‚Ach, du liebe Zeit. So war das nicht geplant gewesen’, dachte ich auf meinem Weg zu den Sitzgelegenheiten und fing leicht zu schwitzen an.
„Ich hatte gehofft, du hättest sofort eine Erklärung für mich“, erwiderte ich durcheinander. Alsdann spürte ich meine Hand in seiner, fasste Zutrauen und ließ mich zögerlich auf dem Stuhl nieder. Ratlos ob des Phänomens schaute ich meinen Onkel an, hoffend er konnte es aufklären, er wusste immer alles.
„Ja, es gab zunächst nur Vibullius in meinem Leben. Ich war davon überzeugt, ihn zu lieben und ganz sicher war das auch kein Irrtum gewesen, aber bereits in den ersten Briefen, die ich mit Sophus tauschte, fesselte er meine Aufmerksamkeit. Er weckte zunächst nur mein Interesse, denn ich war ja in Vibullius verliebt, allerdings ging das soweit, dass ich trotz der zunächst gefürchteten Trennung von Vibullius zu den Saturnalien keinen Gedanken an meinen Liebsten verschwendete, weil ich eine Reise nach Mantua zu Sophus unternommen hatte.“
Ich merkte, dass meine Erklärungen ein völlig falsches Bild ergaben und runzelte unwillig die Stirn. Es sah danach aus, als wäre die Liebe zu Vibullius nur eine halbherzige gewesen und ich musste dann nur den Richtigen treffen, um mir dessen klar zu werden, aber so war es nicht. ‚Außerdem … Wie kann man sich zu jemandem hingezogen fühlen, wo man doch jemand anderen liebt?’, dachte ich trotzig.
„Ich habe wie ein Fels an Vibullius’ Seite gestanden, ihn verteidigt, wo ich konnte, denn er zog den Ärger magisch an. In der Zeit hatte ich Sophus fast vergessen, Vibullius hielt mich permanent in Atem, aber mitten in diverse Aufregungen mit ihm hinein machte mir Sophus und das ohne Vorwarnung einen Heiratsantrag, auch noch just in dem Moment, als ich ihm von Vibullius berichten und ihn um seine Einwilligung für diese Verbindung bitten wollte. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich damals gefühlt habe?“ Ich atmete einmal tief durch. „Sicherlich nicht.“
Ich hatte nun die Wahl, einen Roman zu erzählen oder es kurz zu machen. Ich entschied mich für Letzteres.
„Jedenfalls hatte er auf eine sofortige Entscheidung gedrängt und obwohl ich Vibullius geliebt und Soph ganz bestimmt nicht in gleicher Weise begehrt habe, war es mir schlicht unmöglich, meinem Pater einen Korb zu geben – es ging einfach nicht.
Das klingt verrückt, stimmts?“
Die Geschichte klang selbst in meinen Ohren unglaublich unlogisch, aber so war es nun einmal abgelaufen. Ich zuckte ratlos die Schulter und blickte meinen Onkel nachdenklich an.
„Das ist es ja, was ich nicht verstehe. Er kann mir mit wenigen Worten Tränen in die Augen treiben, ob nun vor Lachen oder aus Bestürzung. Mit gleicher Leichtigkeit verursacht er mir Bauchschmerzen - solche der Aufregung, aber vor allem solche verursacht durch Angst.“
Interessant, was dabei herauskam, wenn man die Dinge rückwirkend beleuchtete. Ich kam gerade auf ein Resümee, was mich verwunderte, sogar besorgt machte, bei dem ich mich fast scheute, es auszusprechen.
„Sophus besitzt eine starke Waffe, ob er sich dessen bewusst ist, weiß ich nicht“, deutete ich leise an und versank zunächst in Nachdenklichkeit. „… nicht einmal, ob sie bei anderen auch wirkt oder nur bei mir. Vom ersten Augenblick an hatte er mich in der Hand, da war noch lange keine Liebe im Spiel.“