Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Nichts war langweiliger als ein Bankett, bei dem sich lauter gesetzte Leute die Köpfe über Finanzen, Politik, Haushaltführung oder Erinnerungen an ihre Jugend zerbrachen. Es kostete mich erhebliche Beherrschung, nicht in Abständen die Augen zu rollen. Irgendwann staute sich aber so viel Unmut über die sinnlos verbrachte Zeit an, dass ich – möglichst unauffällig – das Weite in Form des Säulenganges suchte. Dort angekommen hätte ich mir am liebsten mit einem Schrei Luft gemacht. Wie konnten andere Menschen dieses dumpfe Rumhängen nur aushalten? Das war mir unbegreiflich.


    Nachdenklich verknoteten sich meine Finger, als ich – den Blick auf den Boden geheftet – langsam den Gang entlang schritt. Das Leben floss zäh dahin, bot keinerlei Anlass zu besonderer oder gar euphorischer Freude, weswegen auch ein Tag dem anderen glich. Nicht einmal der Nachtspaziergang in Rom hatte diese Kette an Belanglosigkeiten spürbar unterbrochen. Ich seufzte und gab mir jede Mühe, dieses Resümee sofort wieder zu verdrängen. Vielmehr lauschte ich während des Gehens mit leicht geneigtem Kopf der Musik, deren Klang mich zu einem Tagtraum inspirierte. Tanzen schickte sich ja für eine Römerin guten Geblütes nicht, aber hier im Schutz der Dunkelheit machte ich heimlich ein paar dieser gleitenden Bewegungen, die ich vorhin bei diesem einfachen Mädchen beobachtet hatte, das sich sein Geld mit solcherlei Darbietungen verdiente. Wie wohl das Leben eines solchen Mädchens ansonsten verlief? Ob sie wohl glücklicher als ich war? Besitzstand und ein guter Name vermochten dieses Empfinden jedenfalls derzeit bei mir nicht auszulösen.



    Edit: Rechtschreibung

    Selten, eigentlich so gut wie nie, gab ich mich widrigen Umständen gegenüber geschlagen. Ich besaß immer Energie, zumeist die nötige Entschlossenheit, Unmögliches möglich zu machen, den Mut, zwar hohe, aber durchaus abschätzbare Risiken einzugehen oder Kämpfe zu wagen. Diese gezählten Tage, in denen ich ratlos an einer Kreuzung stand und kein Ziel vor Augen hatte, waren mir annähernd fremd, gleichsam beunruhigend, Kraft raubend, auslaugend… Und noch seltener erlebte ich Situationen, in denen ich scheinbar aufgeben wollte, unerwünschten Ereignissen, nicht bewusst entgegen zu wirken, mich von ihnen erdrücken zu lassen, mich dem Strudel auszuliefern, meine Zukunft von mehr als meiner Lenkung und dem Willen der Götter abhängig zu machen. Heute war so ein Tag, oder besser so eine Nacht.


    Um der aufkeimenden Angst vor der Leere der Zukunft nicht die Möglichkeit zu geben, Besitz von mir zu ergreifen, suchte ich die Aufregung einer unklugen Handlung, den Kitzel, der die Nerven in einem solchen Maß beschäftigte, dass ein Grübeln über die Ursache praktisch unmöglich war: Nicht einmal tags sollte eine Frau, wie ich, ohne Begleitung durchs Roms Straßen wandeln. Oft genug wurde mir das eingetrichtert, selten missachtete ich diesen Rat.


    Es war die Gier nach Ablenkung, der Wunsch nach aufgepeitschten Nerven, die mich beim Zerschellen einer Tonamphore umsehen und gleichzeitig alle belastenden Gedanken vergessen ließen. Furcht empfand ich nicht, als kurz darauf ein Mann aus dem Schatten einer Mauer trat und seine Hand zu der Höhe griff, wo üblicherweise ein Gürtel um die Hüfte oder Taille geschlungen war. Ich blieb stehen und harrte der Dinge, deren Brisanz ich mit Absicht gesucht und deren Eintreten ich fast schon erhofft hatte. Und doch kam alles anders…


    „Nein, ich habe mich nicht verirrt. Ich kenne mich recht gut in Rom aus“, erwiderte ich auf seine Frage, als er auf mich zugetreten war.


