Beiträge von Titus Sempronius Carus

    Sempronius wusste nicht genau, ob sich die Antwort des Optio noch auf seine Augen oder schon auf die genannten gesundheitlichen Anfälligkeiten bezog. Weil das Wort "richten" fiel, vermutete er dann doch seine Augen, aber richten konnte sie bis heute niemand, und da, wie er hörte, auch die Möglichkeit bestand, dass der Versuch von einem Priester beendet wurde, ließ er lieber niemand an seine Augen heran.

    Er nickte artig, denn er hatte gelernt, dass fehlende Widerworte und ausbleibende Fragen alle Vorgänge beschleunigten. Antworten auf Fragen musste er natürlich geben, denn auch sie trieben den Fortlauf an.

    "Noch bin ich siebenundzwanzig."

    Sempronius überlegte, ob sich das "genügt" auf den Umfang der Untersuchungen oder auf die Armhaltung bezog. Da sich der Optio setzte, ordnete Sempronius das "genügt" den Untersuchungen zu und sah das Licht am Ende des Prüfungstunnels. Er atmete erleichtert aus und ließ ohne Absicht die Arme sinken. Die vielen Fragen beschäftigten ihn daraufhin. Zuerst antwortete er auf die Frage nach schweren Krabkheiten.

    "Ja, mehrfach. Als Kind. Fieber wegen unterschiedlicher Ursachen, aber seit ich die Toga Praetexta abgelegt habe, scheine ich die Anfälligkeit ebenfalls hinter mir gelassen zu haben. Seitdem hatte ich nicht einmal mehr einen Schnupfen."

    Die Frage nach dem immer wieder kommen von Krankheiten hatte wer gleich mit beantwortet und seine Verletzung war offensichtlich. Andere gab es nicht. "Nur einmal verletzt, kann lesen und schreiben, auch ganz gut rechnen." Seine vorherigen Tätigkeiten erforderten diese Fähigkeiten.

    "Schwimmen, nein. Reiten, nun ja. Ich würde nicht vom Pferd fallen." Das hoffte er zumindest.

    Die Aufgabe stellte kein Problem dar, wenn sich die Muskelschwäche nicht zeigte, und darauf hoffte Sempronius. Er wollte die Untersuchung endlich hinter sich wissen und vor allem der Dämmerbeleuchtung entkommen. Als er zur Übung ansetzte, hielt er die Luft an und gab sein Bestes, indem er so konzentriert wie möglich die Finger aufeinander zuführte. Zu seiner Freude gelang die Übung, was daran lag, dass seine Augenmuskeln den für ihn typischen Blick gewährleisteten, mit dem er sich bereits seit Kindesbeinen arrangiert hatte. Der schwache Augmuskel gab in dieser Situation nicht nach, wofür sich Sempronius prompt und in Gedanken bei den Göttern und Geistern bedankte.

    Er verharrte in der Position, weil er nicht wusste, ob er die Übung selbstständig beenden durfte.

    Es klopfte an der Tür und kurz darauf stand ein Mann im Raum, der wegen der diffusen Lichtverhältnissen schlecht zu identifizieren war. Aus der Überraschung des Optio Valetudinarii schlussfolgerte Sempronius, dass ein Besucher nicht Bestandteil einer üblichen Tauglichkeitesuntersuchung war. Er reagierte aber nicht unwirsch, sondern verwickelte den anderen in ein Gespräch, das Sempronius nicht unterbrechen wollte, indem er grüßte, zumal sein Gruß weder relevant noch zu hören gewesen wäre.

    Schneller als gedacht gehörte Sempronius wieder die Aufmerksamkeit und nicht nur das, denn der Optio begann mit unangenehmen Fingerspielen. Normalerweise bereitete der Silberblick keinerlei Probleme, weil diese Fehlstellung der Augen nicht das kritische Maß überschritt und das Gehirn aus den leicht abweichenden Bildern beider Augen noch ein räumliches Gesamtbild erschaffen konnte. Aus diesem Grund litt Sempronius nicht an einer Sehschwäche, denn das Gehirn blendete keine der Abbildungen aus. Zu seinem Glück trat das stärkere Schielen nur bei Übermüdung und in Stresssituationen auf, denn ansonsten wäre es bereits in seiner Kindheit zu einer Sehbehinderung gekommen.

