Beiträge von Cossus Duccius Fontanus

    Iring verbiss sich einen Fluch, als Dreckspitzer sein Gesicht trafen – und einen weiteren, als er eine Stimme hörte. Nicht Leifs Stimme, sondern jemand, den er nicht sofort zuordnen konnte. Was nichts anderes hieß, als dass das der Bursche sein musste, den Hadamar mitgebracht hatte, den jeden anderen hier hätte er sofort erkannte. Mit einem unterdrückten Seufzen richtete er sich auf und betrachtete den Kerl für einen Moment. Er wusste nicht so recht, was er von ihm halten sollte. Wobei: das war ja klar, er kannte ihn gar nicht. Richtiger war: er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, dass Hadamar ihn mitgebracht hatte. Was für eine Art Beziehung hatten die beiden? Wieso war die so eng, dass sein Bruder den Jungen mitnahm, und dass der wiederum mitkam, seine Heimat verließ, die quasi am anderen Ende des Reichs und damit der mehr oder weniger bekannten Welt lag? Er hatte Hadamar immer gemocht, er war sein großer Bruder, und es war eigentlich immer lustig mit ihm, darauf konnte man sich verlassen. Man konnte ihn auch ganz gut verarschen, auch wenn man dann aufpassen musste – oder hatte müssen, früher –, dass er einen nicht in den Schwitzkasten nahm. Aber so eng war ihre Beziehung nicht, wie sie wohl die von Hadamar und Tariq sein musste, wenn er eben das bedachte: dass der Junge aus Cappadocia mitgekommen war.


    Iring unterdrückte ein Seufzen. Er hatte sich ja mehr oder weniger damit abgefunden, das Mittelkind zu sein. Sich zwar mit all seinen Geschwistern zu verstehen, aber zu keinem von ihnen die enge Beziehung zu haben, die Hadamar und Eldrid auf der einen und Rhaban und Dagny auf der anderen Seite zueinander hatten. Am nächsten stand ihm selbst wohl noch Rhaban, nicht zuletzt aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit. Aber das Hadamar am anderen Ende der Welt jemanden gefunden hatte, der ihm jetzt wohl näher stand als sein eigener Bruder, das... stach ein bisschen, wenn er ehrlich war.


    Und es nervte, dass der Junge das Pferd mit quasi einem Griff beruhigte. Dieser blöde Gaul! Er sollte in den Stall marschieren und Leif die Leviten lesen, was ihm einfiel, ihm das Vieh anzudrehen! Aber dafür war er dann doch zu stolz – da würde er noch lieber zu Fuß laufen, und auch das war nicht wirklich eine Alternative. Da war es dann wohl wieder gut, dass Tariq offenbar ein Händchen dafür hatte. „Salve“, erwiderte er, sich ohne nachzudenken an die Sprache anpassend, die sein Gegenüber gewählt hatte, und wischte sich jetzt endlich den Dreck aus dem Gesicht. Bevor er losritt, würde er wohl noch mal kurz zur Sicherheit das Gesicht waschen müssen. „Gerne, ich hab nicht ewig Zeit mich damit herum zu schlagen, und bei mir bleibt er nicht ruhig.“ Tatsächlich ging es mit Tariq um ein Vielfaches einfacher. Zwar stemmte sich das Tier noch ab und zu dagegen, aber damit kam Iring klar. „Und, hast du dich von der Reise ein bisschen erholen können?“ Er fragte sich ja, wie Hadamar das machte: eine solche Reise, und dann direkt ins Castellum und mit seinem Dienst weitermachen, ohne sich wenigstens mal einen Tag ausruhen zu können.

    Iring lächelte ein wenig vage, aber aufrichtig zurück. „Mach dir nichts draus. Wie gesagt, ich hab’s mir ja schon gedacht. Danke für dein Vertrauen, das bedeutet mir viel.“ Was allerdings auch irgendwie eine Bürde war. Welche Lösung auch immer sie fanden, sie musste sich dann als tragfähig erweisen. Octavena, die Familie, die Socii erwarteten das. Iring unterdrückte ein Seufzen, und beschloss für sich in diesem Moment zu versuchen, die brüderliche Rivalität, wenn es irgendwie ging, außen vor zu lassen. Und Rhaban davon zu überzeugen das gleiche zu tun. Was die Freya nicht brauchte – generell nicht, aber unter den aktuellen Umständen gleich dreimal nicht –, waren diese Art von Zwistigkeiten.


    Beim nächsten Thema schien Octavena erst etwas zu zögern, und Iring wartete geduldig. Dass sie nicht sofort antworten würde, damit hatte er gerechnet – er war recht gut darin, Menschen einzuschätzen und zu lesen, und sie kannten sich nun schon seit Jahren. Weshalb er aber auch glaubte, dass sie letztlich zustimmen würde. Octavena hatte viel Verantwortungsbewusstsein, sie war nie eine von den Hausherrinnen gewesen, die alles delegierten, und gleichzeitig war sie aufgeschlossen und durchaus neugierig, fand er. Er konnte sie sich gut dabei vorstellen, die Geschäfte von Witjons Betrieben zu übernehmen – und er glaubte, dass es vor allem ihr gut tun würde. So oder so hatte sie schon mal nicht rundheraus abgelehnt, und als sie dann sprach, kam es so, wie er es sich gedacht hatte. „Sehr gut. Ich finde, du triffst die richtige Entscheidung, und wie gesagt: wenn es doch nichts für dich ist, dann kannst du es ja immer noch abgeben – und dann weißt du immerhin im Grundsatz wie es läuft. Und komm ruhig mit allen Fragen, mach dir keine Gedanken deswegen. Farold hat uns alle gestählt.“ Ein Grinsen glitt über sein Gesicht, ein bei ihm ziemlich seltener Anblick – wenn dann schmunzelte er oder lächelte, aber grinsen kam nicht so oft vor.


