Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    "Alles zu seiner Zeit," sagte ich zu Sporus. Dann nahm ich erst einmal das Schreibzeug, verfasste eine kurze Botschaft und beschriftete die Rückseite mit Namen und wo diese zu finden waren. Das gab ich dem Sklaven an der Porta zurück. "Schicke einen Boten zu diesen Personen. Der Bote sollte lesen und schreiben können. Sobald er mit den entsprechenden Personen zurück ist, werden wir uns darum kümmern, dass das Erbe ordnungsgemäß verteilt wird." Meine ganze Körpersprache zeigte, dass ich keinen Widerspruch duldete. "Los!"


    Während ich das Schreiben von Sporus nahm, sprach ich zu dem Aemilier. "Deine Meinung zu uns Juristen ist deine Meinung, aber vor dem Gesetz und auch hier ohne Belang." Meine Stimme war kühl und emotionslos. Die folgenden Worte jedoch sprach ich höflich, fast schon freundschaftlich. "Allerdings gebe ich dir einen gut gemeinten Rat - sogar ganz kostenlos. Zu behaupten, dass sich einen angesehene Gens wie die Aemilii einfach nimmt, was ihr gefällt, ist bestenfalls rufschädigend und schlimmstenfalls ruft es die Prätorianer auf den Plan. Warum ist es rufschädigend? Weil eine offen zur Schau getragene Missachtung der Gesetze, die eine patrizische Gens in ihren Methoden Räubern und Dieben gleichstellt, unangebracht und dem Mos Maiorum entgegenstehend ist. Warum könnte es die Prätorianer auf den Plan rufen? Weil eine patrizische Gens, die sich nicht an die Gesetze hält und sich willkürlich und unberechtigt Dinge aneignet, eine Gefahr für den öffentlichen Frieden ist. Daher also mein Rat, solche Aussagen zu unterlassen." Nach einer kurzen rhetorischen Pause sprach ich weiter, diesmal aber wieder kühl und emotionslos. "Was mögliche Geschäfte anbetrifft, ist im Moment sicher der falsche Zeitpunkt. Ich muss ein Erbe regeln. Danach können wir weitersehen." Dass er einen Juristen wahrscheinlich nötig hatte, daran hatte ich keinen Zweifel.


    Ich fragte mich, warum ich eigentlich schon wieder ein Erbe regeln musste. Aber das war wohl im Moment mein Schicksal.


    Dann las ich kurz den Brief durch und wandte mich an Sporus. "Ich bin mir nicht sicher, ob du den Inhalt hören möchtest. Es sind vor allem Herabsetzungen deiner Person. Das Kästchen dort ist übrigens für dich. Es sei etwas darin, was du seit vielen Jahren vermisst hast." Kurz dachte ich nach. "Irgendwie habe ich dabei ein ungutes Gefühl."

    Dem Sklaven antwortete ich selbstbewusst. "Ich bin Aulus Iunius Tacitus. Eigentlich war ich in meiner Eigenschaft als serischer Gesandter hierhin unterwegs, doch nun spreche ich in meiner Eigenschaft als Advocatus der Gens Aurelia. Zuletzt vertrat ich Aurelius Romanus. Da kein Aurelier zu gegen ist, werde ich die rechtlichen Angelegenheiten im Sinne der Gens Aurelia und des Verstorbenen Aurelius Pinus regeln." In der Angelegenheit würde ich keinen Spaß verstehen.


    Dann kam ein mir unbekannter Mann hinzu. "Ich gehe davon aus, Aemilius Magnus, dass du kein Verwandter des Toten bist. Daher wäre zunächst abzuwarten, was im Testament steht. Wenn du bedacht wurdest, gut, wenn nicht, dann werde ich dir nicht weiterhelfen können."


    Dann wandte ich mich wieder an den Sklaven. "Bring mir etwas zu schreiben und einen Boten. Danke. Und so lange ich es nicht gestatte, betritt niemand dieses Haus, der nicht Angehöriger oder Eigentum der Gens Aurelia ist." Ich selbst beschloss, ebenfalls hier zu warten. Und meine Körpersprache, die ich in zahlreichen Gerichtsprozessen optimiert hatte, zeigte deutlich, dass ich keinen Widerspruch dulden würde.

