Beiträge von Lucius Aelius Quarto

    Quarto verstand nicht alles, was Sedulus zu Paetus sagte, aber das Wort 'Factio' hörte er und begriff, dass sein Stellvertreter die Amtsgeschäfte der Veneta wieder an ihn übergeben wollte.
    Da hob er die Hand.
    “Mein Freund, ich bin alt und ich spüre, dass die Götter mir nicht mehr viel Zeit in dieser Welt lassen. Meine Kräfte schwinden.“, sagte er leise, um dann etwas lauter fortzufahren: “Ich will, dass die Factio zusammenkommt, sobald es möglich erscheint und wieder etwas Normalität in der Stadt eingekehrt ist. Eine Vollversammlung! Dort werde ich die Aufnahme meines Sohnes in die Veneta bekannt geben.“ Er wies auf Paetus. “Er wird künftig unser Geschlecht bei den Blauen vertreten. Das soll meine letzte Amtshandlung sein. Ich werde das Amt des Princeps Factionis niederlegen und auf dieser Versammlung muss dann ein neuer gewählt werden. Ich hoffe das du, Quintus Germanicus, mein Freund, dich dafür zur Verfügung stellst.“

    “Meinem Neffen Publius hätte das Erbe zufallen müssen! Von Anfang an. Publius Ulpius Maioranus Augustus, dass ist es, was die Leute jetzt voller Stolz auf den Straßen laut ausrufen müssten!“, antwortete Quarto, statt auf eine mögliche Gefahr für sein eigens Leben einzugehen.
    Das auch Maioranus tot war ignorierte er dabei, wie er so vieles nicht wahrhaben wollte, seit Valerianus gestorben war.

    Inzwischen hatte Quarto sich erhoben.
    “Liebe Freunde...“, begann er stockend: “in der Tat ja, die Zeit war schwierig... und sie ist es noch. Ich bitte... ich erbitte eure Gastfreundschaft und hoffe bei euch Obdach zu finden, für mich, meinen Sohn hier, und meine Nichte Vespa, die uns noch folgen wird.“

    Auf seinen Sohn gestützt, hatte Quarto das Atrium betreten. Jetzt nahm er das Angebot gerne an und ließ sich nieder.
    Die Reise von Mantua nach Rom, auf der sie nur selten Rast eingelegt hatten, war für den alten Mann sehr anstrengend gewesen.

    Quarto ergriff Paetus' Arm. Halb stemmte er sich schnaufend heraus, halb wurde er gezogen.
    Gestützt auf seinen Sohn, schlurfte er zum Tor des Germanischen Anwesens, blinzelte kurz in die gleißende Sommersonne, warf dem Türsklaven einen kurzen Blick zu und brummelte: “Man muss sich um unsere Sachen kümmern.“


    Dann ging es hinein.

    An diesem Vorabend ihrer Abreise nahmen sie die cena erstmals seit längerem wieder gemeinsam ein. Das Abendmahl war nicht allzu reichhaltig und Quarto als fröhlich zu bezeichnen, wäre bei weitem übertrieben. Und doch war die Stimmung gelöster und er sprach mehr, als man es lange von ihm gehört hatte. Wenngleich seine Erzählungen auch meist, einmal mehr von der Vergangenheit handelten und von seinem geliebten Oleander im peristyl der Domus Aeliana.


    Am nächsten Morgen brachen sie auf, verließen das Haus der Witwe, die ob des Abschieds nicht unglücklich zu sein schien, und die Stadt Mantua, die ein sicheres Exil gewesen war. Der Reisewagen rumpelte gen Süden, Rom entgegen.

    “Die Götter... ja, jeden ereilt seine Strafe. Die Götter...“, brummte Quarto. Scheinbar hielt er die letzte Version nicht unbedingt für die unwahrscheinlichste.


    Doch plötzlich drehte er sich zu Corvus um und donnerte los: “Aber es ist keine Gerechtigkeit! Er hätte seine Verbrechen gestehen müssen, vor dem Volk, vor aller Welt! Er hätte gerichtet werden müssen, für alles was er getan hat! Aber so, nein, das ist nicht gerecht! Er hat sich davon gemacht, hat sich umbringen lassen, dieser feige Hund...!“

    “Gut?", krähte Quarto, der seinen Kampfgeist scheinbar für einen Moment wiedergefunden hatte. Nakhti beachtete er gar nicht.
    “Gut? Nichts ist gut! Tot, ermordet, er ist tot und sein Sohn auch, mein Neffe, ebenfalls tot!“
    Selbst nach über einem Jahr quälte ihn noch das Entsetzen über Valerianus' und Maioranus' Ermordung.


    “Und der Mörder? Er sitzt in Rom und nimmt uns alles!
    Wohl nichts hätte Quarto davon überzeugen können, dass nicht Salinator der Auftraggeber des Anschlags war.


    “Sicherheit? Hier? Es gibt keine Sicherheit! Jederzeit können die Schergen des Mörders die Straße hinauf kommen und uns hier finden. Ich bin alt, es ist egal. Soll er mich auch töten. Ich werde ihm mit meinem letzten Atemzug auslachen und ins Gesicht spucken. Aber du, Gaius, du musst leben...“


    Im nächsten Augenblick sank er wieder in sich zusammen. Seine Schultern fielen nach vorn.
    “Aber, ach... welche Zukunft hast du schon... in einer Welt wie dieser, mit einem Tyrannen, der sie beherrscht und uns hasst...?“

    “Tot!“


    Es tönte ihm mit rauer Stimme entgegen.
    “Tot, er ist tot...“


    Quarto saß in seinem Stuhl am Fenster, die Augen weit aufgerissen und doch in eine andere Welt blickend.


