Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Sabaco setzte sich auf die geklopfte Bettkante, wobei er darauf achtete, wenig Erschütterungen zu verursachen und Ocella nicht anzustoßen. Er drehte sich so, dass sie sich ansehen konnten.


    "Varro ist nicht mein Vorgesetzter. Mich aus dem Lager werfen ist alles, was er kann. Darüber hinaus muss er bei den Offizieren der Classis vorsprechen und ihnen sein Leid mit mir klagen. Was will er denen sagen? Dass ich mich auf das Wort der von ihm ausgebildeten Wache verließ, die mich wegen eines Notfalls durchwinkte?"


    Er würde Ocella noch vom Schicksal Gwendolyns und ihrer Familie erzählen, doch die Konfrontation mit dem Germanicus wurmte ihn gerade. Dass Ocella den Kerl wie einen Halbgott verehrte, war wie ein glühender Nagel in Sabacos Fleisch. Ein düsterer Ausdruck zog über sein Gesicht, als er die Stelle betrachtete, wo Ocellas Wunde sich befand.


    "Der Dienst an Rom ist gefährlich, Ocella, keine Frage. Wir alle gehen diesen Weg, weil es etwas gibt, das uns mehr wert ist als die eigene Sicherheit. Aber ich will dich nicht verlieren, nur weil du diesem Germanicus irgendetwas beweisen willst. Unter seinem Kommando geschah das hier."

    Sabaco wartete ab, was der Germanicus tun wollte, doch der beließ es bei einer Moralpredigt. Diese quittierte Sabaco am Ende mit einem "Jawohl, Decurio." Darauf konnte der Alte sich einen hobeln. Anschließend ließ der Decurio die Brüder wieder allein. Sabaco sah Varro nach; es lag keine Freundlichkeit in seinem Blick. Was fand Ocella an dem? Wieso hatte er Varro seinem eigenen Bruder vorgezogen all die Jahre?


    Als die Schritte verklungen waren, setzte Sabaco sich wieder auf den Scherenstuhl am Kopfende von Ocella, das Schwert ließ er auf dem Tisch liegen. "Netter Kerl, dieser Varro." In seiner Stimme schwelte das Gift der Eifersucht, auch wenn Sabaco sich alle Mühe gab, den Klang zu unterdrücken.

    Natürlich war er in Waffen - er war direkt vom Dienst gekommen, als er gehört hatte, dass die Ala in ein schweres Gefecht verwickelt gewesen war, um nach seinem Bruder zu sehen. Aber ein Brunnenfrosch würde es nie begreifen, wenn man vom Meer sprach. Sabaco zog ein Gesicht, als würde er lachen wollen.


    "Wovor hast du Angst? Mach den Jungs am Tor keinen Ärger wegen mir, sie meinten es gut, als sie mich so durchgewunken haben. Aber wenn es deine Nerven beruhigt ..."


    Er schlang sich den Waffengurt ab und legte ihn samt dem Gladius auf den Tisch. Dann trat er von der Waffe zurück, wobei er den Germanicus nicht aus den Augen ließ.

    Der Frühling war dieses Jahr ausgefallen - der lange, regnerische Winter war von einem Tag zum anderen in brütende Hitze umgeschlagen. Die Luft über dem Exerzierplatz flimmerte, fette schwarze Fliegen ärgerten die Soldaten, denen sie sich in die Augen setzten, um die Tränenflüssigkeit zu trinken, oder unter die Tunika schwirrten und sie kitzelten. Jemand hatte einen Sammeltopf für tote Fliegen neben die Latrinentür gestellt, dazu eine Fliegenklatsche und das verschriftliche Ziel, den Topf zu füllen. Der Boden des Topfes war längst schwarz von erschlagenen Brummern und trotzdem wurden es nicht weniger. Wenn die Sonne unterging, verzogen sich die Fliegen und die Mücken kamen heraus, im Schilf quakten die Frösche dermaßen laut, dass es beim Schlafen störte.


    Sabaco aber liebte den Sommer, den er mit durchzechten Nächten am Strand verband, mit dem Schwimmen im Meer und dem Tauchen nach Muscheln, mit feuchtfröhlichen Quallenschlachten und dem Grillen von selbst geangeltem Fisch. Mit Feuern am Strand und Waldbränden, deren scharfen Rauchgeruch man noch in einem Tagesritt Entfernung wahrnahm. In Mogontiacum gab es keinen Strand und keine Quallen, für Waldbrände war es trotz allem noch zu feucht. Das Ufer des Rhenus war größtenteils zugewuchert, mit einigen Kiesbuchten dazwischen. Mit Tarraco war es nicht zu vergleichen. Aber es gab Muscheln im Rhenus, hatte Nero erzählt, und in manchen sollte es Flussperlen geben. Sabaco wollte sein Glück versuchen.