    Nachdem ich im Tabularium war und herausgefunden hatte, wer Sporus erbte, war ich nochmal in der Domus Iunia, um mich wieder umzuziehen. Ich wollte Aurelius Pinus wieder in meiner Rolle als serischer Gesandter begegnen, deshalb war wieder die Seidenkleidung angesagt. Mit Amytis und Sporus kam ich an der Villa Aurelia an und klopfte laut mit meinem Spazierstock an die Porta.

    Die Worte, die Amytis sprach, berührten mich, auch wenn ich es nicht zeigte. So verneigte ich mich noch einmal leicht. "Zhēnzhū," sagte ich respektvoll. Meine Augen waren ihr kurz zu Sporus gefolgt, dann wieder zu ihr, und schließlich wieder zu Sporus, als dieser sprach. Ich drehte mich zu ihm und klopfte ihm mit meiner rechten Hand auf die Schulter. "Du, Sporus, wirst nicht so leicht zerbrechen. Ich bin mir sicher, dass dich nach dem, was du ertragen hast, nichts mehr brechen kann." Dabei dachte ich natürlich an die Kastration, denn von mehr wusste ich ja nicht. Und hätte ich es geahnt, hätte ich meine Worte wohl anders gewählt.


    Nach einem kurzen Moment ging ich einen Schritt zurück, um beide gleichermaßen betrachten zu können. "Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch in der Küche etwas zu essen machen. Ich werde mich gleich auf den Weg ins Tabularium machen. Ich hoffe, dass ich dort herausfinden kann, wer Sporus erbt. Das werde ich dann bei den entsprechenden Stellen geltend machen. Und wenn ich zurück bin, werde ich mich mit euch auf den Weg zur Villa Aurelia machen. Die Verantwortung dafür, dass ihr gestern Abend nicht dort wart, übernehme ich. Mit Geld lässt sich oft erstaunlich viel regeln. Vielleicht kann ich auch aushandeln, dass ich euch während der ganzen Ausbildung für die Audienz auch nachts hier behalten kann." Das meinte ich durchaus ernst.

    Ich hörte ihr aufmerksam zu. Aurelius Pinus war sich ihres Wertes offensichtlich nicht bewusst. "Ich danke dir für deine klaren und weisen Worte, Amytis, und dafür, dass du mich daran teilhaben ließest. Wie es scheint, hat dir deine Versklavung tiefe Erkenntnisse vermittelt. So, wie mir meine Reise nach Hàn tiefe Erkenntnisse vermittelt hat. Wir beide waren einst andere Menschen, doch haben uns unsere Erfahrungen zu weiseren Menschen gemacht. Wir erkennen, möchte ich meinen, dass die himmlische Ordnung eine andere ist, als es die Herrscher umzusetzen verstanden. Und doch kennen wir die himmlische Ordnung nicht. Der Himmel spricht nur zu denen, die sein Mandat erhalten. Und wie es scheint, verstehen ihn selbst diese Menschen allzu oft nicht." Während ich sprach, wurde ich nachdenklicher, leiser. "Der Edle strebt nicht nach Reichtum oder Ruhm, sondern nach Frieden und Harmonie für alle unter dem Himmel." Wieder etwas lauter und einem feierlichen Tonfall, wie ihn hohe serische Beamte bei der Ernennung von Privilegien verwendeten, sprach ich weiter. "So lange wir unter uns sind, brauchst du dich vor mir nicht zu verneigen und den Blick nicht zu senken. Außer, es beliebt dir. Und so lange wir unter uns sind, will ich dich Zhēnzhū nennen, wenn du es mir gestattest. Das bedeutet in etwa 'wertvolle Perle', denn du bist ein wertvolles Juwel. Noch weiß ich nicht, warum sich unsere Wege kreuzten, aber ich bin dem Himmel dankbar, dass es so ist." Ich verneigte mich tief, so wie vor einem hohen Beamten in Serica. Es war eine der höchsten Respektsbezeugungen, zu denen ich fähig war.