    Meine Kalkulation funktionierte noch, denn ich wusste das Lächeln abseits der Rubrik „ehrlich besorgt“ einzuordnen. Mit angstfreiem, aber dennoch starrem Blick wartete ich auf seine Reaktion und Antwort. Die Anziehungskraft war derart groß, dass ich den zweiten Mann erst in dem Moment registrierte, als er unmittelbar hinzugetreten war. Überrascht wandte ich den Kopf, denn die Worte ließen einen Mann anderer Bildung und Erziehung erwarten, als es der erste der nächtlichen Kontaktpersonen war.


    „Ich… Ich habe gar kein Ziel“, gab ich wenig überlegt zur Antwort. Ein kurzfristiges, teils hilfloses Lächeln ließ meinen desolaten Zustand erkennen.

    Ich kannte Tage wie diesen, aber sie lagen derart lange zurück, dass sie bestenfalls als vage Erinnerung im Gedächtnis existierten. Da gab es diese Stimmung, bei der im Grunde alles egal war, das Vergangene, Zukünftiges und selbst was aktuell geschehen könnte. Daher ließ ich mir zu nächtlicher Stunde eine warme Palla bringen und verließ die claudische Villa in Rom - ohne Begleitung. Dunkelheit umfing mich, von Ferne leise Schritte von Soldaten, vielleicht der Vigiles. Ich zog die Palla enger und schritt weder zügig noch betont langsam Richtung Stadtinneres aus.


    Während ab und an ein Nachtvogel schrie, kamen und gingen die Gedanken. Das letzte Mal war ich alleine des Nachts durch Roms Straßen spaziert, als ich mit Sophus auf diesem Empfang in der Casa Decima war. Er hatte mich zwar als Begleitung mitgenommen, sich aber den ganzen Abend um nichts weiter als seinen Alkoholpegel gekümmert. Irgendwann war ich gegangen, hatte Vic. getroffen und eine nette Unterhaltung geführt. Ich wusste damals wie heute, dass es auch hätte anders kommen können, damals wie heute, sollte es doch, es war mir egal.


    Vielleicht war es die Chance, andere Eindrücke zu gewinnen, Belastendes zu vergessen. Oder war es mehr der Zwang, weil dieser Spaziergang ja nicht in Ordnung war? Auch wieder egal, wodurch die Ablenkung, der ich mich bewusst aussetzte, hervorgerufen wurde, Hauptsache sie war da. Hauptsache sie füllte die Gedanken derart aus, dass jegliches Grübeln bereits im Ansatz unterbunden wurde. Ich lauschte angestrengt den Geräuschen der Nacht, spürte den kühlen Luftzug des Februarwindes, zog fröstelnd die Schultern zusammen und ging entschlossen weiter …

    Ein Abend, der für mich nur aus Pflicht und kein bisschen aus Vergnügen bestand. Soph war, wie zu erwarten war, nicht erschienen, Corvi übersah ich geflissentlich. Hunger hatte ich auch nicht sonderlich, zum Sitzen fehlte mir die Ruhe, für Gespräche die Lust.


    So kam es, dass ich in lockerer Folge Knabbersachen zu mir nahm - nicht zu große Happen und natürlich ausgewählt schmackhafte. Letztlich ersehnte ich mir jedoch das Ende der Festivität herbei, denn die Anstrengung, niemanden meine Einstellung erahnen zu lassen, war erheblich. Ein Schwimmmarathon konnte nicht erschöpfender sein.

    Was sollte denn der letzte Satz? Wenn die Stirn nicht immer noch gerunzelt wäre, würde sie spätestens jetzt in Falten liegen, wo ich ihm hinterher sah. Wollte er mir drohen, wie man einem unartigen Kind begegnet? Oder wollte er damit gar ausdrücken, ich wüsste nicht, was ich will? Er war es doch, der sich zu keiner Entscheidung durchringen konnte? Was meinte er überhaupt mit: „Etwas, das ich nicht beeinflussen kann?“ ICH konnte alles beeinflussen, es sei denn, die Götter wollten anderes.