    Nach dem Essen schnappte er sich ein Handtuch und eine Decke, einen Beutel mit etwas zu Trinken und Krempel und suchte sich eine Bucht. Dort schlug er sein Lager auf, zog sich aus und watete langsam in die kühlen Fluten. Nach einigen Metern glitt er ins Wasser, verschwand vollständig, um seinen Kopf zu kühlen, und tauchte an anderer Stelle wieder auf, wo er eine Weile schwamm, ehe er den ersten Tauchgang zum Grund begann.


    Sim-Off:

    Wer will, darf sich dazugesellen.

    Wenn man von Geschmeiß sprach. "Germanicus Varro, wie schön ... alt bist du geworden."


    Sabaco wurde bewusst, dass dieser schmierige Päderast seinen Bruder nach wie vor an der Kette hielt, denn Ocella diente nicht irgendwo. Er diente in der Einheit von Varro! Sabaco hatte nie erfahren, wo das Anwesen der Germanici lag, auf welchem Ocella seine Jugend verbracht hatte, seit Varro ihn fortgelockt hatte. Andernfalls hätte Sabaco schon dafür gesorgt, dass sein Bruder wieder zurück nach Hause fand, zu seiner wahren Familie. Jetzt aber würde es ihm leichter fallen, die Adresse herauszufinden ...

    Mit Argusaugen beobachtete Sabaco, was der Medicus an Ocella herumfummelte, doch er schien sich zufriedenstellend um den Kleinen zu kümmern und so war Sabaco auch nicht gezwungen, ihm seine Arbeit deutlicher zu erklären. Stattdessen grinste er ihm auf die Rückfrage hin mit seinem Trümmergebiss entgegen, das fast so sehr funkelte wie die Rüstung von Decurio Calenus.


    "Machen keinen Ärger mehr, Dicax. Aber gebt meinem Bruder mehr zu Essen, er fällt vom Fleisch. Falls es an der vorgeschriebenen Rationierung liegt ... daran soll es nicht scheitern."


    Er klopfte auf seine Gürteltasche, in der neben seiner kleinen Notizkladde, Feuerzeug, mehreren Drähten und Schnüren, etwas Trockenfleisch und allerlei Gerümpel irgendwo auch ein Geldbeutel herumgeisterte. Der Medicus indes flutschte wie eine Seife an Sabaco vorbei, obwohl er nicht viel Raum im Rahmen gelassen hatte, was ein verwirrtes Blinzeln verursachte. Normalerweise ließ Sabaco sich umständlich aus der Tür bitten. Es gab nicht viele, die einfach so vorbeischlüpften.

    Sabaco erwiderte den Blick seines Bruders. "Was meinst du, habe ich getan, als ich erfuhr, dass ich all das Geld, den Verzicht und die Mühen einem Kuckuck in den Rachen geschmissen habe, der sich in mein Nest gesetzt hatte und dessen Ei meine Frau ausbrütete? Was meinst du, tat ich, an dem Tag, an dem Gwendolyn und Catualda, dieses germanische Geschmeiß, mir meine Familie nahmen?"


    Bevor Ocella antworten konnte, hob Sabaco die Hand, damit er schwieg, um zu lauschen. Schritte erklangen auf dem Gang. Er erhob sich und ging zur Tür. Dort wurde er eines Verletzten ansichtig.


    "Suchst du was?"


    Sim-Off:

    Gut erkannt, Bro! Sabaco erzählt eine zu seinen Gunsten geschönte Variante.

    Die Anerkennung des kleinen Bruders nahm Sabaco mit einem Lächeln zur Kenntnis, ohne sie abzuwiegeln. Er verwahrte das Lob in seinen Gedanken und erfreute sich daran.


    Zum Thema Germanen wedelte er jedoch mit dem Finger. "Mit so einer Sichtweise bleiben wir in einer ewigen Verteidigungshaltung, lassen uns von den Barbaren ihre Regeln aufzwingen. Man muss sich entscheiden: Will man diesen Streifen Land? Wenn ja, dann muss man ihn auch kompromisslos an römisches Recht anpassen. Momentan hat man das Gefühl, dass die Germanen es sind, die hier die Gesetze machen, während wir ängstlich herumeiern, um sie keinesfalls zu provozieren. Was nützt uns diese Friedfertigkeit? Sie hat nicht funktioniert. Das tut sie nie."


    Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn, denn er hätte fast seinen kleinen Bruder verloren wegen des Kuschelkurses, der momentan gefahren wurde.


