Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Ich hörte Fusca aufmerksam zu, wobei ich mich zwar bemühte, meine Freude nicht zu offenkundig zu zeigen, als sie mich in die Reihe gebildeter Männer Athens stellte, jedoch betrogen mich meine Augen, die leuchteten, während ich höflich lächelte.


    "Nur wenige Vorteile sind absolut, doch nützlich sind sie allemal. Deine Tugenden scheinen mir außer Frage zu stehen, wobei Athen dafür ein ungewöhnlicher Ort ist. Ohne jemals dort gewesen zu sein, muss ich leider zu meiner Schande gestehen. Am Museion lernt man recht schnell den Glauben, dass man nicht die Welt bereisen müsse, weil alles Interessante über jeden Ort der Welt in den Büchern der Bibliothek zu finden ist. Ein Irrglaube, doch einer, der nur allzu verlockend ist."


    Mein Mund fühlte sich etwas trocken an, was mir seltsam vorkam. Schließlich hielt ich vor Gericht sehr viel längere Reden. Nachdem ich einen kleinen Schluck aus meinem Glas genommen hatte, fuhr ich fort.


    "Im Übrigen denke ich, dass du mehr als nur den einen oder anderen Gedanken aufgenommen hast. Und ich denke auch nicht, dass es eine bloße Aufnahme war. Vielmehr denke ich, dass du viele Gedanken aufgenommen hast, und sie auch selbst weiterentwickelt hast. Wobei ich natürlich anerkenne, dass dich deine Bescheidenheit ehrt und deinen Glanz verstärkt."


    In Erwartung einer Erwiderung sah ich sie an.

    Mit der Frage hatte er mich überrascht. Da musste ich erst einmal nachdenken.


    "Nun, ich... eigentlich bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben. Ich habe in kurzer Zeit große Erfolge verbuchen können. Meine Bücher scheinen auch recht gefragt zu sein. Natürlich war es mehr einer Fügung des Schicksals zu verdanken, dass meine Interessen von der Philosophie zur Juristerei geschwenkt sind. Aber ich bereue es nicht. Ich bin gerne Jurist."


    Natürlich war damit die erste Frage noch nicht beantwortet, was dem Kaiser sicher auch nicht entgangen sein dürfte.


    "Doch zu meinen Plänen und Zielen vermag ich nicht viel zu sagen. Vieles, was ich erreichen wollte, habe ich bereits erreicht. Du wirst vielleicht den Namen meines Vaters kennen, Lucius Iunius Varus. Er war ein angesehener Jurist und ich denke, dass ich seinen Weg gut fortführe. Vielleicht habe ich ihn sogar schon überflügelt. Nicht in der Zahl gewonnener Prozesse, aber vielleicht in der Reputation als Rechtstheoretiker. Denn wenn mein Vater etwas nicht war, dann ein Theoretiker. Doch ist es irrelevant, ob ich ihn überflügelt habe oder nicht. Ohne ihn hätte ich weder meine Ausbildung, noch die initiale Chance auf komplexe Fälle gehabt. Weiterhin ist es auch deshalb irrelevant, weil ich ohnehin mit meiner Arbeit weitermachen werde. Ich will noch viele Kommentare zu Gesetzen verfassen. Und vielleicht auch ein Werk zur Staatstheorie, doch möchte ich hierüber noch nicht allzu viel sagen. Es ist momentan nur eine Idee, die reifen sollte."


    Was gab es noch an Zielen?


    "Was mir noch fehlt, wäre eine Frau an meiner Seite. Doch bleiben mir hierzu gemäß Lex Iulia et Papia auch noch etwas mehr als zwei Jahre. Das wird sich also sicher auch fügen."


    Mein Lächeln zeigte, dass ich diesbezüglich recht zuversichtlich war. Abgesehen davon hatte der Kaiser solche privaten Ziele sicher nicht bei seiner Frage im Sinn gehabt.


    "Und vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, werde ich irgendwann einmal das nötige Ansehen und Vermögen besitzen, um in den Ordo Equester erhoben zu werden. Noch ist das aber in weiter Ferne und bedarf deshalb keiner Erwägung. Das würde nur meine mentalen Kapazitäten an der völlig falschen Stelle binden."