    Im Anschluss, bei ihrem Dank, stutzte er dann ein wenig. „Doch, das habe ich“, erwiderte er schlicht. „Wir sind eine Familie. Das ist...“ Er suchte nach Worten, fand aber ausnahmsweise mal nicht wirklich welche, die ausdrückten, was er meinte. Warum das für ihn selbstverständlich gewesen war. Also sagte er schließlich einfach nur das: „... selbstverständlich. Es tut mir nur leid, dass wir das nicht schon längst geklärt haben, aber... wir haben die Zeit alle irgendwie gebraucht.“ Auch Rhaban und er. Sie hatten Wochen gebraucht, bis sie wirklich realisiert hatten was das für die Freya bedeutete. Da das Handelsconsortium gut aufgestellt und vor allem gut und straff organisiert gewesen war, war das nicht so schlimm gewesen... aber trotzdem hatten sie dann einiges aufzuholen gehabt, als sie die Schockstarre nach Witjons Tod endlich überwunden gehabt hatten. Weshalb es dann ja auch nötig gewesen war, den Sommer mit Reisen durch die Provinz zu den verschiedenen Socii zu verbringen. Viel länger hätten sie den Laden nicht schleifen lassen dürfen.


    „Wir können nachher in Witjons Arbeitszimmer gehen.“ Dass Rhaban und er dort inzwischen auch arbeiteten, war bekannt und abgesprochen – immerhin lagen dort alle wichtigen Unterlagen unter anderem der Freya. Trotzdem war es für ihn immer noch eben das: Witjons Arbeitszimmer. Und er kam sich immer noch manchmal so vor, dass er in diesem Raum nichts zu suchen hatte, nicht allein. „Da sind alle Unterlagen, zu den Betrieben, und auch alles was du dir für die Freya vielleicht mal anschauen solltest. Ich stell dir da gerne das Wichtigste erst mal zusammen, für einen ersten Überblick.“


    Und dann war da war noch ein Thema, das er ansprechen wollte. Musste. Sie würde es sowieso merken, wenn sie sich die Unterlagen zu dem Erbe ansehen würde, aber unangenehm war ihm das jetzt trotzdem. „Eines noch: Witjon hat in den letzten Jahren nach und nach alles an sich gezogen. Das war auch sicher richtig so in der Zeit, nach Alriks Unfall, nachdem Phelan fortgegangen ist und so.“ Er räusperte sich. „Jetzt es ist nicht nur die Freya, die ein wenig in der Luft hängt, weil wir uns erst um die Nachfolge kümmern müssen... er hat auch für so ziemlich alle Familienmitglieder Betriebe und Grundstücke als Verwalter übernommen. Wie gesagt, in der Zeit war das sicher richtig“, beeilte er sich noch mal zu versichern, „aber die Situation hat sich inzwischen wieder geändert. Jetzt sind wieder mehr hier, die die Verantwortung dafür auch übernehmen können und wollen. Da würde ich es grundsätzlich für besser halten, wenn wir den duccischen Besitz wieder etwas mehr aufteilen würden auf die Familienmitglieder. Geerbt hast alles du, weil er offiziell als Besitzer eingetragen war, aber... also, lange Rede kurzer Sinn: ich wollte dich fragen, was du davon hältst. Ob du einer Aufteilung zustimmen und das in die Wege leiten würdest. Du kannst dir die Unterlagen dazu gerne alle anschauen, um zu sehen, was Witjon selbst gehört hat und was er nur als Verwalter übernommen hat, darüber hat er recht genau Buch geführt.“

    Iring hatte den Eindruck, dass Octavena selbst eigentlich nicht nach Lachen zumute war, aber er lächelte trotzdem pflichtschuldig, als sie sich an einem Witz versuchte. Es hieß, dass sie die Situation auflockern wollte, und das konnten sie nicht nur beide vertragen – es erleichterte ihn auch, weil es vielleicht das ein oder andere etwas einfacher machte. Und wenn es nur das Gespräch an sich war. „Ja, man kann ja nicht immer nur über die schweren Brocken wie Platon sprechen“, erwiderte er, immer noch mit jenem Lächeln, bevor er dann zum eigentlichen Grund seines Hierseins kam. Octavenas Antwort auf sein erstes Anliegen war alles anderes als befriedigend. Er hatte es im Grunde schon befürchtet – aber unbefriedigend war es trotzdem. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn sie einfach gesagt hätte: Witjon hatte es so und so geplant. Oder wenn sie einfach nur sagte was sie fand, denn selbst das könnte schon als Hinweis darauf gedeutet werden, was Witjon gewollt hatte – immerhin konnte man zumindest davon ausgehen, dass sie sich ihre Meinung aufgrund von dem bildete, was sie von Witjon über die Freya wusste. Iring seufzte. „Ich habe damit schon gerechnet, ehrlich gesagt. Ich habe mir etwas anderes erhofft, aber ich hab damit gerechnet. Ich wollte trotzdem fragen, und Rhaban und ich werden auch mit den anderen reden, aber am Ende... müssen wir das wohl unter uns ausmachen, wie du sagst.“ Eine Sache hatte dieser erste Wortwechsel immerhin schon ergeben: Octavena hielt es auch für ausgemacht, dass es einer von ihnen beiden wurde. Hätte Witjon etwas völlig anderes, jemand völlig anderen, im Sinn gehabt, wäre das jetzt der Augenblick gewesen es zu sagen. Nicht dass Iring damit gerechnet hatte, aber darüber war er trotzdem ein kleines bisschen erleichtert. Wäre es so gewesen, hätte das erst mal alles durcheinander geworfen, und sie hätten sich neu sortieren müssen und überlegen, was sie nun damit anfingen.