    "Man muss da anders herangehen. Aber nun ist ja der Caesar in Germania, der reißt unserem friedfertigen Legatus hoffentlich den fetten Arsch bis über beide Ohren auf!"


    Sabaco zog ein Bein hoch auf den Stuhl, dann das andere, so dass er im Schneidersitz zum sitzen kam. Nun stützte er die Ellbogen auf die Knie und bettete das Kinn in die Hände. Es würde eine umfangreichere Erzählung werden, doch andererseits ... Ocella hatte ja Zeit. Ein bisschen Stoff zum Nachdenken würde ihn von seiner Verwundung ablenken. Lange sah Sabaco seinen kleinen Bruder an und lauschte, ob Schritte nahten. Was er zu berichten hatte, war nur für die Ohren von Ocella bestimmt. Als er nichts hörte, begann er mit gesenkter Stimme seine lange Erzählung.


    Sim-Off:

    Ich hab das Blau der wörtlichen Rede für den langen Text entfernt; ist sonst zu schlecht lesbar auf dem dunklen Grund.


    "Die Geschichte von Gwendolyn möchtest du also hören. Ich wünschte, ich könnte sagen, sie war nur ein Fick, aber es gehört leider mehr dazu. Und wie jede meiner Geschichten ging auch diese schlecht aus. Höre also zu und lerne, damit du nicht die gleichen Fehler begehst, denn Gwendolyn stammte ab von Germanen und Inselkelten.


    Es begab sich eines regnerischen und kalten Frühlings just zu der Zeit, als Varro dich mitnahm. Erinnerst du dich? Wir beide waren bis dahin jeden Tag zusammen unterwegs. Alles, was ich konnte und wusste, habe ich dich gelehrt, von den Hausaufgaben bis hin zu den Körperstellen, an denen ein Gegner kampfunfähig gemacht werden kann. Für dich habe ich mich mit unserem alten Erzfeind Catualda geprügelt, dich in den Nächten gewärmt und in den Schlaf gesungen. Du warst meine Lebensaufgabe und ich habe sie gern erfüllt. Unsere Tage und Nächte waren turbulent, rau und kalt, aber auf ihre Weise fühlten sie sich gut an. Ich behaupte, wir waren zu keiner Zeit im Leben je wieder so frei im Herzen und im Geist.


    Nach einem größeren Brand, den ich gelegt hatte und der ein bisschen über das geplante Maß hinweg angewachsen war, tauchte auf einmal Gaius Germanicus Varro auf. Vielleicht war er ein Freund unseres Vaters gewesen, vielleicht war er nur gedankenlos, vielleicht hatte er ein Auge auf dich geworfen oder vielleicht hatte er einfach Spaß daran, mein Leben zu zerschlagen wie einen unliebsamen Tonkrug. Er nahm dich mit zu seinen Pferden, ließ dich die Tiere streicheln und versprach, dich das Reiten zu lehren, während ich dich suchte, ohne dich zu finden. Wir waren jung, es liegt mir fern, dir Vorwürfe zu machen ... aber als du dich verabschieden kamst, war ich von deiner Entscheidung enttäuscht. Jeden Tag wartete ich darauf, dass du es dir anders überlegst, ihm davonläufst und zu mir zurückkehrst. Doch du kamst nicht.


    Die Tage waren leer, die Nächte strichen dunkel an mir vorüber, während meine eigene Zeit eingefroren zu sein schien. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Varro unterwies dich nun an meiner Stelle, trieb dir wahrscheinlich alles aus, was ich dir je beigebracht hatte. Drängte sich an meinen Platz, beanspruchte dich in einem Ausmaß, das ihm nicht zustand. Und ich war nun ein großer Bruder ohne kleinen Bruder. Hast du dich je gefragt, warum Varro nur dich mitnahm und nicht mich? Warum er uns auseinanderriss? Ich fragte mich das tausendfach, aber ich fand keine Antwort. Schmerz braucht ein Ventil. Ich gab ihn weiter an jeden, der es verdiente, doch meinen Bruder brachte mir das nicht zurück.


