Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Meine Augen waren während der Fußmassage geschlossen. Auf diese Weise erhöhte sich der entspannende Effekt, aber leider auch die Aufmerksamkeit, denn der Grad zwischen Kitzeln und massierendem Druck war schmal. Ein Übertreten quittierte ich mit einem spitzen Schrei und heftigem Austreten, was aber nicht oft vorkam, denn meine Sensibilität in dieser Hinsicht kannte inzwischen jede Sklavin.


    „Herrin, die Post ist eingetroffen“, flüsterte Samira, die sich zu meinem Ohr hinabgebeugt hatte.


    „Jetzt nicht“, erwiderte ich mit einem unwilligen Kopfschütteln. Seit wann unterbrach ich die Massagestunde, um die Post durchzusehen?


    „Ein Brief aus Hispania, Herrin“, hakte Samira nach.


    „Hispania?“ Ich blies verwundert Luft durch die leicht geöffneten Lippen, weil mir partout niemand einfallen wollte, der mich aus Hispania kontaktieren könnte. Es gab weder Verwandtschaft noch Geschäftspartner.


    „Vielleicht ein Interessent für ein Pferd“, mutmaßte ich, öffnete die Augen und drehte den Kopf zu Samira. „Na, dann zeig mal her.“ Ich streckte die Hand aus, nahm den Brief entgegen und saß zum Glück, als ich den Absender las.


    „Das ist ganz sicher ein Irrtum, Catus ist seit Jahren tot. Wie geschmacklos, in seinem Namen einen Brief zu verfassen.“ Noch während ich das Pergament entrollte, weiteten sich jedoch meine Augen, denn erste Worte und die Unterschrift ließen mit das Blut in den Adern stocken. „Heilige Götter, das gibt es doch nicht!“ So einen unsinnigen Ausspruch hatte ich lange nicht von mir gegeben, aber es fiel zum Glück niemand auf. Ich las den Brief insgesamt dreimal, dann senkte ich das Schreiben und starrte Samira fassungslos an.


    „Das Schreibzeug! Und schaff mir den Assindius her.“ Wieder stierte ich den Brief an. „Villa Flavia in Tarraco …“, murmelte ich.

    Ich rieb mir die Stirn, denn eigentlich wollte ich ursprünglich nicht mitten in der Nacht angestrengt nachdenken müssen und dabei restlos wach werden, sondern nur einen Happs essen, um anschließend besser schlafen zu können. Die nachfolgende Bitte, mit der ich ihm ins Wort fiel, hatte daher nichts mit Höflichkeit, sondern einzig mit Nachdrücklichkeit zu tun.


    „Bitte tu mir den Gefallen und denk nach. Wieso solltest du mir unbekannt sein? Ich würde deine Stimme selbst im Halbschlaf noch erkennen, so lange dienst du mir bereits.“ Ich schüttelte den Kopf, aber dann erwähnte Assindius schon wieder ein verlorenes Gedächtnis. „Du meinst mit diesem Grobian, der keine Erinnerung hat, nicht etwa dich, oder?“, fragte ich nach, weil ich hoffte, ich hatte mich verhört. „Und falls ja, was weißt du denn noch? Ich meine, gar nichts mehr?“ Die Hände in die Hüften gestemmt, hätte ich am liebsten angefügt, dass ich solcherlei Überraschungen gar nicht mochte.


    Schließlich ging er auf das Stichwort Spinne ein. „Willst du mich jetzt ärgern? Du weißt doch, dass ich nichts so hasse wie diese Krabbeltiere. Oder hast du das etwa auch vergessen? Herrje, schwierig. Klappt es denn mit der Ausführung von irgendwelchen Arbeiten oder Aufträgen noch?“ Man konnte ja nie wissen, welche Partien des Gehirns noch betroffen waren. Am Ende würde ich ihn noch verkaufen müssen, wenn ich keinerlei nutzbringende Verwendung mehr für ihn fand.

    Ich war von der Art, wie er seine Frage stellte, derart verblüfft, dass ich prompt darauf antwortete, als hätte sie mir mein Vater gestellt.
    „Ich weiß von dem Bären, weil ich dabei war!“ Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wie absurd es war, dass ich meinem Leibsklaven Rede und Antwort stand. Doch schließlich tröpfelte seine nachfolgende Aussage in meinen Geist und wurde ansatzweise verarbeitet.