    Ich nahm die Einladung an. Das würde den guten Marcus Caecilius Metellus sicher in seiner sonst tadellosen Selbstbeherrschung erschüttern.


    "Ich danke dir, Imperator."


    Mein Mandant könnte ihm persönlich danken. Eigentlich hatte ich alles erreicht, was ich bei der Audienz erreichen wollte. Ich war ja schließlich für meinen Mandanten hier. Doch es oblag dem Kaiser, mich zu entlassen.

    "Zwang muss nicht immer von außen kommen."


    Nein, meine Entscheidung war bereits gefallen. Ich konnte der Herausforderung nicht widerstehen.


    "Prinzipiell bin ich bereit und fühle mich geehrt, die Kanzlei zu unterstützen. Allerdings bin ich nicht ganz billig, um nicht zu sagen eher teuer. Einen Preis für meine Dienste vermag ich aber erst zu nennen, wenn ich mir über den Umfang der Arbeit klar geworden bin. Genügen anfangs Stichwörter oder soll ich Gutachten ausformulieren? Was genau soll geregelt werden? Anzahl und Wert der Münzen? Maße, Gewichte, Legierungen? Mindestanteile von bestimmten Metallen und Mindestgewichte? Modalitäten des Einzugs alter und der Ausgabe neuer Münzen? Oder soll ich zunächst einmal recherchieren und dann entsprechende Vorschläge zu den gerade geäußerten Fragen machen?"

    Auf ihre Bemerkung hin, dass der Philosoph die Wahrheit suche, während der Jurist die gewünschte Wahrheit anderen glaubhaft machen wolle, musste ich schmunzeln. Es war treffend ausgedrückt. Anerkennend nickte ich kurz.


    "Aulus Iunius Tacitus. Und ich bin ebenso erfreut, die Bekanntschaft einer solch gebildeten und intelligenten Frau wie dir machen zu dürfen. Wenn ich fragen darf, wo hast du deine Bildung genossen? Am Museion hättest du mir auffallen müssen und da ich erst etwas mehr als ein Jahr in Rom weile, erachte ich eine zeitliche Diskrepanz als unwahrscheinlich. Athen hattest du zuvor erwähnt, als du unseren Umtrunk kommentiertest. Entsprechend folgere ich, dass du zumindest in dieser Polis weiltest. Hattest du Zeit im Hain des Akedemos verbracht?"

    Freundlich lächelte ich Fusca an. Sie war schön und gebildet, wie man an ihren Bemerkungen erkennen konnte. Und auf den Kopf gefallen war sie sicher auch nicht.


    "Man könnte mein Leben als das eines Philosophen bezeichnen und ich will nicht verhehlen, dass ein Jahrzehnt am Museion sicher einen prägenden Einfluss auf mich hatte. Doch aktuell führe ich eher ein Leben als Jurist. Wobei sich Philosophie und Juristerei natürlich nicht zwingend ausschließen und man durchaus berechtigt behaupten könnte, dass ein Jurist immer auch zu einem gewissen Grad ein Philosoph ist, suchen doch beide nach der Wahrheit. Jedoch ist ein Jurist sehr viel praktischer veranlagt als der übliche Philosoph, der sich als solcher bezeichnet."


    Nach einem Schluck Wein fuhr ich fort.


    "Ich überlasse es nach dieser Antwort dir, zu entscheiden, ab welchem Maß an Praxisbezug du einen Menschen dem Philosophenlager nicht mehr zuordnest."

    Kurz dachte ich nach. Ja, da gab es noch etwas.


    "Du könntest mir noch deutlich größere Mengen an Wachstafeln und Papyrus organisieren. Ich werde ein weiteres Buch verfassen. Dieses wird aber schwieriger und ziemlich sicher mehrbändig, so dass ich mehr Material für Notizen und Entwürfe benötigen werde."

    "Tatsächlich geht es meinem Mandanten gar nicht so sehr um Geld. Er wünscht sich eigentlich nur eine Entschuldigung vom Legatus Legionis. Die hat er aber bisher nicht erhalten. Wenn du allerdings den Legatus Legionis befehlen würdest, sich zu entschuldigen, kämen wir ganz ohne Geldzahlung zu einer Lösung."