    Es ist ein Naturgesetz, dass Leere gefüllt werden will. Man füllt alles Mögliche hinein, Wein vor allem, aber solche klaffenden Löcher scheinen einen Abfluss zu haben. Am Höhepunkt einer Zechnacht lernte ich Gwendolyn kennen. Ich war allein und sie war es auch. Die sentimentalen Einzelheiten erspare ich dir, lassen wir es dabei bewenden, dass es nicht bei dieser Nacht blieb. Eines Tages führte sie meine Hand auf ihren Bauch, der sich ganz hart anfühlte und einen komischen dunklen Streifen in der Mitte bekommen hatte. Sie trug ein Kind unter dem Herzen. Plötzlich, Ocella, war da wieder ein Sinn. Alles fügte sich. Ich habe sie umarmt und geküsst und ihr gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen. Alles wollte ich fortan besser machen. Unserem Kind würde es gut gehen, wir würden eine Familie sein. Den Namen Phoca streifte ich an jenem Tag ab, ich offenbarte ihr, wie ich wirklich hieß. So erfuhr sie auch dass ich nicht so ärmlich war, wie ich wirkte und sie sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen brauchte. Ich wollte sie beschützen, so wie ich dich zuvor beschützt hatte.


    Sie stellte mich ihren Eltern vor. Es waren Peregrini, die nach Hispania gekommen waren, um Wein anzubauen, doch der Verkauf hat nicht funktioniert. Sie lebten in Armut und die Mutter war eine Trinkerin. Was ich an Geld besaß, habe ich ihnen gegeben, die ich nun auch als meine Familie ansah. Ich verzichtete auf Wein und brach die Kontakte zu den Tunichtguts von der Straße ab. Huren waren damals kein Thema und sie sollten auch keins werden, denn ich wollte treu sein. Ich schrieb Gwendolyn seitenweise Gedichte, um meine überbordenden Gefühle auszudrücken, legte ihr mein Herz zu Füßen. Mit ihrem Vater schmiedete ich Pläne, wollte ihn zu meinem Klienten machen und ihm helfen, vernünftig Fuß zu fassen in Hispania, ich bezahlte auch einen Medicus für die Mutter. Vermutlich war ich zu dieser Zeit der Vorzeigesohn, den unser Vater sich all die Jahre gewünscht hätte, denn ich lief in standesgemäßer Kleidung herum, achtete auf mein Äußeres und organisierte alles, was es zu organisieren gab. Und ich muss zugeben ... ich war glücklich, Ocella. In mir war das Gefühl erwacht, nun angekommen zu sein. Gwendolyn wurde immer runder, man merkte die Füßchen des Kindes unter ihrer Haut, wir planten unsere Hochzeit für den Herbst. Und dann ..."


    Hinter seinem Blick schien sich eine Eisentür zu schließen.


    "... erwischte ich Gwendolyn mit Catualda."

    Sabaco sah dem Mann kurz nach, ohne dass in seiner Miene etwas zu lesen war. Er spürte, dass unterschiedliche Erwartungshaltungen an ihm zerrten. Während die einen meinten, er würde sich für ihre platten Kehrseiten interessieren, kaum dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte und nicht einmal auf den Gedanken kamen, dass ihre Dienstfähigkeit den für die Stärkemeldung zuständigen Suboptio auch dienstlich interessieren könnte, kam in anderen Ecken Unmut auf, wenn er einen dienstlichen Gruß dienstlich erwiderte. Da Sabaco hinsichtlich des bei der Classis von ihm erwarteten Umgangstons keine Instruktion erhalten hatte und sogar die Soldaten unterschiedliche Vorstellungen von der zu erwartenden Norm hatten, konnte er es nur falsch machen. Für die einen benahm er sich zu nahe, für die anderen zu herablassend, es würde ein ewiges Herumgeeier ergeben, wenn er sich davon beeindrucken ließ. Ein Rat von Oben wäre ihm zur Orientierung hilfreich gewesen, so aber war er auf sich allein gestellt und würde seinen Weg ohne Hilfe finden müssen.


    Gedanklich zuckte er mit den Schultern, körperlich blätterte er seine Seite seiner Aufzeichnungen um und überprüfte sein Wissen zu den kalten Zahlen: Wie schnell wurde die Navis lusoria mit wie vielen Ruderern, je im Durchschnitt und maximal, einmal mit dem Strom und einmal dagegen, alles jeweils in Abhängigkeit der mit dem Segel ausnutzbaren Windstärke. Sicher gab es eine mathematische Formel dafür, die würde ihn flexibler in der Kalkulation der Reisedauer machen und das Auswendiglernen ersparen, aber niemand hatte sie ihm verraten. Ärgerlich blickte er auf die Zahlen, überlegte, sie zum Ablesen der nicht enthaltenen Zwischenstufen in ein Koordinatensystem zu übertragen.