    "Eine gute Antwort." Durch eine respektvolle Verneigung unterstützte ich diese Aussage. "Allerdings möchte ich noch etwas ergänzen. Der General Sūn Wǔ hat in seinem Buch Bīngfǎ, was so viel bedeutet wie 'über die Kriegskunst' geschrieben, dass die besten Krieger keinen Ruhm ernten. Man kennt ihre Namen nicht, weil sie die Feinde besiegen, bevor sie Feinde werden. Es bedarf keines Kampfes, wenn man die strategische Weitsicht hat, den Feind so früh zu erkennen, dass er selbst noch nicht einmal mit der Planung angefangen hat, und alle Pläne zu vereiteln, bevor es überhaupt zu einem Kampf kommen kann. Der vollkommene Sieg ist ohne jeden Kampf. Was denkst du, hat er Recht?" Etwas anderes musste ich auch noch hinterfragen. "Ich sehe auch nicht, weshalb eine teure Rüstung nötig sein sollte. Wer die Kunst des Schwertkampfes wirklich beherrscht, kommt ohne Rüstung aus. Und nein, ich bin noch nicht an diesem Punkt angelangt. Auch eine adelige Herkunft ist unnötig, um zu den besten Kriegern zu gehören. Liú Bāng entstammte einer Bauernfamilie und schaffte es, ein niederer Beamter zu werden. Als es Aufstände gegen die ungerechte Herrschaft des damaligen Kaisers gab, wurde er einer der Anführer der Aufständischen und war ein siegreicher Stratege. Er besiegte sogar Gegner, die größer und mächtiger waren, als er. Und am Ende aller Kämpfe wurde ihm das Mandat des Himmels zuteil. Als Kaiser Hàn Gāozǔ begründete er eine neue Dynastie und Jahrhunderte des Friedens und Wohlstands für sein Volk. Allerdings war er eine vollendeter Schwertkämpfer. Man sagt, dass es ihm gelang, eine angreifende Schlange zu enthaupten, bevor sie ihn beißen konnte. Er hatte das Schwert noch nicht gezogen, als sie zum Angriff ansetzte. Er zog das Schwert so schnell und führte dabei gleichzeitig einen Hieb aus, dass sie ihn nicht zu beißen vermochte. Vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht. Aber es zeigt, dass eine adlige Herkunft für den Himmel unwichtig ist. Wichtig ist die innere Einheit von Schwert und Krieger, ein reines Herz und die Fähigkeit, Gegner zu vernichten, ohne es zum Kampf kommen zu lassen. Wie siehts du das?" Die Fragen waren offen gestellt. Ich war ehrlich an ihrer Meinung interessiert.

    Ein anerkennendes Nicken zeigte, dass Amytis nicht falsch lag. "Es stimmt, Körper und Geist gehören auch für griechische Philosophen zusammen. Doch haben sie sich eben nicht in dem Maße dem Schwertkampf gewidmet, wie es in Hàn üblich ist." Das war eine einfacher Fakt. "Natürlich spielt hier auch mit hinein, dass das Schwert zu den Standessymbolen eines serischen Gelehrten gehört. Was ich mich allerdings bei deiner Anmerkung frage, ist, was zeichnet die besten Krieger aus? Ihre Fähigkeiten im Kampf? Ihre Kenntnisse der Strategie? Ihr Charisma? Wann gehört ein Krieger zu den besten Kriegern?" Es war eine Frage der Art, wie sie Jiénzǐ zu fragen pflegte.

    Sie hatte ein schönes Lächeln, wodurch mein Lächeln ein wenig von der höfischen Zurückhaltung verlor und etwas strahlender wurde. Ich nahm das Tuch mit meiner rechten Hand an und tupfte mir den Schweiz von der Stirn. "Danke." Kurz blickte ich auf das Tuch, das ich eigentlich nicht so zurückgeben konnte. "Ähm... ich werde es waschen lassen." Und dann musste ich ihr Lob doch kommentieren. "Es mag eindrucksvoll erschienen sein, doch glaube ich, dass die serische Kleidung dazu viel beiträgt. Denn noch bin ich nicht so weit, wie ich es gerne wäre. Wenn du wüsstest, wie es aussieht, wenn Prinz Jiénzǐ übt, dann würde ich dir wie ein blutiger Anfänger erscheinen." Während ich sprach, ging ich die paar Schritte zur Schwertscheide aus Rosenholz ging und das Tuch daneben ablegte. Ich ließ das Schwert von der linken in die rechte Hand wandern und nahm dann die Scheide mit der linken. Während ich mich wieder zu Amytis umdrehte, ließ ich das Schwert in die Scheide gleiten und trug diese nun locker in der linken Hand. Währenddessen sprach ich weiter. "Die Griechen mögen es anders sehen, doch in Serica steht es einem Philosophen gut zu Gesicht, sich auch im Schwertkampf zu über. Zum einen hilft es, die Gedanken zu fokussieren. Doch darüber hinaus verlangen die Übungen auch Disziplin und man lernt, mit Frustrationen umzugehen. Und natürlich hilft es auch, sich gegen Räuber zur Wehr zu setzen, was ich aber bisher nie unter Beweis stellen musste."

