Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Am nächsten Morgen fand ich mich beim ersten Tageslicht im Peristylum ein. Wie jeden Tag, so begann ich auch diesen mit Schwertübungen. Manchmal setzte sich Malachi an den Rand und sah mir dabei zu, aber heute nicht. Die Sklaven hatten im Gedenken an Terpander noch bis tief in die Nacht miteinander beisammen gesessen. Wie immer, übte ich zunächst die einzelnen Techniken extrem langsam. Das erhielt die nötige Präzision. Techniken, die im Kampf nur Sekunden dauerten, benötigten nun Minuten. Als Nebeneffekt stärkte ich damit meine Muskeln, weil sie eben sehr viel länger ihre Spannung aufrecht erhalten mussten. Anders als in den weißen Trauergewändern des gestrigen Abends trug ich nun wieder als oberste Lage ein schwarzes Seidengewand. Meine serische Gelehrtenkleidung war fast vollständig, nur die Kopfbedeckung fehlte - noch. Ich spürte den doch recht kühlen Wind in meinen kurzen Haaren, aber er machte mir nichts aus. Zu sehr war ich in meine Übungen vertieft, und zu sehr war ich es inzwischen gewohnt, bei jedem Wetter zu üben. Ich schwang das prunkvolle serische Schwert, das mir Prinz Jiénzǐ damals geschenkt hatte. Dabei dachte ich an meine Freunde in Serica. Vor allem an Jiénzǐ und Cáozǐ, mit denen ich oft philosophiert hatte. Außerdem war es Cáozǐ gewesen, der für meine Unterweisung im serischen Schwertkampf gesorgt hatte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht, als ich diese guten Erinnerungen in mein Gedächtnis rief. Die Bewegungen, tausendfach geübt, liefen dabei fast automatisch weiter.

    Ich verneigte mich leicht. Das sagte mehr, als es Worte vermocht hätten. Einen kurzen Moment lang ließ ich die Stille des Peristylums wirken. Doch war es gar nicht so wirklich still. Man hörte die Stimmen der Sklaven aus dem Atrium. "Da mich die iunischen Sklaven kennen, denke ich, dass sie dich, Sporus, in Terpanders Zimmer schlafen lassen. Und dich, Amytis, wird man in einem Gästezimmer schlafen lassen. Denn wie euch sicher aufgefallen ist, sind alle Sklaven hier männlich. Ich weiß nicht, warum. Doch fand ich es bereits so vor, als ich nach dem Studium hierher zurückkehrte." Kurz zog ich meine Schultern hoch. "Das ist aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass ihr heute Nacht Menschen unter Menschen seid. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn ihr irgendetwas benötigt, könnte ihr gerne die anderen fragen. Sie werden euch helfen." Langsam und würdevoll erhob ich mich von der Sitzbank, wobei ich den beiden signalisierte, sitzen zu bleiben. "Doch müsst ihr ohne mich auskommen, denn ich werde mich nun zur Ruhe begeben." Noch eine leichte Verneigung von mir, und ich begab mich in mein Cubiculum.

    Nachdem ich im Tabularium eine kleine Recherche durchgeführt hatte, hatte ich einen Brief verfasst, in dem ich das Erbe des Sisenna Seius Stilo anforderte.


    Aulus Iunius Tacitus

    Decemviris Litibus Iudicandis



    Decemviri,


    ich schreibe euch auf Grund des Erbes des verstorbenen Sisenna Seius Stilo, mit der Bitte, meine Ausführungen zur Erbfolge zur prüfen.


    Da mir kein Testament des Verstorbenen bekannt ist, ist der nächste Erbe in direkter Linie der adoptierte Sohn, Iullus Seius Iunianus Fango. Ihm sollte das Erbe zukommen, sofern sein Aufenthalt außerhalb der Grenzen des Imperiums, mithin also in exilium, dem nicht entgegenstehen.


    Sollte das exilium der Zuteilung des Erbes entgegenstehen, so wäre der nächste lebende Verwandte Sisenna Iunius Scato. Dieser ist einerseits als leiblicher Bruder des Iullus Seius Iunianus Fango direkt mit diesem verwandt. Des Weiteren ist er aber auch als Neffe des Sisenna Seius Stilo über dessen verstorbene Schwester Seia Sanga mit dem Verstorbenen verwandt. Allerdings wurde auch Sisenna Iunius Stilo bereits seit längerem nicht mehr gesehen.


    Falls deshalb auch dieser als Erbe ausfällt, bitte ich darum, mich als vorläufigen Erben einzusetzen, falls dies möglich ist. Ich bin mit Sisenna Iunius Scato im fünften Grad verwandt.