    Über die Betriebe zu sprechen, die sie von Witjon geerbt hatte, schien Octavena unangenehm zu sein, aber auch das mussten sie mal angehen. Was sie sagte, überraschte Iring wenig – er und Rhaban hatten sich nicht nur um die Freya, sondern auch so gut es ging um die duccischen Betriebe gekümmert, die da waren, auch um die, die im Besitz von Witjon gewesen waren, zumindest um die alltäglichen Aufgaben, die angefallen waren. Natürlich hatten sie gemerkt, dass Octavena ihnen da bisher nicht hinein geredet hatte. Iring deutete erst mal ein leichtes Achselzucken an. „Wir haben uns auch nicht sofort so um die Freya gekümmert, wie wir das hätten tun sollen. Deswegen mussten wir dann ja wochenlang herumreisen und uns persönlich um die Socii kümmern“, erwiderte er. Es war als Trost gemeint, aber es stimmte auch: diese Reisen über den Sommer, in alle Teile der Provinz, wären nicht nötig gewesen, wenn sie einfach sofort für eine Nachfolge gesorgt hätten. Nur: sie hatten sich vielleicht Zeit gelassen, aber sie gingen es jetzt endlich an. Weil es sein musste, aber auch weil sie es wollten. Ob Octavena hingegen auch wollte, darüber war Iring sich nicht so sicher. Ihre Worte, diese und auch die nächsten, rührten auch an den Grund, warum das bei ihr so war... und zu einem der Gründe, warum Iring dieses Gespräch so unangenehm war. Er wollte ihr nicht weh tun. Er wollte den Schmerz über Witjons Tod nicht aufwühlen. Aber so konnten sie halt auch nicht weiter machen. Im Moment lief bei Witjons Betrieben alles, da war nichts, wo der tatsächliche Besitzer eingreifen müsste, aber irgendwann würde auch der Tag kommen, an dem Octavena gefragt war. Natürlich konnten Rhaban und Iring ihr auch dann helfen, beraten, eine Entscheidung vorschlagen – aber es war schlicht besser, wenn sie sich selbst auskannte, und nicht einfach das tat, was andere ihr sagten. Das mochte ihm und seinem Bruder mehr Einfluss sichern, aber Iring hielt das einfach für falsch.


    „Also...“ Er räusperte sich und überlegte ein bisschen, bevor er fortfuhr. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Du musst nicht Socius werden, wenn du nicht willst, aber ich denke schon, dass es besser wäre, wenn unsere Familie in der Freya auch entsprechend mit Personen vertreten ist. Wir stimmen uns dann familienintern sowieso vorher immer ab, wenn in der Freya Entscheidungen anstehen, damit wir da eine Einheit bilden. Was heißt: du kannst dich da einarbeiten, musst es aber nicht, um Socius zu sein. Auch wenn es natürlich besser ist, wenn du Ahnung von der Sache hast.“ Er machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr: „Unabhängig davon aber geht es ja auch um die Betriebe. Du kannst einen von uns dafür einsetzen, dass wir uns darum kümmern, mit den nötigen Berechtigungen. Dann halten wir dich auf dem Laufenden, besprechen das Nötige mit dir, und du musst dich mit nichts weiter beschäftigen. Aber...“ Er bemühte sich, die folgenden Worte vorsichtig zu formulieren. Er wollte nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlte, oder dass sie glaubte er würde sie für schwach oder so halten, wenn sie anders entschied. „Ich persönlich würde es für besser halten, wenn du selbst zumindest ein bisschen einsteigst. Genau wie bei der Freya. Es wenigstens ausprobierst. Wenn es zu viel sein sollte, kannst du immer noch jemanden mit Berechtigungen ausstatten, der dir was abnimmt. Wenn du merkst es interessiert dich einfach nicht, kannst du dich auch immer noch zurückziehen. Ich helf dir gern, ich kann dir da alles erklären, was du wissen musst. Rhaban genauso, und Dagny hilft sicher auch gern. Da sie erst in den letzten Monaten so richtig eingestiegen ist, kann sie das vielleicht sogar noch besser als wir, weil bei ihr alles frisch ist. Und vielleicht macht es dir ja Spaß.“ Bei den letzten Worten lächelte er leicht.

    „Blöder Gaul!“ Iring grummelte mal wieder vor sich hin. Und sah dann ruckartig hoch, als er meinte, aus dem Stall ein unterdrücktes Lachen zu hören. „Das machst du mit Absicht, Leif, glaub ja nicht ich wüsste das nicht!“ rief er hinein, und diesmal war tatsächlich ein Lachen zu hören. Iring fluchte unterdrückt und widmete sich dann wieder dem Pferd vor ihm. Das Tier, das er immer noch am liebsten nutzte, war gerade nicht verfügbar, Leif hatte irgendwas gemurmelt von Fuß vertreten, und ihm einfach ein anderes gegeben. Eines, das deutlich... lebhafter war, so nannte es Leif, bockiger war das Wort, das Iring bevorzugte. Weswegen er Leif von Anfang an gesagt hatte, er solle ihm ein anderes Pferd geben, aber der Vorarbeiter der Hros hatte nur gemeint, die anderen, die da seien, seien genauso. Und Iring hatte daraufhin verzichtet weiter zu argumentieren. Er verschwendete seine Zeit nicht gern mit unnötigen Diskussionen, und das Funkeln in Leifs Augen hatte ihm gezeigt, dass er den Kürzeren ziehen würde, es sei denn er entschied einfach zu Fuß zu gehen. Das war das Problem, dass er sich für Pferde so gar nicht interessierte: er kannte vielleicht zwei, drei, von denen er wusste, dass ihr Wesen ihn am wenigsten nervte, aber bei den anderen hörte es auch schon auf. Rhaban oder Dagny könnten jetzt durch den Stall gehen und ihm auf Anhieb wahrscheinlich ein halbes Dutzend nennen, deren Temperament ihm entgegen käme, aber er halt nicht. Wenn sein Standardreittier und dessen Ersatz nicht verfügbar waren, musste er sich auf die Stallburschen verlassen, und wenn Leif da war und sich in den Kopf gesetzt hatte, dass er mal wieder was anderes ausprobieren sollte, saß der Vorarbeiter am längeren Hebel.


