Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Sabaco erwachte noch vor dem Signal des Weckhorns. Die Zeiten waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Als er die Augen öffnete, wurde ihm bewusst, wo er lag. Heilige Scheiße. Er lag beim Gubernator im Bett und hatte ihm vermutlich die Ohren voll geschnarcht und ihm das Bett voll gefurzt. Wahrscheinlich bereute Nero bitter seine versoffene Freundlichkeit. Vorsichtig hob Sabaco das Bein herunter, was er im Schlaf über Nero gelegt hatte. Er konnte sich nicht wortlos davonstehlen wie nach einem Einmal-Fick, denn das Davonschleichen setzte auch das entsprechende Signal: Dass er keine Fortführung des Kontaktes wünschte. Aber das stimmte nicht. Er konnte jedoch auch nicht aufstehen, sich in Neros Wohnung breitmachen und an dem Inventar bedienen, wie wenn er bei einem Kumpel gepennt hätte. Eigentlich konnte er nur warten. Keine schlechte Lösung. Nero musste ihn rausschmeißen. Sabaco würde hier liegenbleiben wie ein schwerer Sack Weizen. Sabaco kuschelte sich tiefer unter seiner Deckenhälfte ein und floss genüsslich breit.


    Das Horn ertönte und der Weckruf klang durch die Castra. Der brachte selbst Tote zum Aufspringen. Sabaco aber lag ganz still.

    "Salve, Miles ... rühren", antwortete Sabaco etwas abwesend, da er gerade gedanklich beim Stoff gewesen war. Der Rotschopf war Ansgar. Die Namen seiner Marini beherrschte er schon einige Zeit sicher. "Steht was an oder sitze ich nur zufällig gerade in deinem Weg?" Wenn der extra Haltung annahm, anstatt nach dem Gruß vorbeizutrampeln, konnte es sein, dass er irgendwas wissen wollte.

    "Sieht so weit ganz gut aus die Wunde. Du hast abgenommen, das ist nicht gut, iss mal mehr. Und lass dir Zeit mit der Genesung, aufbrechende Narben sehen aus wie ein geplatztes Würstchen und fühlen sich auch so an. Würden diese Barbarenschweine noch leben, hätte ich diesen Fehler behoben und sie zu ihren Göttern geschickt. Von welchem Kackstamm waren die, weißt du das? Der braucht eine Strafexpedition. So was muss man ausräuchern mit Stumpf und Stiel."


    Von der Sache her war Sabaco niemand, der meinte, dass alle Römer anständig seien und alle Barbaren finstere Gesellen. Bei der Classis dienten anständige Germanen und auf die Ala traf das Gleiche zu. Genau so gab es haufenweise Arschloch-Römer. Aber wo ein einzelner Stamm dermaßen aggressiv agierte, musste man aufhören, dem Individuum neutral gegenüberzustehen. Die Dörfer waren Brutnester, die man ausräuchern musste, weil sie immer wieder neue Krieger ausspien, die Frauen Brutmütter, die Kinder ekelhafte Larven, aus denen neue Brutmütter und neue Krieger wurden, wenn man sie nicht rechtzeitig ersäufte. Sie waren Ungeziefer. Und so mochte Sabaco es auch nicht leiden, wenn Ocella allzu sehr von deren Weibsvolk schwärmte ... die germanischen Frauen standen den Kriegern an Heimtücke in nichts nach.


    "Wenn es dir besser geht, erzähle ich dir von Gwendolyn", entschied er.


    "Stimmt ... der Gubernator ... mit einem Paddel als Waffe. Klingt gut. Stilo erzählte mal Ähnliches von dem Theater in Satala, das damit wirbt, die hässlichsten Schauspieler der Welt zu haben. Die Aufführungen sind eher witzig gestaltet." Bei der Vorstellung kratzte er sich grinsend die Brust. So eine Darbietung in der Arena würde ihm gefallen. Ohne viel Blutvergießen, denn wer sah schon gern seinen Favoriten abkratzen, dafür mit spektakulär choreografierten Kampfeinlagen.


    "Ein Gubernator ist ein Steuermann, der gehört zum nautischen Zweig der Flotte. Für unsere Navis lusoria brachen wir allerdings keinen. Du kennst diesen Schiffstyp, du kannst nur den Namen gerade nicht zuordnen - es sind diese flachen, langen Patrouillenschiffe, die ständig den Rhenus auf und ab fahren. So eins darf ich leiten." Man hörte ihm an, dass er sich darauf freute.