    Ich sah dem Kaiser kurz direkt in die Augen.


    "Sollte das aber nicht gehen, wäre der Wert des Landes grob geschätzt bei etwa 500 Aurei. Aber, wie bereits gesagt, ist die Geldsumme meinem Mandanten gar nicht so wichtig. Er möchte nur anerkannt wissen, dass ihm Unrecht geschehen ist und dafür eine Entschuldigung erhalten."

    "Via Portensis auf halber Strecke zwischen dem Hafen und dem Forum. Das Haus des Stefanos Sophokles ist bekannt - zumindest in Panormus. Zur zweiten Frage: Artemisia sollte zeitnah verschifft werden, aber es muss nicht unbedingt heute oder morgen sein. So, wie sich eine Passage ergibt. Geld ist sekundär."


    Wer weiß, vielleicht würde ich sie auch an meinen Freund verkaufen - oder verschenken. Womit ich ihr auf jeden Fall einen größeren Gefallen tat, als sie in die Schwefelminen zu verschenken. Wobei sie mir dazu auch keinen Anlass geboten hätte. Bisher benahm sie sich mehr oder weniger gut. Da mochte ihre Verletzung auch hilfreich sein, aber das interessierte mich nicht weiter.


    "Jeder Mensch macht Fehler, aber die meisten Fehler kann man korrigieren."


    Diesen Satz hatte ich angefügt, weil der Auftrag insoweit vollständig war und ich Terpander zumindest einen Hinweis auf meine Beweggründe geben wollte. Das war gegenüber einem Sklaven zwar nicht nötig, aber es war auch nicht schädlich. Zumindest nicht beim Maiordomus.

    Ich nippte am Glas Posca, während ich nachdachte. Es war auf jeden Fall eine anspruchsvolle Aufgabe, die mir der Procurator stellte - wenn ich denn annehmen wollte. Leider lag es in meiner Natur, Herausforderungen mit offenen Armen zu begrüßen.


    "Nur, damit es keine Missverständnisse gibt: Ich soll die Rechtstexte zur Münzreform verfassen, korrekt?"

    "Dann hast du mich noch nicht richtig in Aktion gesehen, Germanicus."


    Ich grinste, wenn auch nur wenig.


    "Da der Vigintivir und ich den gleichen Patron haben, habe ich mich deutlich zurückgehalten. Falls du mich jetzt allerdings fragst, ob ich diesen Kyriakos für unschuldig halte, werde ich dir leider keine Antwort geben können."


    Kurz überlegte ich, ob ich etwas trinken wollte und entschied mich gegen alkoholische Getränke, selbst wenn sie verdünnt wären.


    "Posca wäre mir genehm, falls es keine Umstände macht."

    Ich blickte von meinen Notizen auf und nickte Terpander zu.


    "Terpander, ich habe eine Aufgabe für dich. Mein Studienfreund Stefanos Sophokles, der in Panormus wohnt, hat mich gefragt, ob ich ihm nicht eine Sklavin oder einen Sklavin ausleihen könnte. Besondere Fähigkeiten seien nicht erforderlich. Ich nehme an, dass er entweder Unterstützung benötigt oder ein Experiment plant. Was auch immer es ist, ich habe ihm zugesagt, dass er Artemisia haben kann. Nicht, ohne ihn angemessen gewarnt zu haben. Die Warnung hat er aber in den Wind geschlagen. Nun, lange Rede, kurzer Sinn. Stefanos ist bereits abgereist und wir müssen den Transport nach Panormus organisieren. Wir meint in diesem Fall dich. Und ich erwarte, dass die Ware weder ausbüxt, noch beschädigt am Ziel ankommt. Fragen?"

    Ich schloss die Türe hinter mir und nahm Platz wie geheißen.


    "Wenn ich etwas Dringendes zu tun hätte, wäre ich nicht hier, Germanicus Aculeo. Was verschafft mir die Ehre, dass mich der Procurator a cognitionibus zu sehen wünscht?"


    Natürlich nahm ich an, dass es um meine juristische Expertise ging, doch kam auch der Fall Kyriakos in Frage. So wartete ich, was mir der Procurator mitteilen würde.

    "Auf jeden Fall. Ich muss sehen, was es Neues gibt."