    Sollten hieraus keine Erbrechte für eine der genannten Personen entstehen, so bitte ich darum, die Sklaven des Verstorbenen erwerben zu dürfen.


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus

    Ich ließ mir die Worte von Amytis noch ein paarmal durch den Kopf gehen. Mir war nicht entgangen, dass Sporus ein ängstlicher Mensch war. Mir war auch nicht entgangen, dass beide in den letzten beiden Tagen ein wenig aufgeblüht waren. Und natürlich hatte ich gefolgert, dass ihr Herr vermutlich nicht der beste Herr war, den sich ein Sklave wünschen konnte. Ob ich der beste Herr war, konnte ich nicht beurteilen. Vermutlich nicht. Aber ihre Worte bedurften einer Antwort. So drehte ich mich zu Amytis. "Ich bin mir nicht sicher, was du mit 'verständig' meinst, aber ich bin mir sicher, dass es nicht bedeutet, dass euer Herr strenger ist, als ich. Jedenfalls nicht, wenn man mit 'streng' meint, dass viel verlangt wird, die Entscheidungen aber dennoch gerecht sind. Ehrlicherweise steht es mir auch nicht zu, über euren Herrn zu urteilen." Wie konnte ich sagen, was ich dachte, ohne es zu sagen? Das war eine Kunst, die in Hàn sehr wichtig war. "Urteilen kann ich nur über mich selbst. Mir ist es wichtig, dass alle meine Entscheidungen gerecht ist. Und es ist mir wichtig, jeden mit Respekt zu behandeln. Vielleicht mit Ausnahme von verurteilten Verbrechern. Im Grundsatz verdient jeder Mensch, selbst der niederste Mensch, Respekt. Wenn ich alle Menschen mit Respekt behandle, dann wird man auch mich mit Respekt behandeln. Wenn man mich dann vielleicht sogar als Vorbild sieht und mir nacheifert, wird Stück für Stück die Harmonie der Welt gemehrt." Einen Augenblick lang dachte ich nach. "Natürlich kann man mir vorwerfen, dass Sklaven nach römischem Recht als Sachen gelten. Das verfängt aber nicht. Denn erstens bleibt ein Sklave weiterhin ein Mensch, sonst könnte durch Freilassung kein Libertinus daraus werden. Denn ein Libertinus erhält das Bürgerrecht. Ein Tisch könnte niemals das Bürgerrecht erhalten. Und aus einer Sache kann ganz allgemein kein Mensch werden. Das ist also der erste Punkt, ein Sklave ist ein Mensch und sollte auch so behandelt werden, nämlich mit Respekt. Der zweite Punkt ist ebenfalls wichtig und wird doch von den meisten Menschen nicht erkannt. Auch Sachen sollen respektvoll behandelt werden. Denn auch sie haben einen Wert. Und auch Sachen tragen zur Harmonie bei. Gut angeordnet, mehren sie die Harmonie. Wer also denkt, einen Sklaven respektlos behandeln zu dürfen, weil es sich ja rechtlich um eine Sache handelt, der irrt doppelt. Doch kann man so jemanden nicht zur Einsicht zwingen. Einsicht kann nur aus uns selbst kommen."

    "Das wirst du ganz sicher." Wieder lächelte ich und klopfte ihm auf die Schulter. Die Selbstgewissheit, die ich hierbei ausstrahlte, stand in einem starken Gegensatz zu dem Zweifel am Nachleben, den durch meinen Freund Arpan und die anderen Buddhisten, vor allem in Indien, in mir hervorgerufen hatten. Was, wenn wir alle wiedergeboren wurden? Und wenn ja, als was? Falls die Buddhisten richtig lagen, dann hoffte ich auf eine gute Wiedergeburt für Terpander. Diese Gedanken ließ ich mir aber nicht anmerken. Sporus war schon verwirrt genug, da wollte ich ihn nicht noch weiter verwirren. Seinen Dank quittierte ich mit "Gern geschehen, auch wenn es für die Wahrheit keines Dankes bedarf."

    Sporus hatte mich aus meinen Gedanken gerissen, doch ließ ich ihn das nicht merken. Schließlich hatte ich gehört, wie er sich näherte. Seinen Dank für die Trauerfeier quittierte ich mit einer leichten Verneigung meines Kopfes. Seine Frage hörte ich mir aufmerksam an und beantwortete sie dann. "Terpander ist jetzt in den elysischen Feldern. Das ist ein Ort, an dem es kein Leid und kein Unglück gibt und alle in Frieden und glücklich weiterleben. Die Totenrichter werden ihm den Zugang nicht verwehren. Er war strenger als ich, aber immer gerecht. Deshalb wird er nun an diesem schönen Ort sein." Meine Worte sprach ich mit einem warmen Lächeln. "Sei nicht traurig, denn Terpander ist glücklich. Und irgendwann, wenn deine Zeit gekommen ist, werdet ihr euch wieder sehen."

