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Irgendwann steht das Basel Tattoo auf meiner jährlichen Reiseliste. Da will ich schon seit 10 Jahren mal hin, vielleicht schaffe ich es in den nächsten 10 Jahren auch tatsächlich mal. ![]()
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Irgendwann steht das Basel Tattoo auf meiner jährlichen Reiseliste. Da will ich schon seit 10 Jahren mal hin, vielleicht schaffe ich es in den nächsten 10 Jahren auch tatsächlich mal. ![]()
So ganz konnte ich den Wunsch, in der Vergangenheit zu leben, nicht nachvollziehen. Selbst, wenn es nur für einen Tag wäre. Was gab es da schon? Strohhütten, schlechte Medizin, keine Thermen, keine Foren, keine Straßen, keine Latrinen... In 2000 Jahren würde sicher auch niemand auf die Idee kommen, für ein paar Tage wie ein Römer zu unserer Zeit zu leben. Quasi in einer Art Reconstructio Historica. Wenn sich die Zivilisation so weiterentwickeln würde, wie in den letzten Jahrhunderten, dann würden wir den zukünftigen Römern wahrscheinlich wie üble Barbaren erscheinen.
Das Lob meiner Person traf mich unerwartet, so dass ich beinahe verlegen war.
"Nun, ich danke dir, aber... naja, ich bin ein Philosoph. Ein echter Philosoph, im Wortsinne. Da muss man zwangsläufig die Welt verstehen wollen. Und zugleich erkennen, dass man es nie wird. Du würdest dich dann also auf einen weg voller Frustration begeben."
Diese Warnung hatte ich einfach aussprechen müssen. Inzwischen stand die Sonne auch schon ziemlich tief und tauchte das Forum in ein goldenes Rot. Das ließ mich dann auch ziemlich schnell wieder gedanklich zum Forum zurückkehren.
"Komm, etwas muss ich dir unbedingt noch zeigen, und jetzt ist der Moment perfekt."
Ich ging schnellen Schrittes voran über den zentralen Platz, an der Basilica Aemilia vorbei, während links von uns die Basilica Iulia mit den vor ihr stehenden Säulen majestätisch in der Abendsonne leuchtete. Bis hin zu den heiligen Pflanzen, dem Olivenbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock, die vor den Rostra und der Curia standen. So standen wir nun vor dem Milliarium Aureum, dem goldenen Meilenstein, das eigentlich eine Säule war und den Glanz der Abendsonne perfekt wiedergab.
"Dies ist das Zentrum. Hier, von diesem Punkt aus, werden alle Entfernungen gemessen. Hier ist der Nullpunkt aller römischen Straßen. Alle Wege beginnen hier. Oder, von der anderen Richtung aus betrachtet: Alle Wege führen hierher."
Das kurze Gebet war gut gesprochen und ich freute mich, dass mein Vetter pietätvoll handelte. Das würde ihm sicher das Wohlwollen der Götter sichern.
"Nun, in gewisser Hinsicht wurde Rom hier geboren. Gewiss, Romulus wohnte mit seinen ersten Gefolgsleuten auf dem Palatinus und es gab auf jedem Hügel außer dem Capitolinus eine Siedlung. Der Capitolinus hingegen war wohl schon damals der Ort der gemeinsamen Verehrung der kapitolinischen Götter. Hier erwarb sich König Numa Pompilius viel Ansehen, weil er den Kult vereinheitlichte. Insofern könnte man den Capitolinus wohl als eine Art Gründungsort sehen, aber diese Sicht lehne ich ab. Es fehlte ein gemeinsames Zentrum für den Alltag und die Politik. Um das Jahr 150 ließ König Lucius Tarquinius Priscus mit dem Bau der Cloaca Maxima beginnen. Vorher war das Tal des Forums ein Sumpfgebiet. Mit der Trockenlegung des Forums wurde ein neuer, weitgehend unbebauter Platz geschaffen. Das Besondere an diesem Platz war es, dass er zwischen den Siedlungen Roms lag. Niemand hatte einen Anspruch darauf und man konnte ein gemeinsames Zentrum schaffen, das zu keiner Siedlung gehörte. Und deshalb glaube ich, dass du ziemlich richtig mit deinem Gefühl liegst, dass Rom genau hier geboren wurde."