    Auf den Gedanken, den Bruder in seinem marodierten Zustand zu klapsen oder mit der Faust zu knuffen kam Sabaco nicht. Stattdessen wartete, wie kräftig Ocella ihn umarmte und dann umarmte er ihn genau so fest (oder auch nicht fest) zurück.


    "Ich sprach von dem Schwein, das dir das angetan hat, Ocella. Du bist keine Sau." Obwohl der Kleine gern so tat und die meisten es glaubten. "Wenn dieser Bastard noch lebend rumläuft, gib mir eine Beschreibung. Ich finde heraus, wer das ist und dann häute ich ihn. Wie geht es dir jetzt, was hast du überhaupt für eine Verletzung?!" Ein Schlag auf den Kopf schien es nicht gewesen zu sein, der sah normal aus und Ocella hatte auch nicht sein Sprachvermögen eingebüßt, was durchaus vorkam, wenn man so einen Hieb überlebte.


    "Ja, die Arbeit bei der Classis ist ganz mein Ding und die Vorgesetzten sind anständig." Selbst der bekloppte Terentius Ruga war bislang eigentlich in Ordnung, Sabaco konnte ihn bloß nicht leiden. "Der eine Gubernator hat neulich mit mir gesoffen und gemeint, dass es in Flussmuscheln Perlen gibt. Wenn es wärmer wird, will ich mein Glück mal versuchen. Wir machen außerdem bald die erste Flusspatrouille. Mit zwei Naves lusoriae."

    <<< RE: Porta praetoria – Haupttor (Vor dem Betreten des Lagers bitte hier anmelden!)


    Die Mitarbeiter des Valetudinariums bekamen es mit einem sehr angespannt wirkenden Besucher zu tun. Sabaco sah aus, als würde er jedem, dem er begegnete, das Genick brechen wollen. Im Laufe der Jahre hatte man ihm jedoch ein brauchbares Maß an Disziplin eingeprügelt und er wollte nur so schnell wie möglich zu seinem kleinen Bruder. Sein Gesichtsausdruck lockerte sich, als er nach kurzem Klopfen in den Raum trat. Blass und zerknittert lag Ocella auf seinem Kopfkissen. Sabaco zerrte sich einen Stuhl an das Bett und musterte das Brüderchen mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn.


    "Ist die Sau tot oder ist das noch zu erledigen?"

    Sabaco hatte des Tages eine innere Unruhe erfasst. Fahrig versah er seinen Dienst, raunzte die Leute mehr als nötig an. Etwas in ihm schrie danach, hier fortzulaufen und sein Herz begann zu rasen. Das Gefühl war nicht neu, doch normalerweise kannte er die Ursachen. Auch nach ausgiebigem Nachdenken fiel ihm keine ein. Hatte er es geschafft, sich zugrunde zu trinken? Das Sacellum bot ihm weder Antwort nach Trost. Dort erfuhr er von demjenigen, der gerade die Feldzeichen bewachte, dass die Ala in ein schweres Gefecht verwickelt gewesen war und neben vielen guten Männern auch ihren Subpraefectus verloren hatte. Sabaco glaubte, in einen bodenlosen Brunnen zu stürzen. Er musste erfahren, wie es Ocella ging. Musste sich davon überzeugen, dass es nur das Wetter war oder irgendeine unterdrückte Erinnerung, die ihn plagte.


    "Salve", schnarrte er also nach Dienstschluss an der Porta der Ala II Numidia den Wachposten an. Seine Blicke tasteten umher, als würden sie in jedem Winkel der Umgebung nach einer Gefahr suchen. "Suboptio navalorum Matinius Sabaco, Bruder vom Vexillarius Matinius Ocella. Kann ich meinen Bruder sehen? Ich habe von dem Gefecht gehört. Ich muss wissen, dass es ihm gut geht."