    Ich hörte das Gebet von Sporus. Während aus mir vor allem mein Verstand gesprochen hatte und ich mich in der Ausführung der Gebete streng an die überlieferten Formen hielt, sprach Sporus mit seinem Herzen. Als er einen Schritt zurück machte, klopfte ich ihm kurz auf die Schulter. Auch denjenigen unter den iunischen Sklaven, die emotional aufgewühlt wirkten, erwies ich diese Geste. Als dann Amytis ihr Gebet sprach, verstand ich zwar nicht alles, was sie sagte, doch verstand ich, was sie sagen wollte. Ich nickte ihr kurz zu, als sie ihr Gebet beendet hatte und freute mich innerlich, dass sie sich um Sporus kümmerte. Nach außen zeigte ich keine Regung.


    Da Amytis die letzte in der Reihe war, lag es nun an mir, den offiziellen Teil des Gedenkens zu beenden. So trat ich wieder nach vorne, wobei mir die Blicke der iunischen Sklaven sicher waren. "Ich danke euch allen, dass ihr Terpander die letzte Ehre erwiesen habt. Und ich danke euch allen für eure Gebete für Terpander. Ihr habt bis morgen Abend frei. Wenn ihr noch etwas beisammen sein wollt, könnte ihr gerne das Atrium nutzen." Das war sicher ungewöhnlich, denn eigentlich war das Atrium der Ort für die Herren des Hauses, doch kümmerte mich das recht wenig. Es war der größte Raum des Hauses und abgesehen davon, war ich der einzige anwesende Herr. "Wenn ihr es wünscht, dürft ihr euch - in angemessenem Umfang - ein Mahl zu Terpanders Gedenken machen. Plündert nur nicht unbedingt die wertvollsten Zutaten." Kurz zwinkerte ich dem Koch zu, denn das war natürlich selbstverständlich. "Sporus, Amytis, ihr könnte hier übernachten, wenn ihr wollt. Macht euch keine Gedanken um euren Herrn, ich werde das zu regeln wissen. Man wird euch eine Unterkunft geben, ihr müsst nur Araros fragen."


    "Entschuldigt mich nun," sagte ich mit einem respektvollen Nicken. Dann verließ ich die Gedenkfeier. So konnten die Sklaven sich ungestört von den Zwängen eines anwesenden Herren zusammensetzen und Anekdoten über Terpander erzählen. Ich würde mich umziehen und dann im Peristylum niederlassen. Wer mich suchte, würde mich dort finden.

    Nachdem ich mich von der Gedenkfeier für Terpander verabschiedet hatte, ging ich zuerst in mein Cubiculum, um mich umzuziehen. Die Toga legte ich wieder ab, dafür zog ich die weißen Seidenschuhe an, die ich bislang nur selten einmal getragen hatte und ich zog ein langes, weißes Seidengewand mit einem Rundkragen über und setzte mir eine einfache, weiße Kopfbedeckung auf. Weiß war in Serica die Farbe der Trauer. So gekleidet, begab ich mich ins Perystilum. Dort setzte ich mich auf eine marmorne Bank unter dem Baum in der Mitte. Dort ließ ich meine Erinnerungen an Terpander noch einmal an meinem geistigen Auge vorbeiziehen.

    Die iunischen Sklaven, Amytis, Sporus und ich standen vor dem Lararium. Es war Zeit. An Stelle von Weihrauch hatte ich etwas lignum aloes holen lassen. Mitgebracht hatte ich es von meiner Reise. Dass es teurer war, als Weihrauch, wusste ich. Und das war beabsichtigt. Ich wollte, dass die Götter aufmerksam wurden und gut zuhörten. "Sporus, du wirst mir assistieren. Du kommst einem Verwandten von Terpander am nächsten." Das war der eine Grund, weshalb ich ihm diese Aufgabe erteilte. Der andere Grund war, dass ich hoffte, ihm durch den Fokus auf die Aufgabe etwas Ablenkung zu geben, damit er seine Tränen kontrollieren konnte. Begoas gab daraufhin Sporus die Bronzeschale mit den Holzstückchen, die von schwarzen Tröpfchen durchzogen waren.


