Beiträge von Amytis

    Für Amytis stand die Welt für einen Herzschlag still. Die Worte klangen in ihren Ohren nach und sie konnte sie nicht fassen, während es um sie herum unruhiger wurde. Frei. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Als wäre sie aus einem schlechten Traum aufgewacht. Doch mit der Freiheit kam auch die Leere: Was nun? Wohin? Und vor allem: Wer würde die Leute hindern, sie erneut in Besitz zu nehmen?


    Ihr Blick glitt zu Sporus, der zusammengebrochen war, das Kästchen mit seinem offensichtlich grausamen Inhalt noch in der Nähe. Sie hatte Mitleid, aber gerade auch keine Kraft mehr für ihn, wollte sie sich doch am liebsten ebenfalls auf den Boden setzen. Stattdessen wandte sich Magnus zu.

    Ihre Haltung blieb aufrecht, die Schultern gerade, doch in ihren Augen loderte eine kühle Entschlossenheit, die sie sich in den letzten Stunden in der casa iunia erkämpft hatte. Sie senkte den Blick nicht, wie sie es bisher getan hätte, sondern hielt ihn fest auf den Mann gerichtet, der sie eben noch wie ein Stück Vieh beansprucht und sich auch zuvor schon hinter dieser Porta an ihr bedient hatte. Dennoch versuchte sie sich zu beherrschen, war er immerhin einer der wenigen gewesen, die Mitgefühl gezeigt hatten. Sie presste die Hände zu Fäusten, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und mühte sich um Besonnenheit.

    „Ich danke für dieses Angebot. Doch ich möchte keine voreiligen Entscheidungen treffen.“ sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

    Dann drehte sie sich leicht zu Yúnzi, immer noch wachsam. „Ich habe eine Frage: Was wird aus uns, den Freigelassenen? Haben wir Anspruch auf etwas aus diesem Haus? Auf Schutz, bis wir unseren Weg finden? Oder müssen wir Rom verlassen?“

    Ihr Blick glitt kurz über die Passanten, die Sklaven des Hauses. Perle mit Makeln, dachte sie bei sich. Das würde sie immer bleiben.

    Amytis war Yúnzi schweigend gefolgt und hatte vieles erwartet, aber nicht das hier. Ihr Herr war tot? Es war verwirrend, denn sie war doch nur eine Nacht fort gewesen. Was war geschehen? Leid tat es ihr wirklich auch nicht, da er sie nicht gut behandelt hatte. Einer der Gäste des Hauses, die sie hatte 'bedienen' müssen, war ebenfalls anwesend und erhob nun nicht nur Anspruch auf das Haus des Aureliers, sondern auch auf sie selbst. Ein Zufall? Ging das nicht nur ein wenig schnell, wo Pinus' Leichnam nicht einmal kalt war, sondern die Nachricht auch noch ganz frisch? Ihr wurde schlecht, gerade nach den letzten Tagen war diese Selbstverständlichkeit, wie über sie bestimmt werden sollte, noch schwerer zu ertragen und sie bemühte sich, den dreisten Kerl nicht anzuschauen. Immerhin wusste sie ja sehr gut, wofür er sie haben wollte.
    Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Sporus, der einen Brief und ein Kästchen in die Hand gedrückt bekam.

    Amytis hörte schweigend zu, als Yúnzi sprach. "Danke Yúnzi."
    Sie warf einen kurzen Blick zu Sporus und legte ihm eine Hand an den Unterarm. Nicht einmal unbedingt eine tröstende Geste, eher ein Zeichen, dass er nicht allein war.
    Sobald Yúnzi gegangen war, würde sie mit Sporus etwas essen, und sich dann auf dem Weg zu ihrem Herren machen. Sie war sehr gespannt, was dieser sagen würde.

    Amytis war für einen Moment sprachlos. Die Worte, die er wählte, und mehr noch die Art seiner Verneigung trafen sie unerwartet. Sie senkte den Blick dennoch, weil sie Zeit brauchte, ihre Stimme zu finden. Als sie sprach, war ihr Ton leiser als zuvor.