    Es war ja nicht so, dass er nicht auch mit einem temperamentvollen Tier umgehen konnte. Er mochte es nur nicht. Wenn er schon reiten musste, dann doch bitte mit einem ruhigen, das keine Probleme machte. Der Gaul vor ihm aber schien erpicht darauf, heute ein Problempferd zu sein. Oder er witterte, dass Iring ihn nicht mochte. Wie auch immer: das Herrichten gestaltete sich gerade schwierig. Genauer gesagt das Prüfen und Auskratzen der Hufe. Entweder das Tier lehnte sich mit vollem Gewicht auf genau das Bein, das Iring gerade anheben wollte – oder es tänzelte quer durch die Gegend, so weit das Seil es zuließ, mit dem es angebunden war, so dass Iring hin und wieder sogar ausweichen musste. Er hatte das schon verkürzt, aber der Gaul fand trotzdem noch genug Spielraum dafür, und zwischendurch stampfte er mit den Hufen auf, so heftig, dass Dreck in Irings Gesicht schleuderte. Was gerade mal wieder passierte.

    Für einen Moment überlegte Iring, ob er sich nicht lieber noch ein bisschen weiter über Farold unterhalten wollte – aber so weit ging es dann doch nicht. Sich über Kinder zu unterhalten, das war etwas, womit er definitiv noch deutlich weniger anfangen konnte als mit Kindern selbst, jedenfalls dann wenn sie noch klein waren und irgendwelche Spiele spielen oder sonst etwas machen wollten, was er nicht ganz verstand. Nein, dann lieber ein Gespräch wie dieses. Unangenehm war es ja vor allem, weil er mit Octavena eben über Dinge reden wollte, die Witjon betrafen, und weil das immer noch ein empfindliches Thema war. Vermutete er jedenfalls, immerhin hatten sie alle in den vergangenen Monaten es vermieden, seinen Tod übermäßig zu thematisieren... oder den der anderen Familienmitglieder. Was Iring ziemlich entgegen kam, weil er sich dann selbst einfach nicht damit beschäftigen musste.


    Sah man aber mal von Witjon ab, war das hier in erster Linie geschäftlich, und das war etwas, was er konnte. „Sehr gut“, lächelte er, als Octavena meinte gleich Zeit zu haben, und setzte sich in einen der beiden Korbsessel, auf die sie wies. „Also, unsere Socii und die übrigen Handels- und Vertragspartner haben uns in den letzten Monaten alle vor allem eins mit auf den Weg gegeben: wir müssen die Führung der Freya klären. Noch ist Witjon als Curator eingetragen, und das können wir nicht so lassen. Von den eingetragenen, stimmberechtigten Socii* stützen die meisten unseren Anspruch, dass das auch weiterhin einer der Duccii macht – wir, genauer gesagt Lando, haben die Freya gegründet, und wir sind nach wie vor die mit dem größten Anteil an Betrieben. Witjon hat von Lando übernommen, und hat dann in den letzten Jahren Rhaban und mich in der Freya herangezogen. Aber er hat es aber immer aufgeschoben, uns offiziell in irgendeiner Funktion einzusetzen.“ Erst recht in einer Funktion, mit der er deutlich gemacht hätte, wem er den Vorzug gab, was beispielsweise eine mögliche Nachfolge anging. Iring räusperte sich. Er hatte davor überlegt, was genau er sagen sollte, und hatte beschlossen gehabt, mit offenen Karten zu spielen. Außenstehende ging das nichts an, aber die Familie sollte Bescheid wissen. „Im Moment ist es so, dass Rhaban und ich beide Curator werden möchten. Wir bringen beide Vor- und Nachteile mit dafür, wir... naja. Sind uns nicht ganz einig. Bevor wir den Soccii aber einen Vorschlag präsentieren, möchten wir das aber sein, und das wollen wir auch mit der Familie besprechen.“ Weil Marga sie mit dem Kopf drauf gestoßen hatte. „Außerdem gibt es ja noch mehr – Dagny hat in den letzten Monaten angefangen mitzuarbeiten, und du hast Witjons persönliche Betriebe geerbt, die ja einen großen Anteil von unseren ausmachen. Im Moment ist von unserer Familie aber nur Dagmar Socius und repräsentiert damit in der Freya alleine den duccischen Part dort.“ Er lächelte leicht. „So, das erst mal zur Freya. Da würd ich gern deine Meinung dazu wissen. Und dann wäre da noch die Frage, was du machen möchtest. Ich finde, du solltest auf jeden Fall Socius werden – willst du das? Und was ist mit deinen Betrieben, weißt du da schon, wie es in Zukunft laufen soll?“


    Sim-Off:

    *Sim-off derzeit nur Venusia, ich gehe aber aus logischen Gesichtspunkten davon aus, dass es sim-on mehrere gibt

    Als Iring die Tür öffnete, war Octavena gerade dabei, Spielzeug aufzuräumen. Er ließ einen kurzen Blick darüber schweifen und mutmaßte, dass die Figuren wohl von Farold waren – Ildrun schien ihm mittlerweile ein bisschen zu alt für so was. Er grinste flüchtig. „Gibt es eigentlich einen Raum, in dem Farold seine Sachen nicht verteilt?“ Er mochte die Kinder, er verbrachte auch Zeit mit ihnen, passte ab und zu auf sie auf, aber die Wahrheit war, dass er zumindest bisher nicht so ganz gewusst hatte, was er mit ihnen anfangen sollte. Was die zwei kaum zu stören schien – er war Familie und vertraut, und beide hatten kein Problem damit, sich ein Spiel auszudenken, dass er dann einfach mitspielen sollte. Aber er konnte mehr mit ihnen anfangen, wenn die zwei gerade in der Stimmung waren über irgendwas zu diskutieren, oder wenn sie Fragen hatten, die er ihnen beantworten sollte.