    Die Opferschale vor dem Lararium enthielt bereits glühende Kohlen, so dass wir beginnen konnten. Ich zog meine Toga über meinen Kopf, so wie es sich für einen Römer gehörte, wenn er zu den Göttern sprach. Ich griff in die Schale mit dem Holz und legte ein Stück davon in die glühenden Kohlen. Kurz darauf stieg ein angenehmer, etwas süßlicher und zugleich auch holziger und fruchtiger Geruch auf. Ich hob die Hände zum Gebet. "Hermes, Bote der Götter. Du bringst die Toten zum Styx und überbringst Botschaften. Falls du es noch nicht getan hast, bitte ich dich, Terpander in seine neue Heimat zu geleiten. Sorge dafür, dass er sicher ankommt und sich nicht verirrt. Und falls ihm seine Münze abhanden gekommen ist, bitte ich dich, ihm eine Münze zu leihen. Ich werde dir deine Unkosten mit einem Aureus erstatten." Mit einer Drehung nach rechts beendete ich das Gebet.


    Ich griff ein weiteres Stück Holz und legte es in die Opferschale, wobei ich mich zwangsläufig dem Lararium zuwenden musste. Als es zu rauchen begann, hob ich die Hände erneut zum Gebet. "Persephone, ich bitte dich und deinen Gemahl, Terpander als willkommenen Gast in eurem Heim zu empfangen. Bewirtet ihn und lasst ihm ein gutes Mahl zukommen. Zum Dank will ich euch ein schwarzes Schaf opfern lassen." Wieder drehte ich mich nach rechts, um auch dieses Gebet zu beenden.


    Ein neues Stück Holz, ein neues Gebet. "Iustitia, Herrin der Gerechtigkeit. Du hast mich stets geführt. Nun bitte ich dich, leite die drei Totenrichter an, damit sie Terpander Zugang zu den elysischen Feldern gewähren. Ich habe dir bereits viele Opfer dargebracht und du weißt, dass du noch viele wertvolle Opfergaben von mir erhalten wirst. Deshalb weiß ich, dass du mir diese kleine Bitte erfüllen wirst." Kurz sah ich noch die silberne Statuette mit ihrem kupfernen Haar und den smaragdenen Augen an. Ich lächelte sie kurz an, bevor ich mich nach rechts drehte.


    Ein letztes Gebet musste noch sein. Diesmal legte ich zwei Stücke Holz in die Opferschale. Ich hob die Hände zum Gebet und sah die Statuette von Apollon an. "Apollon, Herr des Lichts. Dir habe ich reichlich geopfert, mehr, als du es von einem Schüler deines Museions erwarten konntest. In meiner Bilanz steht noch ein Guthaben, möchte ich meinen. Verwende dieses Guthaben nicht für mich, denn ich werde dich auch in Zukunft reichlich bedenken. Verwende dieses Guthaben für Terpander. Sende ihm ein Licht, wenn um ihn herum Finsternis herrscht. Gewähre ihm eine schöne Melodie, wenn er trübsinnig ist. Und beschütze ihn vor den Gefahren der Unterwelt, bis er sicher in den elysischen Feldern weilt." Ein letztes Mal drehte ich mich nach rechts.


    Doch diesmal drehte ich mich ganz um und sah die versammelten Sklaven an. Begoas kämpfte mit den Tränen, doch bis auf eine einzige Träne konnte er sie zurückhalten. Ich zog die Toga von meinem Haupt und richtete sie, so gut es ging, bevor ich sprach. "Ihr könnt gleich noch alle ein persönliches Gebet an die Götter richten. Es ist genug Räucherholz da. Aber ich möchte euch vorher noch etwas sagen. Die meisten von euch sind traurig, weil Terpander nicht mehr unter uns weilt und auch nicht mehr zurückkehren wird. Aber warum seid ihr traurig? Weil ihr glaubt, dass er euch in Zukunft fehlen wird. Die Zukunft ist aber für uns alle ungewiss. Die Vergangenheit hingegen ist für immer in unseren Erinnerungen. Wir sollten deshalb nicht trauern. Wir sollten uns lieber freuen, dass wir das große Privileg hatten, Terpander kennen zu dürfen. Wir sollten uns mit Freude an die Zeit erinnern, die wir unseren Lebensweg gemeinsam mit ihm gehen durften. Das ist ein großes Privileg, denn die meisten Menschen kannten ihn nicht. Den allermeisten Menschen wurde diese Ehre nie zuteil. Freut euch also über die gemeinsame Zeit und kümmert euch nicht um die Zukunft. Terpander wird es gut gehen, denn er wird auf den elysischen Feldern weilen." Ich trat einen Schritt zur Seite. "Und nun, wer will, möge zu den Göttern beten."

