Beiträge von Lucius Quintilius Clemens

    Ein langsames Klatschen erfüllte den Raum.


    Schnell wanderten die Blicke zu dessen Ursprung: Ein älterer Mann mit leicht zerzausten Haaren und einer Toga, die sich zu seiner Rechten jede Sekunde verabzuschieden droht.

    Die plötzliche Macht, die ihm der Saal verlieh, bereitete ihm seinem selbstsicheren Grinsen nach große Freude.


    "Herrliche Aufführung, ihr beiden. Wie lang habt ihr euer Theater denn schon einstudiert?"


    Raunen zog durch die Menge; die Stille zerfiel in eine Mischung aus Einzelgesprächen und verwirrten Blicken.


    Genau, wo sie sein sollten.


    "Ganz recht, mei amici. Wir werden alle an der Nase herumgeführt - länger, als die meisten von euch ahnten. Lange habe ich das alles beobachtet und gehofft, ein paar rechtschaffene Mitglieder würden endlich ihre Stimme erheben. Doch leider..."


    Der Redner schüttelte selbstverliebt seinen Kopf, seine schmal gewordenen Augen glitzernd mit einer Prise Hochmut.

    Wie am Ende eines Gebetes hob der selbsternannte Erlöser seine Arme.


    "Leider haben sie die meisten von euch um den Finger gewickelt. Doch keine Sorge; ich werde dem ein Ende setzen."


    Pause.


    "Lief das nicht etwas zu glatt? Ich bitte euch: Wacht doch endlich auf!

    Kein Dominus, kein Vicarius - die factio so schwach wie selten. Und ganz plötzlich kommen zwei Milchgesichter, die sich jetzt - natürlich rein zufällig und allein von Sorge und Großmut geleitet - mal eben zum dictator ernennen!"


    Wenn sein Publikum davor schon in Gesprächen versank, brach spätestens jetzt das letzte bisschen Ordnung zusammen. Empörung, Beifall und ein Crescendo an verwirrten Fragenden formten eine unerträgliche Kakophonie, die den gesamten Saal verschluckte.


    Doch selbst durch dieses Dickicht brach die jetzt schon heiß geredete Stimme des Alten durch.


    "Wenn irgendwer hier auch nur ein letztes bisschen Anstand habt, verhindert ihr diesen Verrat an unseren Traditionen!

    Und was euch angeht:"


    Der Hetzer streckte seinen rechten Arm inklusive Zeigefinger mit einer solchen Wucht in Richtung von Tiberius und Saturninus, dass sich die Toga auf der Seite endgültig verabschiedete.


    "Hütet euch vor den Iden des März."



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    Clemens lehnte sich anfangs noch zurück. Allein das Aussehen des Alten versprach schon eine gute Show. Doch keine Macht der Welt hätte ihn auf dieses Schauspiel vorbereiten können.


    Wo ein anderer mit Besonnenheit und Diplomatie Frieden stften würde... lässt sich Clemens lieber von der Menge mitreißen. Schnell wurde der Beobachter zum Darsteller. Ein "Oooooooohhhh" hier, ein "Endlich sagt's mal einer!" da... Einzig die Leere seines Tellers erinnerte den Quintilier an seinen Part und ließ ihn schlagartig verstummen.


    Sim-Off:

    Tobt ihr beiden euch ruhig auch mit ihm aus! Namensvorschläge willkommen! An alle Leser: Keine Sorge; die Nummer ist abgesprochen!

    Das subtile, fast schon telepathische Verständnis seiner beiden Bekannten und ihre scheinbar grenzenlose Macht über die Anwesenden ließ Clemens in verschwiegener Ehrfurcht zurück.


    Was genau vonstatten ging, konnte er sich grob erschließen: Es fehlt wohl ein Teil der Führung, der ziemlich wichtig zu sein scheint.


    Im Wissen, dass er nichts Nennenswertes werde beitragen können, ließ der Quintilier sich an einem möglichst zentralen Punkt nieder. Wie gehofft ließ auch die Verpflegung nicht lang auf sich warten, weshalb ihm bald ein prall gefüllter Teller voll mit Brot, Datteln und Hühnchen Gesellschaft leistete, den er sich von Bediensteten in der Nähe zusammensuchte.


    Die "Aufführung" konnte beginnen.


    Obwohl seine bisherigen "Werke" vermutlich Geld auf Seiten des Autors erfordern würden, damit sie überhaupt jemand liest, saugte Clemens den Einstieg von Saturnius Rede wie ein Schwamm auf. Ob Menschenkenntnis oder Glück lässt sich gerade in des Quinitiliers Zustand kaum beurteilen; doch Schmeichelei jeder Form, gerade wenn Clemens von ihm fasziniert ist, bringen den Sprecher überall hin.
    Sein Gesicht war von einer schnell wachsenden Wärme erfüllt, die ein Beobachter vor allem an seinen schlagartig rot gewordenen Backen sehen kann.


    "D-d-danke, aber in dem Fall... w-wäre das nicht wahr."

    Mit abgewandtem Blick und schlecht gedämpfter Stimme, da sie lauter als gewollt geriet, murmelte Clemens hinterher: "Nur de rerum naturae habe ich überhaupt zuende gelesen..."


    Bei Aristoteles hat die Motivation nicht einmal über die Titel hinaus gereicht; dafür hat sein breiter Lehrmeister* schon gesorgt. Aber den Teil unterschlug der Quintilier seiner Meinung nach besser. Egal, welche gute Meinung sein Gegenüber von ihm haben würde: Spätestens danach wäre sie dahin.


    Den Rest der Antwort nahm Clemens zwar auf; die Antwort ließ jedoch - den Umständen geschuldet - auf sich warten, wovon auch die Außenwelt mit einem sich plötzlich weitenden Gesicht des Träumers alarmiert wurde.


    "U-und Sorgen brauchst du dir nicht zu machen! Ein Wasser und was zum Sitzen, dann sollte es gehen."


