Beiträge von Lucius Quintilius Clemens

    Eine bildhübsche Sklavin mit Weinkrug ließ Valentinas sowieso schon vage wahrgenommene Bitte ebenso wie die auffällige Person von zuvor endgültig in die Vergessenheit abdriften. Nach einem gebührenden Jubelschrei für seine Helena des Abends folgten Clemens Augen seinem Schwarm, bis sie schließlich von der Menge verschlungen wurde.


    Er war schon im Begriff, ihr nachzusetzen, bis er - mit Hilfe des Rests der Feier, der sich plötzlich mit seinem Fokus auf einen Punkt zu versammeln schien - bemerkte, dass wohl irgendetwas Wichtigeres los war. Als die Zeremonie ihren Lauf zu nehmen begann, konnte auch der Trunkenbold die Punkte verbinden. Wohl wissend um seinen Zustand begab er sich etwas weiter in die Ferne, um weitere unangenehme Überraschungen für seine Verwandte zu vermeiden.


    ...Wenn sich dabei zufälligerweise auch eine gewisse Schönheit wieder offenbaren würde, wäre das selbstverständlich nur ein sehr schöner Nebeneffekt.

    Ein Stirnrunzeln konnte sich Clemens nach der breiten Erzählung nicht verkneifen. Einerseits überraschte ihn diese weltliche Seite seines Gesprächspartners, der bis jetzt stets um eine Ausstrahlung von Eleganz und Belesenheit bemüht war. Dass man in dem Gedankensystem eines solchen Menschen etwas so "Unantastbares" wie Philosophie überhaupt langweilig finden durfte, schien in etwa so glaubhaft wie eine Vestalin mit Sexualleben.


    Für seinen anderen Grund fand der Quinitilier - nach einem etwas ruckartigeren Zug an seinem Glas - Worte: "Was für gewöhnliche Menschen sie doch sind! Epikur wirkte auf mich noch wie der, der am ehesten noch mit Normalen zu sprechen scheint. Freude ist doch das, was die Wogen der Fortuna erst erträglich macht. Bei den Früchten würde ich mich sogar freiwillig in den Dreck zur Ernte begeben!"


    Ein lautes Lachen hallte durch den Raum, als Clemens das Bild von sich auf dem Boden, gebeugt über irgendein unscheinbares Grünzeug gebeugt, nicht mehr aus dem Kopf bekam: Der Junge, der am Ende jedes Ausflugs peinlich genau darauf achtet, dass seine Kleidung ja keine Dreckflecken bekommen hat - dieser Junge beugt sich dort jetzt freiwillig für ein paar Momente Euphorie runter in den Schlamm.


    "Und nicht nur das: Auch noch Intrigen! Bei Fortuna, man fühlt sich glatt in der Politik. Wie kann denn das sein, wenn sich ein Philosoph nur der Wahrheit verschrieben hat?"


    Den Lesevorschlag ließ er mal bewusst unter die Decke fallen. Das Trauma sitzt zu tief.

    "In Person war ich nie dort, nein. Ich habe mein Leben im Wesentlichen in Rom verbracht, weil meine Mutter mich ungern reisen sah. Ich kenne die Welt der Griechen nur aus den Werken von Dichtern und Sagen. Die Bilder, die vor allem Ovid und Homer von dort drüben zeichnen, ziehen die Seele jedoch förmlich dort rüber!" Clemens Augen glitzerten ein wenig, als er bei sein Blick bei diesen Worten wieder zu Helios und seinem Wagen wanderten.

    "Von einzelnen Philosophen habe ich ebenfalls gehört, fand die Werke aber etwas... trocken."


    Tatsächlich versuchte sich Clemens aus Neugierde mal an einem Buch von Platon, das in einer Buchhandlung auslag. Es ging um einen alten Mann namens Sokrates (den Namen hatte er schon häufiger gehört), der mit einem anderen scheinbar über Sprache diskutierte. Eigenartiger Zeitvertreib, aber die Charaktere hielten den eigenartigen Rahmen lebendig. Anfangs war es recht interessant, bis dieser Sokrates plötzlich "göttlich inspiriert" war und mit haufenweise griechischen Wörtern um sich warf, die er gar nicht verstand. Er wollte damit wohl begründen, dass Wörter die Dinge darstellen? Aber ein paar Beispiele reichten wohl nicht; es ging weiter und weiter und weiter... Das kritische Auge des Lesers sprang über die Worte, nahezu lechzend nach Erlösung. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass es in seinen Hoffnungen betrogen wurde; es war noch immer überall - dieses unverständliche Kauderwelsch.

    Clemens Augenbrauen fielen nach unten, das Gesicht in einem Runzeln nahezu versteinert. Sein Unmut blieb der Welt auch nicht verborgen: "Man muss NOCH ein Buch kaufen, nur um sich weiter dieses alberne Geschwätz geben zu können? Es ist doch absurd, dass die Götter für sowas Langweiliges Zeit hätten. Bei Fortuna geht auf jeden Fall mehr, so viel steht fest.*"


    Platon hat an dem Tag einen Leser verloren. Und die meisten anderen Philosophen danach auch. Lucretius war allerdings eine Ausnahme.



    Sim-Off:

    *Er hätte wohl mal besser mit dem Symposion angefangen... Wäre auch meine Einstiegsempfehlung. ;)

    Irgendwas an Tiberius kleiner Anekdote über Narcissos, dem Kontext nach wohl diese edel anmutende Diener, ließ Clemens noch in seinem Kopf an ihr herumkauen. Es wirkte auf ihn zu genau und absurd, um völlig ausgedacht zu sein.

    Er sah es vor sich: Der aufmüpfige Diener mit, der seine Verachtung gerade genug versteckt, um sie mit Wort und Geste wieder in geübten Stichen von Hochnäsigkeit aufflammen zu lassen. Einer der beiden Beamten stünde fassungslos daneben, der andere wäre vom Tag gezeichnet genug, um dem Türsteher Paroli zu bieten. Clemens rutschte ein unerwartetes Lachen raus, als das innere Streitgespräch seinen Lauf nahm. Zwischen dem ergreifenden Innerleben und der kleinen Komödie wollte die Frage zu der Geschichte, die dem Quintilier auf der Zunge lag, irgendwie nicht ganz aus dem Mund kommen.

    Auch das innere Schauspiel fand sein Ende, als Clemens sich in dem Raum fand, den Tiberius wohl schon zu Beginn anpeilte. Ihn beschlich eine leise Ahnung, welche Szene dies darstellen soll.

    Allerdings ging auch das vor ihm unter, als sich vor ihm der Wagen des Helios inmitten eines der ergreifendsten Nachthimmel erhob, die Clemens je betrachtet hatte. Es gab so viel, auf das man achten konnte, so viel, das man genießen konnte... Ihm fehlten schlicht die Worte.

    Sein Herz tat jedoch einen erleichterten Sprung, als er seine Eintrittskarte ins Gespräch und die Welt vor sich vernahm: Wein.


    Die Einladung ließ er sich nicht zweimal sagen. Locker schmiss Clemens sich auf die noch freie Liege und nahm den gefüllten Becher an sich. Nachdem er das Glas in Tiberius Richtung erhoben hatte, folgte ein gewählter, vorsichtiger Schluck.


    "Ich kann noch schwer für sie sprechen, aber ich hoffe, dass das mit den Jahren kommt. Ich bin auf jeden Fall tief beeindruckt. Ich habe noch nie so viel Griechenland an einem Ort gesehen, was sehr bedauerlich ist. In den Künsten können wir scheinbar noch einiges von ihnen lernen."


    Den Satz begleitet ein stiller Prost in Richtung des Sonnenwagens.