    Sabaco war ein Kurzschwanz von einem arroganten Optio zum Vorgesetzten gegeben worden, den er von der ersten Sekunde ihrer ersten Begegnung an hasste, weil dieser ihn hochnäsig angeschaut hatte. Das sorgte dafür, dass Sabaco trotz Brummschädel nach Dienstschluss an den Liegeplätzen der Schiffseinheiten eine Besichtigung unternahm, um sich auf die Patrouille vorzubereiten. Unter den Arm geklemmt trug er eine Holzkladde voller Notizen. Vor diesem Arschloch Terentius Ruga, der die Patrouille führte, würde ihm kein Fehler unterlaufen.


    Mit kritischem Blick untersuchte Sabaco die Navis lusoria, mit der er seine Patrouillenfahrt antreten würde. Er hatte sich über diesen Schiffstyp informiert. "Tänzelndes Schiff" bedeutete ihr Name aufgrund ihrer Wendigkeit. Sie war nur 3 m schmal, dabei 20 m lang. Die Bordhöhe betrug nicht mal einen Meter. Diese leichte Bauweise ließ sie durch die Wellen gleiten wie ein heißes Messer durch Mutter, bei größtmöglicher Wendigkeit. Allerdings machte es sie auch anspruchsvoll zu manövrieren. Sabaco stieg auf den Wellentänzer und stellte entzückt fest, dass die Galeonsfigur oberhalb des Rammsporns ein stilisierter Hippocampus war. Der auf den Rumpf gepinselter Name lautete Keto*, wie das Meeresungeheuer, welches die Mutter aller Gorgonen war. Ein sympathisches Schiff.


    Das Holz wirkte noch recht neu, das Schiff stammte vom letzten Jahr. Auch darüber hatte Sabaco sich schlau gemacht. Die Keto bestand ganz aus Eichenholz. Die Bäume waren dazu fünf Jahre vor dem Fällen entrindet worden, so dass sie abstarben, und hatten durch Wind und Sonne trocknen können, bis sie gefällt und verwertet worden waren. Die Schiffsnägel bestanden aus Reineisen und waren nach dem Erhitzen in warmes Leinöl getaucht worden, um ihre Oberfläche maximal zu glätten. So wurden sie ziemlich resistent gegen die Gerbsäure in den Eichenholzplanken.


    So weit, so schön, Sabaco schaute sich den Rest an. Die Ruderer wurden geschützt durch Rundschilde an der Reling. Da ein Rahsegel das Schiff nur dann bewegt hätte, wenn der Wind genau von hinten blies, griff man stattdessen auf ein dreieckiges Lateiner-Segel zurück. So konnte man härter am Wind drehen und den Ruderern viel Arbeit abnehmen. Manche bevorzugten trotzdem Rah-Segel, aber der Verantwortliche für die Rhenusflotte gehörte nicht dazu - zumindest nicht in jedem Fall. Die Keto besaß jedenfalls ein Dreieckssegel.


    Sabaco setzte sich auf eine Ruderbank und blätterte in Ruhe seine Aufzeichnungen durch, um sich die Theorie einzuprägen. Er kam ursprünglich von der Legio und musste sich die Dinge, die anderen hier längst in Fleisch und Blut übergegangen waren, mühsam erarbeiten. Dinge auswendig zu lernen fiel ihm jedoch leicht und beim Abgleich der Notizen mit seinem Gedächtnis stellte er fest, dass er das meiste schon verinnerlicht hatte, was es über die Naves lusoriae zu wissen gab:


    Sie gehörten sie zur Kategorie der kleinen, schnellen Militärschiffe, mit denen auch seichte und unübersichtliche Flussbereiche befahren werden konnten. Die übliche Besatzung bestand aus 30 gut ausgebildeten und ebenso gut bewaffneten Soldaten, 15 auf jeder Seite, die sowohl ruderten als auch Kampfeinsätze bestritten. Weitere 5 Soldaten schleuderten Geschosse in die Reihen der Angreifer. Diese Besatzung hatte keine Mühe, ihre Einsätze auch über 12 Stunden ununterbrochen zu fahren, wobei sie ein Vielfaches der Strecke zurücklegten, die ein Reiter schaffen würde.** Mit nur 6 verbliebenen Ruderern war es aufgrund der Leichtbauweise immer noch möglich, das Schiff gegen die Strömung zu rudern.