Die mir schon mehrfach aufgefallenen klugen Beobachtungen meines Vetters, gefielen mir. Er formulierte sie nicht unbedingt mit der kühlen Neutralität eines Gelehrten, aber letztlich zählte der Inhalt.
"Du hast eine gute Beobachtungsgabe und erkennst die Dinge. Das zeichnet dich sehr positiv aus. Ich hoffe, dass du diese Fähigkeit für dein ganzes Leben behältst."
Ich konnte das nur schwer ertragen. Zu gerne hätte ich Aemilius geholfen und ihm eine ordentliche Anklage formuliert, zumindest einen Hinweis gegeben. Aber das wäre ein schwerer Verstoß gegen jede Ethik eines Juristen und würde meiner Reputation schaden. Seine Ausbildung war zweifelsfrei gut, doch schienen seine Verwandten wenig Wert auf einen Rhetoriklehrer gelegt zu haben, der ihm auch das juristische Argumentieren beigebracht hätte. Oder er hatte nicht aufgepasst. Was auch immer es war, hier sorgte es dafür, dass ich mich zurückhielt und stoisch da saß, während er sich selbst in eine immer schlechtere Position manövrierte. Vielleicht würde ich bei der nächsten Salutatio mit meinem Patron reden, dass sich Aemilius selbst im Weg stand. Mit etwas Unterstützung würde aus ihm sicher einmal ein ordentlicher Politiker werden, da hatte ich keine Zweifel. Doch im Moment...
Ganz dezent signalisierte ich meinem Mandanten, es mir gleich zu tun und ruhig und emotionslos hier zu sitzen. Abwarten war im Moment die beste Strategie.
Die Frage meines Vetters ließ mich kurz lachen. Es war ein freundliches Lachen, denn ich mochte diese jugendliche Neugier.
"Nun, er weilt in Rom und es ist abends, also ist es recht wahrscheinlich, dass er dort ist. Ich fürchte nur, dass wir nicht für einen spontanen Besuch anklopfen können."
Ich wandte mich nach links und deutete auf einen relativ kleinen, runden Tempel.
"Dies ist der Tempel der Vesta und der Gebäudekomplex dahinter ist das Atrium Vestae, wo die Vestalinnen leben. Dieser Tempel ist einer der ältesten auf dem Forum. Vermutlich wurde er direkt nach der Trockenlegung des Forums erbaut. Seine Form soll wohl den Hütten, in denen unsere Vorfahren, auch Romulus, lebten, sehr ähnlich sein."
Nun musste ich doch noch einmal das Wort ergreifen.
"Ehrenwerter Aemilius, fünf Aurei mögen für einen Patrizier eine lächerlich geringe Summe sein, gewissermaßen nur ein Trinkgeld. Für einen normalen Plebejer sieht die Sache schon deutlich anders aus, immerhin reden wir von dem Sold, den ein Legionär in vier Monaten erhält. Und von einem Peregrinus wollen wir gar nicht sprechen. Da unsere Gesetze aber für das Volk geschrieben sind, sollte der Horizont eines einfachen Plebejers zur Bestimmung dessen, was eine erhebliche Summe ist, herangezogen werden. Und das ist nach herrschender Meinung unter uns Juristen alles, was mehr als das Einkommen eines Monats ist. Somit wären fünf Aurei durchaus als erheblich zu betrachten. Bei fünf Sesterzen würde ich die Sache deutlich anders sehen. Doch hätte in diesem Fall mein Mandant auch keine Quittung verlangt.