    Alles wäre unkompliziert, gäbe es nicht zusätzlich die Muskelschwäche, aber sie war da und trat meist in den unpassendsten Situationen auf.


    Bei schlechten Lichtverhältnissen auf einen Finger zu sehen, machte keine Freude. Sempronius folgte trotzdem brav und atmete erleichtert auf, als das Vor und Zurück aufhörte. Kreise und Schwenkbewegungen fielen ihm weniger schwer. Irgendwann überkam ihn aber doch das Bedürfnis, den Kopf nach unten zu beugen, das betroffene Auge zu schließen, mit dem Finger zu drücken und anschließend wieder zu öffnen. Er schielte nicht, aber das Auge tränte leicht.

    Sempronius sah scharf, trotz seines Silberblickes. Nur zuweilen, wenn das linke Auge kurzzeitig noch mehr nach innen rutschte, bildeten sich die Dinge doppelt ab. Müdigkeit löste dieses Phänomen aus, das nur selten auftrat und auf das er noch nie angesprochen wurde. In der für ihn normalen Position der Pupillen sah er nur geringfügig doppelt, was aber nichts daran änderte, dass die Hand zunächst fünf, dann drei und am Ende vier Finger aufwies. Sempronius hatte gelernt, mit diesem Doppelbild umzugehen, denn es begleitete ihn schon sein ganzes Leben lang.

    "Zuerst fünf, dann drei und am Ende vier." Sehr lange würde er bei diffusem Licht aber nicht ohne Kopfschmerzen sehen können. Für die Untersuchung reichte das Durchhaltevermögen aber aus und wenn nicht, ging es auch mit Kopfschmerzen weiter.

    Er unterbrach das gedankliche Drechseln des imaginären Tisches, als der Optio Tipps in Bezug auf das Massieren gab. Sempronius wollte den Versuch unternehmen, die lästigen Verspannungen loszuwerden, also hörte er genau zu. Wie befürchtet, reichte sein Sold nicht, aber vor allem käme er erst nach der Grundausbildung in öffentliche Thermen und so lange wollte er nicht warten. Als Versuchskaninchen sah er sich allerdings auch nicht. Da musste schon ein bewährter Masseur unter den Mannschaftskameraden sein, dem er sich anvertrauen würde. Immerhin schmerzte die Behandlung sehr.

    Sempronius lächelte nie, aber innerlich griente er, als das Angebot des Einsatzes fachkundiger Hände im Valetudinarium zur Sprache kam.

    "Ja." Er prustete die Antwort auf dem Weg in die Knie hinaus. Bald darauf erfolgte die Anweisung zum Halt.


    Sempronius folgte der Anweisung und stellte sich an die Wand. Besäße er einen Hang zu Romantik, würde er die heimelige Beleuchtung schön finden, allerdings fehlte es ihm an Leidenschaft und dem Willen, sich zu öffnen. Daher betrachtete er die neuen Verhältnisse nüchtern und konzentrierte sich auf die Anweisungen.

    "Hmm", knurrte Sempronius auf die Frage hin. Das Flüstern wirkte sonderbar auf ihn, denn erst am Abend, wenn er den Tag noch einmal durchdachte, würde er verstehen, aus welchem Grund die Lautstärke litt. Dunkelheit in Kombination mit Flüstern erzeugte zunächst Unwohlsein in ihm.

    Solide, so würde Sempronius seine Leistung auch bezeichnen. Er gehörte nicht zu den Strebern, aber er hielt sich für zuverlässig. Beim erteilten Kommando brach er umgehend die Liegestütze ab, kam auf die Beine und schnaufte er einmal durch. Eine Konversation blieb aus, daher begab er sich in Position, wartete auf das nächste Kommando und starte die Kniebeugen. Das Tempo wählte er wieder mittelmäßig, weil er nicht wusste, wie lange er durchhalten musste. Während er die Übungen ausführte, beschäftigte er sich im Geist mit dem Entwurf und der Herstellung eines gedrechselten Tisches. Er roch fast den Duft des Holzes und merkte kaum, wie die Zeit verging, in der er diesen Teil der Tauglichkeitsprüfung ableistete.