    Nautae hatten sie nicht an Bord. Flusspatrouillenboote wurden von Marini persönlich gerudert, und mit der Navigation auf dem Fluss waren diese auch nicht überfordert. Nautische Offiziere waren nicht zwingend nötig, auch wenn sie trotzdem manchmal an Bord waren. Für ihre Patrouille würde das nautische Personal daheim im Castellum bleiben. Leider hieß das auch, dass Sabaco nicht diese Ratte von einem undankbaren Nauta Seppi als Überborder in den Fluss schmeißen konnte, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Die seltenen Anwandlungen von Freundlichkeit eines Sabaco wies man nicht ungestraft ab und Seppi hatte seither kein leichtes Leben mehr.


    Alles in allem war die Keto in einem tadellosen Zustand. Falls Terentius Ruga hoffte, dass Sabaco sich bei seiner ersten Flusspatrouille anstellte wie der Anfänger, der er war - was er zweifelsohne hoffte - würde er enttäuscht werden. Sabaco hatte seine Hausaufgaben gemacht. Er blieb noch ein bisschen sitzen, um im frühsommerlichen Abendrot zu lernen, wobei er sich nicht von den zahlreichen Mücken stören ließ, die zur Abenddämmerung aus dem Schilf stiegen.



    Sim-Off:

    ** ca. 100 km / Tag

    Sabaco erwachte, weil sein Körper zwischen dem warmen Nero und der kalten Wand eingequetscht wurde. Sie lagen zu zweit in einem Bett, in das nur einer hineingepasst hätte. Auf der anderen Seite des Raumes knisterte im Ofen leise das heruntergebrannte Feuer.


    Er hörte auf den Herzschlag eines anderen, den leisen Atem und sog den Geruch von Neros durchgeschwitzter Kleidung in die Nase. Alles war gut. Sabaco musste am nächsten Morgen nur aufpassen, dass man ihn nicht dabei erwischte, wie er aus der Unterkunft des Gubernators kam. Die Leute waren alle verzärtelt und er konnte hier nicht jedem aufs Maul hauen, der es verdiente.


    Sabaco rückte sich noch etwas bequemer zurecht. Er schnaufte entspannt, als der Schlaf ihn erneut empfing, traumlos, doch ohne das Gefühl, darin zu verschwinden.

    <<< RE: Portus Mogontiaci - Der Hafen


    Sabaco erwachte grunzend, als das Wiegen aufhörte und seine Unterlage sich in etwas Hartes wandelte. Man hatte ihn abgelegt. Sie mussten in der Castra sein. Mit trübem Blick sah er sich um und erkannte nichts wieder. Er hatte keine Ahnung, wo genau er sich befand. Aber Nero kuschelte sich gerade in seinem Bett zurecht und pennte dann da oben ein. Ein Freund wäre zur Seite gerückt. Aber sie waren keine Freunde, sie hatten nur zusammen getrunken.


    Mit verquollenen Augen blickte Sabaco in Richtung Tür, die ständig aus seinem Blickfeld wanderte, weil der Raum zu kreisen schien, was zuckende Kopfbewegungen von ihm zur Folge hatte, um die Tür nicht aus den Augen zu verlieren. In den Gang hinaus zu wanken kam nicht infrage, das wusste er selbst im Vollrausch. Volltrunken zeigte man sich nicht in der Castra, das gab extremen Ärger, besonders als Unteroffizier. Die Schlussfolgerung war simpel und in seinem Zustand noch zu ziehen.


    Er zog sich ein Kissen vom Stuhl, stopfte es im Liegen unter seinen Kopf und ließ Arme und Beine fallen, wo sie sich gerade befanden. Sabaco sank ins Dunkel und es verschluckte seine Gedanken, seine Ängste, seine Wünsche und Erinnerungen. Es verschluckte ihn ganz, traumlos und absolut.

    So riesig, wie Sabaco quer über den Schultern des Gubernators hing, konnte man Zweifel bekommen, ob er sich den Namen phoca einst wirklich selbst gegeben hatte, denn er erinnerte gerade an eine fette, zufriedene Robbe. Andere hätten vielleicht ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn jemand, der ein gutes Stück älter war als man selbst und deutlich leichter, einen wegen Trunkenheit schleppen musste. Sabaco fläzte auf dem Gubernator wie auf einer Sandbank oder einem wandelnden Thron.


    "Ich sag gar nichts hierüber, Nero ... sonst erzählst du rum, dass ich dichte."