    „Du weißt ja, dass Rhaban und ich die letzten Monate viel unterwegs waren, um die Freya Mercurioque einigermaßen zu sortieren und zusammenzuhalten.“ Was einiges an Arbeit bedeutet hatte... es gab Partner, die hatten gleich ganz abspringen wollen, andere hatten geglaubt die Gelegenheit nutzen zu können um günstigere Konditionen für sich herauszuschlagen, wieder andere hatten versucht hintenrum ihr Ding zu machen, auf Kosten der Freya, und so ging es weiter. Alle halbwegs einzufangen, war ein Kraftakt, mit Rhaban und er gerade erst angefangen hatten, argwöhnte Iring. Bis die Socii wirklich überzeugt waren, dass ausgerechnet die beiden jungen Duccii den Laden im Griff hatten, würde es wohl noch etwas dauern. „Dafür müssen wir bei der Freya langsam für klare Verhältnisse sorgen. Und auch bei uns in der Familie das ein oder andere klären.“ Er widerstand der Versuchung, sich zu räuspern. Es war nicht sonderlich angenehm, mit seiner Schwägerin über Dinge zu reden, die ihren verstorbenen Mann betrafen – etwas, dass sie jetzt seit Monaten aufschoben. Aber genau deshalb mussten sie das langsam mal angehen. „Darüber wollte ich auch mit dir reden. Wann hättest du denn Zeit dafür?“ Iring würde am liebsten sofort mit ihr darüber sprechen, einfach damit er es hinter sich hatte, aber das war ein Gespräch, das wahrscheinlich doch ein bisschen länger dauern würde, und allein deshalb war es nur angebracht, ihr die Möglichkeit zu geben den Zeitpunkt zu bestimmen.

    Margas Ansprache – naja, es war eher ein Kopfwaschen gewesen – hatte in jedem Fall schon mal dies gebracht: dass auch Iring klar geworden war, dass sie mit der Familie reden mussten. Rhaban sah das genauso... und überließ ihm geflissentlich den Vortritt. Iring wusste genau, woran das lag: gerade das Gespräch mit Octavena, vor deren Zimmertür er jetzt stand, wartete mit dem ein oder anderen diffizilen Kliff auf, das umschifft werden wollte, und so geschickt Rhaban war, wenn es ums Verhandeln ging, so wenig hatte er Lust darauf, solche Gespräche in der Familie zu führen. Zum Teil weil das eben andere Gesprächsarten waren... zum Teil aber wahrscheinlich auch, weil ihm bei Familienmitgliedern schlicht der härtere Teil seines Arsenals fehlte.


    Sei’s drum: es war auf jeden Fall mal wieder Iring, der so was übernahm, und jetzt an Octavenas Tür klopfte. Was genau der Grund war, warum er – unabhängig davon, für wie geeignet er sich selbst hielt – nicht glaubte, dass Rhaban tatsächlich Curator werden wollte. Oder sollte. Iring unterdrückte das Grummeln, das in ihm aufsteigen wollte, und wartete eine Antwort ab, bevor er die Tür öffnete und einen Schritt hinein machte. „Heilsa, Octavena.“ Germanischer Gruß, wie immer eigentlich in diesem Haus, aber dann wechselte er zu Latein. „Hast du einen Moment Zeit für mich?“

    „Willst du mich verarschen?“ knurrte Rhaban ihn an.
    Iring legte entnervt Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und drückte zu. Die hitzige Diskussion in der Küche hatte nicht gerade eben erst ihren Anfang genommen, sondern begann inzwischen sich im Kreis zu drehen. Er hatte jedenfalls das Gefühl, als hätten sie das schon durchgekaut. Wenn es nur so einfach wäre, die Führung der Freya zu klären. „Was willst du denn bitte dann?“
    „Ganz sicher nicht Procurator werden“, motzte Rhaban. „Das bedeutet nur jede Menge Arbeit, und alles davon langweiliger Verwaltungskram.“
    „Du hörst dich an wie Hadamar“, maulte Iring zurück.
    „Na damit hat er ja auch Recht!“
    „Du wirst aber auch nicht Curator!“
    „Und warum nicht?“
    „Weil ich mir nicht den Arsch aufreiß und die ganze Arbeit mach, während du nur durch die Gegend reist und den großen Macker spielst!“
    „Hee, also erstens mach ich mehr als das, das weißt du! Ich hab allein im letzten Monat zwei neue Partner angeworben, die wir dringend brauchen! Und zweitens: klingt doch gut, warum hast du da was dagegen?“ Rhaban grinste verschmitzt. Und Iring drückte sich diesmal Daumen und Zeigefinger einfach direkt auf die Augen. Er wusste, dass Rhaban auf dem Posten des Procurator wenig verloren hatte, das war einfach nicht sein Ding. Aber auch als Curator war es nicht damit getan, durch die Gegend zu reisen, Geschäfte abzuwickeln, Socii zu besuchen, neue Partner zu finden und was Rhaban sonst noch Spaß machte.

    Und dann kam freilich noch dazu: er wollte seinem kleinen Bruder nicht den Vortritt lassen. Es war nicht so, dass er unbedingt selbst Curator werden wollte – aber er wollte halt auch nicht, dass Rhaban es wurde. Dafür standen sie in der Freya schon zu lange in Konkurrenz zueinander. Aus denselben Gründen wollte Rhaban ihm umgekehrt nicht den Vortritt lassen, das war Iring schon klar, aber hey – er war immerhin der Ältere von ihnen beiden! Und das jetzt nicht nur um ein oder zwei Jahre, zwischen ihnen lagen ein paar mehr, ganz ähnlich wie ein paar mehr zwischen ihm und Eldrid und Hadamar lagen. Die beiden ältesten und die beiden jüngsten waren jeweils recht nah beieinander, aber er, Iring, hing irgendwo dazwischen. Für die Großen war er immer irgendwie der Kleine gewesen, für die Kleinen immer irgendwie der Große. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er das gehasst, weder zu den einen noch zu den anderen so wirklich dazu zu gehören.

    Iring registrierte durchaus, wie plötzlich das Lächeln auf Dagmars Gesichtszügen erschien, kaum dass sie ihn kommen sah. Ein Tick zu plötzlich, fand er. Davor war ihre Miene eher ernst gewesen, und sie hatte sich abseits gehalten, wie so oft im vergangenen Jahr. Aber auch hier, ähnlich wie bei Octavena, verzichtete er darauf sie darauf anzusprechen. Er hatte ein recht feines Gespür für so was, aber darüber reden war nicht so seins. Er hätte gar nicht gewusst, was er sagen sollte, außer ein ums andere Mal sein Mitgefühl zu äußern.