    Ich setzte mich auf den Rand des Bettes, legte die Hände in den Schoß und dachte über die alles entscheidende Begegnung damals mit Sophus nach. Er hatte mein Herz im Sturm erobert, er war damals Centurio, vielleicht lag es daran. Vielleicht brauchte ich einen energischen Mann, einen, der mir sagte, wo es lang ging. Ich wollte nie zu viel Macht besitzen, lieber ein ganz klein wenig dominiert werden. Gut, bei Sophus war es ein ganz klein wenig zu viel. Offensichtlich war kein Mann perfekt, so wie wohl auch keine Frau perfekt war, aber besser, ein Mann, der etwas zu viel als etwas zu wenig dominierte. Für Letztere war ich zu stark.


    Ich legte mich wenig später auf das Bett, drehte mich auf die Seite – die Decken zwischen den Beinen festklemmend – und bis an die Nase gezogen. Derart und vollkommen regungslos harrte ich lange aus, es mochten Stunden vergehen. Das Abendessen ließ ich aus.

    Vielleicht zwei oder drei Lidschläge stand ich regungslos da, sah ihn sprachlos an und versuchte zu verstehen. Da war jemand, den ich vor Momenten noch begehrt hatte, der verstanden hatte, durch seine forsche Art ein gewisses Feuer zu entfachen. Es hatte mir imponiert, denn ich mochte Männer, die wussten, was sie wollten. Doch der Corvi, der gerade vor mir stand, war zögerlich. Er war besonnen, wie mein eigener Vater. Er entschuldigte sich für das, was ich gut gefunden hatte und lobte offensichtlich das, was mich just in diesem Augenblick abschreckte.


    Während dieser Erkenntnis verschloss ich mich. Bei aller Ernüchterung, keimte sogar mehr und mehr Ärger auf. Wieder runzelte ich die Stirn, der Atem ging schneller und ich brauchte Raum, also trat ich von ihm zurück. Fast hätte er mich erobert, aber nur fast. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mit erhobenem Kopf in einiger Entfernung an Corvi vorbei. Ich war nicht nur enttäuscht, auch im Stolz verletzt, unzufrieden mit mir selbst, vor allem aber mit ihm.


    Jetzt wollte ich entweder alleine sein, um ihn nie wieder so nahe an mich heranzulassen, oder von meiner schlechten Meinung über ihn korrigiert werden. Einen Mittelweg gab es nicht. Momentan konnte ich die Situation auch nicht ruhig überdenken, ich handelte und empfand stets impulsiv. Und Worte? Nein, Worte kamen jetzt nicht über meine Lippen. Ich hatte, ohne es bewusst zu veranlassen, einfach dichtgemacht.

    Dass mich nun seine Arme umfingen, war folgerichtig und es fühlte sich gut an. Ich registrierte das ausbleibende schlechte Gewissen, das mich sicherlich noch vor Wochen ereilt hätte, wunderte mich aber nur kurzzeitig darüber. Was sollte mir auch passieren? Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben. Immerhin lag es mehr als ein Jahr zurück, als ich Gleiches bei Sophus empfunden hatte.


    Gegen die Beendigung des Kusses hatte ich nichts einzuwenden, wohl aber gegen den Verlust des Körperkontakts. Ich stellte fest, dass mir gerade der sehr wichtig war und entsprechend verständnislos reagierte ich auf den von ihm geschaffenen Abstand. Eine kleine Falte erschien zwischen den Brauen, die jedoch keineswegs Ärger, sondern vielmehr Ratlosigkeit ausdrückte. Und nein, ich wusste nicht, was in ihm vorging. Vieles wusste ich seit kurzem nicht mehr.
    Obwohl im Unklaren darüber, was ihn zu diesem erneuten Rückzug veranlasst hatte – Scham, die Einsicht eines Irrtums, Reue – stellte ich, allen Mut zusammen nehmend, eine – wie ich fand – berechtigte Frage:


    „Wie oft wollen wir uns eigentlich noch gegenseitig entschuldigen?“, fragte ich leise, suchte seinen Blick, bekam ihn aber nicht zu fassen.