Was die falsche Anschuldigung belangt, so bitte ich um Nachsicht. Die Feinheiten der Unterscheidung zwischen den Paragraphen 86 und 91 Codex Iuridicialis sind nur den wenigsten Römern bekannt, und bei Peregrini sieht es noch schlechter aus. Häufig wird die dauernde Sachentziehung als Diebstahl bezeichnet, wenngleich dieses falsch ist. Denn für Diebstahl bedarf es im Gegensatz zur dauernden Sachentziehung der Bereicherungsabsicht. Doch, wie gesagt, diese Unterscheidung oft nur ausgebildete Juristen und der durchschnittliche Plebejer würde auch die dauernde Sachentziehung als Diebstahl bezeichnen, mangels Bewusstsein für diese Feinheit. Eine dauernde Sachentziehung ist aber in diesem Fall unstreitig.
Mit dem Vorwurf der dauerhaften Sachentziehung wäre auf Grund der Sachlage keine Beleidigung zu erzielen, weil es der Wahrheit entspräche. Mit der Bezeichnung der dauernden Sachentziehung als Diebstahl mangels exakter Kenntnis der Gesetze und ihrer Auslegung hatte mein Mandant aber nicht vorsätzlich gehandelt, so dass hier ein Verschulden ausscheidet, wodurch auch der Vorwurf des Diebstahls nicht zur Beleidigung taugt. Daher plädiere ich dafür, hier Milde walten zu lassen, so wie es auch Divus Iulius zu tun pflegte."
Zugegebenermaßen hatte Divus Iulius seine Milde mit seinem Leben bezahlt, aber das war für mein Argument irrelevant.
"Alles in Ordnung? Du sahst kurz aus, als hättest du ein Gespenst gesehen?" Fragte ich flüsternd meinen Mandanten. "Davon abgesehen, gute Aussage."
Dann richtete ich kurz meine Toga und sprach erneut zum Praetor.
"Nun, da wir alle Aussagen gehört haben, bitte ich den Praetor, den Fall abzuweisen. Eine konkrete Anklage wurde nicht formuliert. Auch wurden nicht einmal Indizien präsentiert, die eine Hauptverhandlung rechtfertigen würden. Mein Mandant wollte lediglich Münzen, fünf Aurei an der Zahl, überprüfen lassen, die er, wie wir inzwischen wissen, berechtigt, für Falschgeld hielt. Eine Quittung wurde ihm verweigert. Das ist zumindest ungewöhnlich, gehört doch das Ausstellen einer Quittung in solchen Fällen in der Regel zum üblichen Verwaltungsakt. Dass er die Münzen verschluckte, war sicher überzogen und ich vermag seine Beweggründe eher in der Situation begründet sehen. Ihm daraufhin ein Brechmittel zu verabreichen mag als Hilfeleistung zu deuten sein, jedoch war spätestens das Aufhängen eher eine fahrlässige Körperverletzung im Sinne des Paragraphen 78 Codex Iuridicialis. Jedoch hätte darüber ein Gericht zu befinden und es hat nichts mit den Vorwürfen gegen meinen Mandanten zu tun, die wir heute hier erörtern. Auch die Hausdurchsuchung des Lupanars meines Mandanten brachte keine Erkenntnisse, welche die Vorwürfe untermauern würden. Kurz gesagt, weder wurde eine konkrete Anklage formuliert, noch wurde eine gegen meinen Mandanten verwertbare Beweiskette präsentiert. Die Klage ist folglich als unbegründet abzuweisen."
Ich hörte mir die Aussage an. Die Schatulle lag also nicht vor. Und der Rest waren nur Vermutungen, also nichts Belastbares. Bis auf eine Sache.
"Praetor, auf Grund des Geständnisses dieses Mannes erstatte ich Anzeige auf Grund des Verstoßes gegen Paragraph 114 Codex Iuridicialis in Tateinheit mit Paragraph 82 Codex Iuridicialis. Da er aber freimütig seine Verfehlung eingestanden hat, sollte lediglich die niedrigst mögliche Geldstrafe verhängt werden. Jedoch sollte in einem gesonderten Verfahren hierüber geurteilt werden."
Kurz wandte ich mich an Gideon.