    "Dann werden wir das so machen. Wartet kurz, ich bin gleich zurück." Ich verneigte mich kurz und ging dann in mein Cubiculum, um mich passend zu kleiden. In der Tat brauchte ich gar nicht lang. Ich hatte die schwarze Kleidung, auch die Kopfbedeckung, abgelegt. Auch meiner Schuhe hatte ich mich entledigt. Nun trug ich 'nur' noch die lange, weiße Seidenhose und die langärmelige, weiße Seidenjacke. Für die meisten Menschen würde es wahrscheinlich immer noch ein Satz kompletter Kleidung sein. Über meinen rechten Arm hatte ich die fast schwarze toga pulla gelegt, als ich wieder herauskam. "Helft mir bitte, die Toga anzulegen. Dann bin ich komplett für die Trauerfeier gekleidet." Das war der Kompromiss, Trauerkleidung zweier Reiche.

    Ich warf Sporus noch einmal einen Blick zu, dann Amytis. "Ich bin mir inzwischen sicher, welche Götter ich anrufen werde und was ich sagen will. Fehlt nur noch die passende Kleidung. Einerseits bin ich, so lange meine Mission noch nicht abgeschlossen ist, vor allem serischer Gesandter. Als solcher müsste ich serische Trauerkleidung tragen. Andererseits werden die Götter wohl eher einen Römer ernstnehmen. Dann wäre römische Kleidung angemessen. Oder ein Kompromiss? Wenn ich einfach über der serischen Trauerkleidung eine Toga pulla trage, hätte ich beides vereint. Was meint ihr?" Die Meinung der beiden Sklaven war mir wichtig. Die von Sporus, weil er das war, was einem Familienmitglied von Terpander am nächsten kam. Und die von Amytis, weil ich sie als Person schätzte.

    Ich legte meine rechte Hand auf seine Schulter. "Danke, das hilft mir bei den Vorbereitungen." Dann fügte ich mit einem sanften Lächeln hinzu "Der Schmerz wird vergehen. Aber die guten Erinnerungen werden bleiben. Weißt du, die Stoiker aus Athen und die Buddhisten aus Indien haben eine Sache gemeinsam. Sie sind beide der Meinung, dass man nicht an materiellen Dingen hängen sollte. Eine andere Person, auch wenn man sie liebt, ist dennoch etwas Materielles. Doch die Erinnerungen an die Zeit, die man mit einer Person verbringen durfte, die sind nichts Materielles. Sie gehören uns. Man kann sie uns nicht nehmen."


    Ich nahm die Hand von seiner Schulter und stellte mich vor ihn. "Sieh mich an, denn ich muss dir etwas sagen. Vielleicht hilft es dir. Dein Herr, Seius Stilo, war ein Mensch, den ich sehr schätzte. Nicht nur, weil er mir geholfen hatte, sondern vor allem, weil man einfach gerne in seiner Gesellschaft war. Und sein Bruder, der Quaestor Principis Seius Ravilla, war ebenfalls ein von mir sehr geschätzter Mensch. Vor allem wegen seiner Bildung und seiner Zivilisiertheit. Beider Tode haben mich getroffen. Auch, weil sie nun noch zum Tod von Terpander hinzukommen, den ich ebenfalls sehr geschätzt habe. Das ist alles etwas viel auf einmal. Doch noch tragischer wird das alles, weil vor einigen Jahren die Schwester der beiden Seier, Seia Fusca, ebenfalls jung verstorben ist. Sie war schön, gebildet und..." Ich zuckte mit den Schultern. "Sagen wir einfach, dass ich sie sehr mochte. Wäre sie nicht verstorben und ich hätte etwas mehr Zeit gehabt, sie besser kennenzulernen, dann hätte ich bei Seius Ravilla um die Hand von Seia Fusca angehalten. Aber es sollte eben nicht sein. Dass nun alle drei Geschwister verstorben sind, ist für mich nicht einfach." Nun sah ich Sporus direkt in die Augen. "Andererseits hätte ich meine Reise nach Serica nicht angetreten, wenn ich mit Fusca vermählt gewesen wäre. Dann hätte ich nicht die Philosophien aus Serica kennengelernt. Und dann hätte ich nicht die Gewissheit, die ich jetzt habe und die es mir erlaubt, meine Fassung zu bewahren. Denn eines ist klar: Mit dem Moment unserer Geburt begeben wir uns auf den Weg zu unserem Tod. Wir wissen nicht, wie lang er sein wird. Wir wissen nicht, mit wem wir den Weg oder Teile des Weges gehen. Wir wissen auch nicht, ob der Weg uns glücklich machen wird, oder nicht. Das alles ist ungewiss. Sicher ist nur das Ende. Wir werden sterben. Wir wissen nicht, wann, aber wir wissen, dass wir sterben werden. Aber wir können ein paar Dinge beeinflussen. Wir können den Weg in Würde beschreiten. Wir können die schönen Momente in unserem Leben in unseren Erinnerungen bewahren und es später immer wieder daran erfreuen, auch dann, wenn es unschöne Momente gibt. Und man kann uns diese Erinnerungen niemals wegnehmen. Merke dir das gut, und versuche danach zu leben."