    „Und was genau tut dir leid?“ Ich setzte einen Schritt nach vorn und brachte mich dabei in eine solche Position, bei der ein Vermeiden des Blickkontaktes nur noch durch Drehen des Kopfes möglich war. Gut, er konnte weiterhin über mich hinwegsehen – verhindern konnte ich das nicht, aber meine eindringliche Körperhaltung sprach hoffentlich Bände.

    Stand ich bislang – vermutlich, um die Dringlichkeit meiner Worte zu unterstützen – ein wenig vorgeneigt, richtete ich mich wieder auf, als sich Corvi umdrehte. Einerseits wünschte ich mir ja, dass er blieb, andererseits war das natürlich mit erheblicher Aufregung und auch Unsicherheit verbunden. Seine Annäherung verursachte daher ein unwillkürlich tiefes Einatmen meinerseits.


    Ich hatte so viele Fragen, suchte Antworten in seinen Augen, fand einen Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich so noch nie bei ihm gesehen hatte und staunte ihn mit großen Augen an. Gleichzeitig meldeten sich meine Herzklopfen zurück. Derart im Widerstreit der Gefühle, musste ich schlucken. Umso mehr Chaos herrschte in mir, als er schließlich mein Gesicht berührte.


    Weil Denken unmöglich wurde, schaltete ich den Kopf ab. Seine spürbare Vorsicht, die ich zunächst teilte, wurde wenig später durch den Ausdruck in seinen Augen fortgespült. Keine Frau würde je Verlangen missdeuten können, dazu bedurfte es keiner Schulung oder irgendwelcher Erfahrung, diese Deutung verlief rein instinktiv. Doch der prickelnde Moment schwenkte wenig später in eine geschwisterliche Empfindung um, weil er seine Stirn an meine lehnte. Diese Geste hatte etwas Beruhigendes, Gewohntes für mich und so sehr ich vorhin auch geglaubt hatte, keinen Moment länger die Anspannung aushalten zu können, bedauerte ich nun die Entschärfung der Lage.


    Wenn ich aber angenommen hatte, das Auf und Ab der Gefühle war beendet, sah ich mich getäuscht: Schneller als ich denken konnte, suchten seine Lippen die meinen, verweilten kurz, lösten Gefühlsstürme aus und zogen sich wieder zurück. Bei den Göttern, die Situation war geeignet, den Verstand zu verlieren!


    Ich versuchte im Zeitraffertempo zu ergründen, was ich wollte. Da gab es Sophus, keineswegs unwichtig für mich. Es gab die Verbindung der Vergangenheit, die eigentlich gegen Corvi sprach. Seit heute wusste ich aber auch, was schon länger in mir geschlummert hatte: Seine Bedeutung ging über die eines ehemaligen Bruders hinaus. Mehr noch: Ich konnte mir kaum vorstellen, ihn an der Seite einer anderen Frau zu sehen. Was also tun? Am besten nicht denken, sondern einfach nur fühlen.


    Aus einem Bedürfnis heraus hob ich nun meinerseits eine Hand, um sie auf die von Corvi zu legen. Es musste richtig sein, was wir taten, denn es fühlte sich gut an. Ein erneuter Kuss schien diesen Gedanken besiegeln zu wollen und erwachendes Verlangen spülte jedwede Zurückhaltung fort. Ich tilgte den verbleibenden Abstand zwischen uns, suchte seine Nähe, den Körperkontakt. Wie von selbst fand die noch freie Rechte den Weg an seine Seite und strich wenig später, ohne von mir bewusst kontrolliert zu wenden, nach unten.

    Zitat

    Original von Heraklit von Epirus
    Also ich pfeife drauf, ob die Regierung dabei ist, die sollen nicht von den Steuern Karten für Spiele kriegen, ...


    Zitat

    Original von Theodorus von Alexandria
    Wenn die Frau Bundeskanzler sich nicht für eine bestimmte Sportart interessiert, warum sollte sie dann ihren Senf dazu geben, nur weil die Mannschaft ihres Landes irgendwas tolles reißt? ...