    Stattdessen also erwiderte er ihr Lächeln und stieß mit ihr an. „Auf das Fest, und darauf, dass alle Spaß haben.“ Dagmar wirkte allerdings selbst mit einem Lächeln im Gesicht nicht so, als hätte sie tatsächlich sonderlich viel Spaß. Er unterdrückte ein Seufzen, als er sich eingestand, dass er nicht ganz drum herum kommen würde, das letzte Jahr anzusprechen. „Ich glaube, es tut uns allen ganz gut nach dem vergangenen Jahr. Es fühlt sich ein bisschen komisch an, das Haus voller Leute, die fröhliche Feierstimmung“ – auch für ihn, aber er war ziemlich gut darin das einfach irgendwo in sich zu vergraben –, „aber ich glaube, wir brauchen so was wie das hier endlich mal wieder. Es wird Zeit.“


    Er trank ein bisschen von seinem Met, ließ seinen Blick über die Leute schweifen – und überlegte. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich ein bisschen locker mit ihr zu unterhalten. Für etwas fröhliche Stimmung zu sorgen. Allerdings... nun ja. Dagmar lächelte zwar, aber er hatte trotzdem das Gefühl, dass ihr nicht nach leichter Unterhaltung war. Sie würde mitmachen, wenn er das Gespräch in diese Richtung lenkte, das wusste er. So war sie. Sie würde mitspielen, aber es wäre mehr gezwungen als alles anderes, und wahrscheinlich würde sie recht bald in Gedanken die Augenblicke zählen, bis er verschwand. Also entschied er sich spontan um und brachte ein Thema auf den Tisch, über das er schon länger mit ihr hatte reden wollen, für das er bisher aber irgendwie nie die Gelegenheit gefunden hatte. Ihr Julfest war auf den ersten Blick eigentlich erst recht nicht dafür geeignet, deswegen hatte er es auch nicht vorgehabt... aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er Dagmar damit einen größeren Gefallen tat, als zu versuchen eine Unterhaltung zu simulieren, die ihnen beiden am Ende keinen Spaß machen würde. „Ich hab vor im neuen Jahr mehr zu machen. Hier, in der Stadt.“

    Obwohl er seine Schwester kannte, fiel er trotzdem hin und wieder auf sie herein, und das gerade war so ein Moment. Die Botschaft, dass Hadamar wieder da war, war allerdings auch eher auf der unwahrscheinlichen Seite. Sie hätten doch eine Nachricht von ihm bekommen, wenn er versetzt worden wäre, oder nicht? Also stand Iring da, für einen Moment, und glaubte Dagny, als sie sagte sie wolle ihn auf den Arm nehmen. „Ich hab grad wirklich was Besseres zu tun“, grummelte er und wollte schon wieder in seinem Arbeitszimmer verschwinden, als Dagny zu grinsen begann. „Was jetzt? Er ist da, er ist nicht da?“ Er hielt es immer noch für wahrscheinlicher, dass er eben nicht da war, aber Dagny griff ihn jetzt beim Arm und schob ihn los, und das wiederum war für einen Scherz... naja gut, wenn sie glaubte er könnte eine Pause gebrauchen, dann vielleicht. „Einen Jungen hat er mitgebracht“, wiederholte er. Das schien jetzt ein bisschen zu detailreich, aber Dagny war auch ziemlich fantasiebegabt. So oder so wollte sie ihn in diesem Moment aber scheinbar von seiner Arbeit weghaben, was auch immer nun der tatsächliche Grund war, und Iring gab schließlich nach und ließ sich mitziehen. Eine Pause konnte wirklich nicht schaden.


    Tatsächlich blieb er skeptisch und konnte nicht so recht glauben, dass sein ältester Bruder wirklich wieder da war... bis sie das Kaminzimmer erreichten und er ihn mit eigenen Augen sah. Ein leichtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Hadamar!“ Iring durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und umarmte seinen Bruder, der ganz offensichtlich noch keine Umwege über irgendein Balneum oder so gemacht hatte nach seiner Reise. „Schön dich zu sehen. Du bleibst hier, hab ich gehört?“

    Ceionius – der Name wiederum kam Iring bekannt vor. Der Mann war mit seinem Geschäft kein Mitglied der Freya, aber Abnehmer mancher Produkte. Warum er kein Socius war, wusste Iring nicht, das war Witjons Entscheidung gewesen, und dafür hatte er sich zumindest bislang nicht übermäßig interessiert, aber er vermutete mal, dass der Ceionius außer der Abnahme und Weiterverkauf von bereits fertigen Produkten wenig beitragen konnte oder wollte – und darauf hatten sie schon immer Wert gelegt, dass innerhalb der Freya jeder Socius für einen Mehrwert sorgte. Schlichter Verkauf von bereits fertigen Waren gehörte da nicht unbedingt dazu. „Ceionius Primus war sein Name, glaub ich. Spricht dafür dass es der Bruder ist.“ Ob der ebenso anstrengend wie die Schwester war, wusste Iring allerdings nicht. „Dann bin ich tatsächlich genau richtig gekommen. Gerade heute sollte sich keiner zu viel mit anstrengenden Leuten abgeben müssen... also wenn noch mal so jemand zu lang bleibt: gib mir ein Zeichen, ich komm stören. Und bring dir Alkohol.“ Wie so oft war ihm auf den ersten Blick nicht so ganz anzusehen oder zu hören, wie ernst er das jetzt meinte, aber wer genau hinsah, sah den Schalk in seinen Augenwinkeln aufblitzen.