    Fahrig verscheuchte er eine Mücke, sie sich auf seinen Arm gesetzt hatte, die gute Laune war dahin. Bei aller zur Schau getragenen Gelassenheit ließ ihn die Begegnung erneut daran denken, was man ihm genommen hatte an dem Tag, als man ihr harmonierendes Contubernium in der IX Hispana auseinanderriss, weil umgeplant wurde, und man einen von ihnen ins ferne Cappadocia schickte und den anderen nach Germania, während der Rest der Zeltgemeinschaft wie ein verstümmelter Körper zurückblieb. Er fragte sich, wen man bestechen oder bedrohen musste, um die Trennung rückgängig zu machen. Er war Mitglied des Ordo Equester ... wenn er Landbesitz hätte, stünden ihm andere Möglichkeiten offen, vielleicht ausreichende Möglichkeiten. Und warum antwortete Stilo nicht auf seinen Brief?


    Er fuhr sich über das Gesicht und starrte erneut auf die Tabelle, ratterte die Zahlenkolonnen durch sein Hirn wie ein Reinigungskommando. An etwas Außerdienstliches zu denken war nicht gut. Dort lag nur Schwärze, in welche Richtung er auch sah.

    "Ich habe gewartet, bis du mich rausschmeißt", antwortete Sabaco ehrlich. "Ich wollte nicht wegschleichen, weil das nicht gut kommt. Es könnte falsch verstanden werden. Aber jetzt, da du wach bist, gehe ich."


    Als er auf beiden Füßen stand, die Caligae noch schlammig von gestern, lockerte er kurz die Schultern und das Genick . "Ich lag übrigens auf dem Boden, weil du mich dort abgekippt hast, Nero." Dann holte er seine Kladde aus der Gürteltasche. Er legte ein Papyrus mit Poesie-Notizen obenauf, als hätte er die Kladde soeben als Unterlage verwendet, und klemmte den Zettel mit seinen Fingern fest. Dann öffnete er die Tür und machte eine Halbdrehung hinaus.


    "Gut, dass wir das noch vor Dienstbeginn klären konnten, Gubernator. Danke für alles und Vale."


    Er wedelte wichtig mit der Kladde, machte einen Salut und grinste Nero durch die Tür unbotmäßig breit entgegen, ehe er die Tür mit dem Fuß hinter sich zuknallte und im Laufschritt zum Dienst verschwand. Er war ein bisschen spät dran, würde aber noch pünktlich kommen, wenn er sich beeilte und das Frühstück kalt herunterschlang. Den Kater spürte er deutlich, ihm war übel und sein Schädel dröhnte, doch das interessierte ihn nicht weiter. Er war glücklich. Seine Marini würden heute einen sehr harmonischen Diensttag mit ihrem Suboptio navalorum erleben.

    "Ja ... dann kannst du wegtreten und mit deinem Kram weitermachen", meinte Sabaco, dem gefiel, dass die Marini mitdachten und sich um ihre Aufgaben kümmerten, ohne dass er sie ihnen hatte sagen müssen. Ihm selbst waren keine Mängel oder Beschädigungen der Keto aufgefallen, aber die Marini waren, was das anging, erfahrener und fanden vielleicht etwas, das ihm entgangen war. Dann würde er sich das zeigen lassen.


    Er erspähte Optio Terentius Ruga, der sein eigenes Schiff begutachtete. Elektra hieß sie, wie die Mutter der Harpyien. Keto war die Mutter der Gorgonen. Scheinbar waren die Namen der Schiffe aufeinander abgestimmt, das gefiel ihm. Sabaco sah Ruga zu, wie er vorging, in welche Ecken er länger schaute, ehe der Optio sich wieder verdrückte. Dessen Schiff konnte auf eine längere Geschichte zurückblicken als das seine. Die Geschichte der Keto aber nahm mit Sabacos Mannschaft ihren Anfang. Er gedachte, sie gut zu schreiben.


    Vielleicht mal wieder Anlass für ein Gedicht ...

    Sabaco erwachte noch vor dem Signal des Weckhorns. Die Zeiten waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Als er die Augen öffnete, wurde ihm bewusst, wo er lag. Heilige Scheiße. Er lag beim Gubernator im Bett und hatte ihm vermutlich die Ohren voll geschnarcht und ihm das Bett voll gefurzt. Wahrscheinlich bereute Nero bitter seine versoffene Freundlichkeit. Vorsichtig hob Sabaco das Bein herunter, was er im Schlaf über Nero gelegt hatte. Er konnte sich nicht wortlos davonstehlen wie nach einem Einmal-Fick, denn das Davonschleichen setzte auch das entsprechende Signal: Dass er keine Fortführung des Kontaktes wünschte. Aber das stimmte nicht. Er konnte jedoch auch nicht aufstehen, sich in Neros Wohnung breitmachen und an dem Inventar bedienen, wie wenn er bei einem Kumpel gepennt hätte. Eigentlich konnte er nur warten. Keine schlechte Lösung. Nero musste ihn rausschmeißen. Sabaco würde hier liegenbleiben wie ein schwerer Sack Weizen. Sabaco kuschelte sich tiefer unter seiner Deckenhälfte ein und floss genüsslich breit.