    Insgesamt einverstanden, dann sollen sie aber auch nicht bei den Fußballern Interesse heucheln. Den Fußballfan habe ich Merkel nie abgekauft.




    Zitat

    Original von Theodorus von Alexandria
    Den Vergleich "Eltern-Kind" - "Staat-Sportmannschaft" kann ich übrigens irgendwie überhaupt nicht nachvollziehen. ?(


    Musst du auch nicht.

    Mir wurde der Besucher gemeldet, weil es sich aber um einen Sklaven handelte, beeilte ich mich keineswegs, ihm entgegenzutreten, wenngleich mich natürlich die zu überbringende Nachricht sehr interessierte. Allerdings hätte es meiner Erziehung widersprochen, wenn ich dies auch nur andeutungsweise gezeigt hätte.


    Mit einiger Verwunderung stellte ich beim Eintreffen fest, dass er munter durch das Atrium schlenderte. Ich schüttelte den Kopf und beendete alsbald seinen Rundgang.

    "Du hast eine Nachricht für mich?"

    Zitat

    Original von Quintus Matinius Valens


    Der Vergleich ist dann doch etwas weit hergeholt... ?(


    Ich möchte mal meine Auffassung näher erläutern:
    Vorab: Eltern können von niemandem verpflichtet werden, ihre Kinder gleich zu behandeln, wenngleich ich das ebenso als Selbstverständlichkeit ansehe wie die Gleichbehandlung von Spielern unterschiedlicher Disziplinen.


    Also Punkt 1: Als Bürger eines Landes erwarte ICH von einer guten Regierung, dass sie zwischen den Sportlern, die das Land auf internationalem Parkett vertreten, keine Unterschiede macht. Mit welcher Begründung ist das auch gerechtfertigt? Jeder Spieler gibt alles.
    Punkt 2: Wenn zudem noch eine WELTMEISTERSCHAFT im EIGENEN Land ausgerichtet wird, ist es nach meiner Ansicht Pflicht, dem auch als Regierung Rechnung zu tragen und zwar auch wieder ohne Unterschied. Oder fällt jemandem ein plausibler Grund ein, warum sich eine Regierung, bei deren Einsatz es nicht um persönliche Vorlieben, sondern einzig um die Repräsentation des Ausrichterlandes geht, das erlauben kann?

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Traurig. Nicht einmal die olle Merkel kommt. SO wichtig ist die Weltmeisterschaft im Handball. Aber als Aushängeschild benutzen, das kann man ihn.


    Tja, heute gab es einen Brief an die Handballer.
    Bloß eins ist doch klar: Mit diesem Verhalten hat sie sich selbst keinen guten Dienst erwiesen. Sie ignoriert den Teil der Bürger, für die dieser - wie (vielleicht) auch jeder andere - Titel von Bedeutung ist, weil er in unser Land geholt wurde. Sie stuft automatisch damit auch die Spieler als weniger wichtig oder wertvoll im Vergleich zu den Fußballern ein.
    Eltern, die ihre Kinder derart ungleich wertschätzen, würde man als gewissenlos bezeichnen.

    In den Gedanken an meine ehemaligen Eltern, Corvis Eltern, drangen seine Worte, deren Sinn ich zwar nicht verstand, die mich aber in das Hier und Jetzt zurückbrachten. Ich bemerkte seine Schritte und bemühte mich, am veränderten Klang festzustellen, ob er den Weg zur Tür wählte oder wohin er sich sonst wandte. Schneller als ich resümieren konnte, stand er schließlich hinter mir und spätestens jetzt waren alle Sinneswahrnehmungen auf Empfang: Sein ihm stets umgebender Duft erreichte meine Nase, ich hörte seinen Atem, kurz bevor ich ihn im Nacken spürte. Mir fiel nicht einmal auf, dass ich aus dem Fenster blickte und doch rein gar nichts sah, weil ich voller Anspannung auf irgendeine Reaktion wartete. Und die kam prompt, in Form seiner Hand.