    Schwere Zeiten fordern schwere Opfer: Da ein mehr oder weniger gründlicher, kurzer Blick durch den Raum nichts Geeignetes und Freies hervorzubringen schien, lehnte sich Clemens vorsichtig auf einen naheliegenden Tisch. Ein vorbeilaufender Sklave, dem der Zustand des Quintiliers schon komisch vorkam und daher bereits geistig zum Gesprächskreis stieß, nahm die Bestellung entgegen.

    Die Erleichterung für seine Beine und bitternötige Hydration brachten ein wenig Gelassenheit zurück... zumindest vorerst. Nichtsdestotrotz geriet der Anfang ein wenig laut.


    "So bescheiden hätte ich dich nach der Rede aber nicht eingeschätzt! Das zeigt wohl, dass Schauspielkunst und Rhetorik mehr gemein haben, als man zugeben will!

    Inhaltlich... will ich dir in beiden Punkten auch irgendwo zustimmen. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass das Schicksal keine Pläne für uns bereit halten soll. Doch würde das die anderen Götter nicht zu weniger machen, als sie sind?"


    Irgendwo war da ein interessanter Gedanke... und eine Lösung. Doch der sonst so aufklarende Alkohol schien beides so unklar und verschwommen zu machen. Zumindest dem Gefühl nach lag da ein Problem.


    "Und steht es um die Lehre wirklich so schlimm?"


    Ein leichtes Gefühl von Deja Vu überkam den Sprecher und ließ ihn kurz innehalten.


    "Tiberius meinte das auch schon... Trotzdem möchte ich nicht glauben, dass sie alle ausgerechnet ihre Verlogenheit mit Seneca gemein haben. Kannst du ein paar Beispiele nennen?"


    Sim-Off:

    *Nach Diogenes Laertios war Platon wohl nur ein Spitzname, der seiner Nebenkarriere als Ringer (breite Schultern) oder der Größe seiner Stirn geschuldet sein soll. Allerdings sammelte dieser Diogenes auch gerne Anekdoten nur für ihren Unterhaltungswert und erzählte sie in einem Zug mit tatsächlichem Geschehen, weshalb man die Plausibilität dieser Geschichten nicht überschätzen sollte.

    Als Clemens Blick dem Sklaven mit den Honigdatteln hinterherwanderte, stach ihm sein inzwischen vertrauter gewordener Bekannter Tiberius ins Auge. Mit einem schnellen Griff in die Schüssel, welche den Sklaven einen leichten Schock versetzte, lief der Quintilier breit lächelnd auf ihn zu.


    "Salve, Tiberius! Es ist einige Zeit vergangen; aber irgendwie kommt es mir, als hätten wir uns erst gestern wiedergesehen! Ich hoffe, ich komme mit dem Stand der factio nicht ungelegen?"


    Mit einem breiten Wink erwiderte Clemens seinem ehemaligen Gegner und Bekannten aus dem Palindromos seinen Gruß. An seine einnehmende Ausstrahlung konnte sich der potentielle Neuzugang jedoch noch nicht wirklich gewöhnen, weshalb ihm weitere (besser: irgendwelche) Worte im Hals stecken zu bleiben schienen.

    Der plötzliche Wechsel der Stimmung seines Gegenübers fiel Ravilla nicht auf, da er selbst, mit überschäumendem Temperament gesegnet, dazu neigte, seine Launen ohne Vorankündigung in die eine oder andere Richtung kippen zu lassen. Im Gegenteil empfand er das Gebaren des Mannes als angenehm natürlich.


    "Aber mein lieber Clemens! Für Zahlen hat man Menschen wie Saturninus, die sich an abstrakten Strukturen so heimisch fühlen wie ein Fisch im Wasser und uns Konfrontationen mit Arithmetik oder - noch schlimmer - Algebra ersparen. Unsereins darf sich besten Gewissens damit begnügen, sich den weltlichen Belangen zu widmen. Selbst die Götter schätzen es, wenn man ihnen materielle Opfergaben darbringt und teilen uns ihren Willen in physischer Form mit, schreiben ihn in Lebern und Eigenweide und in den Flug der Vögel. Doch als Mann der Kunst und Religion weißt du davon mehr als ich!"


    Ravilla mustete Clemens mit neuem Interesse. "Doch von welchen Künsten und welcher Religion konversieren wir?"

    Dass Ravilla Verständnis für den eher in der Seele als im Kopf verhafteten Sprecher hatte, kam beim Quintilier sehr gut an.


    "Fortuna sei Dank, dass wir diese Welten nicht erforschen müssen und in unserer bleiben können. Die weltliche ist mir schon kompliziert genug."


    Als Clemens Blick durch die Runde wanderte und kurz auf Tiberius landete, schon er jedoch schnell nach:


    "...wobei Philosophieren mit anderen mit etwas... Ermutigung interessant sein kann. Das Lesen der meisten dieser Bücher aber eher weniger."


    Aus Vorsicht darüber, inwieweit die für Clemens erwiesene Korrelation von Spaß am Diskurs (möglicherweise nur?) durch Alkohol mehrheitsfähig ist, ließ er diesen Teil aus.


    Auf die Frage Ravillas runzelte der Adressat derselben seine Stirn. Im Geiste des Abends, bei dem sich diese Strategie ja bewährt zu haben schien, prätschte der Quintilier einfach drauf los.


    "Es gibt mehr als unsere, ja, allerdings kenne ich die anderen nicht und sind mir eigentlich nicht der Rede wert. Im imperium hört man öfters von Leuten, die an einen allmächtigen, einzelnen Gott glauben und alles machen soll, wofür wir mehrere brauchen.


    Allein der Gedanke daran ließ Clemens in Kopfschütteln und ein verständnisloses Grinsen verfallen.

    "Wie kann ein Gott denn das alles schaffen, geschweige denn sich über Juppiter erheben? Die Zeichen beweisen schließlich, dass es ihn und alle anderen gibt!"


    Auch wenn sein Magen sich schon langsam zu Wort meldete, fuhr Clemens unbeirrt fort.


    "Sie zu lesen beherrsche ich als einfacher aedituus leider kaum mehr als ein normaler Bürger, der bei Zeremonien dabei ist. Die einzigen Botschaften, die ich verstehe, sind die offensichtlichen. Die, wo du etwas siehst und dir eine Wärme im Herzen zu sagen scheint, dass du genau das tun sollst und sich dann die Wolken um die Seele lichten, die dir vorher die Wahrheit versperrten. Oder ein mulmiges Gefühl, das dich von einem Fehler bewa..."