    „Wenn du mich so nennst, Yúnzi,“ sagte sie schließlich, „dann nur, weil auch eine Perle nicht ohne Makel ist.“ Ein schwaches, ehrliches Lächeln zeigte sich. „Perlen entstehen durch Verletzung. Etwas Fremdes dringt ein, und der Körper versucht, es zu umschließen. Unschädlich zu machen. Man sieht am Ende nur das Ergebnis, nicht den Schmerz.“ Sie hielt inne, als hätte sie selbst nicht erwartet, das auszusprechen. „Ich fühle mich vielleicht wie eine Perle mit kleinen Fehlern. Mit Rissen, die sie von anderen abhebt, weil sie das Licht ablenken.“ Sie hob den Blick ein wenig. „Aber vielleicht ist das nicht nur ein Makel.“

    Ihre Hände lagen ruhig ineinander. „Wenn ich heute anders denke als früher, dann nicht, weil ich klüger geworden bin, sondern weil ich gezwungen war zuzuhören und auszuhalten.“

    Ihr Blick glitt kurz zu Sporus, der etwas abseits stand. „Es gibt Menschen, die niemals in Geschichten erscheinen werden und dennoch Größe besitzen“, fügte sie hinzu. „Nicht jeder Krieger führt ein Schwert. Manche ertragen Leid, ohne daran zu zerbrechen.“ Es war keine feierliche Aussage, eher eine schlichte Feststellung.

    Dann neigte sie leicht den Kopf. Keine tiefe Verbeugung, sondern eine bewusste Geste.

    „Wenn du mir erlaubst, ohne gesenkten Blick zu sprechen, dann nehme ich dieses Geschenk an“, sagte sie.

    Einen Augenblick schwieg sie, bevor sie leise hinzufügte: „Vielleicht sind es genau diese stillen Begegnungen, die es wert sind, erkannt zu werden.“ Und sie war unendlich dankbar, hier zu sein, als sie den Kopf hob und ihn anschaute. Tränen waren in ihren Augen, als sie dankbar lächelte.

    Amytis hörte aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Namen, die er nannte, waren ihr fremd, doch die Gedanken dahinter nicht. Als er geendet hatte, neigte sie leicht den Kopf, vor allem aus Respekt vor der Sorgfalt, mit der er sprach. Dann antwortete sie ruhig und überlegt.

    „Ich denke, er hat Recht“, sagte sie. „Zumindest in dem, was das Ziel betrifft. Ein Sieg ohne Kampf schont nicht nur das eigene Volk, sondern auch den Feind. Wer nicht erniedrigt wird, kann später Teil von etwas werden.“

    Sie hielt kurz inne und faltete die Hände. Ihre Stimme blieb beherrscht, doch sie sprach nun aus Erfahrung, nicht mehr nur aus Erziehung.

    „Früher hätte ich geglaubt, dass solche Siege eine Sache des Adels sind“, fuhr sie fort. „Man lehrte mich, Herkunft bedeute Verantwortung und Weitsicht. Dass jene, die oben stehen, besser vorbereitet seien, und wüssten, was richtig ist.“ Ein leiser Atemzug. „Seit ich eine Sklavin bin, denke ich anders darüber.“ Ihr eigener Herr war das beste Beispiel dafür. Sie hob den Blick ein wenig, ohne ihn direkt anzusehen.

    „Viele, die Macht besitzen, sind nicht geduldig genug für einen Sieg ohne Gewalt. Sie sagen, sie wollen Frieden und Zusammenarbeit, doch sie ertragen die Zeit nicht, die es braucht, dies erreichen. Ruhm und andere Belohnungen sind verlockend.“

    Bei der Bemerkung über Rüstung und Herkunft zeigte sich ein schwaches, nachdenkliches Lächeln.