    Unvermittelt fuhr ich bei der Berührung zusammen - nicht aus Schreck, vielleicht ein wenig aus Überraschung, aber vor allem aus einer mir durchaus bekannten Empfindung heraus, die als Rieseln vom Nacken über Schultern und Arme lief und sich fortan als wiederkehrende Schauer manifestierte. Ich hatte sie bei Sophus erstmalig kennen gelernt, hätte aber nie geglaubt, dass Corvi sie bei mir auslösen konnte. Doch die Hand, die mich soeben berührte, war nicht mehr die eines Bruders. Zeit zum Nachdenken über diese Feststellung blieb keine, denn wenig später strich er die Haare zur Seite und es folgte ein Kuss.


    Denkt man überhaupt in solchen Situationen? Analysiert man nüchtern die möglichen Auswirkungen, wägt überlegt ab und entscheidet dann? Sicherlich nicht. Zumindest mir war das nicht möglich. Die Wirkung der Berührung war vergleichbar durchschlagend wie sein Rückzug abrupt kam. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie, bei den Göttern, sollte ich denn JETZT nicht weiter auf ihn achten können?


    Ich drehte zunächst hastig den Kopf, wandte mich schließlich um und blickte ihn aus großen Augen an. Nicht etwa, weil ich über sein vorheriges Verhalten entsetzt war, sondern über das aktuelle. Er beabsichtigte zu gehen!


    „Bitte!“, bat ich zwar leise, aber dennoch lag in dem Wort Betonung. Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit hielten sich wieder einmal die Waage. „Du kannst doch jetzt nicht gehen!“

    Auch das gegenseitig Anstarren über Zeitalter lange Augenblicke hin brachte keine weitere Erkenntnis, weil sich keiner von uns traute, etwas zu sagen oder gar zu tun. Irgendwann – ich hatte das Gefühl, es mussten Stunden vergangen sein – rührte ich mich, indem ich den Blick senkte, einmal tief durchatmete und zum Fenster ging, oder besser mich dorthin stahl. Hinausschauen lag mir aber nicht im Sinn.
    Was blieb mir auch anderes übrig? Aus dem Zimmer flüchten, wäre nicht nur feige, sondern auch sinnlos gewesen, da es ja mein Zimmer war. Also harrte ich aus. Dabei untersuchten sich meine Hände in nutzloser Weise gegenseitig. Ich schaute zu, ohne jedoch zu realisieren, was ich tat und gab dabei gleichzeitig Corvi die Möglichkeit, wenn er wollte, das Zimmer zu verlassen.


    Ich machte mir Vorwürfe, weil mein unüberlegtes Handeln nun unsere Beziehung belastete. Um Verzeihung gebeten hatte ich, aber wie es schien, nahm er die Entschuldigung nicht an. Dabei hatte ich es nur als Spaß gesehen, reale Erfahrungen mit der verbotenen Sache zu sammeln, aber auch wenn ich mir - die Angelegenheit betreffend - meinen Forscherdrang verzeihen konnte, dass ich ihn faktisch benutzt hatte, war unverzeihlich.


    Oder gab es eine Erklärung, warum ich auf diese Idee gekommen war? Ich blickte auf und entdeckte Wolkenfetzen am Himmel, die mich aber keineswegs interessierten. Ich dachte weiter nach. Sicherlich lag es an dem zwischen uns bestehenden Vertrauen. Vielleicht aber auch, weil ich ihn ja sehr mochte, als Schwester geliebt hatte und er zudem recht gut aussah. Denkt man eigentlich in solcher Weise über den eigenen Bruder, wenn auch den ehemaligen? Beschämt senkte ich erneut den Blick.
    Ich wusste momentan fast gar nichts mehr, daher suchten meine Gedanken Corus und meine anderen Brüder auf. Ich stellte fest, dass mein Vertrauen zu ihnen in keiner Weise mit dem zu Corvi vergleichbar war. Tja, es gab immer Lieblingsgeschwister, tröstete ich mich selbst auf der Stelle und wanderte gedanklich zu meinen ehemaligen Eltern. Ein Schreck durchfuhr mich. Was, wenn sie davon erfahren würden?