"Ich bedaure, aber ich habe hier im Sinne der Rechtspflege keine Wahl. Es ist nicht persönlich und ich hoffe, dass es keine negativen Auswirkungen auf deine Anstellung in der Münzprägeanstalt haben wird."
Nach einem aufmunternden Lächeln wandte ich mich an den Praetor.
"Der Rest der Aussage hat leider wenig Erhellendes zu Tage gebracht. Dass die Subura keine gehobene Gegend ist, ist hinreichend bekannt. Religiöse Praktiken spielen keine Bedeutung, zumal die Hebräer mit ihrem eklatanten Mangel an Göttern hier sicher strengere Maßstäbe anlegen als der Rest der zivilisierten Welt. Es handelt sich also um eine subjektive Meinungsäußerung des Zeugen, die ihm durchaus zusteht. Nur leider bringt es keine Erkenntnis zu diesem Fall. Was die Schatulle anbetrifft, so stelle ich fest, dass diese nicht vorliegt und deshalb kein Beweismittel darstellt. Die Namensliste eines Lupanars wird einen Querschnitt durch unsere Gesellschaft darstellen, so wie bei jenen Einrichtungen oft üblich. Sollte diese als Liste von Verdächtigen für den Praetor als Beweismittel in Frage kommen, so bitte ich den Praetor darum, die Wohnstätten sämtlicher auf dieser Liste vorhandenen Namen zu veranlassen. Man sollte niemanden von vornherein ausschließen."
Natürlich wäre das politischer Selbstmord, so dass ich bezweifelte, dass der Praetor zu dieser Maßnahme griff. Würde er es doch machen, so hatte ich damit auch kein Problem. Es würde vielleicht Erkenntnisse bringen. Sicher war nur, dass es nicht nur meinen Mandanten, sondern die meisten Lupanare in Rom ruinieren würde.
"Ob es sich bei meinem Mandanten um einen Verteiler von Falschgeld handelt, wage ich zu bezweifeln. Mir ist nicht bekannt, dass eine große Menge an Falschgeld vorhanden wäre, noch wurde in irgendeiner Form eine Kenntnis meines Mandanten bewiesen, dass er um die Eigenschaft als Falschgeld wusste und dieses vorsätzlich verteilte. An dieser Stelle sollte nun mein Mandant den Sachverhalt aus seiner Sicht schildern."
Ich wandte mich an Kyriakos und flüsterte. "Sei präzise. Emotionen sind erlaubt, aber keine Wut und kein Hass. Enttäuschung ja, Verwunderung, Verzweiflung, das alles geht."
Nachdem wir unsere Becher geleert hatten und ich den Händler angemessen entlohnt hatte, verließen wir die Basilica Aemilia zum Forum Romanum hin. Unser Blick fiel direkt auf den Tempel des vergöttlichten Caesar.
"Dort steht das Templum Divi Iulii. Genau an dieser Stelle wurde der Leichnam des Gaius Iulius Caesar verbrannt. In diesem Tempel wird vor allem der mildtätige Caesar verehrt. Die Clementia Caesaris ist ja bis heute bekannt. Es ist ein schöner kleiner Tempel, finde ich. Und der Flamen Divi Iulii ist meistens recht freundlich und hilfsbereit."
Der Tempel war nicht so gut besucht, wie die großen Tempel, aber dennoch fand man hier doch einige Menschen, die die Stufen hinaus stiegen. Ganz zu schweigen vom immer noch gut gefüllten Forum um uns herum.
"Und hinter dem Tempel Caesars siehst du den Tempel von Castor und Pollux. Und der Hügel dahinter ist der Mons Palatinus. Die Gebäude auf dem Hügel gehören alle zur kaiserlichen Palastanlage. Übrigens hatte schon Romulus seine Hütte auf dem Palatin. Sie existiert immer noch. Auch die Wohnräume von Octavianus Augustus und seiner Frau Livia sollen unverändert fortbestehen. Ob das wahr ist, vermag ich nicht zu sagen."