    Das Gebäude der Veneta hat auf Clemens beim Vorbeilaufen schon immer eine Aura von Geheimnis um sich gehabt. Gerade der aristokratisch scheinende Türsteher ließ auf eine Gesellschaft schließen, die mit einem handverlesenen Schlag an Menschen unaussprechliche Pläne und Freuden erleben.

    Etwas an Exklusivität und Geheimnissen zieht den Kopf mit sich und entführt ihn tiefer und tiefer in die eigenen Bilder von geheimen Bruderschaften, anstößigen Lastern und grenzenlosen Exzessen.

    Auch Clemens war dieses inneren Schauspiels nicht erhaben, weshalb er mit weiten Augen und nie rasten wollenden Blick jeden Winkel des factio-Gebäudes genau inspizierte.


    Auf die Vorstellung, die gerade vage genug klang, um einen Hauch von Abenteuer ohne weitere Nachfragen zu erzeugen, lächelte der Quintilier daher nur flach - ein Versuch, dem die Geheimnisse des Gebäudes zumindest dem Anschein nach zu kopieren.


    Nach ein paar Schritten im Gebäude - weit genug, dass sich Clemens auer Hörweite glaubte - wandte er sich seinem Begleiter zu:


    "Ich bin überrascht, dass man an diesem Diener vorbeikommt. Ich glaube, selbst die praefectores kann er mit seinem Auftreten verscheuchen."

    Valentina schien sich der Situation schon angenommen zu haben, als Clemens es zur Gruppe schaffte.

    Sie wirkte auf ihn irgendwie... komisch. Aus ihrem Gesichtsausdruck war klar, dass sie mit der Situation nicht zufrieden war. Aber so richtig ernst nehmen konnte man das irgendwie nicht. Vielleicht war es die lockere Freude, die jeden Anfang eines Rausches begleitet, die Clemens die soziale Tragweite nicht erfassen ließen. Aufgewühlt war sie aber in jedem Fall aber was genau die Ursache war? Schwer zu sagen. Ihre Worte bekam er ehrlich gesagt kaum mit, aber Valentinas Blick ließ irgendeinen Teil von ihm wieder wacher werden.


    Erst ein kurzes Wandern der Augen durch das Zimmer und ein paar Sekunden später war das Bild vollständiger. Viele Scherben auf dem Boden. Ah, das wird wohl das Scheppern gewesen sein. Hätte mich auch geärgert, wenn das meine gewesen wäre, bemerkte Clemens zu sich mit betontem Nicken.


    Nur, als er sich durch Zufall zu seiner Linken drehte, fiel ihm ein rothaariger Kerl auf, der sich als Einziger in eine völlig andere Richtung als die restlichen Zuschauer zu bewegen schien.


    "Vielleicht weiß der ja, was hier passiert ist!"


    Der Ausruf, getragen von einer völlig unpassenden Begeisterung, war wesentlich lauter, als es der Sprecher wohl gewollt hatte. Clemens nahm wackeligen Schritts die Verfolgung auf - sein Enthusiasmus ebenso schlecht versteckt wie sein Vorhaben.

    Die geheimnisvoll anmutende Ode an den Wein ließ Clemens ein wenig in Ehrfucht erstarren. Bei Gelegenheiten trank er viel und gerne, allerdings konnte man je nach Stimmung und verfügbaren Mitteln manchmal nicht wählerisch sein. Am Ende zählen ja doch die Erlebnisse mehr als der Geschmack.


    ...was allerdings nicht heißen soll, dass er einen guten Tropfen nicht schätzen könnte. Außerdem... ließ ihn der junge Reiter heute irgendwie nicht los. ...Saturnius, war es, richtig? Das Haus der Veneta dürfte sicherlich auch die ein oder andere Möglichkeit zu einem Plausch eröffnen - umso mehr, wenn er sich als Unterstützer der factio verdingen würde. Der Gedanke ließ Lucius ein wenig das Herz vor Aufregung rasen.


    "Ich scheine mich dann wohl öfters im Ozean verloren zu haben, bin allerdings auch damit ganz gut gefahren. Mag der Wein auch nicht stimmen, so stimmt dank ihm oft genug die Gesellschaft."


    Lucius Augen zogen sich konspirativ zusammen.


    "...was aber nicht heißen soll, dass ich nicht auch einen edleres Getränk schätzen kann. In besseren Zeiten habe ich meinen Tag gern mit einem Becher Setiner abgeschlossen. Inzwischen muss es auch einer von der Stange tun, wenn überhaupt. Ein wenig Abwechslung käme mir daher nur gelegen!"


    Von einem plötzlichen Enthusiasmus gepackt, wollte Clemens schon dem Rest der Gruppe deuten mitzukommen, hielt jedoch plötzlich inne.


    "..Wo geht es genau lang?" fragte der junge Mann mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

    Ein verlegenes Lächeln löste den leicht andersweltlichen Ausdruck auf Clemens Gesicht ab.

    "Sicher kann ich mir gerade bei Fortuna nie sein, aber ich werde in den nächsten Tagen noch einmal nachfragen, wo meine Göttin mich sieht."


    Sein Lächeln wurde ein breites, leicht verschlagenes Grinsen, als er Tiberius Einladung vernahm. Die Momente, in denen man sich einfach von den Strömen des Lebens treiben lassen kann, ohne zu wissen wo es hin geht... und jede Sekunde zu genießen. Vorfreude einerseits, Abenteuerlust andererseits. Das war es, was Clemens in diesem Moment für sich sah.


    "Wie es aussieht, weiß ich aber zumindest, wo es als Nächstes hingeht! Kennst du nen Ort mit gutem Wein?"

    Überwältigt von all den Gratulanten schien Valentina schon bald der Kopf zu schwirren. Es war beeindruckend, wie viele Verwandte, Bekannte und Freunde ihr Zukünftiger hier in der Stadt hatte. Valentina wurde klar welche Aufgabe ihr zukünftig zukommen würde. Sie war ab sofort die Frau an der Seite eines sehr angesehen und wichtigen Mannes. Eines Mannes, der sie auf seine ganz eigene Art und Weise lieben würde. Valentina jedoch liebte ihn und war sich sicher, dass dies für sie Beide reichen würde. Vielleicht ein frommer Wunsch, momentan allerdings alles was sie brauchte.
    Bei Serapios Tante hatte sie offensichtlich alles richtig gemacht. Was Valentina viel bedeutete, denn sie wusste, dass sie ein wichtiger Teil in Serapios Leben inne hatte und sie sich zukünftig sicherlich öfter sehen würden. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sogar Serapio sie lobte. Die nächste Herausforderung war das Mitglied der Iulier Familie. Sie erwiderte den Händedruck und wagte es nicht etwas zu sagen. Es war nicht die Verschmähte selbst, die vor ihr stand. Aber ein Mitglied aus dieser Familie und sie konnte sich lebhaft vorstellen wie sie in dieser Familie betitelt wurde, seit Serapio die Verbindung gelöst hatte und sich für sie entschied. Unmerklich nickte sie auf das was ihr Zukünftiger ihr zuraunte und bedankte sich ebenfalls besonders höflich für die Glückwünsche.

    Nachdem all die anderen Gratulanten an ihr vorbei gegangen waren und sie sich bei allen freundlich für die Geschenke und Glückwünsche bedankt hatte, kam ihr Verwandter auf sie zu. Scheinbar war er schon bei den Leckereien gewesen, doch das tat Valentinas Freude keinen Abbruch. Freudestrahlend trat sie auf Clemens zu und drückte ihm beide Hände. "Danke für deine Glückwünsche. Es freut mich, dass du hier bist." Endlich konnte sie mal jemanden vorstellen. "Darf ich vorstellen, das ist mein Verwandter Lucius Quintilius Clemens." Bei seiner Bemerkung wegen dem Rennen schüttelte sie leicht den Kopf. "Das ist doch schon längst vergessen." An Serapio gewandt meinte sie. "Er hat bei dem Rennen gegen dich gewettet. Das hat mir nicht gefallen." Doch mit einem Lächeln war der Ernst der Situation auch schon wieder vergessen. "Bitte genieße die Feier."