    Die Tunika glitt über den Kopf, musste aber über die Schultern gezogen werden. Sie saß nicht locker, was an der Statur des Rekruten lag. Die Handgriffe saßen, sodass sich Sempronius dem Gespräch widmen konnte, das seine Gedanken aus dem Raum hinaus zu alltäglichen Dingen führte.

    "Stimmt, die Hügel, die Straßen, die Foren kenne ich alle, was für jemand, der von außerhalb kommt, nicht ganz einfach ist." Als er sich nach dem Anlegen des Schuhwerks aufrichtete, schien die Plauderei ein Ende zu haben, denn es wurde eine Aufgabe gestellt: Liegestütze. Sie gehörten nicht zu seiner Spezialität, da er aber fast überall im Durchschnitt lag, machte er sich keine Sorgen, sondern ging zu Boden. Er lag nur einen Moment, dann stützte er sich auf die Arme und stemmte den Oberkörper hoch. Auf das Signal hin begann er in mittelmäßigem Tempo einen Stütz nach dem anderen zu absolvieren. Lautlos zählte er mit.

    In Anbetracht der Tatsache, dass der Optio nicht zu den Brechern gehörte, erzeugten dessen Hände auch schon nennenswerte Schmerzen. Sempronius wand sich, ohne entkommen zu können. Die Aussicht auf eine weitere Behandlung dieser Art oder eine noch schlimmere, ließ keine Glücksgefühle aufkommen. Sempronius beschloss, zunächst die Wirkung der aktuellen Massage abzuwarten, bevor er sich um Nachschlag bemühte. Wenn Kneten half, würde er die bittere Pille schlucken.

    "Ich war noch nie bei einem Masseur." Er musste sogar eingestehen, in den letzten Jahren nicht einmal bei einem Arzt gewesen zu sein. Es gab keinen Anlass und auch kein Geld für solche Dienste.

    "Kann ich mir das als Tiro leisten?"


    Während der Optio den restlichen Körper abtastete, wartete Sempronius auf die Antwort. Er plante gern im Voraus.

    Dann jedoch wurde er mit einer Frage konfrontiert, mit der nicht gerechnet hatte. Er vermutete Interesse oder bewusste Ablenkung, aber nicht eine für die Kontrolluntersuchung relevante Frage.

    "Ja, Rom. Bin nie rausgekommen. Ist mir auch egal, was außerhalb Roms passiert, daher kamen für mich nur die Stadtkohorten infrage."

    Sempronius griff zu den Kleidern und zog sich wieder an. Er zweifelte keinen Moment daran, angenommen zu werden.

    Er stand hier, um gemustert zu werden. Gleichzeitig erinnerte ihn der Vorgang an den Einkauf von Sklaven, deren Eignung auch zunächst geprüft wurde. Da Sempronius aber schon im Vorfeld wusste, was auf ihn zukam, richtete sich seine Aufmerksamkeit fort von den Gedanken hin zu den Handlungen des Optio. Auf Kommando stellte sich Sempronius so gerade hin, wie er es vermochte. Bestimmt würde er wieder zu hören bekommen, dass seine Wirbelsäule nicht gerade war, aber er wollte hier keinen Schönheitspreis gewinnen, sondern nur für tauglich befunden werden.

    Sich seiner Auffälligkeiten bewusst, wunderte er sich nicht, als der Optio seine Hände ergriff und der geschulte Blick seine verschieden langen Arme traf. Zwar erfolgte kein Kommentar, aber vielleicht folgte der noch. Zunächst kam der Optio auf die Narbe zu sprechen, während er auf der Muskulatur herumdrückte.

    "Ein Messer. Ich stand im Weg." Er presste die Lippen aufeinander. Die Hintergrundgeschichte würde hier hoffentlich keinen interessieren. "Keine Beschwerden."