    Das mulmige Gefühl, das den Sprecher jetzt befiel, war vermutlich mehr ein Zeichen bereits begangener Fehler. Er hielt kurz inne und umfasste mit der rechten Hand seinen Bauch, um seinem Magen und dem Rest seines Körpers die Kraft zum Durchhalten und Stabilität zu geben. Er atmete tief ein und aus, bevor seine Rede einen Abschluss unter einem warmen, aber doch leicht verzerrten Grinsen ihren Abschluss erhielt.


    "...Puh, jetzt geht es wieder... Also: Die größte Kunst ist die epische Dichtkunst. Kaum fühlt man sich den Göttern so nahe wie bei den Worten eines guten Dichters!"


    Doch die nächste Prüfung ließ nicht lange auf sich warten. Die Argumentationslinie kam Clemens vertraut vor. Hatte der Quintilier mit Tiberius nicht einmal ein ähnliches Thema angerissen? Er ging kurz in sich in der Hoffnung, noch irgendetwas davon wieder auszugraben und den zweiten Teil des Arguments nachzuvollziehen.


    "Natürlich soll man danach leben, wenn man schon anderen das Leben erklärt. Anders weiß man doch gar nicht, ob der Lehrer sein Fach versteht. Ein Text ist etwas Anderes als sein Schreiber, aber ein Buch über Naturphilosophie von mir würde aus dem Grund doch auch keiner lesen."

    Und was deinen zweiten Punkt angeht...


    Clemens lachte verlegen.


    "Vielleicht liegt es am Wein, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich deinen zweiten Punkt richtig verstehe. Willst du sagen, dass der Ruf und die Aufgaben des Menschen mehr durch seine Zeit als seinen Einfluss bestimmt werden?"

    Die Sowjetunion hat wirklich einen eigentümlichen Charme gehabt, der sich ebenfalls durch die Verfilmung zu ziehen scheint. Der Vorspann und das belebte Ende des Hobbits waren wegen ihrer Einfachheit echt süß...^^


    Ich verstehe zwar bloß drei Wörter Russisch, habe aber dennoch Lust, mir das mal bis zum Ende anzuschauen. Die beiden HdR-Teile werden bei Bedarf dann auch angegangen, sofern ich freie Stunden dafür finde.

    Der Alkohol schien sich bei dem nicht allzu trinkfesten Quintilier doch langsam bemerkbar zu machen: Kurz nach seiner Geste schien alles unscharf zu werden: Die Gäste, die Töne, die Gedanken... Er klammerte sich an das einzige, was noch eine Form zu haben schien: Ein warmes, für ihn schwer fassbares Gefühl, das seinen ganzen Körper zu erfüllen schien und ihn aus der Masse herauszuheben schien.


    Als er wieder zu sich und dem Raum fand, waren seine drei Mitstreiter allesamt in wildem Austausch. Einer hob sein Glas in seine Richtung - der Reiter. Saturnius war wohl der Name... Beim Gedanken an das Rennen schnellte Clemens die Röte ins Gesicht. Halb aus Ehrfurcht, halb aus Bewusstsein um den eigenen Zustand bewegte sich der Quntilier vorsichtig aber stetig in Richtung des Gesprächskreises.


    "Ich liebe das Zitat von Ovidius, welches Du vorgetragen hast. Mich hast du bewegt, wie du nicht nur die Götter, sondern den nous** der Welt selbst beschworen hast. Doch habe ich bemerkt und verzeih mir diese Beobachtung, dass Dir das Kontern mit Seneca auf Ovid Bauchgrimmen bereitet. Darf ich wissen, weshalb? Ist es gegen Seneca im Speziellen oder die Stoa im Allgemeinen?"

    Eine Mischung aus Schock und Verlegenheit stand Clemens ins Gesicht geschrieben.

    "D-dass das noch jemand gesehen hat bei dem Auftritt... Das Reiten scheint dir ein drittes Auge für deine Gegner gegeben zu haben."


    Schnell schob er noch nach: "Was nicht schlecht sein muss!"


    Nach einem kurzen Moment der Ruhe beglich Clemens seine noch offene Schuld aus der Unterhaltung: "Ach, Seneca..."

    Die freie Hand des Redners machte eine Wegwerfgeste. "Ovid war sich wenigstens sein ganzes Leben lang treu; seine Verbannung ließ ihn zaghafter werden, aber der Verlust der eigenen Heimat kann selbst den stärksten Mann erschüttern. Seine Dichtkunst blieb weiter inspiriert, wenn auch melancholischer. Doch das stand ihm gut. Es gab der Schönheit Tiefe."


    Clemens Augen zogen sich zusammen.


    "Seneca... Dem glaube ich kein Wort. Kaum ist der ihm verhasste Kaiser tot, klemmt er sich aufs gewinnende Pferd. Es redet sich leicht, wenn der Gegner mundtot ist. Im restlichen Leben ist er nicht besser: Große Reden von der Löblichkeit von Entbehrung*, der Tugend als einzigem Gut... Und selbst im tiefsten Luxus."


    Ein sardonisches Lachen unterbrach die Tirade.


    "Er ist wohl auch seinem Charakter treu geblieben. Dass er es mit seiner verklemmten Moral nicht so eng nimmt, ist zumindest etwas."



    Der unerwartet heitere Auftakt schien die Rage seiner vorigen Antwort fast schon vergessen zu machen. Der Wechsel zu seinem üblichen Grinsen kam so plötzlich, dass er auf einen Beobachter fast schon unheimlich wirken konnte.


    "Hahaha, Talent ist für mich doch etwas zu großzügig. Ich schnappte die erste Hälfte nur so vor mich hin. Du hingegen hast mir wunderbar das Wasser gereicht: Ich hätte dir wirklich in jedem einzelnen Punkt zugestimmt - sowohl aus Vernunft als auch aus dem Herz. Nur mit den Zahlen nicht - aber auch nur, weil ich sie als Mann der Kunst und Religion wirklich nicht verstehe."