    Als er dann gerade über Dagny sprach, tauchte die auch schon auf, als hätte sie genau das gehört – und ihre lockere Art entlockte auch ihm ein Lächeln. „Das passt perfekt“, stimmte auch er zu, vergoss einen Schluck Met auf den Boden als Trankopfer, und hob seinen Becher dann. „Frohes Julfest. Mögen die Götter uns ein lichteres Jahr schenken.“


    Danach lobte Octavena die Haare seiner Schwester, und das – war sein Stichwort zu gehen. Er hatte da schon einen Blick dafür, und auch ihm fiel auf, dass Dagny die Haare heute zur Abwechslung in römischer Manier trug. Und es sah hübsch aus, seine Schwägerin hatte Recht, es stand ihr. Aber: wenn Frauen anfingen über Frisuren zu reden, war das nicht mehr sein Gespräch. Iring deutete also ein Lächeln an und hob leicht den zweiten Becher heißen Met, den er nach wie vor zusätzlich zu seinem eigenen trug. „Da hat sie absolut Recht, Dagny. So, ich mache mich mal auf die Suche nach Dagmar, bevor der hier kalt wird. Wir sehen uns später.“


    Und tatsächlich dauerte es nicht allzu lange, bis er die zweite Dame des Hauses gefunden hatte. Wie zuvor Octavena reichte er ihr den zweiten Becher heißen Mets und lächelte flüchtig. „Frohes Julfest, Dagmar. Genießt du das Fest?“

    „Was!“ brummelte Iring genervt, als es an seiner Tür klopfte. War ja nur eine Frage der Zeit gewesen, bis da jemand kam und ihn holte, nachdem er gehört hatte, dass offenbar irgendjemand gekommen war, der für etwas Aufregung sorgte. Hatte ihn nicht interessiert, er hatte genug zu tun, auf seinem Schreibtisch lagen noch ein paar Verträge, die er durchgehen musste und überarbeiten musste. Und den ein oder anderen wahrscheinlich neu schreiben, wenn es blöd lief. Das war immer das Problem: ließ man andere so was entwerfen, sparte man sich selbst natürlich erst mal Arbeit. Aber oft passte es dann halt nicht, und dann saß man doch da und machte es selbst.


    Als er dann aber Dagnys Stimme hörte, genauer das, was sie sagte, sah er doch ruckartig von seiner Arbeit auf. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ Mit wenigen Schritten war er bei der Tür und machte sie auf. „Hadamar? Sollte der nicht in Cappadocia sein?“ Vom anderen Ende des Reichs kam man nicht einfach so auf einen Verwandtenbesuch vorbei.

    Zitat

    Petronia Octavena


    Iring erwiderte das Lächeln flüchtig und sah dann der Frau hinterher, die sich von Octavena entfernte. Hatte er die jetzt verscheucht? Er war sich nicht sicher... eigentlich hatte er versucht einen Moment abzupassen, in dem er nicht störte, aber... ach egal. Wenn es was Wichtiges gewesen wäre, hätte sie ja was sagen können, und Octavena wirkte ganz froh – was sie gleich darauf auch sagte. Iring lächelte erneut, diesmal ein bisschen mehr und geboren aus einem etwas hintergründigem Humor, und deutete eine leichte Verneigung an. „Stets zu Diensten.“ Er wechselte ebenfalls ins Lateinische, nicht ohne sich ein bisschen zu ärgern, dass er darauf nicht von Anfang geachtet hatte. Es passierte ihm seltener als den anderen aus Versehen, und ganz generell versuchte er darauf zu achten mit Octavena Latein zu sprechen – zum einen weil er wusste, dass sie sich damit auch nach all den Jahren noch leichter tat, zum anderen weil er das bereits als Jugendlicher getan hatte. Er hatte darauf gebrannt zu lernen, und obwohl er wie sie alle Latein fließend sprach, war er eine Zeitlang überzeugt davon gewesen, es noch besser zu können, wenn er es auch regelmäßig anwandte. Womit er seinen Geschwistern und den meisten anderen hier eine ganze Zeitlang auf den Keks gegangen war... nur Octavena wohl nicht.


    Er sah der Frau hinterher, die gegangen war, sah sie aber nur von hinten und konnte nicht recht entscheiden, ob sie ihm überhaupt bekannt vorkam. „Wer war das? Und ja... ist in der Freya genauso. Deswegen überlass ich das Reden meistens Rhaban, der hat Spaß an so was.“ Er nippte ebenfalls an seinem Met und machte dann eine Kopfbewegung, die irgendwo zwischen Nicken und Schütteln lag. „Rhaban ist schon mittendrin, Hadamar ist auch da, aber drückt sich...“ noch davor, hatte er eigentlich sagen wollen, aber in dem Moment entdeckte er seinen ältesten Bruder an einem der Feuer mit zwei anderen Männern. „Doch nicht“, korrigierte er sich, und fügte dann noch an: „Und Dagny hab ich das letzte Mal irgendwo noch irgendwas organisieren gesehen, bevor die ersten Gäste kamen, aber die springt sicher inzwischen auch schon irgendwo hier rum.“

    Zitat

    Petronia Octavena


    „Heißer Met gefällig?“ Zwischen einer Spitze und der mutmaßlich nächsten Begrüßung passte Iring den Moment ab, um Octavena einen Becher mit dem dampfenden Getränk zu reichen. Sie sah ziemlich gut aus, wirkte so als ob sie sich wirklich über die Feier freute – aber sie alle wussten, dass es das erste Jul ohne ihren Mann war. So wie alles derzeit das erste Mal ohne ihn war. Iring war jetzt keiner, der da groß mit ihr drüber redete, er redete ja nicht mal darüber was Witjons Verlust für ihn bedeutete. Und er würde sich doppelt und dreifach hüten, jetzt, während des Fests, nachzufragen wie es ihr ging, ob sie womöglich allen etwas vorspielte oder sich tatsächlich freute.


    Aber für Alkohol konnte er sorgen. Hatte sie auch verdient, nach allem was sie hier rein gesteckt hatte – in die Organisation dieser Feier im Besonderen, und in die Familie im Allgemeinen. Worüber so ziemlich jeder Bewohner der Villa Duccia froh und dankbar war – genauso wie darüber, dass Dagmar sich von ihrer Zurückgezogenheit verabschiedet hatte und wieder gekommen war. Rhaban und er kümmerten sich mit Dagnys Unterstützung so gut es ging um die Freya, aber Octavena und Dagmar hielten den familiären Laden gerade am Laufen, da gab es nichts rumzudeuteln. Auch wenn seine Schwägerin es mit der Vorbereitung dieser Feier zumindest eine Zeitlang ein kleines bisschen übertrieben hatte. Was vor allem Iring ziemlich zu spüren bekommen hatte, weil sie ihn rumgescheucht hatte wie selten – und er, im Gegensatz zu Rhaban, einfach gemacht hatte. Hatte er letztlich einfacher gefunden als sich mit ihr anzulegen, warum das oft nicht mal ihre eigenen Kinder begriffen, war ihm ein Rätsel. Allerdings: Kinder waren ihm ganz generell oft ein Rätsel.