    Alkohol und Erleichterung taten ihr Bestes, um Clemens ins gefühlte Elysium zu befördern. Ohne wirklich zu wissen wieso, fing er lauthals an zu lachen. Sich an Serapio wendend, schossen die Worte nahezu aus ihm heraus.


    "Ohhh, ich hätte es mir gewünscht! Dann hätte ich für die nächsten Wochen ausgesorgt! Der Junge von den Veneta hat mich etwas zu sehr begeistert."


    Für die nächsten Worte wandte er sich Valentina zu, ein riesiges Grinsen im Gesicht. "Bei Iuppiter, Serapio, in meinen Augen hast du gewonnen. Du hättest deine Frau mal auf ihrer Tribüne sehen müssen! Bei dem Jubelgeschrei hat sogar Pluto von deinen Abenteuern Wind bekommen!"


    Lautes Geschepper holte Clemens aus einer mentalen Komödie, deren einziger Zuschauer er bei seinem vorigen, nahezu infernalischen Gelächter zu sein schien.

    Mental schon bei der Ursache vernahm er Valentinas nett gemeinten Ratschlag nur flüchtig, bedankte sich für ihn und wünschte den Verliebten noch einmal alles Gute. Solche Winke des Schicksals darf man sich doch nicht entgehen lassen!


    Nach ein paar anfangs überzeugten, jedoch nach einem halben Fall wieder zaghafteren Schritten zur Ursache, drang der Vorschlag seiner Mitbewohnerin wieder ins Bewusstsein. Er holte seinen kaum angefangenen Teller wieder ab. Mit Besteck und Hähnchen bewaffnet trat Clemens seinen Marsch zum Nebenraum an.

    Clemens Augen weiteten sich, als sich ihm diese unerwartete Interpretation seiner Selbstironie präsentierte.

    Irgendwie schien es in seinen Augen gut die Ereignisse des Tages zusammenzufassen: Dass ein so schönes Material wie Gold nur von jemandem erlangt werden könne, der auch die Gunst der Götter hat, also denselben wohl auch schön erscheint.


    "Die Kunst des Goldschmiedens scheint den Göttern wirklich zuzusagen, wenn der Sieg des Schmieds heute uns etwas sagen kann. Schließlich erkannten auch unsere Vorfahren schon, dass sich Gleiches stets zu Gleichem gesellt!"


    Irgendwo hatte Lucius das gelesen, aber es war schon lange her. Es kam auf jeden Fall öfters. Als ihm diese Zeilen jedoch spontan in den Sinn kamen, schien er für sich einen winzigen Blick in die hinteren Kulissen der Welt zu bekommen. Als wäre er Teil eines Kreises von Erleuchteten geworden, die ihre Erkenntnisse nur mit wenigen Auserwählten teilten. Seine Augen leuchteten bei dem Gedanken. Was das wohl für den heutigen Tag noch verheißen mag?


    Auf Tiberius Frage entgegnete er, noch ein wenig trunken von seiner neuen Einsicht: "Wie der Schmied bin ich wohl auch da, wo mich die Götter haben wollen. Wenn sie mir Zeichen für Gewinn geben, bin ich bei den Rennen. ...Allerdings scheinen sich die Pläne in der letzten Zeit stark verändert zu haben." Diesen Satz begleitete Lucius mit einem Schwenk seiner freien Hand auf die Rennbahn. Die andere folgte mit einem leichten Schütteln, was ein sanftes Klirren ertönen ließ. "Zurzeit hoffe ich, aedituus bei einem Tempel der Fortuna werden zu können."

    Im letzten Ausspruch seines Gegenübers steckten etwas viele Informationen, die Clemens nicht vollständig erfasst hat. Wie meist bleibt auch bei ihm das hängen, was er gerade zu brauchen meinte. Dass der junge Mann, der ihn so beeindruckt hatte, wohl tatsächlich Potential hatte, überraschte ihn jedoch. Ein blindes Huhn findet eben auch mal ein Korn. Fortunas Gnade kennt manchmal wirklich keine Grenzen...


    "Ich möchte es hoffen. Irgendwas sagt mir allerdings, dass ich dazu nur auf den Goldschmied setzen müsste!"


    Der Satz war begleitet von einem mehr oder weniger spontanen Lachanfall. So müsste er wenigstens nicht mehr über Wagenrennen reden. Würde das passieren, würde sich sein Anfängerglück schnell als solches präsentieren.


    "Ich glaube, wir hatten die Ehre noch nicht. Sehr erfreut, Tiberius! Man nennt mich Lucius Quintilius Clemens."

    „He Lux, du lebst hoffentlich noch?“


    Eine leicht heisere, kratzige Stimme
    riss Lucius aus seiner Trance. Es war Quintus, der ältere Priester
    hinter dem etwas suspekten Empfehlungsschreiben. Seinen
    leuchtenden Augen nach zu urteilen war sein letzter Satz erst der
    Anfang, weshalb Lucius es bei einem Nicken als Gruß beließ.


    „Ich bin jetzt wieder zu etwas Geld
    gekommen und habe mir gedacht, dass ich dir noch einmal ein wenig
    unter die Arme greife. Eine Empfehlung ist doch etwas wenig für das,
    was du für mich getan hast. Außerdem...“ - Den Teil leitete der
    alte Mann mit einem Zwinkern ein - „kann ich dich nicht einfach so
    auf die Götter loslassen, ohne nicht einmal ein größeres Opfer
    gesehen zu haben! Sonst lande ich deinetwegen noch wirklich im
    tartarus!“ Quintus wollte schon in Gelächter ausbrechen, sah
    allerdings die steinerne Fortuna und zuckte schon im Ansatz zusammen.
    Die Augen des Angesprochenen zogen sich zusammen. Der Alte wusste,
    wie Lucius zu diesen Opfern steht und hofft wohl, jetzt etwas Spaß
    mit ihm zu haben. Noch hatte Clemens die leise Hoffnung, dass es bei
    leeren Worten blieb.


    Doch ein Wink des Greises zeigte, dass
    dem nicht so war. Drei unscheinbar aussehende Figuren, die noch am
    Fuß des Hügels standen, traten nun heran. Sie hatten wirklich alles
    dabei: Ein kleines, gesund aussehendes Ferkel, ein Band und eine
    sogar farblich passende Wolldecke, eine Doppelflöte, eine Schüssel,
    ein Opfermesser...


    Dem Quintilier lief es kalt den Rücken
    runter. Wie sehr er gehofft hatte, dass ihm das erspart bliebe! An
    das Ansehen dieser martialischen Prozedur konnte er sich nach den
    Jahren gewöhnen. Das Schlachten selbst? Keine Gelegenheit, dem
    irgendwie auszuweichen, blieb ungenutzt. Er war einfach nicht dazu
    gemacht, irgendjemand oder irgendetwas selbst zu töten.

    Er schluckte einen Kloß in seinem Hals
    runter. Er hätte eigentlich wissen müssen, dass die
    Schicksalsgöttin ihn vor seinen größten Gegner stellen würde:
    Sich selbst. Andererseits könnte er sich nach diesem Tag sicher
    sein, dass sie nie wieder an seiner Hingabe zweifeln wird.
    ...Zumindest in nächster Zeit nicht.

    Dieser Gedanke gab Lucius schließlich
    auch die Kraft, zur Tat zu schreiten. Er deutete Quintus und seiner
    Entourage, ihm zum Altar vor dem Tempel zu folgen, welche hierauf
    ihre Häupter mit ihren togae bedeckten.