    Ein verlegenes Lachen schloss die Antwort.


    Sim-Off:

    *Seneca lobte in seinen Briefen gelegentlich den Lebensstil eines Cynikers, mit dem er öfters redete. Ab und an zollte er auch einem der Vorväter der Stoa Respekt: Diogenes von Sinope. Letzterer ist ein Vorvater, da sein Schüler Krates den späteren Begründer der Stoa (Zenon von Citium) unterrichtete. Die ältere Stoa ist noch stark von cynischen Lehren geprägt, was sich mit zunehmender Zeit jedoch mehr in einen Respekt für die Personen hinter den Lehren als den Lehren selber wandelt.

    Es schien Clemens fast schon wie ein Wunder, als er durch die ihm inzwischen vage vertrauten Hallen der Veneta schritt. Die Gänge des von außen imposanten factio-Gebäudes haben nichts an ihrem mysteriös-eleganten Charme eingebüßt. Und doch... wirkten die Gänge heute irgendwie weiter, die Decke höher. Seine Schritte hallten durch die Mauern.


    "Muss wohl die Aufregung sein...", sagte er leise zu sich und begann, durch die Gänge zu tänzeln. Das falsche Datum ist es keinesfalls; sonst hätte er den sonst so reservierten Narcissos nicht mit seinem bloßen Namen aus dem Weg befördern können. Das allein war für ihn den Weg heute schon wert... und machte die Füße mit jedem Schritt leichter.


    Der ihm in letzter Zeit so vertraut gewordene Klang von durcheinander redenden, ausgelassenen Stimmen, einzig gedämpft von einer geschlossenen Tür, zog Clemens Aufmerksamkeit wieder ins Diesseits. Gerade diese Bekanntheit schien jedoch so eigenartig. Von seinen letzten Eindrücken (die zugegebenermaßen alle nur seiner Vorstellung entsprangen) schienen ihm die Veneta wie ein Schlag von Menschen, die intellektuelle mit exotischen weltlichen Freuden und einer Aura von Geheimnis kombinierten. Das Ergebnis stellt man sich wie einen Blick ins Elysium vor. Dafür wirkte es... überraschend weltlich.


    Vielleicht ist es drinnen ungewöhnlicher, dachte Clemens. Und wenn nicht, scheint drinnen genug los zu sein, um einfach einen entspannten Abend zu haben.


    Auch wenn ihm seine blaue Toga, die er in Ungewissheit über die Förmlichkeit der Runde mit großen Mühen angezogen hatte, ihm jetzt etwas albern vorkam, öffnete der Quintilier behutsam die Tür und verlor sich im See der Menschen.

    Clemens holte etwas beherzt zu einem Handschlag aus. Seine Hand landete genau zwischen Handfläche und Finger. Dieser Fehler blieb jedoch lediglich ein leises Hintergrundgeräusch in den tobenden Gedanken des Quintiliers, der sich schon inmitten dekadenter Festivitäten voller atemberaubender Sklavinnen, Alkohol und Menschen voller erhabener und inspirierter Gedanken sah. Das mit der Karriere ging da auch irgendwie rein - zumindest Clemens Gefühl nach.


    Er drückte die Hand.


    "Vielen Dank für das Angebot! Und wie läuft das mit der Versammlung ab?"

    Ein lauter Jubelschrei erfüllte die taberna. Clemens Seite verlor zwar; allerdings war es ein knappes Rennen. Dafür, dass es dem Quintilier an Übung und an echter Begeisterung für seine Seite mangelte, hat er sich in seinen Augen selbst übertroffen.


    Jetzt, wo er eh schon die Aufmerksamkeit der meisten Besucher hatte, war der beste Zeitpunkt für die schönsten Worte jedes geselligen Abends:


    "Nach all den schönen Worten wird es Zeit für Taten! Und in diesem Raum gibt es nur eine Möglichkeit, seinen Dank in der Tat angemessen auszudrücken!"


    Clemens holte tief Luft, bevor er seine Stimme erhob.


    "Eine Runde für meine wunderbaren Mitstreiter!"

    Clemens hob eine Augenbraue, ein verschlagener Ausdruck in seinem Gesicht.


    "Aha, da zeigt sich die wahre Natur meines Besuches, was?"


    Ein kurzes Lachen signalisiert, dass dem Sprechenden auch diese Seite des Treffens nicht ungelegen kam. Zumindest nahm er sie mit Humor. Die Welt verschenkt selten - Menschen noch weniger.

    Doch schlimm war das nicht. Wenn man weiß, wo der Andere steht, kann das sogar beiden nützen. In Clemens Fall wirkte Tiberius wie ein Mann von Welt, der ihm die ein oder andere Tür öffnen könnte. Selbst der Alkohol konnte den kleinen Funken Ambition, den sich der Quintilier am heutigen Tag erlaubte, nicht löschen.

    Auch der Gedanke an neue Gesellschaft... reizte irgendwie, auch wenn beim Gespräch eine Hälfte die meiste Zeit wild im Dunkeln herumzuirren schien. Wenn er ehrlich zu sich war, hat er den Austausch bis jetzt ausnahmslos genossen.


    "Zumindest zwei von dreien scheinen die Veneta ja liefern zu können. Geht man beim Rennen nach dem Herzen und Stil, dann alle drei. Die Menschen hier scheinen auch alle ziemliche Charakter zu sein."


    Sogar Narcissos. Vor allem Narcissos.


    "Wenn Wein und Gesellschaft hier auch nur halb so gut sind wie heute, bin ich dabei. Wie du schon sagtest: Guter Wein ist in Roma kaum zu finden. Und auch die letzte sucht man oft vergebens."


    Na wenn das mal mein Schwager erfährt... Das nächste Rennen wird... interessant.


    Bevor er zu einem Toast ansetzen konnte, hielt Clemens jedoch inne.


    "Was muss man ausfüllen?"

    Clemens hob sein etwas zur Neige gekommenes Glas in die Höhe.


    "Auf Bacchus und seine Großzügigkeit! Und auf Fortuna, die ihre schützende Hand über Roma und dessen Einwohner zu halten scheint!"