    Das Horn ertönte und der Weckruf klang durch die Castra. Der brachte selbst Tote zum Aufspringen. Sabaco aber lag ganz still.

    "Salve, Miles ... rühren", antwortete Sabaco etwas abwesend, da er gerade gedanklich beim Stoff gewesen war. Der Rotschopf war Ansgar. Die Namen seiner Marini beherrschte er schon einige Zeit sicher. "Steht was an oder sitze ich nur zufällig gerade in deinem Weg?" Wenn der extra Haltung annahm, anstatt nach dem Gruß vorbeizutrampeln, konnte es sein, dass er irgendwas wissen wollte.

    "Sieht so weit ganz gut aus die Wunde. Du hast abgenommen, das ist nicht gut, iss mal mehr. Und lass dir Zeit mit der Genesung, aufbrechende Narben sehen aus wie ein geplatztes Würstchen und fühlen sich auch so an. Würden diese Barbarenschweine noch leben, hätte ich diesen Fehler behoben und sie zu ihren Göttern geschickt. Von welchem Kackstamm waren die, weißt du das? Der braucht eine Strafexpedition. So was muss man ausräuchern mit Stumpf und Stiel."


    Von der Sache her war Sabaco niemand, der meinte, dass alle Römer anständig seien und alle Barbaren finstere Gesellen. Bei der Classis dienten anständige Germanen und auf die Ala traf das Gleiche zu. Genau so gab es haufenweise Arschloch-Römer. Aber wo ein einzelner Stamm dermaßen aggressiv agierte, musste man aufhören, dem Individuum neutral gegenüberzustehen. Die Dörfer waren Brutnester, die man ausräuchern musste, weil sie immer wieder neue Krieger ausspien, die Frauen Brutmütter, die Kinder ekelhafte Larven, aus denen neue Brutmütter und neue Krieger wurden, wenn man sie nicht rechtzeitig ersäufte. Sie waren Ungeziefer. Und so mochte Sabaco es auch nicht leiden, wenn Ocella allzu sehr von deren Weibsvolk schwärmte ... die germanischen Frauen standen den Kriegern an Heimtücke in nichts nach.


    "Wenn es dir besser geht, erzähle ich dir von Gwendolyn", entschied er.


    "Stimmt ... der Gubernator ... mit einem Paddel als Waffe. Klingt gut. Stilo erzählte mal Ähnliches von dem Theater in Satala, das damit wirbt, die hässlichsten Schauspieler der Welt zu haben. Die Aufführungen sind eher witzig gestaltet." Bei der Vorstellung kratzte er sich grinsend die Brust. So eine Darbietung in der Arena würde ihm gefallen. Ohne viel Blutvergießen, denn wer sah schon gern seinen Favoriten abkratzen, dafür mit spektakulär choreografierten Kampfeinlagen.


    "Ein Gubernator ist ein Steuermann, der gehört zum nautischen Zweig der Flotte. Für unsere Navis lusoria brachen wir allerdings keinen. Du kennst diesen Schiffstyp, du kannst nur den Namen gerade nicht zuordnen - es sind diese flachen, langen Patrouillenschiffe, die ständig den Rhenus auf und ab fahren. So eins darf ich leiten." Man hörte ihm an, dass er sich darauf freute.

    Auf den Gedanken, den Bruder in seinem marodierten Zustand zu klapsen oder mit der Faust zu knuffen kam Sabaco nicht. Stattdessen wartete, wie kräftig Ocella ihn umarmte und dann umarmte er ihn genau so fest (oder auch nicht fest) zurück.


    "Ich sprach von dem Schwein, das dir das angetan hat, Ocella. Du bist keine Sau." Obwohl der Kleine gern so tat und die meisten es glaubten. "Wenn dieser Bastard noch lebend rumläuft, gib mir eine Beschreibung. Ich finde heraus, wer das ist und dann häute ich ihn. Wie geht es dir jetzt, was hast du überhaupt für eine Verletzung?!" Ein Schlag auf den Kopf schien es nicht gewesen zu sein, der sah normal aus und Ocella hatte auch nicht sein Sprachvermögen eingebüßt, was durchaus vorkam, wenn man so einen Hieb überlebte.