    Kurz bevor sie jedoch ihren Weg
    antraten, erhielt Clemens von Quintus und einem der Begleiter die
    Wolldecke und ein Band. Dies nahm der Quintilier als Anlass, das
    Ferkel zu überprüfen. Er war bei weitem kein Naturforscher, konnte
    aber weder am Ferkel selbst noch in dessen Mundbereich etwas
    Auffälliges entdecken. Anschließend brachte er auf dem Rücken des
    Tiers die Wolldecke an, während das Band an den Kopf der baldigen
    Gabe wanderte. Dies nahm die Gruppe als Zeichen, ihre kleine Reise
    anzutreten.

    Auch wenn der Weg kurz war, flogen
    geheimnisvoll anmutende Töne durch die Luft. Die kleine Wanderschaft
    hatte mit dem Solo eines ihrer Mitglieder und der strahlenden Sonne
    eine fast schon heimische Atmosphäre. Der Opferleiter konnte
    unmöglich wissen, ob seine Göttin tatsächlich anwesend war. Hätte
    man ihn dem Moment gefragt, hätte er sie doch bei sich zu spüren
    gemeint. Diese Ehrfurcht schien der Rest zu teilen, denn abseits der
    Doppelflöte war es totenstill. Sogar das tierische Anhängsel ging
    mit einer Gelassenheit, die sogar bei einem Menschen ihres Gleichen
    suchte, seinem unausweichlichen Schicksal mit bewundernswertem
    Gleichmut entgegen.

    Der Flötenspieler positionierte sich
    mit etwas Abstand vom Geschehen, bekam jedoch vorher noch von Lucius
    Wasser ins Gesicht gespritzt. Auch Rest blieb nicht verschont.
    Allerdings war das Ferkel der einzige Teilnehmer, der sein Empören
    ausdrückte. Es quiekte kurz, weil einer der Tropfen dem Tier ins
    Auge geflogen zu sein schien. Clemens betete, dass dies kein
    schlechtes Zeichen sei.

    Das junge Schwein fand jedoch zu seiner
    ihm eigentümlichen Ruhe, als es wieder das Spiel des Begleiters
    vernahm und ließ sich ohne Widerstand auf dem Altar hieven. Die
    Schale wanderte zu Quintus.


    „Favete linguis!“


    Eine Stimme, die an die Intensität
    eines ausbrechenden Vulkans erinnert, durchschnitt die meditative
    Stille wie ein frisch geschärftes Schwert. Lucius Herz machte einen
    Satz, aber er fing sich schnell wieder. Es muss wohl einer der
    Begleiter gewesen sein.


    Sich auf seine bevorstehende
    Herausforderung besinnend, verkündete Lucius der Welt: „Große
    Fortuna, ich biete dir hiermit im Namen meines Mentors und mir dieses
    wunderbare Geschöpf Iuppiters an! Lass dieses Ferkel Beweis dafür
    sein, dass wir dir treu ergeben sind!“


    Der alte Priester hatte nicht erwartet,
    ebenfalls eingebunden zu werden. Mit einem Grinsen, das irgendwo
    zwischen unerwarteter Rührung und einem Anflug von Schadensfreude
    schwnkte, reichte er Clemens die Schale neben dem mallium latum.

    Nach einer schnellen Reinigung mit dem
    Wasser und Trocknung mit dem eben benannten Tuch tauschte Lucius
    Wasserschale und mallium latum gegen ein Opfermesser und zwei Schalen
    – eine leere und eine andere, die mit einer grau-weißen, mit
    kleinen Steinen gespickten Mischung gefüllt war.


    Schön, die mula salsa ist da. Aber...
    Als Lucius es sah, rissen sich ihm erneut die Augen auf. Hilfesuchend
    wandten sich seine Augen Quintus zu, der jetzt definitiv ein leicht
    hämisches Lächeln auf den Lippen hatte. Keine Betäubung? Der Alte
    will mich wohl quieken hören... Lucius erwiderte das Grinsen. So
    leicht werde ich es dir nicht machen.

    Mit mehr Kraft, als er in seinem
    zierlichen Körper für möglich gehalten hätte, hielt er das Ferkel
    fest und befestigte die Ketten des Altars an seinen Füßen. Dieses
    Mal gab es wesentlich mehr Protest: Das Tier zappelte hin und her,
    was die Decke etwas verrutschen ließ. Als alle Fesseln befestigt
    waren, fand es sich jedoch überraschend schnell mit seiner neuen
    Lage ab.

    Als Nächstes bekam das junge Schwein
    seine steinige Salzmarinade, indem Clemens es behutsam mit der mula
    salsa bestrich. Quintus hielt ihm Wasserschale und Tuch entgegen,
    welchen Clemens dieses Mal deutlich mehr Aufmerksamkeit widmete.
    Nachdem der Alte schon dreimal Anstalten gemacht hatte, ihm die
    Schüssel unter der Nase wegzuziehen, drehte sich Lucius schweren
    Herzens um. Mit einem Seufzer nahm er das vor ihm in der Sonne
    glitzernde Messer in die Hand.

    Seine Hand wanderte gen Himmel, was ein
    grelles Licht ezeugte, das den Quintilier kurz zusammenzucken ließ.

    Du schaffst das, Lucius... Mit diesen
    Worten sprach er sich ein letztes Mal Mut zu, bevor die Klinge sehr
    leicht in die Haut des Ferkels einfuhr. Ihr Weg vom Kopf zum Schwanz
    blieb diesmal nicht so ruhig. Das Ferkel zitterte und quiekte, jedoch
    war alle Mühe vergebens. Lucius Hand trieb den Stahl unermüdlich
    an, lief jedoch wegen des sehr aktiven Treibens der Gabe vor allem im
    Rückenbereich etwas schief. Das verlängerte den Prozess etwas, wenn
    Clemens kurz innehalten oder einen Umweg ziehen musste – sehr zum
    Leidwesen der Kreatur unter dem Messer.

    Lucius Blick fiel. Meine Güte, mach es
    dir doch bitte nicht noch schwerer... wollte er dem Schwein
    zuflüstern, wusste jedoch, dass es vergebens war.

    Allem Widerstand zum Trotz fielen Band
    und Decke sanft wie Federn und ohne Widerstand zu Boden.

    Als das Messer mit dem Ende des
    Schwanzes sein Ziel erreichte, fiel das gepeinigte Tier vor
    Erleichterung zusammen und verstummte schlagartig. Clemens hätte es
    ihr fast gleich getan, hatte jedoch noch einiges vor sich. Nach einer
    kleinen Pause, um seine Gedanken nach dieser unangenehmen Erfahrung
    zu sammeln, hob er seine Hände gen Himmel und rief:


    „Fortuna, Göttin des Schicksals
    und des Glücks!


    Jeden Tag lässt du mich an deiner
    Macht teil haben, indem du mich trotz meiner Laster
    wieder und wieder auf den richtigen Pfad bringst.


    Ich habe mich dir zuliebe wieder der
    Religion zugewandt und werde dir heute beweisen, dass ich deine Gunst
    verdiene. Ich werde mein erstes Tieropfer widmen – etwas, das ich,
    wie du wissen dürftest, bis jetzt seit Beginn meines Lebens jedem
    anderen Gott sogar als Helfer verweigert habe. Vergiss bitte auch
    nicht, dass ich dir bis jetzt stets treu geblieben bin; auch wenn ich
    andere Wege hatte, das zu zeigen.


    Gib mir auch weiterhin die Kraft,
    deinen Wünschen gerecht zu werden! Gib mir die Kraft, auf dem
    richtigen Pfad zu bleiben! Und gib mir die Kraft, solche
    Schicksalssprünge wie den, den ich für dich gleich vollbringen
    werde, auch in Zukunft zu tun!


    Ich werde Geld beiseite legen, um
    dir Ehren wie diese regelmäßig liefern zu können und es auch
    selbst machen! Ich werde dafür sorgen, immer die Mittel beisammen zu
    haben, dir diesen Dienst erweisen zu können!“


    Seine Bitte schloss Lucius mit einem
    eleganten Schwenk seines Körpers nach rechts ab.