    Eine kurze Stille verlieh dem Toast ein zumindest mentales Echo. Wäre das Licht bescheidener oder Helios tatsächlich präsent gewesen, hätte das vom Glas reflektierende Licht dem Raum etwas Andächtiges verliehen.


    "Es muss wohl echt die pax deorum sein... Ansonsten treibt den Menschen doch so viel rum, das nicht in seiner Macht steht. Und wen soll man denn sonst fragen als das Glück selber?

    Nur mein... Mentor? schaut ab und zu vorbei. Das zählt auch als Qualitätskontrolle; jedenfalls einer Anwesenden scheint es zu reichen!"


    Auf der Suche nach einem passenden Bild wanderte Clemens Blick durch die Halle, doch seine Augen verweilen nirgends lang. Stattdessen ballte sich seine rechte Hand um den Beutel, der auch seine Münze beherbergte.


    Wenig, aber genug. Der Angeber in ihm hatte nach seiner letzten Darbietung vorerst Sendepause.

    Tiberius breitete die Arme aus. "Es ist immer eine gute Idee, Gedanken über den nächsten Tag hinaus zu haben." Er lehnte sich entspannt zurück. "Treib es aber nicht zu weit, nicht wahr? Das andere Extrem ist für den Kopf wahrscheinlich sogar schädlicher. Für alle Eventualitäten immer voraus geplant sein. Auch die Eventualitäten, die völlig abwegig sind. Dieses ständige sich im Kreis drehen. So wie es mich manchmal befällt. Ich glaube," sagte er und füllte den Kelch nach "das ist es was Bacchus uns mit dem Wein - also dem Wein an sich - beibringen will, sein zu lassen. Meinst du nicht auch?"


    Tiberius Mahnung erwischte Clemens gerade, als er selbst einen Schluck aus seinem Glas nahm. Mit einem Prusten ergoss sich ein Teil des Weins aus seinem Mund über den Boden.


    Nach einigem Husten fing sich der Gast wieder.


    "Ich und überarbeiten? Für so Witze brauche ich eine Vorwarnung! Ich könnte dir nicht mal sagen, wann ich das letzte Mal härter hätte arbeiten können. Selbst bei Fortuna war's herrlich ruhig in den letzten Wochen. Meine größte Sorge war, dass mir meine Münze nicht von der Handfläche fällt!"


    Um den Punkt zu illustrieren, holte Clemens seine Münze hervor. Er ließ sie über die einzelnen Finger seiner Faust wandern, bis seine linke Faust ruckartig nach oben schoss und das fliegende Silberstück von seiner rechten Hand im Flug gefangen wurde.

    ...Oder zumindest sollte sie das. Leider fiel dem Darbieter, vermutlich schon wegen Bacchus Einfluss, nicht auf, dass seine Hand ein paar Momente hinter der Münze lag. Sie schoss knapp an ihrem Ziel vorbei. Ein metallenes Klackern ließ auch Clemens dies gewahr werden.


    Mit einem verlegenen Lächeln hob er das gute Stück wieder auf und steckte es ein. "Man sieht, manch einer Herausforderung bin ich trotz allem noch nicht gewachsen!"


    Der Quintilier machte sich wieder locker.


    "Allerdings könnte ich das auch auf unsern guten Freund Bacchus schieben. Damit würde ich ihm aber Unrecht tun - schließlich lässt er einen die Monotonie des Lebens und dich deine Brütereien mit seinen Gaben vergessen. Wenn das nicht schon Geschenk genug wäre, gibt einen der Rausch oft sowohl Denkern als auch Dichtern wundersame Eingebungen! Man kommt sich manchmal selbst schon so vor, als würde man beim Verlust der Sinne eine neue, andere Welt erfassen..."


    Ob Clemens selbst von diesem Geschenk vielleicht etwas zu exzessiv in letzter Zeit Gebrauch gemacht hat, wollte er bewusst seinem Zuhörer überlassen. Ein enigmatisches Lächeln begleitete Satz und Gedanken des Sprechenden.

    Es schien voller geworden zu sein. Obwohl ein solcher Wettstreit das Gegenteil zu versprechen scheint, schien die Stimmung ausgelassener zu werden. Clemens meinte sogar, seinen Schwager in der Menge gesehen zu haben. Wie der wohl diese geheuchelten Schwärmereien von ihm aufgenommen hat? ...Wobei zumindest der letzte Teil irgendwie was Wahres dran hatte.


    Ravillas Rede stand der seines Teamkollegen - abseits des dramatischen Einstiegs - nicht nach und ergänzte die Grundlinie gut. Seneca und Ovid zu vergleichen ist aber ein Frevel, der in Clemens ein unerwartetes Feuer der Empörung emporsteigen ließ. So ein spießiger und verlogener Moralapostel* kann schließlich höchstens spielen, was eine wirklich inspirierte Seele hervorbringen kann.

    Er schoss von seinem Sitz hoch und wollte etwas in die Menge rufen, doch bei dem Gedanken an seine eigenen Worte verstummten diese Regungen so schnell wie sie kamen. Wenn der Quintilier schon für seinen Sieg sündigen wollte, warum kann dann sein Gegner nicht auch die Dichtkunst verleugnen? Es blieb der Applaus der Menge am Ende, in den Clemens unauffällig mit einstimmte. Als ihm jedoch die Vigintivires, die sich in Richtung Küche zu begeben schienen, unter die Augen kamen, sah der alte Sitzplatz wieder ungewöhnlich erstrebenswert aus. Jeden Gedanken an neuen Wein oder Essen trugen die hinzugekommenen Beamten zu Grabe.


    Die Geste des Hinsetzens mag für die Außenwelt das Gegenteil beteuern, aber auch Vindex Rede, der Clemens den Umständen wegen in stiller Heimlichkeit lauschte, enttäuschte nicht. Vom Ansatz her waren beide ähnlich; Vindex hatte jedoch den Mut, Saturnius und sein zugegebenermaßen leicht provokantes Intro direkt herauszufordern und sogar ins Lächerliche zu ziehen. Das schien auch ordentlich Eindruck geschindet zu haben.

