mit Seinesgleichen zugange, hatte Spaß mit ihnen und war ihnen obendrein an Erfahrung und Weisheit voraus. Er kannte alle Regeln der Straßen, alle guten Stellen, alle Tricks und alle Leute, die zu kennen sich lohnte. Seine neuen Freunde respektierten ihn dafür, manche bewunderten ihn sogar und das fühlte sich verdammt gut an. Sabaco war nicht mehr irgendjemand, er hatte jetzt einen Namen. Er wurde nicht müde, zu erzählen, wie er Catualda damals aus der Stadt vertrieben hatte, wenngleich das nur zur Hälfte stimmte, denn Catualda war in erster Linie vor den Vigiles geflohen. Sabaco schmückte die Geschichte genussvoll zu seinen Gunsten aus und zum Beweis präsentierte er seine Zahnlücke.
Armándos aber verkam zu Beiwerk, das sich im Schlepptau der römischen Bürger schüchtern und unscheinbar bewegte und oft eigener Wege ging. Davon, dass er Sklave war, verriet Sabaco seinen neuen Freunden nichts, doch Armándos verfiel dennoch in deren Gegenwart in alte Verhaltensweisen. Der Dreck an seinem Körper und seine verschlissene Kleidung trugen dazu bei, sich wie ein Außenseiter unter den Römern zu fühlen. Er mied die Thermen aus Angst, dass jemand dort die Spuren einer Auspeitschungen auf seinem Rücken zu deuten wusste und für neue Kleidung fehlte ihm das Geld. Seinem Selbstbewusstsein unter diesen Leuten tat das nicht gut.
Also mogelte Sabaco den Fugitivus zu passender Gelegenheit in die Therme seiner Familie, wo er Armándos von den Familiensklaven nach aller Kunst pflegen, herrichten und mit einer neuen Tunika ausstatten ließ und auch mit neuen Schuhen. Zufrieden besah Sabaco sich hernach das Werk. Armándos, von Natur aus gut aussehend, war wieder vorzeigbar, so konnte er sich auch unter Römern bewegen. Sabaco nahm ihn wieder mit. Doch Armándos konnte einfach nicht anders, als den Blick zu senken, wenn einer von Sabacos neuen Freunden ihm in die Augen sah, und bei jedem Thema Zustimmung zu heucheln, anstatt seine Meinung zu vertreten. Wie sicher er sonst auftrat, wie groß seine Pläne sein mochte - unter Römern war es ihm unmöglich, aus seiner Sklavenhaut zu schlüpfen, zu tief saßen die Erfahrungen seines Lebens. Nur bei Sabaco, den er schon lange kannte und der mit ihm die Kämpfe der Straße ausgefochten und sein Brot geteilt hatte, gelang es ihm, zu vergessen, dass er ein Sklave war und Sabaco ein Herr. Die einzige zweite Ausnahme war Ocella.
Und dann stellte Sabaco eine, wie er rückblickend feststellte, unangemessene Frage.
"Du könntest mein Sklave werden", schlug er eines Tages wohlmeinend vor. "Dann könntest du bei uns wohnen und hättest jeden Tag was zu essen. Wir verstehen uns gut, wir hätten beide was davon."
Die Antwort war ein zu Tode beleidigter Blick. "Ich dachte, wir wären Freunde."
Und damit hatte sich das Thema erledigt. Zu Sabacos Erleichterung war Armándos nicht nachtragend.