    Dies nahm einer der Fremden zum
    Zeichen, die leere Schüssel mitzunehmen und sich vor dem Kopf des
    Ferkels zu positionieren. Ein Wink nach links der Person war Lucius
    Zeichen genug, sich wieder des Messers anzunehmen und ihm dort
    Gesellschaft zu leisten.


    Der Helfer war überraschend jung. Ein
    schönes, ruppiges Gesicht mit ein paar Bartstoppeln, leicht
    struppige Haare... Er hat was Wildes an sich, dachte Lucius und
    fragte sich, ob er vor seinem Zwanzigsten früher auch mal so ein
    Adonis gewesen sei. Erst, als sich seine zuvor von Erwartung weiten
    Augen langsam verschmalten und deutlich ein „Mach schon!“ mit den
    Lippen geformt wurde, setzte der Quintilier sein Messer zwischen
    Backe und Kehle an.

    Er schob so gut es ging seine
    langärmlige Toga zurück, bevor er ein lautes „Agone?“
    verlautbaren ließ. Die vertraute, kratzige Stimme des Quintus
    erwiderte: „Age!“


    Lucius nahm seinen gesamten Mut
    zusammen und zog mit einer überraschenden Schnelligkeit das Messer
    durch den Hals des Ferkels durch.


    Ein lautes Quieken, das ebenso schnell
    kam wie es verschwand, verkündete das Ende des Tieres. Der Schönling
    stand schon bereit, um das kostbare Blut in seiner Schale
    aufzufangen. Ein warmes Lächeln wartete auf Clemens, als er den
    Blick des jungen Mannes erwiderte. Lucius war überrascht, dass für
    so einen kleinen Körper kommt überraschend viel Blut zu halten
    scheint.


    Der nächste Teil fiel ihm, da tote
    Ferkel keine wirkliche Gegenwehr leisten konnte, zumindest etwas
    leichter. Vielleicht war es schon der Ansatz von Routine, vielleicht
    auch die Freude über den eigenen Mut und vielleicht etwas Anderes...
    Jedenfalls ging ihm der Schnitt, der auf das Umdrehen des Tiers auf
    dessen Rücken folgte, wesentlich leichter von der Hand. In weniger
    als einer Sekunde lag der Bauchbereich offen.


    Der Gestank ließ Clemens jedoch
    trocken husten und ein Gefühl von Übelkeit in seiner Magengrube
    aufsteigen. So musste es für ihm im tartarus riechen... Kein Wunder,
    dass der Alte so viel Schiss davor hat, da hinzukommen...


    „Jetzt kommt mein Einsatz.“ Mit
    dieser Einleitung widmete sich Quintus dem nunmehr offenen Schwein,
    schnappte sich jedoch vorher noch das Opfermesser in Lucius Hand. Er
    trennte die Innererien voneinander und sammelte sie in einer Schale,
    die einer der drei Buben ihm kurz zuvor hingestellt hatte. Quintus
    hielt Clemens das inzwischen blutige Messer mit dem Griff hin,
    welcher es an sich nahm und sich nunmehr dem Zerteilen des
    Restferkels widmete. Quintus begutachtete in der Zwischenzeit die
    Innereien.


    Alles war, dem Alter des Tiers
    geschuldet, noch reichlich klein. Allerdings sahen nichts krank oder
    deformiert aus. Quintus bat Clemens zuletzt um sein Messer, damit
    auch das Innere überprüft werden konnte. Auch nach ein paar
    eröffnenden Schnitten waren keine Tumore oder Ähnliches erkennbar,
    dafür aber auch keine auffallend positiven Regionen.


    Mit einem leicht heiser anmutenden
    „Litatio!“ fiel Lucius wohl ein Stein vom Herzen, den nicht
    einmal Herkules hätte tragen können.


    Der Rest fiel ihm vor Freude kaum noch
    auf. In einem Moment war er noch draußen, später fand er sich vor
    dem ihm noch vertrauten foculus wieder und brachte seiner Göttin
    nunmehr auch die zuvor mit mola salsa eingetauchten Eingeweide seines
    ersten Opfertieres dar. Die kleine Anlage war schon bald von einem Geruch erfüllt, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.


    „Hahaha, dass der kleine Lux mal sein
    richtiges Opfer machen würde... Ich hab dich bis jetzt immer für ne
    halbe Portion gehalten, aber du hast doch mehr Mumm als ich dachte!“
    Ein Schlag auf die Schulter brachte den verträumten Clemens wieder
    zurück zur Erde. Er ließ seinen Blick schweifen. Alle waren sie da, um den wohlriechenden Kessel mit dem Fleisch seines Ferkels versammelt:
    Quintus, der Schönling, der Flötenspieler und der Dritte im Bunde.
    Der Musiker stimmte schon zum nächsten Lied an, was den daneben
    sitzenden Quintus lauter werden ließ. Lang hielt er das jedoch nicht
    durch, bevor er sich in einem lauten Husten verlor.

    Die ganze Truppe konnte nicht anders
    als loszulachen. Auch wenn er es nicht oft zeigte, war Quintus doch
    so etwas wie ein Vater für ihn geworden – ein eigenartiger, etwas
    schrulliger aber liebenswürdiger Vater, der sich auf seine besondere
    Art um ihn kümmert. Am heutigen Tag wurde ihm das so klar wie noch
    nie zuvor.


    Auch ein weiteres wusste Lucius mit
    einer unumstößlichen Sicherheit: Dies alles würde er niemals
    vergessen.

    Ein Wein kommt selten allein. Dem ersten Becher folgte ein zweiter. Auch ein dritter war schon halb leer, bevor sich die etwas ernüchternde Erkenntnis wieder breit machte, die Lucius überhaupt erst hierher verschlug. Das Huhn blieb im Übrigen fast so, wie er es sich auf den Teller geladen hatte. Ein paar Schnitte und abgetrennte Stücke ließen zumindest den Versuch vermuten, etwas davon zu essen.


    "Das alles hebst du dir besser für später auf." Murmelte er zu sich und wanderte in Richtung des Brautpaars. Von der anfänglichen Eleganz war inzwischen nicht mehr allzu viel übrig. Einige schiefe Schritt nach rechts, ein paar wackelige nach links und ein Beinahunfall mit einem Sklaven später war sein Ziel erreicht: Die Braut.


    Zum Glück konnte Lucius noch fest stehen, was ihm zumindest in statischer Form eine innerhalb von ein paar Minuten verlorenen Anmut zumindest teilweise wiederfinden ließ. Vor Valentina angekommen brachte er zumindest noch das Folgende heraus:


    "Alles Gute zur Hochzeit, liebe Valentina! Hoffentlich wirst du wunderschöne Jahre mit deinem Mann haben! Du hast es mit ihm wirklich gut getroffen! N Tribun der prätorianischen Garde... Junge, Junge!"


    Etwas leiser, aber noch halbwegs hörbar schob er noch hinterher: "Oh, und Entschuldigung wegen... der Geschichte beim Rennen. Manchmal packt einen die Fortuna und zerrt einen einfach mit sich..." Der letzte Teil war von einem wohl etwas zu gut gemeinten Schwenk mit dem halbvollen Weinglas begleitet.


    Hier wurde Valentinas etwas zu ausgelassener Verwandter dagegen ein wenig laut, sein Blick fiel jedoch auf den Boden.

    "Das nächste Mal werde ich ihr etwas mehr Widerstand leisten, bevor ich dir wieder auf die Füße trete."

    "Es ist immer gut, wenn man sich ihres Segens zuversichtlich sein kann. Ich für meinen Teil habe heute nichts riskiert. Obwohl ich versucht war, auf meinen guten Freund Saturninus zu setzen, der heute für uns das Rennen bestritten hat und natürlich weil sich das für einen Anhänger der Blauen so gehört."