    Ich hatte Amytis und Sporus zwar bemerkt, änderte aber mein Programm nur unwesentlich. Nach geschätzt einer halben Stunde des langsamen Übens nahm ich die Grundstellung ein, das Schwert leicht schräg vor meinem Oberkörper. Und dann übte ich weiter, aber erheblich schneller. Es war eine andere Übung, die aussah, wie ein Kampf gegen mehrere unsichtbare Gegner. Abwehr, Angriff, alles so schnell, wie es mir irgendwie möglich war. Bei manchen Bewegungen war die Schwertspitze so schnell, dass die Bewegung für das menschliche Auge nicht mehr richtig wahrgenommen werden konnte. Was auch dem ungeübten Beobachter auffallen konnte, war, dass das Schwert keine unnötigen Strecken zurücklegte. Jeder Stich, jeder Schnitt nahm genau so viel Strecke in Anspruch, wie nötig war. Und auch die Abwehr war anders, als man es bei Schwertkämpfern erwartete. Es gab keinen richtigen Schlag zum abblocken, sondern Schnitte, die nur leicht ablenkend wirken würden. Wer mehr Ahnung von Waffen hatte, würde erkennen, dass alle Manöver darauf ausgelegt waren, Gelenke oder andere empfindliche Stellen zu treffen. Nicht mit Wucht, sondern durch präzise Schnitte und Stiche. Zugleich hatten aber alle Bewegungen, auch die Beinarbeit, eine gewisse Eleganz und Harmonie.


    Nach etwa einer Viertelstunde beendete ich die Übung. Ich stellte mich gerade hin und übergab das Schwert von der rechten in die linke Hand, wobei die Klinge nun hinten an meinem linken Arm anlag. Den Arm hielt ließ ich locker herunterhängen, so dass die Klingenspitze über meiner linken Schulter gut sichtbar war. Knauf nach unten, Spitze nach oben. So trug man in Serica ein Schwert, wenn es gezogen war, man aber nicht kämpfte. Dass ich trotz der kühlen Luft Schweißtropen auf meiner Stirn spürte, zeigte mir, dass ich richtig geübt hatte, ohne mich zu schonen.


    Nun drehte ich mich zu den beiden Sklaven und lächelte freundlich. "Guten Morgen Amytis, guten Morgen Sporus. Ich hoffe, dass ich euch nicht mit meinen Übungen geweckt habe. Habt ihr gut geschlafen?"

    Am nächsten Morgen fand ich mich beim ersten Tageslicht im Peristylum ein. Wie jeden Tag, so begann ich auch diesen mit Schwertübungen. Manchmal setzte sich Malachi an den Rand und sah mir dabei zu, aber heute nicht. Die Sklaven hatten im Gedenken an Terpander noch bis tief in die Nacht miteinander beisammen gesessen. Wie immer, übte ich zunächst die einzelnen Techniken extrem langsam. Das erhielt die nötige Präzision. Techniken, die im Kampf nur Sekunden dauerten, benötigten nun Minuten. Als Nebeneffekt stärkte ich damit meine Muskeln, weil sie eben sehr viel länger ihre Spannung aufrecht erhalten mussten. Anders als in den weißen Trauergewändern des gestrigen Abends trug ich nun wieder als oberste Lage ein schwarzes Seidengewand. Meine serische Gelehrtenkleidung war fast vollständig, nur die Kopfbedeckung fehlte - noch. Ich spürte den doch recht kühlen Wind in meinen kurzen Haaren, aber er machte mir nichts aus. Zu sehr war ich in meine Übungen vertieft, und zu sehr war ich es inzwischen gewohnt, bei jedem Wetter zu üben. Ich schwang das prunkvolle serische Schwert, das mir Prinz Jiénzǐ damals geschenkt hatte. Dabei dachte ich an meine Freunde in Serica. Vor allem an Jiénzǐ und Cáozǐ, mit denen ich oft philosophiert hatte. Außerdem war es Cáozǐ gewesen, der für meine Unterweisung im serischen Schwertkampf gesorgt hatte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht, als ich diese guten Erinnerungen in mein Gedächtnis rief. Die Bewegungen, tausendfach geübt, liefen dabei fast automatisch weiter.