    „Wie, Gedächtnis verloren?“, hakte ich schließlich nach. „Und wer hat mir eine Info unterschlagen? Welche überhaupt?“


    Endlich wurde in der Küche Licht, was mir zwar die Orientierung, nicht aber die Erkenntnis erleichterte.
    „Klärst du mich mal auf?“, fragte ich mit Ungeduld in der Stimme, weil Assindius mich stehenließ und stattdessen am Essen naschte.
    Plötzlich drehte er sich um und starrte mich an.


    „Was ist?“, fragte ich erschrocken und tastete meine Frisur ab. Sah ich derart furchtbar aus oder gab es einen anderen Grund? „Ist hier eine Spinne?“ Mit geweiteten Augen sah ich mich um.

    Willkommen zurück, Catus! =) Am besten, du ignorierst einfach diesen Thread. ;)


    Ich persönlich weiß es zu schätzen, dass getroffene Absprachen mit der Spielleitung auch noch nach Jahren ihre Gültigkeit haben. Um ehrlich zu sein, finde ich diese Tatsache sogar besonders beeindruckend, denn es wäre viel leichter gewesen, auf die seit langem strikt eingehaltenen Spielregeln zu verweisen und damit dieser todsicher aufkommenden Diskussion von vorn herein aus dem Weg zu gehen. Mein Respekt der Spielleitung. In letzter Zeit komme ich öfters zu diesem Schluss.

    1. dito
    2. dito
    3. Ahnungslos über die Vorgänge hinter meinem Rücken, habe ich nach erheblicher Selbstmotivation ein Spielangebot an die Sklavinnen gemacht. Es wurde nicht genutzt. Lachhaft – wenn es nicht so traurig wäre – ist der Grund für die heimliche Abwerbung: Die beiden Spieler sollten im IR gehalten werden. Bedauerlicherweise ist der Schuss nach hinten losgegangen, denn er traf nun mein Genick.

    Die Absprachen liefen bereits auf dem Rückweg und so bestand einzig die Notwendigkeit, sie auf einem Dokument festzuhalten.


    Vertrag


    zwischen


    Claudia Aureliana Deandra
    (nachfolgend Eigentümerin genannt)


    und


    Valeria Romana
    (nachfolgend Besitzerin genannt)


    Die Eigentümerin stellt Valeria Romana ihren Betrieb “Deandras Keramikhandel”, bestehend aus drei Filialen, unentgeltlich zur freien Verfügung und unterstützt sie des Weiteren mit finanziellen und personellen Mitteln, und zwar so lange, bis diese sich auf eigene Füße stellen kann. Das Eigentum an diesem Betrieb kann im Nachhinein käuflich erworben werden. Sollte dies zu keiner Zeit geschehen, ist die Eigentümerin berechtigt, im Falle eines Todes oder einer Vermisstensituation der Besitzerin, den Betrieb anderweitig zu veräußern.



    Gelesen und zugestimmt
    Claudia A. Deandra
    Rom, PRIDIE NON IAN DCCCLVIII A.U.C. (4.1.2008/105 n.Chr.)

    Schätzchen?! Ich glaubte, ich hatte mich verhört. Von dieser Anrede war ich derart verblüfft, dass mir der Mund offen stehen blieb. Wortlos wartete ich ab, dass er die Küche betrat.


    „Hat der Bär unter Umständen auch dein Hirn verletzt? Du scheinst sämtliche Ansätze guten Benehmens in Germanien vergessen zu haben“, beschwerte ich mich Augenblicke später. Als nichts geschah, trat ich über die Schwelle, während die Hände die Dunkelheit nach möglichen Hindernissen absuchten. Etwas Hölzernes gab Halt, ich hielt inne. „Mach erst einmal Licht“, wies ich ihn an, denn immerhin kannte ich mich zwar in den Gängen und Aufenthaltsräumen der Villa aus, aber die Küche gehörte definitiv nicht dazu.