    Ich hatte Sporus nicht kommen hören, war ich doch ins Gespräch mit Amytis und meine eigenen Gedanken vertieft. Auf seine Frage nickte ich dann zunächst nachdenklich, bevor ich antwortete. "Ja, Sisenna Seius Stilo ist ebenfalls verstorben. Ich werde morgen versuchen, den legitimen Erben herauszufinden. Seius Stilo hatte mir geholfen, als ich nach zehnjährigem Studium zurück nach Rom kam. Jetzt kann ich ihm etwas dafür zurückgeben. Ich wünschte, ich hätte ihm zu Lebzeiten etwas zurückgeben können, nun will ich für seinen oder seine Erben als Advocatus die Interessen vertreten." Das war letztlich das, was ich besonders gut konnte.


    "Aber wo du schon einmal hier bist, kannst du mir helfen. Du kanntest Terpander besser, als ich ihn kannte. Zu welchen Göttern hat er gebetet? Liege ich richtig in der Annahme, dass er Lakonier war? Hatte er Wünsche für den Fall seines Todes?" Mir war klar, dass ich Sporus damit womöglich seelischen Schmerz zufügte, aber ich wollte unbedingt die richtigen Riten durchführen. Das würde auch Sporus' Schmerz langfristig heilen.

    Die Bemerkung über ihren Herrn nahm ich wahr, doch zeigte ich keine Reaktion. Ob es normaler war, nichts über seine Sklaven zu wissen, oder viel über seine Sklaven zu wissen, konnte ich nicht beurteilen. Nach der Philosophie, die ich in der Ferne kennen und schätzen gelernt hatte, verdiente ein Sklave ebenfalls Respekt und deshalb erschien es mir angemessen, mehr über die Menschen, die uns als Sklaven dienten, zu erfahren. "Sporus fragen, das klingt ganz gut. Ich denke, das werde..." Ich sah Begoas mit einer Wachstafel auf mich zukommen. Das verhieß nichts Gutes, wenn er es jetzt zu stören wagte. Als er näher kam, erkannte ich, dass es zwei Wachstafeln waren.


    "Zwei wichtige Nachrichten, Herr." Er überreichte mir die Wachstafeln, verneigte sich, und ging wieder. Tatsächlich hatte er es ziemlich eilig, wegzukommen.


    Ich öffnete die erste Wachstafel. Das Siegel der Gens Flavia war bereits gebrochen, daher wusste ich, dass Begoas sie bereits gelesen hatte. Ohne es zu merken, murmelte ich ein paar der Worte, die geschrieben standen. "... Quaestor Principis... Galeo Seius Ravilla... unerwartet... leider verstorben..." Ich hatte ihn zwar nur flüchtig kennengelernt, aber dennoch seine Bildung und Person geschätzt. Er war in der Villa Flavia Felix untergekommen, daher wusste ich, dass man sich um seine Bestattung kümmern würde. Immerhin. Meine Stimmung förderte es dennoch nicht, obwohl ich nach außen keine Regung zeigte.


    Die zweite Tafel war noch versiegelt, und zwar mit dem Siegel der Prätorianer. Ich öffnete es und las den Text. "... Centurio der Cohortes Praetoriae Sisenna Seius Stilo... im Dienst... verstorben..." Seius Stilo hatte ich besser gekannt. Er war mir eine große Hilfe gewesen, als ich nach Jahren des Studiums am Museion nach Rom zurückgekehrt war. Wenn er nicht in der Kaserne nächtigte, hatte er hier gelebt. Wenn ich das richtig im Kopf hatte, war er ein Onkel meines Vetters Iunius Scato. Und außerdem der Herr von Sporus. Ich gab beide Wachstafeln zu Amytis, damit ich sie nicht fallen ließ. "Beide Brüder..." sagte ich leise, fast tonlos. Man konnte mir gut ansehen, dass ich mit meiner Fassung rang. Das war jetzt doch alles etwas viel auf einmal. "Meinst du..." Ich atmete tief durch, weil ich merkte, dass meine Stimme immer noch recht tonlos war. "Meinst du... entschuldige, ich..." Noch einmal atmete ich tief durch und schloss die Augen, ließ einen Moment lang meine Gedanken schweifen, bis ich meine Selbstbeherrschung so weit wiederhergestellt hatte, dass ich klare Sätze formulieren konnte. "Neuer Versuch. Meinst du, Sporus wird es jetzt bereits ertragen, wenn ich ihm sage, dass sein Herr gestorben ist? Er gehörte Sisenna Seius Stilo."