    Ich verneigte mich leicht. Das sagte mehr, als es Worte vermocht hätten. Einen kurzen Moment lang ließ ich die Stille des Peristylums wirken. Doch war es gar nicht so wirklich still. Man hörte die Stimmen der Sklaven aus dem Atrium. "Da mich die iunischen Sklaven kennen, denke ich, dass sie dich, Sporus, in Terpanders Zimmer schlafen lassen. Und dich, Amytis, wird man in einem Gästezimmer schlafen lassen. Denn wie euch sicher aufgefallen ist, sind alle Sklaven hier männlich. Ich weiß nicht, warum. Doch fand ich es bereits so vor, als ich nach dem Studium hierher zurückkehrte." Kurz zog ich meine Schultern hoch. "Das ist aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass ihr heute Nacht Menschen unter Menschen seid. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn ihr irgendetwas benötigt, könnte ihr gerne die anderen fragen. Sie werden euch helfen." Langsam und würdevoll erhob ich mich von der Sitzbank, wobei ich den beiden signalisierte, sitzen zu bleiben. "Doch müsst ihr ohne mich auskommen, denn ich werde mich nun zur Ruhe begeben." Noch eine leichte Verneigung von mir, und ich begab mich in mein Cubiculum.

    Nachdem ich im Tabularium eine kleine Recherche durchgeführt hatte, hatte ich einen Brief verfasst, in dem ich das Erbe des Sisenna Seius Stilo anforderte.


    Aulus Iunius Tacitus

    Decemviris Litibus Iudicandis



    Decemviri,


    ich schreibe euch auf Grund des Erbes des verstorbenen Sisenna Seius Stilo, mit der Bitte, meine Ausführungen zur Erbfolge zur prüfen.


    Da mir kein Testament des Verstorbenen bekannt ist, ist der nächste Erbe in direkter Linie der adoptierte Sohn, Iullus Seius Iunianus Fango. Ihm sollte das Erbe zukommen, sofern sein Aufenthalt außerhalb der Grenzen des Imperiums, mithin also in exilium, dem nicht entgegenstehen.


    Sollte das exilium der Zuteilung des Erbes entgegenstehen, so wäre der nächste lebende Verwandte Sisenna Iunius Scato. Dieser ist einerseits als leiblicher Bruder des Iullus Seius Iunianus Fango direkt mit diesem verwandt. Des Weiteren ist er aber auch als Neffe des Sisenna Seius Stilo über dessen verstorbene Schwester Seia Sanga mit dem Verstorbenen verwandt. Allerdings wurde auch Sisenna Iunius Stilo bereits seit längerem nicht mehr gesehen.


    Falls deshalb auch dieser als Erbe ausfällt, bitte ich darum, mich als vorläufigen Erben einzusetzen, falls dies möglich ist. Ich bin mit Sisenna Iunius Scato im fünften Grad verwandt.


    Sollten hieraus keine Erbrechte für eine der genannten Personen entstehen, so bitte ich darum, die Sklaven des Verstorbenen erwerben zu dürfen.