    „Als ich von Rüstungen sprach, meinte ich weniger ihre Notwendigkeit als ihre Bedeutung. In meiner Heimat zeigen sie Zugehörigkeit. Sie sagen, wer zählt und vermeintlich geschützt werden muss. Dass dies ungerecht ist, habe ich erst wirklich verstanden, als ich selbst nicht mehr dazugehörte.“

    Sie schwieg einen Moment. Es waren durchaus nicht unbedingt ungefährliche Gedanken, die sie hier äußerte, aber sie fühlte sich frei genug, es zu tun.

    „Die Geschichte dieses Mannes zeigt, dass der Himmel andere Maßstäbe haben muss als Menschen. Wir haben eine vermeintliche Ordnung, doch vielleicht kommt es darauf nicht an? Vielleicht ist der beste Krieger nicht der, den keine Klinge trifft, sondern auf den keine Klinge zielt? Einer, der Macht besitzt, und sie für Gutes einsetzt? Solche Menschen sind selten.“

    Sie senkte den Blick wieder.

    „So sehe ich es, Yúnzi.“

    Amytis hielt einen Moment inne, bevor sie antwortete. Die Frage war offen gestellt, ohne eine Falle zusein, und sie spürte, dass hier nicht die richtige, sondern eine ehrliche Antwort gesucht war. Sie hielt den Blick gesenkt, auch um ihre Worte zu ordnen, und hob ihn dann wieder leicht, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen.


    In meiner Heimat,“ begann sie ruhig, „sagt man, ein Krieger sei dann der Beste, wenn er nicht kämpfen muss.“ Sie ließ die Worte kurz stehen. „Fähigkeit im Kampf ist notwendig, ja. Ebenso Kenntnis von Taktik und Ordnung. Aber all das kann man lernen. Was nicht jeder lernt, ist Maß. Der beste Krieger weiß, wann Gewalt schadet, selbst wenn sie ihm selbst nützen würde. Und er kennt seine eigene Furcht. Und somit seine Grenzen.“

    Ein wenig Wind zog durch das Peristyl, und sie legte eine kurze Pause ein.

    Charisma und damit auch Ruhm,“ fuhr sie fort, „sind wichtig, aber gefährlich. Es kann Männer führen oder sie verblenden. In Parthien vertraut man einem Krieger erst dann wirklich, wenn er auch schweigen kann, wenn andere seinen Ruhm preisen.“


    Dann hob sie den Blick ein wenig weiter. „Darum stehen die besten Krieger nahe beim Herrscher. Nicht, weil sie am härtesten zuschlagen, sondern weil sie das Reich als etwas Größeres begreifen als sich selbst.“

    Sie schwieg, merkte erst jetzt, wie frei sie gesprochen hatte. Einen Augenblick lang war da Unsicherheit, ob sie zu weit gegangen war. Doch sie blieb ruhig stehen, die Haltung wahrend, kein Wort zurücknehmend.


    „So habe ich es gelernt,“ fügte sie schließlich hinzu, wieder leiser. Und sie wusste sehr gut, dass vieles davon auch nur Theorie war und vielleicht gar nicht so gelebt werden konnte.

    Abgesehen davon sind die Rüstungen unserer Krieger zu teuer für jeden der nicht aus dem Adel stammt.“, fügte sie nun mit einem leichten Schmunzeln hinzu.