    Tiberius überlegte kurz, ob er den anderen schon einmal bei der Veneta gesehen hatte, kam dann aber zu dem Schluss, dass er ein neues Gesicht vor sich hatte.

    "Vielleicht versucht ihr es beim nächsten Mal noch einmal mit Saturninus. Durchaus ansprehend, was er hier insgesamt trotz des Ergebnisses heute gezeigt hat, meint ihr nicht?"


    "Da hast du heute wohl die richtige Wahl getroffen. Dass ausgerechnet der Mann der Goldschmied-Vereinigung gewinnen würde, konnte man kaum kommen sehen."


    "Was Saturnius angeht..." Als er den Namen des Vertreters der Veneta hörte, hielt Lucius plötzlich inne. Was für ein passender Name... Eine leichte Ergriffenheit zeichnete sich ebenso schnell auf seinem Gesicht ab, wie sie nach einem Kopfschütteln wieder verschwand.

    "Auf jeden Fall! Er blieb auch in unschönen Situationen gefasst und schien sehr viel trainiert zu haben. Eine solche Eleganz sucht wirklich ihresgleichen! Der wird auf jeden Fall noch weit kommen, ja ja!"


    Als ob es sich um einen Belang von Leben und Tod ging, untermauerte Lucius seinen Satz mit zwei langsamen, feierlich anmutenden Nickbewegungen.

    Hm, normalerweise findet sich immer ein siegessicherer Trottel in der Menge. Langsam wurde Lucius klar, dass dieses Los wohl ihm dieses Mal zugeteilt wurde.


    Dass der Vertreter der Aurata wohl noch ein richtiges Comeback hingelegt hatte, kam ihm wohl nur zugute. Er wusste nur, dass er sein Leben an seinem inneren Auge vorbeiziehen sah, als Valentinas Flamme absackte, nur um sich zu guter Letzt fast zum Sieg zu reiten. Seine halbherzige Antwort hätte ihm in jedem anderen Fall wohl das Genick gebrochen. Fortunas Wege bleiben wirklich unergründlich...


    Tiberius leicht abfällige Frage war jedes Zeichen, das Clemens brauchte, um sich wieder in den Armen seiner Göttin zu wissen.


    Mit schlecht versteckter Erleichterung drehte er sich souverän zum Neuankömmling und erwiderte: "Ach, ich glaube nicht, dass wir das Treiben dieser launischen Schönheit je werden verstehen können. Am Glauben dürfte es keinem von uns gefehlt haben, nur weiß die Gute einfach nicht, was sie will. Ich für meinen Teil habe meinen Segen von ihr heute bekommen." Mit seiner freien Hand streichelte er den eigentlich nur mit ein paar Münzen und Schrott gefüllten Sack.

    "Was hatte sie für dich so auf Lager?"

    Nachdem die letzte Begegnung mit seiner Verwandten eher weniger glimpflich verlaufen war, war Lucius sichtlich überrascht, als er dennoch eine Einladung zur Hochzeit erhielt. Vermutlich mehr aus Konvention als aus Zuneigung, allerdings könnte so eine Feier eine schöne Pause von seinem seit dem Rennen eher ereignislosen Dasein sein. Nach so einem glorreichen Versagen ist es erfahrungsgemäß besser, erst einmal eine ruhige Kugel zu schieben...


    Irgendwann packt einen das Leben jedoch wieder und nun steht er da. Ein letzter Wurf seiner Münze bestätigte es, indem sie ihm beim Fall in Lucius Hand das Gesicht seiner Göttin präsentierte. Eventuell doch eine Chance? Man wird es sehen. Auf jeden Fall keine krummen Dinger - diesmal zumindest nicht.

    Und auch wenn er es ungern zugab: Langsam wurde es wirklich eng mit dem Geld. Rom scheint über Nacht schlauer geworden zu sein, oder er einfach nur ungeschickter... Wie dem auch sei: Lucius könnte es sich nicht leisten, so viel gratis Essen liegen zu lassen.


    Das Outfit stimmte in jedem Fall schon einmal. Ein lange verloren geglaubtes Stück kam aus seinem Kleiderschrank: Eine blaue toga. Der Spieler hob sich das Stück für gesellschaftliche Anlässe auf, von denen es in seiner Familie mit den Jahren weniger und weniger gab. Irgendwo war er auch froh drum: Das Ding rutscht bei einem unaufmerksamen Augenblick gern vor die Füße, was das vorige Werk von Stunden ruinieren kann.

    Nichtsdestotrotz lief Lucius in dem Stück mit langsamen, gewählten Schritten voran. Zusammen mit einem sanften Lächeln, der schmächtigen Statur und einem eher mädchenhaften Gesicht hat er trotz der Schwierigkeiten, die ihm seine Kleidung macht, eine Eleganz, die man bei anderen Vertretern seines Geschlechts nur selten antrifft. Es dauerte nicht lange, bis sich der erste Anflug eines Lächelns in wirkliche Freude verkehrte.


    Wider Erwarten blieb er innerlich ruhig, als er über die Schwelle der casa decima schritt und von einer doch schon beachtlichen Menschenmenge begrüßt wurde. So viel Duft und Kerzenlicht kannte der junge Quintilier sonst nur aus Tempeln. Bei dem Geruch von Huhn, der ihn nach nur ein paar Schritten übermannte, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Ein lautes Grummeln in der Magengrube war die letzte Ermutigung, die er brauchte, um sich endgültig ins Getümmel zu stürzen.


    Er folgte dem Geruch zu seinem Ursprung, vorbei an einem Heer von Sklaven, Tänzern und Unterhaltern aller Art neben dem ein oder anderen Partygast. Wer genau da so war, registrierte er nicht. Sein Auge kannte nur eines: Den vor sich hin brutzelnden Vogel, der sich vor seinem Horizont offenbarte.

    Kurz vor dem Ziel seiner Wünsche fing Lucius noch einen Sklaven ab, von dem er sich einen Becher flüssigen Mut einschenken ließ. ...Der unangenehme Teil kommt schließlich noch.

    Möchte man die Gefühlslage des mit dem Satz seiner Verwandten bedachten Menschen verstehen, kann man sich seine Seele anstelle vom großen Caesar an den Iden des März
    vorstellen. Welche Kraft Lucius auch immer ergriffen hatte, soeben hat sie ihn mit aller Wucht wieder auf den Boden der Tatsachen geschmissen. Euphorie wich einem deutlich erzwungenes Lächeln aus Stahl.
    Der sowieso schon wenig überzeugende Ausdruck wird durch die sich
    deutlich abzeichnende Angst in den weiten Augen des Quintilianers nur
    noch offensichtlicher.

    Erst, als er seinen Kopf langsam in Richtung der Stimme wandte und ihn der schneidende Blick Valentinas empfing, wurde ihm der wirkliche Ernst seiner Lage erschreckend deutlich bewusst.

    Die Situation hat sich gleich zweimal verschlechtert. Wirklich viel hatte er zwar mit seiner Mitbewohnerin bis jetzt nicht zu tun, allerdings war Lucius bewusst, dass Frauen sehr
    nachtragend sein können. War ihre Flamme auf die Veneta oder den Blauen nicht so gut zu sprechen? Für ihn waren die abseits der Farben alle gleich – außer, wenn sie seine Kassen füllten. Aber dann liebt man doch die Gaben und nicht den Sport, zumal die Sportler
    dann auch bloß Werkzeuge göttlichen Willens waren.