    Und so hielt er jetzt einen Becher heißen Met hin, während er in der anderen Hand noch zwei Becher balancierte, einen für sich, einen für Dagmar, sobald er sie irgendwo sah.

    Das Wetter trug auch nicht unbedingt dazu bei, dass Iring mehr Freude hatte an dem Heimritt, aber er kam gut voran. Es war halt nur kalt, und ungemütlich, und er auf dem Rücken eines Pferds, aber davon abgesehen gab es wenig zu meckern. Er begegnete kaum Leuten, und keiner davon hielt ihn in irgendeiner Weise auf. Und, das durfte man ja auch nicht vergessen: es ging heimwärts, endlich. Er hatte ja im Grunde den ganzen Sommer nicht daheim verbracht, war nur ein, zwei Mal für einen kurzen Besuch dort gewesen. Aber jetzt war das zum Glück anders, die Aufgaben, die in Confluentes und der Region angestanden hatten, waren erst mal erledigt. Und so besserte sich seine Laune zusehends, je mehr er sich Mogontiacum näherte, bis er schließlich auf das Stadttor zuritt, um es zu passieren.

    Iring grummelte miesgelaunt vor sich hin. Er hasste es zu reiten. Er war ein recht guter Reiter, fast jeder der Duccii war das – kein Wunder, besaßen sie doch nicht nur ein Gestüt, sondern es war eins der Aushängeschilder der Freya Mercurioque. Nein, seine schlechte Laune lag nicht daran, dass er nicht reiten könnte. Er hasste es einfach. Wahrscheinlich, weil er Pferde nicht mochte. Er konnte die Viecher nicht leiden, noch nie. Vielleicht waren jahrelange Stallarbeiten in seiner Kindheit und Jugend auf der Hros der Grund dafür, vielleicht auch die Vorfälle, die sich halt ab und zu ereigneten und im Lauf der Jahre ansammelten, wenn man viel mit Pferden zu tun hatte – runterfallen, gebissen werden, vom Huf erwischt. Vor allem als Kind nicht so prickelnde Erfahrungen. Erst recht, wenn man sie nicht leiden konnte und die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, wovon Iring fest überzeugt war.


    Leider waren sie oft die schnellste Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Also saß er jetzt wie so oft zähneknirschend auf dem Rücken eines Pferdes, um genau das zu tun, das hieß, in diesem Fall: von Confluentes nach Mogontiacum. Die letzten Monate hatte er sich hauptsächlich um die Geschäfte seiner Familie in Confluentes und im Norden der Provinz gekümmert; Rhaban wiederum hatte sich im Süden rumgetrieben. Die Aufteilung passte ganz gut: in Confluentes war am meisten zu tun, und da Rhaban das Reisen liebte – und Reiten, unverständlicherweise... –, hatte es sich angeboten, dass er sich Confluentes und den Norden vornahm und sein kleiner Bruder den Rest. Nach Witjons Tod und dem Einbruch in den Zahlen war es nötig gewesen, dort ein bisschen Präsenz zu zeigen und sich zu kümmern, dass die Läden wieder halbwegs liefen – und dass die Leute dort, Angestellte, Partner und Konkurrenten gleichermaßen, merkten, dass sich nichts änderte, nur weil der bisherige Curator Consortii der Freya Mercurioque gestorben war. Und da Rhaban und er ohnehin schon seit einigen Jahren in der Freya aktiv gewesen waren, da sie vermehrt Verantwortung übernommen hatten, zogen sie jetzt nach und nach einfach das ganze Ding an sich. Es musste noch offiziell gemacht werden... aber das war nur eine Frage der Zeit.


    Die Freya brauchte jedenfalls einen neuen Curator Consortii. Und am besten auch einen Procurator, ein Posten, der seit langem unbesetzt war, einfach weil es unter Witjon keinen gebraucht hatte. Witjon hatte die Freya so lange schon geschmissen, dass er gefühlt alles wusste, alles schon mal erlebt hatte, und er war auch immer da gewesen. Er hatte keine Nummer zwei an seiner Seite gebraucht, die ihm Arbeit und Verantwortung abnahm. Er hatte alles selbst gemacht, und das zumindest augenscheinlich ohne dabei große Probleme zu haben. Und niemand in der Freya hatte das je in Frage gestellt – Witjon hatte den Respekt von allen gehabt, und es war ja rund gelaufen. Aber dann war Audaod gestorben... und in Witjon irgendwas mit ihm. So war es Iring jedenfalls vorgekommen. Seit dem Tag, an dem die Nachricht vom Tod seines Erstgeborenen gekommen war, war Witjon nicht mehr derselbe gewesen. Und dann hatte er sich diese Erkältung zugezogen, die ihm selbst den Tod gebracht hatte. Iring glaubte nicht, dass das Zufall gewesen war. Er hatte das nie laut gesagt, weil er weder Dagny noch Octavena noch Ildrun und Farold hatte verletzen wollen – aber er hatte ein bisschen den Eindruck gehabt, dass Audaods Tod auch eine Rolle gespielt hatte, als Witjons Körper den Kampf gegen das Fieber schließlich verloren hatte.


    Aber am Ende war es ja auch egal, warum Witjon gestorben war. Er war tot, und jemand musste sich kümmern, um die Familie, um die Freya, um all das halt, was Witjon so alles gemacht hatte. Und wenn es eines gab, das er aus Confluentes von den Socii und ihren Partnern und Konkurrenten dort mitgenommen hatte, dann war es das: sie mussten die Führung der Freya endlich klären.