    Nachdem mir die Wachstafel gegeben wurde, las ich sie aufmerksam durch. Da fand ich doch etwas.


    "Die Ente mit Feigen, Pistazien, Hühnerleber und gestocktem Pulsum in Gewürzsoße spricht mich an."


    Das war zwar eines der teuersten Gerichte, aber das machte mir nichts aus.


    "Diesmal lade ich aber ein. Darauf bestehe ich."

    Die Bibliothek war mein Lieblingsort. Das mochte einer der Gründe sein, weshalb ich gerade auch hier, wo ich mich wohlfühlte, unangenehme Entscheidungen traf. Das fiel mir hier leichter. Nun gab es wieder eine Entscheidung zu fällen. Eigentlich hatte ich sie bereits gefällt. Sie musste nur ausgeführt werden. Um das zu erledigen, hatte ich Terpander in die Bibliothek beordert.

    "Nun, einfach so können die Legionen auch niemandem Land wegnehmen. Dazu bedarf es eines guten Grundes, üblicherweise sogar eines Verwaltungsaktes. Ich gehe im Fall meines Mandanten aber davon aus, dass es sich schlichtweg um einen Messfehler handelte. Wenige Grad Abweichung können bei einer langen Strecke genügen, um eine große Fläche zu bedecken. Man könnte aber auch den guten Grund annehmen, denn die Via Flaminia verläuft nun tatsächlich günstiger. Das Problem ist, ganz formal juristisch, der fehlende Verwaltungsakt. Doch auch mit Verwaltungsakt müsste mein Mandant für das verlorene Land entschädigt werden. Das steht zwar so in keinem Gesetz explizit, da Legionen dem Militärrecht unterliegen und Zivilisten nicht im Rahmen des Militärrechts klagen können. Allerdings müssten wir hier meines Erachtens im Sinne der Grenzregulierungsklage nach der siebten Tafel der Lex XII Tabularum in Verbindung mit der sechsten Tafel der Lex XII Tabularum vorgehen. Meinem Mandanten ist unstreitig ein Schaden entstanden. Prinzipiell müsste dieser rückgängig gemacht werden. Das wäre aber widersinnig, weil die Allgemeinheit vom aktuellen Zustand profitiert und es zudem nur mit erheblichem Aufwand gelänge, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Hier ist eine Analogie zum gestohlenen Holzbalken, der in einem Gebäude verbaut wurde, zu ziehen. Eine Entfernung wird ausgeschlossen, sondern Schadensersatz in Geld zugesprochen. Doch nun bin ich bereits weit abgeschweift. Also zurück zu deiner Frage, Imperator. Die Legionen dürfen kein Land ohne Verwaltungsbeschluss enteignen. Sollte es aber doch versehentlich geschehen, so ist dem Zivilisten der Weg vor die Militärgerichte verwehrt. Zugleich kann er aber auch nicht die Legionen vor den Praetoren verklagen. Was uns genau in das Dilemma führt, welches ich durch diese Audienz aufzulösen gedenke."

    Der mich begleitende Prätorianer klopfte an die Türe des Officiums, während ich in würdiger Haltung darauf achtete, dass meine Toga nicht verrutschte, während ich wartete, dass mir geöffnet würde.

    Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer solchen Schönheit. Bei ihrem Lächeln konnte ich nicht anders, als es zu erwidern. Und sie lag sicher nicht ganz falsch darin, dass sie eine neue Perspektive in das Haus bringen würde. Am Museion hatte ich die Perspektive der wenigen Frauen, die dort studierten, stets zu schätzen gewusst.


    "Es bedarf keines Dankes deinerseits. Vielmehr müssten wir uns bedanken, deine Anwesenheit genießen zu dürfen."


    War ja irgendwie klar, dass mein Verstand mir wieder solche Worte auf die Zunge legte. Man hätte es auch etwas weniger schwulstig ausdrücken können. Aber mein Fokus war auch nicht so, wie er sein sollte. Seia Fusca war wirklich gutaussehend. Wenn sie jetzt auch noch gebildet und intelligent wäre... wobei man Bildung ziemlich sicher voraussetzen konnte... na, jetzt bloß nicht auf dumme Ideen kommen!