    Unlängst einem Bad mit duftenden Ölen entstiegen, in eine neue Tunika gekleidet und von der Lieblingssklavin dem Anlass entsprechend aufwendig frisiert, betrat ich leicht verspätet den Festsaal. Der auffällige Ohrschmuck klimperte, als ich mich nach meiner Familie umsah. Schon bald entdeckte ich meinen Vater, lächelte ihm zu, ließ aber den Blick weiterschweifen. Wir hatten uns bereits im Vorfeld gesehen.


    In unmittelbarer Nähe stand Epicharis, auch ihr lächelte ich zu. Die rechte Hand deutete ein Winken an, bei dem die dünnen goldenen Armreife leise schellten. Ich stand aufrecht, spürte noch nicht die Muße, mich unter die Gäste zu mischen, und verweilte daher am Rand, der einen guten Überblick bot.
    Um sowohl die Gäste als auch mich mit Getränken zu versorgen, winkte ich Aintzane heran.


    „Sorge dafür, dass Falerner, Wasser und Fruchtsaft den Gästen permanent zur Verfügung stehen. Biete die Getränke selbstständig an, achte aber auch auf Hinweise, die von den Herrschaften kommen.“


    Ich nahm mir Fruchtsaft, der zur besseren Unterscheidung von Wein und Wasser in Gläsern serviert wurde. Um die Qualität zu prüfen, nippte ich daran.

    Alles Hüsteln half nichts … Corvi wurde stutzig. Ich ahnte bereits Übles, als er mich auf Armlänge zurückschob, jedoch in dem Moment, wo er mein Kinn hob, entstand ein merkwürdig flaues Gefühl im Bauch, weil ich nun gezwungen war, ihn anzublicken.


    ‚Ah, noch mal Glück gehabt’, dachte ich, als seine harmlose Frage erklang. Ich atmete erleichtert aus. Allerdings auch ebenso schnell wieder ein, weil diese verfluchte Atemnot bestand – nicht eben schlimm, aber trotzdem vorhanden. Ein verlegenes Lächeln sollte die Situation retten, aber auch das half nichts: Sein Äußeres veränderte sich und das verhieß nichts Gutes. Meine Brauen zogen sich furchtsam zusammen, der Blick wurde ängstlich, denn ich war mir nun sicher, dass er vorhin doch meine Gedanken lesen konnte, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wie er das geschafft hatte.


    „Es … Es tut mir … so leid!“, stammelte ich mit vibrierender Stimme. Meine Augen waren bittend auf ihn gerichtet.
    Weil ich jedoch seinen irritierten, ja vorwurfsvollen Blick nicht länger ertragen konnte, schaute ich zur Seite, realisierte erst jetzt, dass er mich ja nicht mehr mit beiden Armen festhielt und trat einen Schritt zurück. In Erwartung einer Moralpredigt blickte ich ihn aus ängstlichen Augen an, und obwohl ich gern im Boden verschwunden wäre, konnte ich doch den Blick nicht von ihm wenden, ich war wie hypnotisiert.

    Um nicht mehr über die Misere meiner Zukunft nachdenken zu müssen, bemühte ich das Thema der letzten Tage: Der Mann, der Akt, die Kinder. Diese Angelegenheit hatte mich ohnehin nicht wieder losgelassen, seit sie aufkam, und zudem war sie bestens geeignet, allen Kummer in den hintersten Winkel meines Kopfes zu verdrängen. Über diese Thematik zu sinnieren, wirkte auf mich wie ein substanzloses Aphrodisiakum, wobei ich mich darauf verließ, dass Corvi weder Gedanken lesen noch Empfindungen des Körpers wahrnehmen konnte.


    Auf seine knappe Nachfrage, die ich durchaus verstand, antwortete ich uneindeutig. Es war eine Mischung aus leichtem Schulterzucken, andeutungsweise Kopf schütteln und dabei Lächeln. Den Blick hielt ich dabei konsequent gesenkt. Die Wangen überzog ein Hauch an Röte, die weniger Scham, sondern vielmehr prickelnde Anspannung verriet.