    Die Stille wurde von rhythmischen Geräuschen unterbrochen. Ich verhielt den Schritt und lauschte. Ein murmelndes und platschendes Etwas näherte sich in unverkennbar vertrauter Weise, sodass der Gedanke an einen Einbrecher ausgeschlossen war. Beruhigt setzte ich mich wieder in Bewegung, während die Sinne, vom aufkommenden Appetit angelenkt, sich vornehmlich um die Identifizierung des Objektes kümmerten. Ein Familienmitglied schloss ich beizeiten aus, die Stimme besaß einen Akzent. Eine ähnliche Stimmlage kannte ich, aber der zugehörige Sklave konnte unmöglich hier sein.
    Bevor das nicht zu identifizierende Ungetüm - denn ein solches musste es wegen der Höhe sein, aus der die Stimme drang - mich überrennen würde, stoppte ich vor Erreichen der Küchentür. Nase und Ohren warteten einsatzbereit, denn das Auge vermochte die Dunkelheit nicht zu durchdringen. Dennoch bedauerte ich nicht, ohne Öllampe losgelaufen zu sein, denn solange ich selbst nicht erkannt wurde, konnte ich auch auf leisen Sohlen wieder verschwinden. Ich reckte den Hals und lauschte der Stimme, die nunmehr in unmittelbarer Näher erklang und deren Worte an mich gerichtet waren - eine Stimme, die ich sehr wohl kannte und Worte, die üblicherweise einen frechen Inhalt hatten. Es hatte sich nichts geändert: Assindius, wie er leibte und lebte.


    Ich verschränkte mit einem Schmunzeln die Arme vor der Brust und blickte zunächst gespielt beleidigt, was mein Gegenüber leider nicht wahrnehmen konnte. Schließlich räusperte ich mich.


    „Wir wäre es, wenn du mir etwas zu essen machst? Schließlich hast du reichlich Zeit zur Erholung gehabt.“


    Ich musste ein Lachen unterdrücken und war auf seine Reaktion gespannt. Dabei hätte ich mich viel eher fragen müssen, warum er sich am Vortag nicht bei mir gemeldet hatte.

    Dem Wind haftete bereits ein Hauch von Winter an, als er mein Gesicht traf, über die geschwollenen Lider strich und gleichzeitig die Stirn kühlte. Ich hatte die Fensterläden selbstständig geöffnet, denn einerseits wollte ich ungestört sein und andererseits vermutete ich meine Leibsklaven noch schlafend in ihren Unterkünften. Ein Seufzer hob den Brustkorb, auf dem beständig ein unangenehmer Druck lag. Die Hoffnung, er würde irgendwann nachlassen, hatte sich bislang nicht erfüllt. Das Lachen musste ich auf dem Anwesen der Aurelier zurückgelassen haben, zumindest vermisste ich es seitdem, traute mich aber nicht, eine Suche danach zu starten. Ich vermied, so gut es ging, jegliches Nachdenken. Leider hielten sich die Träume nicht an diese Vorgabe, sondern sandten beinahe jede Nacht bedrückende Erlebnisse, die - von Tränen begleitet - für einen reduzierten Schlaf, dunkle Augenränder und jene geschwollene Lider sorgten, die der Wind soeben kühlte.


    Mit einem weiteren Seufzer wandte ich mich ab, griff nach der wollenen Stola und verließ mein Zimmer. Ich liebte schon immer die Dunkelheit der Gänge. Sie wirkte auf mich stets behütend und friedlich, Furcht kannte ich nicht und den Weg zur Küche fand ich auch ohne Licht. Die Menschenleere, die umhüllende Finsternis, die Stille in der Villa, alles passte auf angenehme Weise zu meinem Gemütszustand. Der Körper allerdings beanstandete die niedrigen Temperaturen, indem er die kleinen Härchen aufstellte, sowie Füße, Nase und Hände erkalten ließ. Das Zurechtzupfen der kuscheligen Stola richtete gegen diese Empfindungen wenig aus, also beschloss ich, sie zu ignorieren. Meine Gedanken richteten sich auf die Gelüste kulinarischer Art, die ich beabsichtigte, in der Küche zu befriedigen. Noch schwankte ich zwischen kaltem Hähnchenfleisch und einem Eis, während ich auf die letzte Biegung des Ganges zusteuerte.


    Sim-Off:

    Nach Assindius können sich dann alle claudischen Sklaven einklinken, wenn sie möchten.


    Weniger aus eigenem Antrieb, sondern vielmehr auf Anraten meines Verwalters hin begab ich mich zum Markt und ließ das Plakat mit dem Verkaufsangebot entfernen. Ich musste mich nicht persönlich darum kümmern, die Ausführung weder kontrollieren noch überwachen, es war nichts weiter als ein Vorwand, um die Villa nach Wochen einmal wieder zu verlassen.