    Apropos Geld: Das dürfte sich jetzt wohl auch erledigt haben. Gesichter in Zuschauerreihen sind
    austauschbar, aber Zorn kann gerade im Bekanntenkreis eine erstaunlich gute Gedächtnisstütze sein. Die Menge und auffällige Geschehen sind normalerweise jeder Schutz, den sich ein
    Taschenspieler wünschen kann. Selbst wenn einen jemand sieht, bekommt der dann meist nur Dinge raus wie: „Also, so ein Ähnlicher ist glaube ich an mir vorbei gerannt aber da kann ich mich nicht mehr genau dran erinnern.“ Umso besser, wenn wer Freunde und eventuell schon ein bisschen was intus hat. Kaum etwas ist einer missverstandenen Leidenschaft abträglicher als brauchbare Zeugen.


    Umso mehr, wenn sie bei einem wohnen.


    Noch immer mit seiner Grimasse im Gesicht bekam Lucius mit Ach und Krach heraus: „Oh, hallo
    Valentina! Wie schön, dich hier zu sehen! ...Äääähh, ja ja, sehr, sehr spannend, das Rennen... Für die Aurata läuft es ja ganz gut?“


    Innerlich ging er schon die Gottheiten durch, die man jetzt gerade bräuchte. Eine fiele ihm sofort ein – aber sie scheint gerade als Zuschauerin ganz glücklich zu sein.

    Vielleicht springen Iuppiter oder Concordia dieses Mal ein?

    Leicht regnerische Tage hielten Lucius regelmäßig bei sich zuhause, wo er
    sich ganz seinem Ovid widmen konnte. Heute trieb es ihn jedoch
    hinaus... Schließlich war heute ein besonderer Tag.


    Wegen des Rennens? Nein! Die Menge bei Spielen sucht der Weise aus zwei
    Gründen: Leben und Geld. Letzteres ist selbstredend das Wichtigste. Es gibt keine
    bessere Möglichkeit, klamme Kassen zu füllen als einige
    Leichtgläubige dazu zu bringen, Haut und Haar auf ihren
    Hoffnungsträger zu setzen!


    Die Rennen selbst fand Lucius sogar leicht abstoßend. Die grausamen
    Unfälle, die erbarmungslosen Mitstreiter, teilweise gewaltsame
    Kleinkriege unter den Leuten über ihre factiones, die Erinnerungen
    an seine eigene Unfähigkeit auf dem Gebiet... Beim letzten
    Rennen, bei dem er zuschaute, lag einer der Fahrer blutüberströmt
    am Boden, sein linker Arm geplättet von der hölzernen, von Pferden
    gezogenen Lawine. Mit letzter Kraft schob er sich aus dem Geschehen. Allerdings vergeblich,
    da er schließlich auf halbem Weg ohnmächtig wurde. ...Die
    Menge nahm mit einem infernalischen Grölen und Jubelschreien ihr
    Menschenopfer an.


    Eine Sache macht jedoch selbst den größten Renngegner schwach. Und das
    selbst dann, wenn der Groschen nicht in, sondern aus der Kasse
    springt: Das Leben, oder besser die Atmosphäre. Das Donnern der
    Wägen spricht mit den hysterischen Schreien der Jünger der
    factiones neben den wunderschönen Anblicken der jungen Frauen Roms
    einen nahezu unüberwindbaren Zauber, der die Seele nicht mehr
    loslässt. So abstoßend ein Unfall auch sein konnte, so einnehmend
    war der Rest.

    Auch dieses Mal war für ihn es nicht anders. Anfängliche Zweifel und
    Scheu waren weggespült vom Meer der Freude und Jubel, das sich vor
    Lucius Augen zeigte.


    Wo er genau in der Menge gelandet war und bei wem, wusste der
    Sportscheue natürlich nicht. Der Wagenlenker mit dem vielen Gold war
    vermutlich wohl öfters mal bei ihm zuhause im Garten? Lucius meinte,
    ihn wiederzuerkennen, konnte sich bei dem ganzen Gewimmel und
    fehlender Aufmerksamkeit jedoch nicht sicher sein. Die Stimme seiner
    Mitbewohnerin und Verwandten konnte er jedoch hören, weshalb er
    seinen Kopf ihr zuwand. Sie scheint sich die Seele für den Goldenen
    aus dem Leib zu schreien, da ihr Blick kaum von ihm zu weichen
    schien. Dann war er es wohl. Die Szene brachte ein sanftes Lächeln
    auf Lucius Lippen. Mit einem flüchtigen Wink in Valentinas Richtung
    wandte er sich wieder der Menge zu, bevor ihn die Menge mit Körper
    und Geist verschlang.

    Mit jeder Sekunde wurde das Geschrei nur elektrisierender. Jeder Ruf,
    jedes Banner, jeder Hufschlag eines Pferdes scheint den Geist ihrer
    Zuhörer mehr und mehr emporzuheben. Es war völlig egal, wer gewinnt
    oder dies zu tun scheint. So genau muss man das wohl auch nicht
    wissen. Wenn die Aurata jubelten, schrie Lucius von Ehrungen und Ruhm
    für den Goldenen. Ein paar Sekunden später fühlte er sich den
    Veneta so verbunden, dass er demselben Fahrer den Fall wünschte. Und
    auch der aristokratisch anmutende Vertreter der Veneta hielt Lucius
    nur, bis die Vertretenen vom „Mann des Volkes“ ein klein wenig
    lauter wurden. Der Lautstärke nach zu urteilen scheint der wohl
    gerade zu gewinnen. Ein Blick aufs Geschehen bestätigte diesen
    Eindruck. Lucius verweilte hier jedoch nicht lang. Irgendwie zog es ihn doch zu den

    edlen Pferden und das fast schon erhabene Aussehen
    des jungen Veneta-Reiters. Selbst die Nervosität eines der Pferde brach diese Aura der beherrschten Eleganz nicht, die nur eine Kombination aus einem gehöriges Maß an Mut, Übung und angeborenem Stil meistern kann. Das nervöse Pferd fing sich und das Gespann um den Blauen nahm wieder an Fahrt auf.


    Man mag es Eingebung nennen, man mag es Dummheit nennen. Allerdings

    wusste Lucius, dass genau diese Momente es waren, die Fortunas Blick
    anlockten. Seine Hand, die einen schwer anmutenden Sack
    hervorzauberte, schoss in die Höhe. „Bei Fortuna, der Blaue wird’s
    machen! Den ganzen Sack auf den von den Veneta! Ist niemand von euch
    Manns genug, mitzugehen!?“

    Dieses Grinsen des Beamten hatte zusammen mit dem Satz etwas... Enigmatisches. Dieses fallende Gefühl in der Magengrube, das kurz vor dem Fall kommt, machte sich in Lucius breit. Wissen? Nein, was gäbe es zu wissen? Der Alte war ja tatsächlich Priester, also war es ja kein Betrug. ...Vermutlich.


    Fortuna würde es wohl Schicksal nennen, also wird es laufen, dachte sich Lucius und erwiderte das Lächeln.


    "Falls es Rückfragen geben sollte, erreicht man mich über die casa Quinitilia. Es sind nicht mehr so viele wie früher da, aber es sind genug, um eine Nachricht entgegen nehmen zu können. Ich kümmere mich dann so schnell es geht darum. Weder Staat noch Götter lässt man schließlich warten."


    Sein Innerstes sträubte sich beim Gedanken an den kommenden Satz aber leider hat Höflichkeit eine zwanglose Macht, derer Lucius auch jetzt noch bedürfen könnte.


    "Ah... Danke für die Chance!"

    Seit dem Gespräch mit dem Beamten konnte Lucius an wenig anderes als seine große Chance
    denken. Er wusste, dass er diese Gelegenheit von seiner Fortuna höchstens ein Mal bekommen wird.


    Im Geiste ging er die Schritte der nächsten Momente noch einmal durch. Es war lang her,
    dass er für seine Göttin mehr als Schwüre, Trinksprüche, ein gelegentliches Gebet und den gelegentlichen Fluch übrig hatte. Der Weg zum Tempel, den Lucius von zuhause aus zu Fuß lief, zog in Windeseile an ihm vorbei. Sogar der Beutel, der mit allem, was er für
    heute brauchen würde, gefüllt war, wurde überraschend leicht.