Er konnte so drohend blicken, wie er wollte. Das beeindruckte mich nicht. Allerdings ließ ich die Worte so, wie sie waren, unkommentiert im Raum stehen. Der Praetor würde sicher die richtigen Schlussfolgerungen treffen.
"Ich danke dir für deine Erhellung des Sachverhalts, ehrenwerter Aemilius."
Dann wandte ich mich an den Praetor.
"Ehrenwerter Praetor, wenn du gestattest, würde ich gerne als nächstes die Aussage des Hebräers zur Hausdurchsuchung hören und anschließend meinen Mandanten aussagen lassen. Dann hätten wir den Sachverhalt vollständig und aus der Sicht beider Seiten gehört."
"Nun, ehrenwerter Aemilius, an die Gurgel gehen wir uns ganz sicher nicht. Wir prozessieren lediglich ganz zivilisiert, so wie es sich für die zivilisierteste Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit geziemt. Darin sind wir uns, denke, ich, sehr einig. Jedenfalls besteht bei mir nicht der geringste Zweifel, dass du mindestens so zivilisiert bist, wie ich."
Dass man vor Gericht auch durchaus in der Sache hart, jedoch frei von Emotionen diskutieren konnte, hieß ja nicht, dass man nicht zivilisiert wäre. Auch am Museion pflegte man stets eine harte, rationale Diskussion, in der Fakten und Logikfehler durchaus hart für den einzelnen, aber niemals persönlich angreifend, herausgearbeitet wurden. So würde ich es auch hier handhaben. Um zu bestätigen, dass ich nicht feindselig war, lächelte ich kurz höflich.
Die Begründung des Aemilius, das Brechmittel verabreicht zu haben, damit mein Mandant keinen Schaden aus dem Verschlucken der Münzen behielt, hatte sogar etwas Logisches in sich. Naturwissenschaftlich nur schwer haltbar, jedoch wagte ich zu bezweifeln, dass er ebensoviele Jahre mit dem Studium der Naturphilosophie zugebracht hatte, wie ich. Entsprechend wäre ich gewillt gewesen, ihm dieses Argument zuzugestehen, hätte er dann nicht etwas von "krepieren" und "Kadaver" gesagt hätte. Und dann auch noch von einer unwürdigen Entsorgung, an Stelle einer Bestattung. Damit stellte er meinen Mandanten auf die Stufe eines Tieres. Dieser offen zur Schau gestellte Mangel an Humanitas schien mir eines Patriziers unwürdig, jedoch war es nicht meine Aufgabe, dieses zu bewerten. Ganz abgesehen davon, dass mir von meinen Eltern beigebracht wurde, selbst Fremde mit mindestens drei Hand Erde über sich zu bestatten, damit mir die Göttin Tellus nicht zürne. Doch vielleicht war Aemilius ja anders erzogen worden.
Ich überlegte mir deshalb ernsthaft, Einspruch zu erheben. Allerdings war eine Aussage, selbst wenn sie mit Beleidigungen gespickt war, keines Einspruchs würdig, so lange diese nicht am Fall vorbei ginge oder lediglich Hörensagen war. Außerdem hatte mich mein Patron gebeten, Aemilius keinen Schaden zuzufügen und ich hatte das Gefühl, dass jedweder Einspruch zu seiner Aussage den bereits durch Aemilius selbst verursachten Schaden nur weiter vergrößert hätte. So schwieg ich und flüsterte Kyriakos in Koine zu "Ganz gleich, wie sehr er dich beleidigt, lass dich nicht provozieren und bleib ruhig. Wir wollen stets zivilisiert erscheinen. Das nützt uns mehr."
An Aemilius gewandt, sprach ich weiter.
"Ich vermerke also, dass du in guter Absicht gehandelt hast, als du meinem Mandanten ein Brechmittel verabreicht hast. Nur eine Rückfrage dazu habe ich: Hattest du ihn kopfüber aufhängen lassen? Wenn ja, weshalb?"
Ich erhob mich und mein Wort.