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus

    Ich ließ mir die Worte von Amytis noch ein paarmal durch den Kopf gehen. Mir war nicht entgangen, dass Sporus ein ängstlicher Mensch war. Mir war auch nicht entgangen, dass beide in den letzten beiden Tagen ein wenig aufgeblüht waren. Und natürlich hatte ich gefolgert, dass ihr Herr vermutlich nicht der beste Herr war, den sich ein Sklave wünschen konnte. Ob ich der beste Herr war, konnte ich nicht beurteilen. Vermutlich nicht. Aber ihre Worte bedurften einer Antwort. So drehte ich mich zu Amytis. "Ich bin mir nicht sicher, was du mit 'verständig' meinst, aber ich bin mir sicher, dass es nicht bedeutet, dass euer Herr strenger ist, als ich. Jedenfalls nicht, wenn man mit 'streng' meint, dass viel verlangt wird, die Entscheidungen aber dennoch gerecht sind. Ehrlicherweise steht es mir auch nicht zu, über euren Herrn zu urteilen." Wie konnte ich sagen, was ich dachte, ohne es zu sagen? Das war eine Kunst, die in Hàn sehr wichtig war. "Urteilen kann ich nur über mich selbst. Mir ist es wichtig, dass alle meine Entscheidungen gerecht ist. Und es ist mir wichtig, jeden mit Respekt zu behandeln. Vielleicht mit Ausnahme von verurteilten Verbrechern. Im Grundsatz verdient jeder Mensch, selbst der niederste Mensch, Respekt. Wenn ich alle Menschen mit Respekt behandle, dann wird man auch mich mit Respekt behandeln. Wenn man mich dann vielleicht sogar als Vorbild sieht und mir nacheifert, wird Stück für Stück die Harmonie der Welt gemehrt." Einen Augenblick lang dachte ich nach. "Natürlich kann man mir vorwerfen, dass Sklaven nach römischem Recht als Sachen gelten. Das verfängt aber nicht. Denn erstens bleibt ein Sklave weiterhin ein Mensch, sonst könnte durch Freilassung kein Libertinus daraus werden. Denn ein Libertinus erhält das Bürgerrecht. Ein Tisch könnte niemals das Bürgerrecht erhalten. Und aus einer Sache kann ganz allgemein kein Mensch werden. Das ist also der erste Punkt, ein Sklave ist ein Mensch und sollte auch so behandelt werden, nämlich mit Respekt. Der zweite Punkt ist ebenfalls wichtig und wird doch von den meisten Menschen nicht erkannt. Auch Sachen sollen respektvoll behandelt werden. Denn auch sie haben einen Wert. Und auch Sachen tragen zur Harmonie bei. Gut angeordnet, mehren sie die Harmonie. Wer also denkt, einen Sklaven respektlos behandeln zu dürfen, weil es sich ja rechtlich um eine Sache handelt, der irrt doppelt. Doch kann man so jemanden nicht zur Einsicht zwingen. Einsicht kann nur aus uns selbst kommen."

    "Das wirst du ganz sicher." Wieder lächelte ich und klopfte ihm auf die Schulter. Die Selbstgewissheit, die ich hierbei ausstrahlte, stand in einem starken Gegensatz zu dem Zweifel am Nachleben, den durch meinen Freund Arpan und die anderen Buddhisten, vor allem in Indien, in mir hervorgerufen hatten. Was, wenn wir alle wiedergeboren wurden? Und wenn ja, als was? Falls die Buddhisten richtig lagen, dann hoffte ich auf eine gute Wiedergeburt für Terpander. Diese Gedanken ließ ich mir aber nicht anmerken. Sporus war schon verwirrt genug, da wollte ich ihn nicht noch weiter verwirren. Seinen Dank quittierte ich mit "Gern geschehen, auch wenn es für die Wahrheit keines Dankes bedarf."

    Sporus hatte mich aus meinen Gedanken gerissen, doch ließ ich ihn das nicht merken. Schließlich hatte ich gehört, wie er sich näherte. Seinen Dank für die Trauerfeier quittierte ich mit einer leichten Verneigung meines Kopfes. Seine Frage hörte ich mir aufmerksam an und beantwortete sie dann. "Terpander ist jetzt in den elysischen Feldern. Das ist ein Ort, an dem es kein Leid und kein Unglück gibt und alle in Frieden und glücklich weiterleben. Die Totenrichter werden ihm den Zugang nicht verwehren. Er war strenger als ich, aber immer gerecht. Deshalb wird er nun an diesem schönen Ort sein." Meine Worte sprach ich mit einem warmen Lächeln. "Sei nicht traurig, denn Terpander ist glücklich. Und irgendwann, wenn deine Zeit gekommen ist, werdet ihr euch wieder sehen."