    Eines war mir nämlich vorhin klar geworden: So wie er meine Rundungen spüren musste – es ging ja gar nicht anders, weil er auch noch den Druck der Arme verstärkt hatte – so fühlbar musste doch auch dasjenige bei ihm für mich sein, was vornehmlich verborgen gehalten wurde. Geheimnisse fördern die Neugier, Verbote halten nicht immer zurück, sondern stacheln hin und wieder erst recht die Entdeckerfreude an.
    Genau das war bei mir passiert: Von all diesen mir noch versagten Dingen ging eine magische Anziehungskraft aus. Ich grübelte nicht darüber nach, warum mir die Tatsache, dass Corvi lange als mein Bruder galt, nicht ein dickes Stopp nahe legte. Hätte ich es getan, wäre mir wohl aufgegangen, dass ich längst den Mann in ihm sah.


    Alle Sinne waren nach unten gerichtet und ich hätte zu gerne gewusst, ob das nun die Originalgröße war. Schwierig zu beantworten, wenn man so gar keinen Vergleich hatte und das Auge nahm anders wahr als die Tastkörperchen der Haut. Es war nicht mehr als eine Andeutung zu spüren, die meine Fantasie aufgriff, ausbaute und die erneut den Herzschlag beschleunigte.


    Mehrmals atmete ich tief durch, weil die Normalatmung nicht mehr genügend Luft zuführte. Ich verstand nicht, wieso man vom bloßen Herumstehen außer Atem kam, aber diese Reaktion hatte ich in den letzten Tagen schon mehrfach bei mir bemerkt.
    Ich hüstelte zwischendurch, um Corvi von diesem Phänomen abzulenken.

    Da stand ich nun … wieder einmal aufgefangen von Corvi. Mir fiel zum ersten Mal bewusst auf, dass er stets für mich da war, Sophus hingegen fast nie. Anfangs hatte sich Soph sehr um mich gesorgt, hatte mich verteidigt, wenn ich angegriffen wurde – damals in den Factioversammlungen. Er war wie ein Bollwerk für mich gewesen, aber das lag lange zurück.


    Schrittweise, von mir kaum bemerkt, hatte Corvi, als er alt genug war, diese Rolle eingenommen. Nun gab es zwar selten Gelegenheit, mich verteidigen zu müssen, denn ich lebte seit längerem zurückgezogen, aber gegen etwas verteidigte er mich stets: Er bekämpfte meine Traurigkeit und zumeist gelang ihm dies gut. Ebenfalls von mir unbemerkt war er zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Jetzt verstand ich, warum es mir Probleme bereitete, wenn er seinen privaten Vergnügungen nachging … Es war eine Form von Eifersucht und es war verdammt schwer, mir das selbst einzugestehen.


    Was also tun? Noch trauriger werden, weil es absehbar war, auch diesen Halt eines Tages zu verlieren?


    Ich wusste keinen Rat, also blieb ich einfach regungslos stehen, ließ mich streicheln und versuchte die Gedanken auszuschalten. Einfach nur sinnlos ins Leere starren, die Welt umzu vergessen – am besten so tun, als gäbe es sie gar nicht. Aber wenn man an nichts denkst, nichts hören und sehen will, bleiben noch andere Sinneswahrnehmung: Ich nahm Körperduft wahr und ich fühlte … ihn.


    Plötzlich war der Geist doch wieder wach, weil ich seine Hand, den anderen Arm, den Atem, den vertrauten Duft, mehr noch: den kompletten Körper vor mir, an mir spürte. Blitzhaft kamen mir seine und Assindius’ Aufklärungsversuche in den Sinn. Corvi war der erste Mann, den ich seither auf Tuchfühlung spürte und meine Tunika war beileibe nicht aus derbem Stoff. Mir wurde nach so vielen Jahren und häufigen Umarmungen erstmalig klar, dass er meinen Körper wahrnehmen konnte, wie ich seinen, und meiner war ganz bestimmt nicht flach. Während dieser Erkenntnis wurde mir plötzlich sehr warm. Ich wartete noch Augenblicke, bekam aber den innerlichen Aufruhr nicht in den Griff.
    Es waren nur Bruchteile einer Kopfdrehung, doch sie bewirkte, dass er seinen Kopf von meinem lösen musste. Auf seine Brust schauend – sofern das bei der Nähe überhaupt ging – verharrte ich unbewegt, lauschte meinem Herzschlag und versuchte der Aufregung Herr zu werden.