    ‚Ah, das wollte er also’, dachte ich bei mir, fuhr mit den Fingern der rechten Hand über die Stirn, beschloss aber, mich nicht zu ärgern, es war ohnehin so ziemlich alles egal. Mir war egal, wie ich wirkte, was die Leute jeweils von mir dachten, was sie von mir wollten und wie alles weitergehen sollte. Ich war innerlich erstarrt, hatte mich abgekapselt, mir einen Kokon gewebt - ein paar Stacheln standen stets bereits, all und jenes von mir fernzuhalten.


    „Ja, einen guten Tag“, erwähnte ich beiläufig, als er sich zum Gehen wandte. Anschließend ließ ich mich auf einem der Sessel nieder, lehnte mich an und legte die Hände übereinander. Den Blick ins Leere gewandt machte ich mich bereit, einen weiteren Tag an mir vorbeiziehen zu lassen.

    Anstelle einer Antwort bekam ich eine Frage gestellt, die ich im ersten Moment für überflüssig hielt, im zweiten jedoch argwöhnisch durchdachte. Nach meiner Ansicht vergewisserte man sich nur dann, ob tatsächlich die gesuchte Person vor einem stand, wenn es sich um eine heikle - vielleicht gar geheime - Angelegenheit handelte oder wenn man ein persönliches Interesse verfolgte. Missmutig zogen sich meine Brauen zusammen. Derzeit ging mir nichts so sehr auf die Nerven, wie Männer, die teils aus dem Nichts auftauchten und scheinbar alle zur gleichen Zeit beschlossen hatten, mich mit Aufmerksamkeit zu überschütten.


    Ich wendete den Blick ab, musterte für Augenblicke eine Statue derart missbilligend, als wäre sie über Wochen nicht von Staub befreit worden, atmete einmal verärgert aus und setzte mich in Richtung eines Pflanzkübels in Bewegung. Meine Aufmerksamkeit galt den schütteren Blüten, als ich sprach.


    „Eine Claudia hat nicht ewig Zeit.“


    Um die Unfreundlichkeit der Aussage abzumildern, wandte ich mich wieder um. Schließlich konnte der Mann nichts für meine Misere, und solange er mir nicht allzu viel Zeit stahl, sollte ich mich zumindest bis zur Äußerung seines Anliegens so gut es ging neutral verhalten. In einer Mischung aus Ungeduld und der Aufforderung zum Reden hob sich ungewollt meine linke Augenbraue als einzige Regung.

    Als mich die Nachricht vom Eintreffen eines Besuchers erreichte, stockte sich, ohne dass ich es wollte, meine inzwischen vorhandene Mauer auf. Männer stellten für mich seit einiger Zeit so etwas wie ein Schreckgespenst dar, denen ich zumeist nicht nur reserviert, sondern mitunter sogar unfreundlich begegnete. Zweimal in meinem Leben hatte ich eine große Liebe empfunden, zweimal fühlte ich mich verraten. Mit Desinteresse nahm ich wahr, dass ich meine Enttäuschung auf jedes Exemplar männlichen Geschlechts übertrug, gleichgültig wie nett oder wie unhöflich derjenige auch war. Ein Eiszapfen konnte kaum mehr Kälte ausstrahlen als ich es derzeit vermochte.


    Mit maskenartiger Miene betrat ich das Atrium. Ich hatte den Kreis um mich, den kein Fremder betreten durfte, größer gezogen und so verhielt ich zeitig den Schritt, um den Plebejer flüchtig zu mustern.


    „Was ist dein Begehr?“

    Ein Zweig bog sich unter dem Gewicht der angesammelten Regentropfen, gab die Fracht frei und schnippte erleichtert nach oben, während die Wasseransammlung zu Boden stürzte. Als sie auf meiner rechten Schulter landete, bewirkten die Überraschung und der Kälteschock ein Erzittern. Noch immer hielt ich Corvinus den Ring entgegen, wenngleich er bereits durch seine Gestik deutlich gemacht hatte, dass er nicht gewillt war, ihn zurückzunehmen.
    Ich forschte in seinem Gesicht, als er aufblickte; suchte den Zorn, den ich darin nicht mehr fand; warf die Frage auf, warum er nicht wie sonst überzogen reagierte, sondern in diesem Falle schlicht gar nicht. Die Kälte, die mir erheblich zu schaffen machte, mochte Schuld daran sein, dass mein Geist verlangsamt arbeitete, keine brauchbaren Antworten auswarf und auch verzögert für die Rücknahme des Ringes sorgte. Nach einem letzten Blick in seine Augen betrachtete ich das Unterpfand unserer einstigen Liebe, die mir stark vorgekommen und doch zerbrochen war.
    Ich hob die Linke und legte den Ring hinein. Während sich die klammen Finger um ihn schlossen, blickte ich wieder auf, weil mich Fragen bewegten.