    Im Gegensatz zu ihrer Befürchtung schien das Lächeln des Mannes sogar noch ein wenig breiter zu werden, was sie wirklich wunderte. Seit ihrer Gefangennahme, hatte man sie höchstens überlegend angelacht, aber das hier wirkte so ganz anders. Er bedankte sich und gab ihr nicht einmal das Tuch zurück. Das brachte sie noch mehr aus dem Konzept, denn sie war doch eine Sklavin und genau dafür hier, oder? Da sie in dieser Erwartung die Hand ausgestreckt hatte, stand sie kurz etwas verloren da, aber immerhin konnte sie den Blick senken und ihre roten Wangen so ein wenig überspielen. Sie hatte sie beide in Verlegenheit gebracht, zumindest dachte sie das, und kam sich dumm dabei vor.
    "Ich habe gehört, dass auch griechische Philosophen wussten, dass Geist und Körper zusammengehören, in gewissem Maße.", sagte sie zu seinen Worten, vielleicht etwas zu spontan und zu schnippisch, ohne ihn beeindrucken zu wollen, aber durchaus angeregt von der Verlockung, ein Gespräch auf einer etwas anderen Ebene zu führen, als in ihrem bisherigen Sklavendasein, in welchem ihr Körper eine viel zu große - die einzige - Rolle gespielt hatte. So viel wusste sie von diesen Dingen nicht, aber: "In meiner Heimat sind die besten Krieger jene, die dem Herrscher am nächsten stehen und das Reich lenken." Vermutlich war das im Römischen Reich nicht anders, aber eben unter anderem dank dieses Reichs mussten die Parther eine recht wehrhafte Gesellschaft sein. Und logischerweise stellte der Adel natürlich auch die Denker des Partherreichs, was für Amytis den Kreis schloss. "Ich wünsche dennoch, dass alle Räuber dich verschonen.", schloss sie dann, ein wenig unterwürfiger.

    Amytis nickte Sporus freundlich zu, als er sich zu ihr gesellte. Wie es ihm wohl ging? Hoffentlich hatte er diese geschenkte ruhige Nacht wenigstens genießen können. Yúnzis Übungen begutachtete sie mit dem Blick einer jungen Frau, die durchaus in ihrer Kindheit ebenfalls Krieger beobachtet hatte, und daher zumindest erkannte, dass er wusste, was er tat. Und es sah beeindruckend aus, ebenso wie es dem Mann, wie jedem anderen Mann auch, durchaus stand, wenn er sich so bewegen konnte. Sie seufzte leise und wünschte sich, so einen friedlichen Morgen und dieses Schauspiel öfter genießen zu können, als wieder zu dem zurückkehren zu müssen, was sie beide bei ihrem Herrn erwartete.

    Als Yúnzi endete und zu ihnen kam, suchte sie eilig nach einem Tuch und womöglich einem Becher mit einem Getränk, um es ihm zu reichen. Zumindest das Tuch fand sich, und sie hielt es ihm hin, als sie ihn ebenfalls anlächelte, auch wenn sie damit vielleicht etwas zu weit ging. "Ich war früh wach, Yúnzi. Und die Übungen waren sehr eindrucksvoll."

    Amytis hatte ein wunderbares Nachtlager gehabt, und es war schön gewesen, Sporus so zu sehen, dennoch war die Nacht für sie unruhig gewesen. Die Trauerfeier war das eine, aber sie hatte keine Andenken an den Verstorbenen gehabt und sich früh zurückgezogen. Aber das ganze drumherum, Yúnzi und seine Familie, die ihre Sklaven so anders behandelten als ihr eigener Herr. Es war ein Welt, in der sie so viel lieber leben wollte, und gerade deshalb kaum ertragen konnte, dass sie bald schon wieder von hier fort musste. Doch es gab nichts, was sie dafür tun konnte.
    So hatte sie nur wenig Schlaf gefunden und als sie ein paar sehr leise Geräusche hörte, verließ sie ihr Lager und schaute den Übungen des Hausherren schweigend zu. Yúnzi beeindruckte sie auch heute noch, und es war trotz des Schwerts ein friedlicher Anblick der ihren Augen schmeichelte.

    Auch Amytis nickte. Yúnzi sprach weise Worte, in der Tat, und sie erkannte so durchaus, dass er ahnte, was die beiden Sklaven vor ihm bedrückte und weshalb sie überhaupt nur seine Nähe suchten. Ob und wie ihnen das helfen mochte, wusste sie aber auch nicht. "Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit, das stimmt." Das waren durchaus kühne Worte. Sie atmete einmal tief ein. "Wir kennen unseren Platz, so ist es nicht, aber wir haben uns beide lange nicht mehr so ... gesehen gefühlt. Das macht alles einfacher für uns. Ich - wir - wollten, dass du das weißt, Yúnzi." Jede Pflicht fiel leicht zu erledigen, wenn man sie gerne tat.