    Clemens tat es fast ein wenig Leid um den charismatischen Eröffnungsredner der Pro-Seite, aber ein so gebildeter und eloquenter Mensch würde sicher auch auf diesen Angriff elegant antworten können. Auch diese Laune verfolg also.


    "Roma aeterna." Mit einem warmen Grinsen, das zu gleichen Teilen aus Ironie wie Freude erwuchs, erwiderte der Quintilier die Floskel und hob sein wiedergefundenes Weinglas in Richtung seines Teamkollegen.



    Sim-Off:

    *In keinem Fall ein zwingendes Urteil über die Person; allerdings im Hinblick auf den Opportunismus, der sich gerade auch im Timing der Apocolocyntosis äußerte, seiner anschließend zumindest fragwürdigen Position als Berater eines ebenfalls umstrittenen Kaisers sowie seinem luxuriösen Lebensstil in potentiellem Kontrast zu seinen moralphilosophischen Ansichten gut vertretbar.

    Die Clemens so vertraute Münze der Fortuna wanderte über die linke Faust. Vom Zeige- zum kleinen Finger
    und wieder zurück. Was trieb ihn hierher, in diese so fremde Welt der Intellektuellen? Tiberius hat mit seinen Worten vor einer Weile einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Was sonst hätte einen lyrisch begeisterten Träumer für die Rednerbühne hervorholen können?


    Ein lautes Platzen ließ die Welt wieder materialisieren, die Münze zwischen Ring- und kleinen Finger
    wandern. Der hübsche Reiter der Veneta, der den Quintilier beim Rennen damals so begeisterte, gab darauf sein rhetorisches Feuerwerk zum Besten. Clemens verstand zwar wenig nichts von Zahlen, noch weniger
    von Staatshaushalten. Nichtsdestotrotz hinterließ die Darstellung zusammen mit dem gewagten Einstieg einen bleibenden Eindruck.


    Wie soll man dagegen ankommen, wenn der nunmehr berufene Gegenredner sogar von der Richtigkeit der
    gegnerischen Ansicht überzeugt ist? Ambitionen sind das stärkste Gift des Menschen: Ergreifend, ausbreitend, selbstzerstörend zieht es über den Betroffenen und dessen Gesellschaft her. Am Ende bleiben
    nur Verwüstung und Krieg für die, die von der Seuche verschont blieben. Clemens Eltern waren das beste Beispiel. Saturnius wollte wohl so etwas in der Richtung sagen, nur kühler und abgeklärter.


    Auf die elegante Überleitung des Veranstalters erwiderte Clemens ein Winken; er wird den Auftakt
    machen. Sein Partner Vindex sollte das große Finale haben. Der Quintilier lernte den jungen Mann zwar erst heute kennen, jedoch war ihm bei den wenigen Worten zwischen ihm eines klar: Seine feurigen
    Augen, sein Name und seine Begeisterung lassen vermuten, dass er hoch hinaus will. Sicher sind ein paar potentielle Gönner von ihm auch hier zugegen. Und wenn nicht, sind sie es sicher danach.


    ...Sofern bis zu ihm noch welche bleiben. Ein dumpfer Schmerz in der Magengegend holt die Realität
    der Situation wieder in Clemens Bewusstsein zurück. War das nur so ein Gefühl, oder schauten ihn gerade wirklich alle an? Hilfesuchend wanderte der Blick des Redners zu seinem Tisch, wo ihn – Fortuna
    sei gepriesen – ein Glas rote Erlösung anlachte, das wohl irgendwann den Weg zu seinem Tisch gefunden haben muss. Auch wenn es kein Anlass für Stolz ist: Wein schien in Clemens irgendetwas zu
    erwecken, das ihn sicher durch die meisten ihm unbekannten Situationen bringt.


    „Wenn das funktioniert, bin ich Bacchus ein Opfer schuldig.“


    Murmelte der inzwischen ermattete Auftretende und zog fast das gesamte Glas in einem schnellen Zug weg.
    Sind die Blicke weg? Der Weg zur Bühne war zumindest plötzlich machbar.


    Etwas unbeholfen sprang Clemens mit einem kräftigen Satz in den halbrunden Platz, der wohl seine Bühne
    sein würde. Nicht ganz der Knall, den sein Vorredner erzeugt hatte, aber zumindest genug für Aufmerksamkeit.


    „Wunderbar, wunderbar! Wirklich beeindruckende Darstellung! Ein schlauer Mensch würde bei solchen
    Daten wohl aufgeben, aber...“


    Eine Pause. Von außen würde man vermuten, dass sie absichtlich kam. Allerdings fehlten dem Sprecher
    wirklich die Worte. Man verblieb dabei, einfach draufloszureden.


    „Leider habe ich keine Ahnung von Zahlen!“


    Wieder eine Pause. Gut, gut... Was verstehst du denn?


    „Was ich jedoch verstehe, sind Emotionen!“


    Und noch eine Pause. Langsam wird deutlich, dass der Sprecher wohl nicht nach Effekten zu haschen versucht.


    Emotionen, Emotionen...


    Die Stille wird langsam unangenehm.


    Der Klang des Wortes ließ Clemens in seinem Kopf wühlen, bis es ihn schließlich überkam. Seine Eltern.


    „Schau nur, Lux; Post aus Germania! Dein Vater hilft dabei, der Welt die Schönheit von Roma mit der Welt zu teilen!“


    ...Wenn er den Mist, den man ihm als Kind erzählt hat, einfach so übertrieben wiedergebe, dass man es noch als Drama abstempeln kann?


    ...Das könnte tatsächlich klappen.


    Mit einem Griff in die Luft mit der linken Hand holte Clemens zum verbalen Gegenschlag aus.


    „Welche Emotionen sind die, die uns Römer am meisten prägen? Einheit und Stolz.
    Vielfalt, die durch eine kräftige Hand geeint wird und Stolz, der unseren cives und Soldaten die Kraft gibt, den Rest der Welt an unseren Gaben teilhaben zu lassen! Wie können Zahlen diese
    Begeisterung einfangen, die uns erst die Kraft gab, über alle Hindernisse dieser Welt zu kommen? Es war dieser Stolz, dieses Gefühl der Größe, das Romulus seiner Zeit erlaubte, den Grundstein unseres
    großen imperium zu legen und es allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz zu verteidigen! Hätte er damals auf unsere weltlichen Grenzen geschaut, wären wir niemals zu dem geworden, was wir heute sind!“


    Die Hand des Sprechenden zog sich zurück.