    Das entsprach der Wahrheit. Sowohl Narbe als auch Wirbelsäule und Arme verursachten keine Beschwerden. Einzig das Kneten im Nacken und auf den Schultern fühlte sich unangenehm an, weil die Muskulatur hart war. Sempronius litt an Verspannungen, die einer ungünstigen Körperhaltung bei der ehemaligen Arbeit entsprangen und nicht im Zusammenhang mit dem Knochenbau standen.

    Auf die Abläufe war Sempronius bestens vorbereitet, denn er besaß nicht nur einen Cousin im Militärdienst, sondern ganze Generationen vor ihm. Er legte die Tunika samt restlicher Kleidungsstücke auf den angewiesenen Stuhl und stellte seine Schuhe akkurat in einem 90°-Winkel vor diesen. Schmuck trug er keinen. Die Hände in die Seiten gestützt wartete er darauf, dass sich der Optio seiner annahm.

    Es war nicht so, dass ein Rekrut dem anderen die Türklinke in die Hand gab, aber viel Zeit verstrich nicht, bis Sempronius vor dem Valetudinarium stand und anklopfte. Er wartete, bis von drinnen eine Stimme rief, dann ging er hinein.

    "Salve! Ich komme zur Überprüfung meiner Tauglichkeit. Mein Name ist Titus Sempronius Carus." Die Tabula hielt er dem Optio entgegen.

    Sempronius merkte sich die Stichpunkte Militärarzt, Musterung und Valetudinarium. Die Tafel begleitete ihn dorthin und er musste sie auch wieder zurückbringen. Er beugte sich vor, um die Tabula zu greifen, dabei warf er schon einmal einen flüchtigen Blick darauf. Das Lesen musste er noch üben, aber Schlagworte wie das Alter erkannte er natürlich auf Anhieb.


    "Dann mache ich mich sofort auf den Weg." Die Tabula fest umschlossen drehte sich Sempronius um, öffnete und schloss die Tür hinter sich, bevor er nach Hinweisschildern Ausschau hielt. Er fand das erste und ging darauf zu.

    Orientierung fand Sempronius schon immer gut, vor allem, wenn er die sich nicht selbst zusammensuchen musste, sondern von Beginn an Klarheit bekam. Er würde sich alles merken, was er aufschnappen konnte.

    "Natürlich, das merke ich mir.

    Ich heiße Titus Sempronius Carus, bin 29 Jahre alt und an besonderen Fähigkeiten..." Er überlegte, was nennen konnte. "Ich kann nicht behaupten, Spezialist im Töpfern, im Bauhandwerk oder im Schreinern zu sein, aber ich habe bisher in allem Geschick bewiesen, was ich angefangen habe. Mehr aus Spaß als aus Notwendigkeit habe ich in solchen betrieben mitgearbeitet und kann ein bisschen von nahezu jedem. Vor allem die Buchhaltung beherrsche ich gut, denn die war mein eigentlicher Aufgabenbereich."

    Zielstrebig schritt Sempronius auf die Tür zum Rekrutierungsbüro zu. Er klopfte, wartete kurz und trat dann ein. Hier musste jemand sein, daher grüßte er als erstes. Sein Anliegen zu äußern, fand er außerdem schlau, aber danach wollte er abwarten, denn er konnte nicht wissen, was von ihm erwartet wurde.

    "Salve! Mir wurde gesagt, dass ich mich hier melden muss, wenn ich Miles der Cohortes Urbanae werden will."

    In Rom ging die Kunde um, dass die Cohortes Urbanae und die Vigiles Rekruten suchten. Diese Tatsache traf sich bestens, denn Sempronius suchte eine Neuorientierung. Er gehörte einer Soldatenfamilie an, war aber als Einziger bisher im kaufmännischen Bereich tätig gewesen, verdingte sich als Verwalter, packte auch schon mal tatkräftig mit an, aber das füllte ihn nicht mehr aus. Er wollte dem Beispiel seines Cousins nacheifern und traf die Entscheidung, sich bei den Cohorten zu melden. Die Vigiles kamen für ihn nicht in Betracht.

    An der Porta Praetoria verhielt er den Schritt. "Salve! Was muss ich tun und wo muss ich mich hinwenden, wenn ich Miles der Cohortes Urbanae werden will?"