"Ich bitte den ehrenwerten Praetor um Entschuldigung, doch ich muss kurz zusammenfassen und fragen, um Unklarheiten zu vermeiden. Ehrenwerter Aemilius Secundus, ich verstehe dich richtig, dass mein Mandant zu dir kam, um Münzen überprüfen zu lassen. Hierzu warst du deiner Verpflichtung gemäß bereit. Für die Übergabe der Münzen verlangte mein Mandant eine Quittung. Diese verweigertest du ihm. Nun wirfst du ihm vor, durch seine Forderung nach einer Quittung dich und dein Amt beleidigt zu haben. Verstehe ich das richtig?"
Ich machte eine kurze Pause, bevor ich ruhig und emotionslos weitersprach.
"Nach der Verweigerung der Quittung schluckte er die Münzen herunter?"
Kurz sah ich meinen Mandanten an, bevor ich mich wieder Aemilius Secundus zuwendete.
"Er hat sie echt herunter geschluckt? Damit er sie wieder herausspuckte, ließest du ihm ein Brechmittel verabreichen. Dieses tat seine Wirkung und die Münzen kamen wieder hervor, konnten geprüft werden und stellten sich als Falschgeld heraus. Das habe ich richtig verstanden? Anschließend durchsuchten die Cohortes Urbanae das Anwesen meines Mandanten. Es waren doch die Cohortes Urbanae?"
Ich sah kurz fragend die anwesenden Milites der CU an, dann wieder den Aemilier.
"Bei der Durchsuchung wurde eine Schatulle mit Geld beschlagnahmt. Du vermutest, es sei Falschgeld. Kannst du deine Vermutung verifizieren?"
Schließlich kam ich zur entscheidenden Frage, die mich umtrieb.
"Du wünschst eine harte Bestrafung meines Mandanten. Welche Straftaten wirfst du ihm konkret vor?"
Als sich mein Mandant neben mir niederließ, flüsterte ich zu ihm in bester alexandrinischer Koine, weil ich sicher gehen wollte, dass er mich verstand.
"Chaire. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich kann nicht versprechen, dass du hier unbeschadet heraus kommst. Außerdem gelten hier meine Regeln. Wenn ich dir etwas sage, wirst du dich daran halten. Wenn ich dir etwas untersage, wirst du dich ebenso daran halten. Wenn du diese beiden Regeln nicht einhalten kannst, werde ich das Mandat niederlegen. Verstanden?"
Ich erschien ebenfalls vor Gericht. Kurz sah ich mich um, konnte aber meinen Mandanten noch nicht erblicken. Ich nickte dem Praetor respektvoll zu. Danach nickte ich auch Aemilius Secundus respektvoll zu. Kurz überlegte ich, ob ich ihn ansprechen sollte, entschied mich aber dagegen. Stattdessen entschied ich mich, vor den Praetor Peregrinus zu treten und mich schon einmal vorzustellen.
"Salve, ehrenwerter Praetor. Mein Name ist Aulus Iunius Tacitus. Der Angeklagte Kyriakos hat mich zum Advocatus nach Paragraph 17 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Codex Iuridicialis bestellt. Zu deiner Information möchte ich erwähnen, dass der ehrenwerte Tresvir aere argento auro flando ferunde Nero Aemilius Secundus und ich selbst beide Klienten des ehrenwerten Praetor Urbanus Lucius Annaeus Florus Minor sind. Solltest du hierin einen Interessenkonflikt sehen, so bitte ich dich, dies mitzuteilen. Ich würde deine Meinung würdigen. Allerdings möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Klientel keinen Ausschlussgrund nach Paragraph 18 Codex Iuridicialis darstellt."
"Nun, ich hoffe einfach, dass du die Lage richtig einschätzt. Ich werde mein Möglichstes tun, um seine Karriere zu schützen. Allerdings werde ich nicht wider besseren Wissens meinen Mandanten schlecht verteidigen oder absichtlich in die Irre führen, nur um Aemilius einen Sieg zu schenken."