    Jetzt nicht aufhören!


    „Doch warum auch einem einfachen Träumer wie mir glauben, wenn ihr es auch von den
    Göttern hören könnt? Wenn sie der Meinung sind, dass wir unser imperium vergrößern müssen, sollten wir ihnen zuhören. Welches weltliche Wissen, wie das der Philosophen und Beamten meines
    Vorredners, will sich denn allen Ernstes gegen das eines Gottes erheben können?“


    Eine Pause, diesmal bewusst.


    „Es ist kein Geheimnis, dass der Dichter, insbesondere Ovid, von den Göttern inspiriert ist.* Wollen wir also die Meinung der Götter hören, müssen wir einem von ihnen lauschen.“


    In einem Anfall von Dramatik streckte Clemens beide Hände gen Himmel, fast als wäre er am Ende eines Gebets.


    „Das Recht entscheidet gegen die Parther, mögen nun auch die Waffen gegen sie entscheiden! Möge mein Feldherr Macht und Reichtum des Orients Latium einverleiben! Vater Mars und Vater Caesar, schenkt ihm bei
    seinem Aufbruch euren göttlichen Beistand, denn einer von euch ist schon Gott, der andere wird es werden. Siehe, ich prophezeihe es, du wirst siegen, und ich werde meine Gelübde durch Verse einlösen und
    wir werden dich in großen Stil zu besingen haben.“²


    Die Arme wanderten herunter.


    „Was will uns der große Ovid hier zeigen? Ein Bewusstsein von Größe, Einheit und Stolz auf
    unser wunderbares imperium. Dass der sonst so schwärmerische Dichter hier unmöglich in eigenen Zungen spricht, zeigt sich schon daran, dass der sonst so in der Sagenwelt und Eroberungen verlorene Dichter
    sich plötzlich direkt zur Größe unserer Nation äußert. Wer sonst außer Mars kann ihm also diese ergreifenden, inspirierenden Worte in den Mund gelegt haben, um die Moral des Volkes für kommende Schlachten zu heben?“


    Diesmal musste sich der Sprecher sichtlich das Lachen verkneifen. Die schrecklichsten Passagen bleiben einem leider am besten in Erinnerung.


    Nach einem betonten Räuspern holte er zum finalen Schlag aus.


    „Wir wissen also, dass die Götter schon damals, mit Ovid als Sprechrohr, unser imperium noch weiter vergrößert sehen wollten. Doch trifft das auch noch heute zu? Natürlich! Schließlich machen wir das doch bereits und haben keinerlei Strafe erhalten! Was gibt uns größere Sicherheit als der pax deorum, den meine Kollegen und ich durch unser Handwerk aufrecht erhalten? Wenn die Politik unserer Nation nicht dem Willen unserer Götter entsprechen würden, so hätten wir es längst durch Zeichen von ihnen erfahren. Weltliche
    Probleme sollen und können uns von unserer Aufgabe als Römer gegenüber der Welt nicht abhalten!“


    Ein lautes Klatschgeräusch hallte durch den Raum. Es kam vom Redner, der sich die volle Aufmerksamkeit für sein Ergebnis sichern wollte und daher seine beiden offenen Hände einmal laut aufeinander prallen ließ.


    „Wir halten fest: Nicht nur wird das imperium nicht zusammenbrechen, wenn wir es weiter ausdehnen. Es wird wachsen und jedes weltliche Hindernis beseitigen, das man sich vorstellen kann. Denn stärker als die Götter und unser Einheitsgefühl kann keine Kraft der Welt sein!“


    ...Leider hilft kein Wein gegen die Übelkeit, die Clemens bei den Gedanken an seine
    letzten Worte überkam.

    Entgeistert wich er auf seinen Platz zurück, dem Publikum und seinen Reaktionen
    keinerlei Beachtung schenkend.


    Sim-Off:

    *Ovid selbst beschreibt sich gerne so (vgl. bspw die Anfänge der Bücher der ars amatoria). Der Topos schien jedoch verbreiteter zu sein, wie Platons „Ion“ und das hohe Ansehen

    einzelner Dichter vermuten lassen. Platon streut in nahezu jeden Dialog Zitate von Homer und Hesiod. Auch Aristoteles zitiert ihn ab und an. Und sogar die sonst eher theaterkritische jüngere Stoa ist in Teilen gegenüber Homer aufgeschlossen: Seneca adelt ihn in ep. 88, 5 (epistulae morales ad Lucilium) sogar zum Weisen. Ich nahm mir die Freiheit, das trotz der unzureichenden Grundlage für eine Induktion mal als gesicherten Allgemeinposten vorauszusetzen.


    Sim-Off:

    ²Ovid, ars amatoria, 1, 201-206.

    Andächtig schaute Clemens in den Sternenhimmel um Helios Wagen.

    Karriere? Irgendwie hatte er darüber noch nie nachgedacht. Bis jetzt war sein Leben mehr wie ein Fluss, dessen Wogen einen mal an Küsten des Elysium, mal in die Tiefen der Verzweiflung zogen. Und so war es doch auch ganz lustig, oder?


    Ein sanfter Seufzer begleitete seine Rede.


    "Ich glaube, irgendwo bin ich noch immer der Junge von damals. Über mehr als den nächsten Tag habe ich bis jetzt keine Gedanken gehabt. Irgendwie sorgt Fortuna wohl auch für die, die für sie da sind. Aber..."


    Er hielt ein wenig inne. Bilder von wütenden Gläubigern und verzweifelten Seelen, die "nur noch einmal" spielen müssen, um alles wieder in Ordnung zu bekommen, zogen an Clemens vorbei. Der Wein danach war irgendwie bitterer als sonst, die Kleider weniger hübsch... Wie lange kann man sowas noch machen, bis einen ein solches Leben endgültig verschlingt?


    Clemens Blick ruhte auf Helios.