    Woher stammte Terpander? Griechenland, da war ich mir sicher. Aber woher genau? Ich wusste es nicht, aber ich hatte eine Vermutung. Welche Götter hatte er angebetet? Ich wusste es nicht. Ich hatte ihn aber nie beten gesehen. Es war erschreckend, wie wenig ich wusste. "Er war Grieche. Ich vermute, dass er aus Lakonien stammt. Jedenfalls scheint mir da ein leichter lakonischer Akzent in seiner Sprache gewesen zu sein. Welche Götter er anbetete weiß ich nicht, habe ich ihn doch nie beten gesehen. Seiner Persönlichkeit nach bin ich mir aber sicher, dass er, wenn überhaupt, dann zu den griechischen Göttern sprach." Während ich sprach, ging ich langsam weiter. Es half mir, meine Gedanken zu sortieren. "Ich sollte eigentlich mehr über ihn wissen. Natürlich war er nicht mein Sklave, aber ich hatte mit ihm eine Reise von hier bis nach Mogontiacum hinter mich gebracht. Da hätte man sich gut unterhalten können. Nun muss ich improvisieren." Damals hatte ich mich noch nicht so dafür interessiert, was ein Sklave dachte und was für ein Mensch ein Sklave war. Nun war es mir wichtiger. Serica hatte mich verändert. Das merkte ich daran, dass es an mir nagte, nicht mehr über Terpander zu wissen. "Ich sollte Hermes bitten, ihn sicher in die Unterwelt zu geleiten. Und den Unsichtbaren und seine Frau Persephone darum bitten, ihm keine Qualen zu bereiten."

    Dafür, dass hier ein Stein herumlag, hätte Terpander dem für die Sauberkeit im Atrium verantwortlichen Sklaven sicher eine schallende Ohrfeige verpasst. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich das auch machen sollte. Und sei es im Gedenken an Terpander. Ich konnte am Gesicht des entsprechenden Sklaven erkennen, dass er den selben Gedanken hatte. Doch ich war nicht Terpander, und es erschien mir nicht angemessen. Mit Sporus konnte ich zu einem gewissen Maße mitfühlen. Ich mochte Terpander. Aber ich hatte gelernt, meine Gefühle im Griff zu haben, auch wenn es mir gerade sehr schwer fiel.


    Ich winkte den Paedagogus heran. "Aias, kümmere dich um ihn," befahl ich mit ruhiger Stimme, während ich einen besorgten Blick auf Sporus warf.


    "Ja, Herr," erwiderte Aias und ging zu Sporus. "Ruhig, Junge," sagte er beruhigend zu Sporus, "beruhige dich. Was würde wohl Terpander zu dir sagen?"


    "Flenn nicht rum und reiß dich zusammen, das würde Terpander sagen," brummte Malachi, der ehemalige Gladiator und jetzige Custos Corporis. "Und eine Ohrfeige hätt's obendrein gegeben."


    "Malachi, nicht jetzt!" zischte Aias, obwohl er wusste, dass Malachi nicht ganz falsch lag. "Der Junge leidet." Dann kniete er er sich neben Sporus und nahm ihn in den Arm. "Lass es raus, Junge, lass es raus."


    Da ich das Gefühl hatte, dass die Lage erstmal im Griff war, ging ich zu Amytis. "Bitte, folge mir ins Peristylium. Dort können wir uns in Ruhe der Planung widmen. Um Sporus wird sich gut gekümmert, da habe ich keine Zweifel."