    Ich hörte das Gebet von Sporus. Während aus mir vor allem mein Verstand gesprochen hatte und ich mich in der Ausführung der Gebete streng an die überlieferten Formen hielt, sprach Sporus mit seinem Herzen. Als er einen Schritt zurück machte, klopfte ich ihm kurz auf die Schulter. Auch denjenigen unter den iunischen Sklaven, die emotional aufgewühlt wirkten, erwies ich diese Geste. Als dann Amytis ihr Gebet sprach, verstand ich zwar nicht alles, was sie sagte, doch verstand ich, was sie sagen wollte. Ich nickte ihr kurz zu, als sie ihr Gebet beendet hatte und freute mich innerlich, dass sie sich um Sporus kümmerte. Nach außen zeigte ich keine Regung.


    Da Amytis die letzte in der Reihe war, lag es nun an mir, den offiziellen Teil des Gedenkens zu beenden. So trat ich wieder nach vorne, wobei mir die Blicke der iunischen Sklaven sicher waren. "Ich danke euch allen, dass ihr Terpander die letzte Ehre erwiesen habt. Und ich danke euch allen für eure Gebete für Terpander. Ihr habt bis morgen Abend frei. Wenn ihr noch etwas beisammen sein wollt, könnte ihr gerne das Atrium nutzen." Das war sicher ungewöhnlich, denn eigentlich war das Atrium der Ort für die Herren des Hauses, doch kümmerte mich das recht wenig. Es war der größte Raum des Hauses und abgesehen davon, war ich der einzige anwesende Herr. "Wenn ihr es wünscht, dürft ihr euch - in angemessenem Umfang - ein Mahl zu Terpanders Gedenken machen. Plündert nur nicht unbedingt die wertvollsten Zutaten." Kurz zwinkerte ich dem Koch zu, denn das war natürlich selbstverständlich. "Sporus, Amytis, ihr könnte hier übernachten, wenn ihr wollt. Macht euch keine Gedanken um euren Herrn, ich werde das zu regeln wissen. Man wird euch eine Unterkunft geben, ihr müsst nur Araros fragen."


    "Entschuldigt mich nun," sagte ich mit einem respektvollen Nicken. Dann verließ ich die Gedenkfeier. So konnten die Sklaven sich ungestört von den Zwängen eines anwesenden Herren zusammensetzen und Anekdoten über Terpander erzählen. Ich würde mich umziehen und dann im Peristylum niederlassen. Wer mich suchte, würde mich dort finden.

    Nachdem ich mich von der Gedenkfeier für Terpander verabschiedet hatte, ging ich zuerst in mein Cubiculum, um mich umzuziehen. Die Toga legte ich wieder ab, dafür zog ich die weißen Seidenschuhe an, die ich bislang nur selten einmal getragen hatte und ich zog ein langes, weißes Seidengewand mit einem Rundkragen über und setzte mir eine einfache, weiße Kopfbedeckung auf. Weiß war in Serica die Farbe der Trauer. So gekleidet, begab ich mich ins Perystilum. Dort setzte ich mich auf eine marmorne Bank unter dem Baum in der Mitte. Dort ließ ich meine Erinnerungen an Terpander noch einmal an meinem geistigen Auge vorbeiziehen.

    Die iunischen Sklaven, Amytis, Sporus und ich standen vor dem Lararium. Es war Zeit. An Stelle von Weihrauch hatte ich etwas lignum aloes holen lassen. Mitgebracht hatte ich es von meiner Reise. Dass es teurer war, als Weihrauch, wusste ich. Und das war beabsichtigt. Ich wollte, dass die Götter aufmerksam wurden und gut zuhörten. "Sporus, du wirst mir assistieren. Du kommst einem Verwandten von Terpander am nächsten." Das war der eine Grund, weshalb ich ihm diese Aufgabe erteilte. Der andere Grund war, dass ich hoffte, ihm durch den Fokus auf die Aufgabe etwas Ablenkung zu geben, damit er seine Tränen kontrollieren konnte. Begoas gab daraufhin Sporus die Bronzeschale mit den Holzstückchen, die von schwarzen Tröpfchen durchzogen waren.