    “Ermordet...“, zischte er.


    Er sah zu Paetus.


    “Was...?“
    Sein Geist kehrte in die Gegenwart zurück.
    “Mein Sohn, Gaius, du bist hier.“

    So vergingen die Tage und zumeist saß Quarto in einem stillen Eckzimmer, dessen einziges Fenster zur Straße hinaus ging, wo das Leben scheinbar seinen gewohnten Lauf nahm.
    Aus Tagen wurden Wochen und während Italia zum Schauplatz eines kurzen, aber heftigen Bürgerkriegs wurde, wie es ihn seit seiner Jugend nicht mehr gegeben hatte, saß er dort oft stundenlang am Fenster und blickte hinaus.
    Aber seine Gedanken waren nicht im Hier und Jetzt, sondern schweiften in der Vergangenheit, blieben an seinen Erinnerungen hängen, drehten sich um seine Zeit auf dem Palatin, als Iulianus noch Kaiser war, hafteten an den Zeremonien auf dem Capitol, zu Beginn seiner drei Konsulate, eilten zurück in seine Kindheit, zum Garten seiner Eltern, in dem er mit seinem jüngeren Bruder Valerianus gespielt hatte, und verfingen sich im Gespinst der Trauer um seinen Tod. Die Grenzen zwischen dem Heute und dem Gestern wurden blasser, die Bilder nahmen Überhand und Namen, Daten und Orte traten in den Hintergrund.

    Quarto freute sich, als er hörte, dass sein Freund Ursus auf der Seite von Salinators Feinden stand. Obwohl seine Gesundheit angeschlagen war und die Flucht aus Rom ihn weiter geschwächt hatte, wollte er sich der Legion anschließen. Nur mühsam gelang es, ihn schließlich doch umzustimmen und zu überreden, sich zunächst ein Quartier zu suchen und abzuwarten, bis er wieder bei Kräften war.
    Schließlich jedoch, wenn auch voller Bedauern, stimmte er zu.


    Am nächsten Morgen wurde das Lager wieder abgebrochen. Die Sklaven packten die Habseligkeiten, die Quarto aus Rom hatte mitnehmen können, auf die drei Karren und ihr Herr schlüpfte wieder in seine Rolle als einfacher Mann.
    So ging es in die Stadt Mantua und bald darauf, nachdem man sich etwas umgehört hatte, zum Haus der Witwe Tibulla.









    Das Anwesen der Witwe Tibulla lag in einer ruhigen Seitenstraße Mantuas. Es bestand aus einem großen Wohn- und einem angeschlossenen Lagerhaus, sowie einem großen Innenhof, auf den man durch ein großes, und zumeist verschlossenes Tor gelangte.


    Sextilia Tibulla war eine kleine, magere, alte Dame, die wohl noch mehr Winter gesehen hatte als Quarto. Sie stammte ursprünglich aus Asculum und war vor vielen Jahren nach Mantua gekommen um einen wohlhabenden Tuchhändler zu ehelichen. Damals, so erzählte sie Quarto, regierte noch der Imperator Caesar Vespasianus Augustus und sie vergaß nicht zu erwähnen, dass sie der Meinung war, keiner seiner Nachfolger hätte ihm auch nur annähernd das Wasser reichen können. Das ärgerte Quarto.
    Der Tuchhändler war seit mehr als zwanzig Jahren tot, hatte keine Kinder oder andere Verwandte hinterlassen und so hatte die Witwe über lange Zeit von seinem vererbten Vermögen zehren können. Aber obwohl sie sparsam und mit kleinem, nein, für die Größe des Hauses sogar sehr kleinem Hausstand lebte, hatte sie es geschafft, fast alles auszugeben.
    Diese Notlage kam Quarto gerade recht. Denn so stimmte sie nach einigem hin und her schließlich zu, ihn und sein Gefolge in ihrem Haus aufzunehmen. Den Ausschlag gab ein Aureus, den Quarto hoch hielt und der gülden funkelnd das Gesicht der alten Dame zum leuchten brachte. Da nahm sie auch den ungewohnten Trubel hin, den so viele Leute in ihrem Haus verursachten.


    Quarto war froh, eine Zuflucht gefunden zu haben, auch wenn sie ihm nicht den Komfort bot, den er von zuhause gewohnt war.
    Nach seiner Flucht aus Rom war er erschöpft, fühlte sich krank und müde, war bedrückt und wortkarg.
    Nein, 'froh' war dann vielleicht doch der falsche Ausdruck. Er nahm es hin, jetzt hier zu sein.

    ...doch jetzt, als die Eingangstür so gewaltsam geöffnet wurde, da tat sich im Inneren des Hauses doch etwas!
    Eine Gestalt, die scheinbar auf der anderen Seite gelauscht hatte, eilte aufgeschreckt davon und verschwand schattenhaft in Richtung des Atriums.

    Neben ihm, das musste wohl sein Vater oder Großvater sein. Denn die beiden sahen sich ähnlich.
    Der Alte hatte sich ebenfalls in einen wollenen Mantel gewickelt, aber sein Blick verriet, dass er tief in Gedanken versunken war.