    Er schaute in die kleine Amphore mit dem Wein, die er immer noch in der Hand hielt, und bewegte sie kreiselnd. Da war noch was drin. Der Gubernator konnte spüren, wie Sabacos Muskulatur sich anspannte, als er den Rest austrank und die Amphore dann hinter ihnen auf die Straße schleuderte, wo sie klirrend zerbarst. Dann machte er es sich wieder gemütlich und wurde schlaff wie ein nasser Sack.

    Da war sie wieder, die poetische Ader von Nero, die er sogar jetzt noch zeigte, während er Sabaco buckelte. Wahrscheinlich dichtete er noch, wenn sein Kahn unterging und seine letzten Worte waren Geblubber, das sich reimte. "Ich lad dich ein", versprach Sabaco. "Du kannst fressen, bis du platzt und so viel trinken, bis es dir zu den Ohren rausläuft. Ich schulde dir was."


    Viele Soldaten des Exercitus Romanus waren drahtig gebaut. Sie trainierten täglich und wurden gut ernährt, aber man achtete auch darauf, dass die Portionen nicht über das vernünftige Maß ausfielen. Das hatte logistische Gründe - eine Legio samt allem, was darin kreuchte, fraß am Tag elf Tonnen Getreide*, die organisiert, finanziert und transportiert werden wollte. Die strenge Rationierung hatte aber auch alltagspraktische Bewandtnis, denn ein schwerer Soldat hatte beim Marschieren am eigenen Gewicht zu schleppen.


    Und trotzdem gab es sie, die Wuchtbrummen, die es schafften, ihr Gewicht auf zwei Zentnern zu halten, indem sie bei den Kameraden schnorrten oder tauschten, in die umliegenden Tabernae und Garküchen einkehrten oder einfach die entsprechende Veranlagung besaßen. Sabaco, von Natur aus groß und mit stabilem Knochenbau gesegnet, vor allem mit gesundem Appetit, gehörte dazu. Zwei Zentner wog er, die nun quer über den Schultern des Gubernators hingen und sich dort wohlfühlten.


    'Schlepp mich, Pferdchen', befahl er gedanklich. Er sprach aus: "Ab morgen kann ich allen erzählen, dass ich den Gubernator geritten habe."


    "Flussperlmuschel", sinnierte er. Er würde nie eine finden. Nie fand er irgendwas Wertvolles. Als Kind hatte er bunte Kiesel für Edelsteine gehalten und Erzeinschlüsse für Silber. Eine Schatztruhe voller Müll. Heute waren ihm die Götter hold - Perlen und Silber hatten sie ihm zwar nicht geschickt, aber ein Seepferdchen namens Nero. Das würde ihn nach Hause tragen.


    Sabaco griff die dargereichte Hand mit festem Griff und stellte sich breitbeinig hin, wobei er leicht in die Knie ging. Jetzt konnte Nero ihn sich quer über die Schultern wuchten.


    "Ich bin schwer", drohte Sabaco. Dass der Offizier ihn schleppen wollte, fand er lustig. Aber vor allem war es anständig von Nero, denn er verrenkte sich das Kreuz, um Sabacos Besäufnis zu decken. "Taberna also." Die hatte er abgefackelt ... daran durfte er jetzt nicht zu intensiv denken ... doch inzwischen stand da eine neue. Man konnte sich also wieder gepflegt einen hinter die Binde kippen.

    Ein Manöver? Innerlich grinste Sabaco, äußerlich blieb er grimmig. Er lechzte danach, aufs Wasser zu kommen. Und auch danach, diesem Terentius Ruga zu zeigen, wo der Frosch die Locken hatte. Wie die Marini ohne jegliche nautische Hilfe die Navis Iusoria steuern wollten, wusste er noch nicht, das Rudern würde eine Herausforderung werden, aber dem Terentier würde es bei dem Gedanken genau so beschissen gehen, was Sabaco noch mehr freute. Wäre das Manöver nicht möglich, würde der Centurio ihnen das nicht aufgetragen haben, also war es machbar. Sabaco wusste auch schon, wer den Überborder spielen durfte.