    Als Amytis sah, wie Sporus sich zu Yúnzi wagte, war sie höchst erfreut. Immerhin war dieser Mann sicher jemand, der ihm Trost spenden konnte, und sie war wirklich froh, dass der schüchterne Sklave sich zu ihm gewagt hatte. Ein seltenes Lächeln flog über ihre Züge, bevor sie sich wieder fing. Die anderen Sklaven interessierten sie nicht wirklich, auch wenn es den einen oder anderen gab, der ihr interessierte Blicke zuwarf.
    Vielmehr war der so ungewöhnliche Römer in ihrem Interesse, und daher wagte sie sich schließlich auch ins Peristylum.
    Schweigend und vorsichtig trat sie näher und setzte sich dann neben Sporus. "Hab Dank, Yúnzi. Für alles. Wir werden gerne heute Nacht hier bleiben." Sie zögerte kurz und legte eine Hand auf Sporus' Unterarm. Sie hoffte, er würde ihr ihre Übergriffigkeit verzeihen, wo sie doch nur in seinem Interesse gehandelt haben wollte.
    "Unser Herr... Ist weitaus weniger verständig als du es bist." Nun war es heraus, und sie hoffte, dass Ahura Mazda ihr beistehen, und Yúnzi verstehen würde.

    Auch wenn sie es mittlerweile beinahe hätte erwarten können, war Amytis dennoch überrascht von der Großzügigkeit Yúnzis. Er gab ihnen frei und sogar Gelegenheit, beisammen zu sitzen und sich zu unterhalten. Das war deutlich mehr, als er auch nur aus Trauergründen hätte tun brauchen und noch dazu schien er seinen Sklaven sogar zu vertrauen. Vor allem letzteres war nun wirklich neu und erstaunlich. Tatsächlich verspürte Amytis Sympathie für den Mann, der seine Sklaven so gut behandelte, und dadurch wie von selbst für Loyalität sorgte. Sie konnte mittlerweile sehr gut nachvollziehen, dass Terpander vermutlich ein harmonischer Teil dieses Haushalts war und deshalb so betrauert wurde. Einmal mehr überkam sie dennoch Trauer, als sie an ihre eigene Situation, aber auch an Sporus, dachte. Bei ihrem eigenen Herrn war das Leben weitaus weniger erfreulich, und sie beide hatten diverse Dinge zu ertragen, welche den inunischen Sklaven sicherlich erspart blieb. Zumindest wirkte es nicht so, als sie die Versammlung schweigend vom Rand des Atriums beobachtete.
    Sie würden sogar hier übernachten können! Sporus und sie zumindest, und ohne eine Rücksprache mit ihrem Mitsklaven zu halten, sprach Amytis mit besagtem Araros, um sich um eine Unterkunft zu kümmern. Ihr Herr würde wohl zornig sein, aber das war er ohnehin immer, und es war ihr deutlich wichtiger, die Gastfreundschaft Yúnzis nicht abzulehnen. Sollte jener heute noch ihre Hilfe benötigen, wäre sie zumindest sofort zur Stelle, und das sogar gerne. Ohne übergriffig sein zu wollen, entschied sie für Sporus mit, denn dieser würde die Zeit zum Trauern sicherlich benötigen. Sie sah, wie er nach einiger Zeit zum Hausherrn ins Peristylum ging, beschloss aber, die beiden zunächst nicht zu stören.