    "Ja, die Arbeit bei der Classis ist ganz mein Ding und die Vorgesetzten sind anständig." Selbst der bekloppte Terentius Ruga war bislang eigentlich in Ordnung, Sabaco konnte ihn bloß nicht leiden. "Der eine Gubernator hat neulich mit mir gesoffen und gemeint, dass es in Flussmuscheln Perlen gibt. Wenn es wärmer wird, will ich mein Glück mal versuchen. Wir machen außerdem bald die erste Flusspatrouille. Mit zwei Naves lusoriae."

    <<< RE: Porta praetoria – Haupttor (Vor dem Betreten des Lagers bitte hier anmelden!)


    Die Mitarbeiter des Valetudinariums bekamen es mit einem sehr angespannt wirkenden Besucher zu tun. Sabaco sah aus, als würde er jedem, dem er begegnete, das Genick brechen wollen. Im Laufe der Jahre hatte man ihm jedoch ein brauchbares Maß an Disziplin eingeprügelt und er wollte nur so schnell wie möglich zu seinem kleinen Bruder. Sein Gesichtsausdruck lockerte sich, als er nach kurzem Klopfen in den Raum trat. Blass und zerknittert lag Ocella auf seinem Kopfkissen. Sabaco zerrte sich einen Stuhl an das Bett und musterte das Brüderchen mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn.


    "Ist die Sau tot oder ist das noch zu erledigen?"

    Sabaco hatte des Tages eine innere Unruhe erfasst. Fahrig versah er seinen Dienst, raunzte die Leute mehr als nötig an. Etwas in ihm schrie danach, hier fortzulaufen und sein Herz begann zu rasen. Das Gefühl war nicht neu, doch normalerweise kannte er die Ursachen. Auch nach ausgiebigem Nachdenken fiel ihm keine ein. Hatte er es geschafft, sich zugrunde zu trinken? Das Sacellum bot ihm weder Antwort nach Trost. Dort erfuhr er von demjenigen, der gerade die Feldzeichen bewachte, dass die Ala in ein schweres Gefecht verwickelt gewesen war und neben vielen guten Männern auch ihren Subpraefectus verloren hatte. Sabaco glaubte, in einen bodenlosen Brunnen zu stürzen. Er musste erfahren, wie es Ocella ging. Musste sich davon überzeugen, dass es nur das Wetter war oder irgendeine unterdrückte Erinnerung, die ihn plagte.


    "Salve", schnarrte er also nach Dienstschluss an der Porta der Ala II Numidia den Wachposten an. Seine Blicke tasteten umher, als würden sie in jedem Winkel der Umgebung nach einer Gefahr suchen. "Suboptio navalorum Matinius Sabaco, Bruder vom Vexillarius Matinius Ocella. Kann ich meinen Bruder sehen? Ich habe von dem Gefecht gehört. Ich muss wissen, dass es ihm gut geht."

    Sabaco war ein Kurzschwanz von einem arroganten Optio zum Vorgesetzten gegeben worden, den er von der ersten Sekunde ihrer ersten Begegnung an hasste, weil dieser ihn hochnäsig angeschaut hatte. Das sorgte dafür, dass Sabaco trotz Brummschädel nach Dienstschluss an den Liegeplätzen der Schiffseinheiten eine Besichtigung unternahm, um sich auf die Patrouille vorzubereiten. Unter den Arm geklemmt trug er eine Holzkladde voller Notizen. Vor diesem Arschloch Terentius Ruga, der die Patrouille führte, würde ihm kein Fehler unterlaufen.


    Mit kritischem Blick untersuchte Sabaco die Navis lusoria, mit der er seine Patrouillenfahrt antreten würde. Er hatte sich über diesen Schiffstyp informiert. "Tänzelndes Schiff" bedeutete ihr Name aufgrund ihrer Wendigkeit. Sie war nur 3 m schmal, dabei 20 m lang. Die Bordhöhe betrug nicht mal einen Meter. Diese leichte Bauweise ließ sie durch die Wellen gleiten wie ein heißes Messer durch Mutter, bei größtmöglicher Wendigkeit. Allerdings machte es sie auch anspruchsvoll zu manövrieren. Sabaco stieg auf den Wellentänzer und stellte entzückt fest, dass die Galeonsfigur oberhalb des Rammsporns ein stilisierter Hippocampus war. Der auf den Rumpf gepinselter Name lautete Keto*, wie das Meeresungeheuer, welches die Mutter aller Gorgonen war. Ein sympathisches Schiff.


    Das Holz wirkte noch recht neu, das Schiff stammte vom letzten Jahr. Auch darüber hatte Sabaco sich schlau gemacht. Die Keto bestand ganz aus Eichenholz. Die Bäume waren dazu fünf Jahre vor dem Fällen entrindet worden, so dass sie abstarben, und hatten durch Wind und Sonne trocknen können, bis sie gefällt und verwertet worden waren. Die Schiffsnägel bestanden aus Reineisen und waren nach dem Erhitzen in warmes Leinöl getaucht worden, um ihre Oberfläche maximal zu glätten. So wurden sie ziemlich resistent gegen die Gerbsäure in den Eichenholzplanken.