    Der Befehl zum Wegtreten erklang. Sabaco drosch krachend die Faust auf sein Herz und riss den Arm nach rechts vorn weg, ehe er ihn runter an eine Hüfte fallen ließ. Er wartete, bis der Optio mit dem kleinen Schwanz vor ihm den Raum verlassen hatte - das musste sein, Rivalität hin oder her - und stapfte nach draußen, um sich vorzubereiten.


    Es konnte auch nicht schaden, schon mal die Männer vorzuwarnen.

    "Ich habe vor Tarraco nach Perlen gesucht. In Flussmuscheln gibt es aber keine Perlen, oder? Es war ein dummer Kindertraum vom schnellen Glück. Man kann nicht mal in Ruhe in Verderbnis schwelgen, ohne dass du was Gutes daran findest, warum die See mich ausgewürgt hat wie die Eule ein Gewölle. Vermutlich bist du dafür Gubernator geworden, weil du nicht den Mut verlierst, und ich nur Suboptio. Kannst du uns durch die Porta von der Castra bringen? Ich bin so was von hackedicht, Nero. Mich lassen die so nicht rein oder petzen das wem."


    Er erhob sich auf die Beine und stand einen Moment mit den Armen rudernd in einer verkrüppelten Grätsche da, ehe er es schaffte, geradezustehen.


    "In Cappa gibt es auch eine Classis oder sie verpassen dir einen anderen Dienstgrad, damit du passt. So was machen die manchmal." Wobei unklar blieb, wen er mit "die" meinte. "Mich haben sie zum Suboptio Navalorum gemacht, dabei hatte ich noch nie was mit Schiffen zu tun. Wobei ich das gern hätte. Also würde. Ich will auf ein Schiff. Das Trockendeck geht mir so was von auf die Nüsse ... Nero. Gehst du manchmal einen Trinken? In der Stadt? Oder ins Lupanar?"


    Es war eine Einladung, sich wiederzutreffen. Sabaco hatte Nero wenig von dem mitgeteilt, was ihm auf dem schwarzen Herzen lag. Es war zu viel für einen Abend und er war alt genug, um selbst im Suff vorsichtig damit zu sein, was er Trinkkumpanen erzählte. Er trank schon zu lange und zu viel, als dass der Wein mehr Macht über ihn haben könnte, als er ihm zugestand. Wenn er sich bewusstlos trank, dann weil er es so beabsichtigte. Wenn er, so wie heute, deutlich betrunken war, aber noch gehen und sprechen konnte, war das ebenso Absicht - allerdings wäre es nicht dabei geblieben, wäre der Gubernator nicht aufgekreuzt.

    "Bei Sturm war ich noch nie auf dem Meer. Ich kenne sein Toben nur vom Ufer. Zum Baden muss man sich von den Klippen fernhalten, wenn es seine Launen entfaltet, aber wenn man einen Sandstrand zur Verfügung hat, macht das Schwimmen auch bei Sturm Spaß. Den einen oder anderen zerrt es hinaus und behält ihn für immer, aber mich hat es bislang nicht verschlungen. Er hat mich wieder hochgewürgt wie einen besonders widerlichen Auswurf."


    Er grinste mit seinem Schauergebiss.


    "Stichling gefällt mir. Aber mein Name lautete anders. Auf den Straßen von Tarraco ist es Tradition, den Namen seiner Geburt abzulegen. Den Namen, den die Eltern einem gaben, bedeutet nichts, man wird von seinen Freunden benannt. Einige benennen sich auch selbst. Die Vergangenheit legt man mit seinem Namen ab, zieht einen Strich, blickt nach vorn. Es ist teilweise auch ein Schutz vor den Vigiles. Selbst unter Gewalt kann man nur die für die Verfolgung durch den Staat weitestgehend nutzlosen Spitznamen seiner Kumpanen ausplaudern, weil man die richtigen Namen der meisten gar nicht kennt. Ich nannte mich damals Phoca - Seehund, denn ich liebte das Meer, auch wenn es das nicht erwidert. Man muss den Ozean bezwingen, denke ich, nicht mit ihm tanzen.


    Wir dienen in der Classis auf dem selben Schiff. Nur auf dem Fluss, aber besser als kein Wasser, oder? Stell dir vor, man würde dich nach Cappadocia versetzen, du würdest vertrocknen wie ein Dörrfisch. Aber ich bin noch nicht mal über das Rinnsal namens Rhenus gefahren, geschweige denn über das Meer. Bislang haben wir nur im Trockendeck geübt. Ich kenne das Wasser nur aus der Sicht des Schwimmers und ich war auch mal so bekloppt, nach Perlen tauchen zu wollen. Habe natürlich keine gefunden, aber ein paar hübsche Muscheln konnte ich bergen."