    Nun, Amytis war einer der Menschen, welcher Terpander nicht gekannt hatte. Und dennoch hatte er einen Einfluss auf ihr Leben, denn sie war Zeugin davon, wie um ihn getrauert wurde, und das war durchaus beeindruckend. Sie war sich sicher, dass er so etwas verdient hatte, alleine schon, weil er den Leuten hier so viel bedeutete.
    Als es an der Zeit war, dass sie Gelegenheit für ein Gebet bekam, trat auch sie vor und sagte ein paar Worte. Das ganze recht schnörkellos, und ohne einen bestimmten Gott anzurufen.
    "Terpander hat sich aus freien Stücken für den rechten Weg entschieden. Er war ein ashawan, denn sonst würde man nicht um ihn trauern und er würde diesem Haus nicht derart viel bedeuten. Seine Taten werden gewichtet werden, und er wird über die Brücke geführt werden." Es war ihr egal, ob diese Worte an diesem Ort angemessen waren oder ob man verstand, was sie sagte oder es seltsam fand.
    Soweit sie verstanden hatte, glaubten auch die Römer an eine Art Übergang, und ob man diesen nun auf einem Boot oder über eine Brücke bewältigte, war sicher nur ein Detail. Auch etwas Holz entzündete sie, denn die Reinheit des Feuers war eine weitere Ähnlichkeit, die sie erkannte, auch wenn die Römer eher auf den Rauch Wert zu legen schienen. Sie verharrte einen Moment, schloss die Augen, und trat dann wieder ernsten Blickes zurück.
    Eigentlich wollte sie sich schweigend an ihren Platz stellen, doch als sie Sporus vor sich sah, trat sie zu ihm und drückte ihn. Das war alles, wa sie tun konnte.

    Auch Amytis half und auch wenn sie es weniger zeigte als Sporus, war auch sie beeindruckt. Einmal, als sich die Gelegenheit ergab und Yúnzi es nicht mitbekam, lächelte sie Sporus warm zu. Sie beide hatten großes Glück, hier zu sein, aber dass diese Nachricht ausgerechnet jetzt eingetroffen war, war Glück im Unglück, denn es gab Sporus Gelegenheit, angemessen zu trauern. Und auch wenn es nichts ändern konnte, war es ein wichtiger Teil der Heilung, diese Trauer auch herauslassen zu können.
    Letztlich stellte aber auch sie sich wieder schweigend und gerade neben den anderen Sklaven und wartete ab.

    Amytis überlegte kurz, und war mittlerweile schon nicht mehr gar so verwundert, dass man sie um ihren Rat fragte und wie einen Menschen behandelte. "Ein Kompromiss zwischen deiner Stellung und dem Respekt für die Götter erscheint mir sehr sinnvoll, Yúnzi." Sicherlich wäre jeder Sklave stolz, wenn er wüsste, dass man sich nach seinem Tod so viele Gedanken um ihn machte.

    Amytis war persönlich nicht betroffen, denn sie kannte keine der drei Personen, aber es war klar, dass dies ein großer Zufall war und für die mittlerweile beiden anderen Männer ein sehr wichtiger Moment war. Selbst der bisher so beherrscht und zumindest kontrolliert wirkende Yúnzi war erschüttert, und Sporus wirkte, als hätte man ihm den festen Boden unter den Füßen fortgezogen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie etwas besser machen sollte, also trat sie schweigend zu Sporus und legte einen Arm um ihn. Eine universelle Geste des Trostes, unabhängig von Religionen und Göttern, und auch, wenn es ihre Kompetenzen als Sklavin überschreiten mochte, war sie sich sicher, dass Yúnzi nichts dagegen hatte. Sie war ein Mensch und für einen anderen Menschen da, weshalb sie nicht nur weitaus wertvoller in ihren Diensten sein würde, sondern auch loyaler, und das verstand dieser Mann offensichtlich deutlich besser als ihr eigener Herr.
    Wie es schien, würden die drei Männer an der Činvat-Brücke keine Angst haben müssen, aber so genau konnte sie das natürlich nicht sagen, und es würde auch kein Trost für Sporus oder Yúnzi sein. Sie schaute letzterem, erneut etwas dreist, ins Gesicht, als er geendet hatte, und lächelte warm. Ein stiller Dank für diese tröstenden, weisen Worte. "Ich bin für dich da, wenn du möchtest.", sagte sie leise zu Sporus. "Wir werden einen Weg finden, damit du nicht bei Pinus bleiben musst.", flüsterte sie dann, noch ein wenig leiser. Sie wusste nicht wie, aber auch in der kurzen Zeit hatte sie gemerkt, dass ihr Herr ein besonderes Auge auf Sporus geworfen hatte, obwohl dieser ihm ja nicht einmal zu gehören schien.