    „Was überdauert? Was hat Bestand? Nur jenes, das gepflegt und behütet wird? Oder doch eher das, dem keine Schwierigkeiten entgegenstehen? Das, was keine Bewährungen erfordert? Und ist es ein Armutszeugnis, wenn zwei nicht imstande sind, Hürden aus dem Weg zu räumen? Oder kann man sich einreden, dass die Schuld bei diesen Hindernissen lag?
    Wenn du die Antworten weißt, lass sie mich bei Gelegenheit wissen.“


    Ich presste die Hand, die den Ring hielt, an den Leib und versuchte den Arm durch Reibung zu erwärmen, während ich mich in ungewohnt steifer Bewegung dem Haus zudrehte.
    „Die Götter mit dir, Corvinus“, flüsterte ich, indem ich über die Schulter blickte, ohne jedoch seine Augen zu suchen. Der Verbleib des Ringes hatte meine Sicherheit unterhöhlt, weil er mich an die schönen Zeiten erinnerte, weil er Wehmut hervorrief. Ich wollte dem Haus zueilen, vermochte es aber nicht in dem Maße, weil der Körper wie die Seele erfroren schien und nur widerstrebend dem Willen Folge leistete.

    Raum und Zeit hatten an Bedeutung verloren, während ich im stärker werdenden Nieselregen stand, ihn anblickte und seine Wut nicht nur sah, sondern sie wie Spannungswellen meine nackten Schultern und Arme berührte und in den Brustkorb drang, der jedoch vor Augenblicken bereits durch eine undurchdringliche Schutzwand abgepolstert war. Nicht wirkungslos, aber ohne verheerende Folgen prallte sein unterdrückter Zorn ab, rutschte als Masse gen Boden und schlug dort auf. ‚Du kannst mir nicht wehtun, denn der Corvinus, den ich einst liebte, ist bereits über den Fluss gefahren’, dachte ich in gewisser Weise ruhig, vermutlich aber nur deswegen, weil ich unter Schock stand. Ich vermied unter allen Umständen, gedanklich zu ergründen, was mit ihm geschehen war, denn das hätte mich nur meine augenblickliche Standhaftigkeit gekostet. Vielmehr machte ich mich auf eine zorngeladene Erwiderung gefasst, aber sie blieb aus, was mich nicht nur irritierte, sondern mich zum Teil auch meiner künstlich aufrechterhaltenen Sicherheit beraubte. Ich staunte ihn regelrecht an, als er mich fragte, ob dies alles sei, was ich zu sagen hätte.


    „Alles, was ich im Augenblick zu sagen hätte, wäre durch die Situation verfälscht und würde daher nicht das darlegen, was ich womöglich in einer ruhigen Minute äußern würde“, antwortete ich mit sicherer Stimme. Flüchtig fragte ich mich, woher ich die Kraft für die Fassung nahm, die mich gerade stärkte. Eine Antwort wusste ich nicht darauf. „Es ist daher besser, wenn ich nun gehe.“


    Ich atmete noch einmal durch, hob anschließend in einer mechanischen Bewegung die Hand und zog den Verlobungsring vom Finger. Zwischen Zeigefinger und Daumen gefasst reichte ich ihn Corvinus und hoffte, er würde ihn abnehmen, bevor Kälte und Anspannung unweigerlich ein Zittern heraufbeschwören würden. Der hummerfarbene Klecks seitlich von uns führte mir meine ungeschützte Verfassung vor Augen. Aufheben würde ich die Palla gewiss nicht, aber ich wünschte mich in einen geschützten Raum – eine Zuflucht ohne Schmerz, ohne Sorgen und ohne auskühlenden Herbstregen.