Das wäre eine rote Linie für mich, die ich niemals überschreiten könnte. Doch war ich mir sicher, dass mein Patron mich entsprechend einschätzte.
"Nun, mir ist klar, dass der Augustus nur begrenzt Zeit hat und entsprechend priorisieren muss. Ich werde also abwarten. Dankbar werde ich dir so oder so sein, ob er sich nun mit dem Fall beschäftigen möchte oder nicht."
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass ich bald einen Fall vor dem Praetor Peregrinus vertreten würde, dann hätte ich diese Bitte wohl niemals geäußert. Doch leider wusste ich noch nichts von meiner baldigen Beauftragung.
Ich nahm die Tafeln mit den Fällen an und nickte kurz. Mir war klar, dass mir die Fälle nützen würden.
"Ich nehme an, dass es sich dann um einen offiziellen Kommentar für die ulpische Kommentarsammlung handeln würde?"
Das war mir wichtiger, als die Fälle. Ja, ich musste Geld verdienen, obwohl es mir inzwischen finanziell schon recht gut ging. Aber im Herzen war ich immer noch der Gelehrte, der vor allem durch seine Publikationen bekannt werden wollte.
"Und eventuell könntest du mir einen Gefallen tun. Es gibt da einen Fall, zu dem ich gerne vom Augustus entschieden hätte. Ein Mandant besitzt ein Stück Land an der Via Flaminia ein ganzes Stück über den Tiber hinweg. Bei den letzten Instandsetzungsarbeiten hat die Legion den Verlauf begradigt. Nun hat mein Mandant weniger Land, weil dort die Straße entlang führt. Eine Entschädigung erhielt er aber nicht. Und nun kommen wir zu den Problemen. Die Legion hat das Land genommen, ohne dass es hierzu eine Anordnung gegen meinen Mandanten gab. Euine Entschädigung gab es nicht. Der Praetor Urbanus ist nicht zuständig, weil es gegen die Legion geht. Das Oberkommando über die Legionen in Italien hat aber der Augustus. Also wäre es der kürzeste Weg, den Fall dem Augustus vorzutragen."
"Über Schuld oder Unschuld meines Mandanten hat der Praetor Peregrinus zu richten. Ich vertrete ihn lediglich und sei es auch nur, weil man ihm einen Advocatus vorenthalten wollte."
Das war wirklich meine Meinung. Letztlich konnte mir mein Mandant egal sein, so lange ich nur die Gelegenheit hatte, meine juristische Finesse unter Beweis zu stellen.
"Aber mir ist auch wichtig, dass Aemilius Secundus so unbeschadet wie möglich aus der Sache herauskommt. Wenn auch nur die Hälfte dessen, was dieser Kyriakos schreibt, wahr ist, haben wir es mindestens mit Amtsanmaßung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu tun. Das ist schon ein erhebliches Risiko für seine politischen Ambitionen. Das Schadensrisiko ist mir also sehr bewusst. Von dir wende ich noch am ehesten Schaden ab, denn immerhin kannst du jederzeit klarstellen, dass Recht und Gerechtigkeit für dich so wichtig sind, dass du deinen Klienten gestattest, vor dem Praetor um Recht zu streiten, ohne dich einzumischen. Sehr viel größere Bedenken habe ich bezüglich Aemilius Secundus. Wenn er sich vor Gericht als über den Gesetzen stehend geriert, wird er zweifelsfrei nicht unbeschadet dort heraus kommen."
Ich rieb meine Stirn, während ich nachdachte.
"Sollte er also wirklich die Kompetenzen der Cohortes Urbanae für sich in Anspruch genommen haben, so bleibt mir nur, das auf seine Unerfahrenheit zu schieben und zugleich seine Mitarbeiter der groben Pflichtverletzung zu beschuldigen. Hätten sie ihn auf seinen Irrtum hingewiesen, so hätte er sein handeln korrigiert. Diese Strategie werde ich jedenfalls gegenüber dem Aemilier fahren, um seinen Schaden zu minimieren. Außer du hast eine bessere Idee."