    So weit, so schön, Sabaco schaute sich den Rest an. Die Ruderer wurden geschützt durch Rundschilde an der Reling. Da ein Rahsegel das Schiff nur dann bewegt hätte, wenn der Wind genau von hinten blies, griff man stattdessen auf ein dreieckiges Lateiner-Segel zurück. So konnte man härter am Wind drehen und den Ruderern viel Arbeit abnehmen. Manche bevorzugten trotzdem Rah-Segel, aber der Verantwortliche für die Rhenusflotte gehörte nicht dazu - zumindest nicht in jedem Fall. Die Keto besaß jedenfalls ein Dreieckssegel.


    Sabaco setzte sich auf eine Ruderbank und blätterte in Ruhe seine Aufzeichnungen durch, um sich die Theorie einzuprägen. Er kam ursprünglich von der Legio und musste sich die Dinge, die anderen hier längst in Fleisch und Blut übergegangen waren, mühsam erarbeiten. Dinge auswendig zu lernen fiel ihm jedoch leicht und beim Abgleich der Notizen mit seinem Gedächtnis stellte er fest, dass er das meiste schon verinnerlicht hatte, was es über die Naves lusoriae zu wissen gab:


    Sie gehörten sie zur Kategorie der kleinen, schnellen Militärschiffe, mit denen auch seichte und unübersichtliche Flussbereiche befahren werden konnten. Die übliche Besatzung bestand aus 30 gut ausgebildeten und ebenso gut bewaffneten Soldaten, 15 auf jeder Seite, die sowohl ruderten als auch Kampfeinsätze bestritten. Weitere 5 Soldaten schleuderten Geschosse in die Reihen der Angreifer. Diese Besatzung hatte keine Mühe, ihre Einsätze auch über 12 Stunden ununterbrochen zu fahren, wobei sie ein Vielfaches der Strecke zurücklegten, die ein Reiter schaffen würde.** Mit nur 6 verbliebenen Ruderern war es aufgrund der Leichtbauweise immer noch möglich, das Schiff gegen die Strömung zu rudern.


    Nautae hatten sie nicht an Bord. Flusspatrouillenboote wurden von Marini persönlich gerudert, und mit der Navigation auf dem Fluss waren diese auch nicht überfordert. Nautische Offiziere waren nicht zwingend nötig, auch wenn sie trotzdem manchmal an Bord waren. Für ihre Patrouille würde das nautische Personal daheim im Castellum bleiben. Leider hieß das auch, dass Sabaco nicht diese Ratte von einem undankbaren Nauta Seppi als Überborder in den Fluss schmeißen konnte, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Die seltenen Anwandlungen von Freundlichkeit eines Sabaco wies man nicht ungestraft ab und Seppi hatte seither kein leichtes Leben mehr.


    Alles in allem war die Keto in einem tadellosen Zustand. Falls Terentius Ruga hoffte, dass Sabaco sich bei seiner ersten Flusspatrouille anstellte wie der Anfänger, der er war - was er zweifelsohne hoffte - würde er enttäuscht werden. Sabaco hatte seine Hausaufgaben gemacht. Er blieb noch ein bisschen sitzen, um im frühsommerlichen Abendrot zu lernen, wobei er sich nicht von den zahlreichen Mücken stören ließ, die zur Abenddämmerung aus dem Schilf stiegen.



    Sim-Off:

    ** ca. 100 km / Tag

    Sabaco erwachte, weil sein Körper zwischen dem warmen Nero und der kalten Wand eingequetscht wurde. Sie lagen zu zweit in einem Bett, in das nur einer hineingepasst hätte. Auf der anderen Seite des Raumes knisterte im Ofen leise das heruntergebrannte Feuer.


    Er hörte auf den Herzschlag eines anderen, den leisen Atem und sog den Geruch von Neros durchgeschwitzter Kleidung in die Nase. Alles war gut. Sabaco musste am nächsten Morgen nur aufpassen, dass man ihn nicht dabei erwischte, wie er aus der Unterkunft des Gubernators kam. Die Leute waren alle verzärtelt und er konnte hier nicht jedem aufs Maul hauen, der es verdiente.


    Sabaco rückte sich noch etwas bequemer zurecht. Er schnaufte entspannt, als der Schlaf ihn erneut empfing, traumlos, doch ohne das Gefühl, darin zu verschwinden.