    "So was kriegst du gesagt?"


    Neidisch ließ Sabaco die Worte Revue passieren. Wenn er mal Komplimente bekam, waren sie vulgär. Sie spornten ihn an, sorgten dafür, dass er sich gut fühlte. Aber was Nero da einst gesagt bekommen hatte, das musste tiefe Liebe sein. Und dieser Gedanke ließ Sabaco verbittert den Mund schließen. Dann hatte er sich wieder im Griff.


    "Ich stamme aus Tarraco, es liegt direkt am Meer und verfügt natürlich auch über einen Hafen. Dir ist das sicher bekannt als Wesen der See, aber für mich was das meine Kindheit, dort am Strand des Mare Nostrum. Östlich vom Hafen ragt eine bewaldete Landzunge in die Fluten, auf der ich damals mit meinen Freunden oft die Nächte verbrachte und wir badeten dort an dieser Stelle im Meer. Früher diente Tarraco als Nachschubbasis und Winterlager. Heute ist es die reichste Hafenstadt an dieser Küste - zumindest wird das behauptet. Interessiert haben mich diese Dinge nie wirklich, nur, dass das meine Heimatstadt ist."


    Er starrte im Dunkeln auf seiner Tabula. Vielleicht würde er es morgen nicht mehr lesen können, aber er gab sein Bestes.


    "Ja, das Geschwätz eines verhärmten, verbitterten und enttäuschten Mannes - das notiere ich nicht erst seit heute, Nero. Und Gedichte, unsinnige, ernste, traurige und viele davon sind Schnulzen. Wegen der winzigen Schrift auf der riesigen Tabula, sei mir nicht mehr böse. Es war ein gemeiner Spaß, so wie dein Auftrag wegen der Inventur."


    Er schob die Tabula wieder in seine Tasche. Der Länge nach legte er sich auf den Rücken, starrte nun hinauf in den Himmel.


    "Scheiße, bin ich breit"
    , stöhnte er und kratzte sich den Sack. "Nicht mal verdammte Sterne sind zu sehen. Aber es lohnt sich, heute hier zu sein. Neptuns Pferd nennst du dich also. Schreibst du so was manchmal auf? Und weißt du, wie ich mich nenne? Nein, das weißt du nicht. Aber du darfst raten."


    Er hob die Flasche und stützte sich wieder auf, um noch einen Schluck zu trinken.

    Fugitivus


    Jetzt war er also erwachsen. Sollte bei fast jeder Cena anwesend sein und kluge Dinge sagen, um die Gäste der Eltern zu beeindrucken. Tatsächlich fiel es Sabaco nicht schwer, sich so zu geben, wie man es von ihm erwartete, doch mangelte es ihm an der Lust dazu. So blieb er den meisten Cenae fern und verbrachte die Zeit im Kreise der Menschen, in deren Gegenwart er sich wohlfühlte.


    Ungewöhnlich war an seinen Streifzügen insofern nichts, als die meisten Römer seines Standes in diesem Alter es ähnlich hielten. Formell waren sie erwachsen, die Schule war vorüber, doch für die Karriere der hohen Stände waren sie zu jung. So waren die Nächte von Tarraco voll von nutzlosen jungen Männern, die herumstreiften und sich die Zeit auf nicht standesgemäße Weise totschlugen. Sie zogen durch Tabernae und durch Lupanare, lümmelten herum und stießen sich die Hörner an jenen ab, die ihnen weder gesellschaftlich noch körperlich etwas entgegenzusetzen hatten. Die Vigiles konnten gegen diese Krawallbrüder nichts tun, es waren freie Männer aus den besten Familien.