    Der Aufforderung ein Stück zu gehen, kam ich gerne nach, weil ich mich der frostigen Stimmung wegen nicht sonderlich wohl fühlte, wenn wir uns untätig und teils schweigend gegenüberstanden. Seinen grantigen Tonfall bewertete ich dabei nicht über, wusste ich doch seit langem, dass er stets dann auftrat, wenn Corvinus - in welcher Weise auch immer - verärgert war. Allerdings bedeutete mein Umgang mit seinem abweisenden Auftreten nicht gleichzeitig, dass ich mich wohler fühlen konnte. Das bedeutete es nie bei Menschen, die mir wichtig waren, es half bestenfalls.
    Während die Füße weitgehend automatisch voranschritten, schlang ich die Arme um den Leib, der nicht nur wegen der ungemütlichen Witterung zu einem leichten Zittern neigte. Ich blickte nach vorn, ohne wahrzunehmen, worauf wir zusteuerten, beließ die ins Gesicht gewehten Haarsträhnen, wo sie waren, und versuchte mich, für seine Worte zu wappnen, die unweigerlich der Aufforderung zur Wanderung durch den Garten folgen mussten. War er noch derselbe wie einst, würde mich eine erneute Zurückweisung erwarten. Ich atmete einmal tief durch, denn nur im günstigen Falle würde es Vorwürfe hageln. Einlenkend hatte ich ihn noch nie erlebt.


    „Vielleicht komme ich spät, du aber bist gar nicht auf mich zugekommen“, erwiderte ich, nachdem er das Gespräch eröffnet hatte. Sein Besuch in Ostia konnte wohl kaum darunter zählen, er war nur gekommen, um mich runterzuputzen, nicht aber, um eine Bereinigung der angespannten Lage zu erreichen. Oh, es war nie klug, einem Vorwurf mit einem weiteren zu begegnen. Viel gescheiter wäre es stets, einfach die Anklage über sich ergehen zu lassen, vielleicht sogar zuzustimmen und sie damit abzuhaken. Irgendetwas veranlasste mich aber stets, mich entweder verteidigen zu wollen oder ihm aufzuzeigen, dass er ebenfalls keineswegs fehlerfrei war. Vielleicht ein Versuch, sich selbst als zwar nicht fehlerfrei, aber dennoch liebenswert darzustellen, der auf diese Weise natürlich zwangsläufig scheitern musste. Niemand wurde als liebenswert eingeschätzt, wenn er dem anderen Vorwürfe präsentierte – gleich auf welche Art.
    Ich unterließ den Versuch, einen seitlichen Blick auf ihn zu werfen, denn der Inhalt der Unterhaltung würde offensichtlich schwer genug sein, um ihn zu verarbeiten, da musste nicht auch noch der abweisende Gesichtsausdruck auf mich einwirken.


    Bei seinen nächsten Worten musste ich schlucken, derart unvorbereitet trafen sie mich. Das Blut konnte sich nicht entscheiden, ob es wegen der gedanklichen Forderung schneller pulsieren oder wegen dem erschlagenden Inhalt gefrieren sollte. ‚Weil ich nicht eher gekommen bin, gibt es nun keinen Grund mehr für mich, hier zu sein.’ Ich verstand die Logik nicht, kam aber auch nicht weiter zum Nachdenken, weil neue Eröffnungen folgten, die allesamt kein bisschen erträglicher waren.


    „Ja, Geschwister stützen einander, wenn sie Kummer haben. Nur eben ICH hatte es damals tun wollen, während du mich zurückgestoßen hattest“, pflichtete ich ihm bitter bei. Nunmehr zog es meinen Blick regelrecht zu ihm, denn genau darin lag sein Fehler, den ich ihm aus Rücksicht nie vorgeworfen hatte – es war sogar ein doppelter Fehler: Er ließ mich ihm nicht helfen und versagte gleichzeitig mir die Hilfe, als ich ihn nötig gebraucht hatte. Plötzlich wurde mir klar, dass er jetzt allen Ernstes genau das MIR zum Vorwurf machte? Ich fühlte mich verhöhnt, blieb abrupt stehen, wandte mich zu ihm und richtete mich auf, wie ich wohl noch nie in meinem Leben aufgerichtet dagestanden hatte.


    „Aurelius Corvinus, du bist weder gerecht noch trägst du Ehre im Leib.“


    Ich spürte nicht mehr den Wind, der an meiner Palla zupfte, die sich langsam löste und von der Schulter rutschte, weil ich von den Gefühlen der Ohnmacht und Enttäuschung übermannt, die Hände vom Leib gelöst hatte. Er stand nicht zu seinem Wort, zu seinem Versprechen, und zwar aus Gründen, die er mir glaubhaft in die Schuhe schieben wollte, die aber zunächst und in viel größerem Ausmaß auf sein Konto gingen. Das Unfassbare der Situation gab mir die Kraft, stark zu sein. Verachtung macht stark, ich erlebte es zum ersten Mal.
    Nieselregen sprühte hernieder, aber weder nahm ich ihn wahr noch konnte er fortspülen, was soeben gesagt worden war.