    "Ich denke, du weißt mehr über ihn als mein Herr über mich." Amytis biss sich auf die Lippen. Das war unnötig gewesen, auch wenn es die Wahrheit war. "Es ist nicht verkehrt, die Götter darum zu bitten. Ihn für seine Arbeit und sein Dasein in diesem Haus zu loben sicher ebensowenig. Dafür könnte man Sporus oder die anderen Sklaven fragen?" Sie hob vorsichtig den Blick und war gespannt auf seine Reaktion, immerhin wäre das im Hause ihres Herrn absolut undenkbar, hier erschien es aber wie eine Möglichkeit. "Und natürlich ein Opfer, wenn man möchte." Damit erschöpfte sich auch schon ihr Wissen über griechische Totenkulte, aber letztlich war der Respekt, den man dem Andenken an Tote zollte, wohl überall ähnlich.

    Amytis folgte Yúnzi aus dem Atrium und nahm eine Stellung ein. Sie war gespannt, was er sagen würde, so ganz allein hatte sie ihn ja noch nicht erlebt. Auch wenn sie ihn bisher als gar nicht mal so unnahbar wahrgenommen hatte, sprach er nun doch nochmals freier. Sie ließ ihn ausreden, verneigte sich dann und sprach, als er ihr es erlaubte.
    "Ich bin mir sicher, du wirst nicht versagen, Yunzi." Sie machte eine kurze Pause und legte sich die Worte nochmals zurecht. "Solange Terpander geehrt wird und man die ehrliche Absicht hat, ist das gar nicht möglich, glaube ich. Jeder wird sehen, das es ernst gemeint ist. Woher stammte er denn, und an welche Götter richtete er seine Gebete?" Die, für sie, entscheidende Frage, denn in ihrer Welt kam ein Felssturz in den Bergen einer Himmelsbestattung schon recht nahe, wobei das hier vermutlich anders lag. "Es ehrt mich, dass du mich auswählst." Sie gestattete sich ein zaghaftes stolzes Lächeln, welches sie rasch wieder versteckte. "Ich helfe gerne. Mein Beileid.", fügte sie, deutlich ernster, an.

    Fasziniert betrachtete Amytis das Geschehen und war wirklich überrascht von Sporus' Reaktion. Der arme Kerl tat ihr aufrichtig leid, und auch ihre Augen wurden bei seinem sichtbaren Leiden feucht. Ein schwerer Schlag, das war deutlich zu sehen, und sie nahm sich vor, ihm zu helfen, wie auch immer sie das anstellen wollte.
    Sie nickte auf die Bitte Yúnzis hin und folgte jenem, ließ es sich aber nicht nehmen, Sporus im Gehen noch einmal die Hand auf die Schulter zu legen. Sie sagte nichts, denn Worte halfen hier wohl nicht mehr, aber sie war da, und das war wichtiger.

    Amytis war durchaus verwirrt von der Ansage des Herrn. Sie hatte mitbekommen, dass Sporus und er sich unterhalten hatten, aber offensichtlich steckte da mehr dahinter, als sie erwartet hatte. Yúnzi wirkte nicht wie jemand, der aus einer Laune heraus sein Programm änderte. Es blieb keine Gelegenheit, Sporus zu fragen, daher wartete sie die Erklärung ab.
    Diese war dann ohne Umschweife und direkt, aber was blieb auch sonst zu sagen? Es war offensichtlich, das dies ein schwerer Schlag für das Haus war, und Amytis war sich gleichzeitig sicher, dass ihr Herr ihr kaum eine Träne nachweinen würde. Was in Anbetracht dieser Reaktion hier nur noch trauriger war.
    Bei Yúnzis Bitte nickte Amytis direkt, schaute zu Sporus, dann erst verbeugte sie sich. "Jederzeit, Júnzi." Was ihr immer noch nicht bewusst war, war die Beziehung zwischen Sporus und Terpander.