    Nachdem ich mit Amytis im Peristylium angelangt war, atmete ich tief durch und schloss für einen Moment die Augen, um mich ohne äußere Eindrücke zu fokussieren. "Mir fällt es nicht leicht, die Fassung zu bewahren. Aber wenn ich versage, dann läuft alles völlig aus dem Ruder. Terpander war streng, aber beliebt. Und von allen respektiert. Ich werde ihn sehr vermissen." Es fiel mir leichter, zu reden, während ich mich bewegte, und so ging ich langsam durch den Säulengang. "Eine Bestattung fällt aus, also muss ich andere Riten durchführen. Das verlangt bereits der Respekt gegenüber Terpander. Und, auch wenn ich selbst gefasst wirke... das täuscht. Ich brauche eine zweite Person, die mir hilft, eine würdevolle Zeremonie zu planen und abzuhalten. Mir ist bewusst, dass ich viel von dir verlange. Aber ich brauche im Moment Hilfe." Mir gefiel es nicht, dass dem so war, doch hatte ich gelernt, dass es keine Schande war, um Hilfe zu bitten. Auch der Edle bat um Hilfe, wenn er alleine nicht weiter kam.

    Das machte alles schwieriger. Ich hatte das Gefühl, dass ich Sporus die schlechte Nachricht irgendwie schonend beibringen musste. Ich wusste nur nicht, wie. Und so nickte ich nur kurz und lächelt höflich. "Danke für deine Ehrlichkeit, Sporus."


    Daraufhin ließ ich die Sklaven wieder antreten und ließ noch bis Mittag die synchrone Verbeugung üben, auch wenn ich gedanklich nicht ganz anwesend war. Fehler nahm ich dennoch wahr und korrigierte sie.


    Als ich dann die Mittagspause anordnete, in der die Sklaven wieder gut versorgt wurden, begab ich mich selbst in die Bibliothek. Ich suchte nach einem bestimmten Werk, das ich aus Serica mitgebracht hatte. Im Prinzip war es eine ganze Sammlung. Ich musste nicht lange suchen, bis ich die Sammlung fand, deren Bücher aus Bambusstreifen in Seide gehüllt waren. Die Aufschrift 禮記, "Buch der Riten" war es, die ich suchte. Innerhalb der Sammlung suchte ich das Buch mit der Aufschrift 喪大記, "Größere Aufzeichnung der Trauer-Riten". Doch waren dort keine Riten für verstorbene Diener verzeichnet. Die tiefen Grundsätze konnte ich vielleicht für die Situation verwenden, aber mehr nicht. Die römischen Sitten gaben mir ebenfalls keine Hinweise, denn Sklaven waren wie Sachen bewertet und daher gab es keine Bestattungsriten für Sklaven, an die sich ein Herr halten sollte. So schlug ich ein weiteres Buch nach... Das erste Buch aus der Sammlung, 曲禮上下, "Regeln der Schicklichkeit". Es war die Grundlage von allem in Serica. Ich las mir den ersten Eintrag selbst vor. "Qū Lǐ yuē: 'Wú bù jìng, yǎn ruò sī, ān dìng cí.' Ān mín zāi!" Mit Respekt sprechen, ernsthaft sein, ruhig und bestimmt sprechen. Das soll dem Volk Frieden bringen. Ruhig packte ich die Bücher wieder in ihre seidenen Hüllen, bevor ich mich aus der Bibliothek ins Atrium begab. Es waren fast zwei Stunden vergangen.


    "Mir ist etwas dazwischen gekommen. Deshalb habt ihr für den Rest des Tages und für morgen frei. An der Bezahlung eurer Herren ändert sich dadurch natürlich nichts. Holt die zwei Aurei für eure Herren bitte beim Maiordomus ab." Noch bevor alle gingen, deutete ich Amytis und Sporus, noch zu bleiben. Als alle fremden Sklaven gegangen waren und nur noch die iunischen Sklaven, sowie Amytis und Sporus vor Ort waren, ließ ich alle im Atrium versammeln.


    "Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen kann, deshalb bin ich geradeheraus." Meine Stimme war ruhig und fest. "Terpander, der geschätzte oberste Sklave meines guten Verwandten Iunius Scato und deshalb auch oberster Sklave dieses Haushalts, ist auf dem Weg zurück nach Germanien auf einem der Alpenpässe durch einen Felssturz verschüttet worden. Er hat nicht überlebt. Ihr habt für den Rest des Tages und für morgen frei. Dennoch erwarte ich, dass alle, die ihn gekannt haben, sich heute Abend hier einfinden. Ich werde die Riten des Andenkens persönlich leiten, auch wenn es keine festgeschriebenen Riten gibt." Ich konnte bei den meisten einen schockierten Gesichtsausdruck feststellen. Bei einigen sah ich auch Tränen, was es mir nicht leichter machte. "Sporus, es steht dir frei, bis heute Abend hier zu bleiben." Dann wandte ich mich an Amytis. "Amytis, ich benötige eine Person, die nicht persönlich betroffen ist, um mich zu unterstützen. Ich wäre dir persönlich dankbar, wenn du mir diesen Gefallen erweisen würdest."