    Ehe er sich versah, baute sich vor ihm der bescheidene Monopteros-Bau des templum fortunae auf. Das Gebäude an sich war verhältnismäßig klein und offen gebaut.
    Eine kleine Oase der Ruhe inmitten des geschäftigen Treibens des
    Mittelpunkts der Welt.

    Ihn überkam ein leichtes Gefühl von Nostalgie. In einem anderen Leben war er mindestens
    einmal die Woche mit seiner Mutter in einem der Tempel der
    Schicksalsgöttin, um ihr seinen Opferkuchen zu präsentieren. Er machte das Gebäck sogar manchmal selbst... So sehr, wie man das in dem Alter eben macht: Er durfte immerhin die Lorbeerblätter auslegen UND den Teig formen. Das Feuer, vor allem dessen Hitze war seiner
    Mutter noch zu gefährlich, um „ihren kleinen Lux“ zu überlassen.


    „Fortuna ist immer da, mein kleiner Lux. Natürlich weiß sie auch, dass die liba von dir
    sind!“ Mit einem Zwinkern und einem Lächeln hinter dem Satz konnte
    sie Lucius dann doch abwimmeln.


    Die idyllische und doch erhabene Atmosphäre, die durch den kleinen offenen Raum und der
    Natur einerseits, die von Nahem überraschend hohen Säulen sowie die einnehmende Fortuna-Statue in der Mitte des Tempels andererseits erzeugt wird, zogen den Beobachter in ihren Bann. Was für ein Segen es doch ist, dass seine Göttin die Vernunft hatte, sich bei all den
    Eskapaden, durch die sie ihre Untertanen begleitet, einen so ruhigen
    Rückzugsort zu suchen!


    Lucius streckt seine Arme aus und atmete tief ein. Zu all dem kam ein drittes Gefühl: Heimat.
    Nie zuvor fühlte er sich so aufgehoben an einem Ort wie hier. Und nie zuvor hat er so eine Dankbarkeit verspürt, sich wieder in der Gegenwart des personifizierten Schicksals zu befinden.

    Der Tag war es ihm sogar wert, seine Toga wieder auszugraben. Glücklicherweise konnte seine
    Mutter ihm dabei helfen, dieses Verbrechen an Nutzerfreundlichkeit
    anzuziehen. So schwer sie auch anzuziehen sein mag, so gerne trug er sie auch. Und heute musste alles perfekt sein.


    Bewaffnet mit seinem Beutel betrat Lucius den Tempel und fand sich schnell unmittelbar vor
    der großen Fortuna-Statue wieder. Aus der Nähe hatte sie etwas, das einem Demut einflößt. Wer hierher kommt, wird wieder seiner kleinen Rolle in den Irrwegen des Schicksals bewusst. Und doch hatte diese voranschreitende, den Betrachter nahezu überrennende Fortuna eine
    belebende, packende Aura. Wie das Leben selbst will sie einen förmlich fortreißen in ungeahnte Abenteuer. Das Sonnenlicht der hoch stehenden Mittagssonne schien ihr von da, wo Lucius stand,
    hinter ihr hervorzubrechen und umhüllte sie in ein nahezu blendendes Licht.


    Er hob mit einem wissenden Grinsen seinen Blick, um den Augen seiner Göttin begegnen
    zu können.


    „Ich weiß, dass du mich hier haben willst. Ohne dich hätte ich es nie geschafft, diesen
    Beamten zu überzeugen oder überhaupt für so einen ehrenvollen Dienst empfohlen werden zu können. Du hast komische Wege, deinen Willen zu verkünden, allerdings war das schon immer das, was mich an dir so begeistert! Lass mich bitte meinen Dank ausdrücken!“


    Mit diesen Worten bedeckte er seinen Kopf mit seiner Toga und präparierte den
    Weihrauch auf dem foculus vor der Statue der Glücksgöttin. Mit dem Erwachen des Feuers verband sich ein rosiger Duft. Das speziell für diese Gelegenheit gewählte Öl hatte etwas leicht Benebelndes. Die Schwaden verliehen der Szene einen Hauch von Geheimnis, fast schon
    Mystik. Zwar konnte ihm nach dem, was er von seiner Mutter lernte, die Göttin erst jetzt wirklich gut hören. Lucius war sich aber sicher, dass auch so seine vorigen Worte in die Ohren der Fortuna
    kommen würden. Zuschauen tut sie ja so schon immer, also warum auch nicht mal ab und zu auch zuhören?


    Er drehte seine Handflächen nach oben, in Richtung der Göttin und hob seine Arme, senkte jedoch seinen Kopf.


    Große Fortuna!


    Deine Weisheit und
    deine Liebe haben mich zu dir geführt. Du hast ebenso viele Armeen
    zum Sieg wie zum Verderben geführt. Noch dazu hast du meine Familie
    und mich ebenfalls stets geleitet. Mein Leben verdanke ich dir,
    ebenso wie all die anderen, die du täglich rettest. An deiner Macht
    besteht für mich und für jeden sonst kein Zweifel.


    Ich war als Kind noch
    ein besserer Diener als ich es in der letzten Zeit war. Damals war
    ich fast jeden Tag hier und habe dir nur das beste labum von mir
    gegeben. Auch, als ich nicht dich nicht mehr regelmäßig besuchen
    kam, habe ich dir immer mit einem Gebet gedankt, wenn die Würfel gut
    fielen. Aber auch, wenn sich mein Glück wandte und mich die Würfel
    an den Hungertod brachten, ahnte ich, dass du zu Recht deinen Spaß
    daran hattest. Erst jetzt, wenn ich zurückschaue, wird mir das klar.


    Seit du mir aber mein
    Leben gerettet hast, wusste ich, dass ich dir in all den Jahren
    dazwischen nicht genug Respekt entgegenbrachte. Die Münze von dir
    habe ich immer noch und suche Kraft durch sie und deine Nähe, wenn
    ich mich verloren fühle.


    Ich bitte dich daher,
    auch weiter auf mich aufzupassen. Gib mir die Kraft, von jetzt an das
    Richtige tun zu können und deinen gerechten Zorn auszuhalten, wenn
    ich dir nicht gerecht werde! Lass mich dir ein guter aedituus sein!


    Meine Position, die
    ich dank dir haben werde, wird mir genug Möglichkeiten geben, deine
    Weisheit mit der Welt zu teilen. Ich werde wieder regelmäßig Opfer
    bringen und diesmal das libum auch immer selber machen! Ich werde
    auch einen Teil meines Gehaltes zurückbehalten, um dir regelmäßig
    ein Tieropfer geben zu können.


    Am Ende seines Gebets schwenkte Lucius seinen Körper nach rechts. Kurz darauf griff er in den Beutel und zauberte seinen selbst gebackenen Opferkuchen hervor, der – ziemlich sicher auch durch ein kleines Wunder – die Reise von seinem Haus bis hierher unversehrt
    überstanden hat. Es mag nicht nach viel aussehen, aber die Mühe dahinter ist schwer abzustreiten, wenn man an das Heer gescheiterter oder „zu mittelmäßiger“ Vorgänger denkt.


    „Akzeptiere bitte mein bescheidenes Geschenk an dich.“ Mit
    diesen Worten wanderte den in Lucius Augen besten Opferkuchen seines
    Lebens in die Flammen.


    Und schon war sein Teil vorbei. Die Mühen vieler Stunden verschlang das Feuer, vollkommen
    gleichgültig über all die Stunden für das einfache Gebäck. Andächtig schaute Lucius sein Geschenk an, sich völlig verlierend in einem Schauspiel der Sinne aus Weihrauch und den vor seinen Augen tanzenden Flammen.