    Mit einem Mal war Sabaco nicht mehr nur mit dem Volk von der Straße, sondern mit Seinesgleichen zugange, hatte Spaß mit ihnen und war ihnen obendrein an Erfahrung und Weisheit voraus. Er kannte alle Regeln der Straßen, alle guten Stellen, alle Tricks und alle Leute, die zu kennen sich lohnte. Seine neuen Freunde respektierten ihn dafür, manche bewunderten ihn sogar und das fühlte sich verdammt gut an. Sabaco war nicht mehr irgendjemand, er hatte jetzt einen Namen. Er wurde nicht müde, zu erzählen, wie er Catualda damals aus der Stadt vertrieben hatte, wenngleich das nur zur Hälfte stimmte, denn Catualda war in erster Linie vor den Vigiles geflohen. Sabaco schmückte die Geschichte genussvoll zu seinen Gunsten aus und zum Beweis präsentierte er seine Zahnlücke.


    Armándos aber verkam zu Beiwerk, das sich im Schlepptau der römischen Bürger schüchtern und unscheinbar bewegte und oft eigener Wege ging. Davon, dass er Sklave war, verriet Sabaco seinen neuen Freunden nichts, doch Armándos verfiel dennoch in deren Gegenwart in alte Verhaltensweisen. Der Dreck an seinem Körper und seine verschlissene Kleidung trugen dazu bei, sich wie ein Außenseiter unter den Römern zu fühlen. Er mied die Thermen aus Angst, dass jemand dort die Spuren einer Auspeitschungen auf seinem Rücken zu deuten wusste und für neue Kleidung fehlte ihm das Geld. Seinem Selbstbewusstsein unter diesen Leuten tat das nicht gut.


    Also mogelte Sabaco den Fugitivus zu passender Gelegenheit in die Therme seiner Familie, wo er Armándos von den Familiensklaven nach aller Kunst pflegen, herrichten und mit einer neuen Tunika ausstatten ließ und auch mit neuen Schuhen. Zufrieden besah Sabaco sich hernach das Werk. Armándos, von Natur aus gut aussehend, war wieder vorzeigbar, so konnte er sich auch unter Römern bewegen. Sabaco nahm ihn wieder mit. Doch Armándos konnte einfach nicht anders, als den Blick zu senken, wenn einer von Sabacos neuen Freunden ihm in die Augen sah, und bei jedem Thema Zustimmung zu heucheln, anstatt seine Meinung zu vertreten. Wie sicher er sonst auftrat, wie groß seine Pläne sein mochte - unter Römern war es ihm unmöglich, aus seiner Sklavenhaut zu schlüpfen, zu tief saßen die Erfahrungen seines Lebens. Nur bei Sabaco, den er schon lange kannte und der mit ihm die Kämpfe der Straße ausgefochten und sein Brot geteilt hatte, gelang es ihm, zu vergessen, dass er ein Sklave war und Sabaco ein Herr. Die einzige zweite Ausnahme war Ocella.


    Und dann stellte Sabaco eine, wie er rückblickend feststellte, unangemessene Frage.


    "Du könntest mein Sklave werden", schlug er eines Tages wohlmeinend vor. "Dann könntest du bei uns wohnen und hättest jeden Tag was zu essen. Wir verstehen uns gut, wir hätten beide was davon."


    Die Antwort war ein zu Tode beleidigter Blick. "Ich dachte, wir wären Freunde."


    Und damit hatte sich das Thema erledigt. Zu Sabacos Erleichterung war Armándos nicht nachtragend.

    Das war´s. Die zwei Vollpfosten, Adalrich und Lucius Annaeanus Tiro, hatten es geschafft, verloren zu gehen. Es ging das Gerücht herum, sie hätten bei der Musterung weibisch reagiert, als der Medicus sie untersuchte. Sabaco hätte schon Männer aus den Prinzessinnen gemacht, hätten sie ihn nur gelassen. Nun aber musste er ihr Verschwinden beim Vorgesetzten melden. Seine Faust donnerte gegen die Tür des Officiums. Nach der Aufforderung, einzutreten, stapfte er in den Raum.


    "Centurio Classicus! Suboptio Navalorum Matinius Sabaco für eine Nuntio", bellte er und schlug die Faust auf sein Herz. "Die Tirones Adalrich und Lucius Anneanus Tiro sind verschwunden. Sie erschienen nicht zur Ausbildung, die Suche durch ihren Stubenkameraden Segovax verlief ergebnislos. Nachfragen an zentralen Stellen im Castellum, wie dem Horreum, brachten keine Informationen. Sie sind weg."


    Sim-Off:

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