    Die Opferschale vor dem Lararium enthielt bereits glühende Kohlen, so dass wir beginnen konnten. Ich zog meine Toga über meinen Kopf, so wie es sich für einen Römer gehörte, wenn er zu den Göttern sprach. Ich griff in die Schale mit dem Holz und legte ein Stück davon in die glühenden Kohlen. Kurz darauf stieg ein angenehmer, etwas süßlicher und zugleich auch holziger und fruchtiger Geruch auf. Ich hob die Hände zum Gebet. "Hermes, Bote der Götter. Du bringst die Toten zum Styx und überbringst Botschaften. Falls du es noch nicht getan hast, bitte ich dich, Terpander in seine neue Heimat zu geleiten. Sorge dafür, dass er sicher ankommt und sich nicht verirrt. Und falls ihm seine Münze abhanden gekommen ist, bitte ich dich, ihm eine Münze zu leihen. Ich werde dir deine Unkosten mit einem Aureus erstatten." Mit einer Drehung nach rechts beendete ich das Gebet.


    Ich griff ein weiteres Stück Holz und legte es in die Opferschale, wobei ich mich zwangsläufig dem Lararium zuwenden musste. Als es zu rauchen begann, hob ich die Hände erneut zum Gebet. "Persephone, ich bitte dich und deinen Gemahl, Terpander als willkommenen Gast in eurem Heim zu empfangen. Bewirtet ihn und lasst ihm ein gutes Mahl zukommen. Zum Dank will ich euch ein schwarzes Schaf opfern lassen." Wieder drehte ich mich nach rechts, um auch dieses Gebet zu beenden.


    Ein neues Stück Holz, ein neues Gebet. "Iustitia, Herrin der Gerechtigkeit. Du hast mich stets geführt. Nun bitte ich dich, leite die drei Totenrichter an, damit sie Terpander Zugang zu den elysischen Feldern gewähren. Ich habe dir bereits viele Opfer dargebracht und du weißt, dass du noch viele wertvolle Opfergaben von mir erhalten wirst. Deshalb weiß ich, dass du mir diese kleine Bitte erfüllen wirst." Kurz sah ich noch die silberne Statuette mit ihrem kupfernen Haar und den smaragdenen Augen an. Ich lächelte sie kurz an, bevor ich mich nach rechts drehte.


    Ein letztes Gebet musste noch sein. Diesmal legte ich zwei Stücke Holz in die Opferschale. Ich hob die Hände zum Gebet und sah die Statuette von Apollon an. "Apollon, Herr des Lichts. Dir habe ich reichlich geopfert, mehr, als du es von einem Schüler deines Museions erwarten konntest. In meiner Bilanz steht noch ein Guthaben, möchte ich meinen. Verwende dieses Guthaben nicht für mich, denn ich werde dich auch in Zukunft reichlich bedenken. Verwende dieses Guthaben für Terpander. Sende ihm ein Licht, wenn um ihn herum Finsternis herrscht. Gewähre ihm eine schöne Melodie, wenn er trübsinnig ist. Und beschütze ihn vor den Gefahren der Unterwelt, bis er sicher in den elysischen Feldern weilt." Ein letztes Mal drehte ich mich nach rechts.


    Doch diesmal drehte ich mich ganz um und sah die versammelten Sklaven an. Begoas kämpfte mit den Tränen, doch bis auf eine einzige Träne konnte er sie zurückhalten. Ich zog die Toga von meinem Haupt und richtete sie, so gut es ging, bevor ich sprach. "Ihr könnt gleich noch alle ein persönliches Gebet an die Götter richten. Es ist genug Räucherholz da. Aber ich möchte euch vorher noch etwas sagen. Die meisten von euch sind traurig, weil Terpander nicht mehr unter uns weilt und auch nicht mehr zurückkehren wird. Aber warum seid ihr traurig? Weil ihr glaubt, dass er euch in Zukunft fehlen wird. Die Zukunft ist aber für uns alle ungewiss. Die Vergangenheit hingegen ist für immer in unseren Erinnerungen. Wir sollten deshalb nicht trauern. Wir sollten uns lieber freuen, dass wir das große Privileg hatten, Terpander kennen zu dürfen. Wir sollten uns mit Freude an die Zeit erinnern, die wir unseren Lebensweg gemeinsam mit ihm gehen durften. Das ist ein großes Privileg, denn die meisten Menschen kannten ihn nicht. Den allermeisten Menschen wurde diese Ehre nie zuteil. Freut euch also über die gemeinsame Zeit und kümmert euch nicht um die Zukunft. Terpander wird es gut gehen, denn er wird auf den elysischen Feldern weilen." Ich trat einen Schritt zur Seite. "Und nun, wer will, möge zu den Göttern beten."