    "Vielleicht ist es Zeit, das zu ändern."

    Die Welt wirkte irgendwie... schief nach Tiberius Gegenangriff. Es war die Art von Unbehagen, die man erlebt, wenn es einen juckt und die Umwelt es einem gerade nicht erlaubt, Erlösung durch ein paar Kratzbewegungen zu bekommen. Andächtig schaute Clemens in seinen inzwischen fast leeren Becher. Es gab ein Problem, nur konnte er es nicht wirklich in Worte fassen.

    Die einzige göttliche Eingebung war der Gedanke, dass sein Weinbecher einen bedenklichen Tiefstand erreicht hat. Bacchus war heute definitv seiner hold; Minerva hat Clemens göttlicher Bruder im Geiste wohl schon lange verscheucht.


    Mit einem Seufzen schenkte er nach.


    "Das kommt mir dann doch auch eigenartig vor... Ich kann aber nicht sagen, wieso. Vulcanus müsste dann ja ein Bote des Bösen sein."


    Begeistert beugt sich Clemens nach, vorne, ein verschwörerisches Lächeln im Gesicht.


    "Vermutlich ist er mit Mars im Bunde, dem Mistkerl. Nicht nur verrät er uns für seine Kriegsleidenschaft, er betrügt auch noch uns um unsere Gewinne!"


    Ein schallendes Lachen zog wie eine Lawine über den Raum, sämtliche anderen Geräusche unter sich begrabend. In den Becher sollte vielleicht noch etwas Wasser...


    Dieses letzte Aufbäumen seines rationalen Geistes wich leider Tiberius Frage, die noch immer in der Luft hing und nicht länger verweilen wollte. Dankend nahm der Quintilier ihr Angebot an, da ihm sein Standpunkt - so lustig und wahr er für ihn auch sein möge - in ihm einen schlechten Anwalt gefunden hat.


    "Eine längere Geschichte... Ich hatte eine sehr gläubige Mutter, die viel Wert auf Fortunas Gunst gelegt hat. Mein Vater war viel unterwegs, vor allem in Germania. Sie glaubte daran, dass nur die Schicksalsgöttin ihm bei den Wilden dort helfen kann. Wir waren eigentlich jeden Tag am Tempel, wobei sich auch ein aedituus dort ab und an um mich kümmerte. Irgendwie... bin ich einfach reingewachsen.

    Ich hatte mal eine rebellische Phase aber... das gab sich auch wieder."

    Der merklich wechselnde Ton der Konversation gab Clemens das Gefühl, dass an seinem seiner Meinung nach geistvollen Argument doch etwas nicht stimmte. Die Welt um ihn wurde unscharf, als sich sein Fokus mehr und mehr vom Raum in sich verkehrte.

    Der Punkt von Tiberius war gut verständlich und, bedenkt man die abstoßenden Szenen im colloseum, dem Marsfeld oder den so hoch gelobten Taten auf dem Schlachtfeld, auch schwer von der Hand zu weisen. Das alles stammte aus Hybris, fehlgeleitetem Ehrgeiz und ziemlich sicher auch einer Prise Gier. Aber musste das denn wirklich schlecht sein? Clemens selbst war ja allzu oft schon "niederen" Reizen und Freuden ergeben. Wieso sollte das denn falsch sein, wenn alles am Ende doch ein Geschenk der Götter ist?


    Der süßlich-zarte Geruch seines Weinglases, das der Arm des Quintiliers in seiner Geistesabwesenheit näher und näher an sein Gesicht geführt hatte, klarte die Welt wieder auf. Seine Augen weiteten sich, als hätte ihn ein Blitz getroffen.

    Mit einem dramatischen Schwenk seines Bechers wurde die Gegenrede eröffnet.


    "Es muss gut sein, sonst müsste man ja sagen, dass die Götter Schlechtes geschaffen hätten!"*


    Eine dramatische Pause. Der stärkste Punkt muss erstmal auf sich wirken lassen können. Nachdem der Schwere des Statements Genüge getan worden war, fuhr Clemens unbeirrt fort.


    "Ich denke, das muss man mehr wie mit dem Alkohol sehen. Kriege und Intrigen entstehen daraus, dass man nicht mehr richtig einschätzen kann, bis wann etwas gut ist. Mit Schlechten muss es so ähnlich sein: So wie der Betrunkene irgendwann nicht mehr weiß, wann der Wein seine Seele verklärt. Sich anderen Teilen verschließen zu wollen, heißt auch, sich dem uns Gegebenem zu widersetzen."


    Sim-Off:

    *Gut, dass das noch in Zeiten spielt, wo so eine schwache Defensive noch funktioniert... :D Hume hätte die gesamte Antwort hier verflucht.

    Bei der Formulierung war es schwer, dem zuvor scheinheilig wirkenden Bild des Philosophen nicht doch ein bisschen Bewunderung abzuringen. Eine Sache störte Clemens jedoch an dem Bild. Er versuchte, seinen Zweifeln Ausdruck zu verleihen.


    "Den vielen Versuchungen unseres Lebens widerstehen zu können, ist sicherlich schwer. Ich könnte das, wie du inzwischen auch siehst, nicht; sonst hätten wir uns sicherlich nie gesehen!"


    Ein sanftes Lächeln und ein Prost in Tiberius Richtung gaben dem Satz einen zufriedenstellenden Abklang.

    Doch irgendwas störte noch. Ein leise Stimme irgendwo in den tieferen Rängen von Lucius Seele ließ ihn nicht zu Ruhe kommen und brachte ihn wieder zu Tiberius Worten zurück.


    Clemens Blick fiel auf Apollon, der triumphierend über den Resten der mythischen Riesenschlange thronte. Kaum bemerkbar schüttelte er seinen Kopf. Plötzlich klarte etwas auf, als wäre ein Regenschauer über seinem Kopf eben verschwunden, um einer warmen Nachmittagssonne zu weichen.


    "Doch irgendwie... wirkt es auf mich... komisch. Warum kämpft man gegen etwas, was uns doch von Natur für uns gegeben wurde, an? Obwohl sie doch selber wissen müssten, dass sie das, was sie suchen, nicht erreichen können."