Zitat
Original von 'Binah'
Eines Abends, als die kleinen Kinder schon schlafen, lässt Binah sie in Obhut der älteren zurück. Sie schlingt ihre Palla aus grobem Leinen um sich. Tritt hinaus auf die Gasse und eilt im Schatten der grauen Mauern in Richtung der Via Ardeatina. Binah ist als junges Mädchen frischvermählt mit ihrem Mann in dieses Viertel gezogen. Nun ist sie eine alte Witwe. Sie kennt jeden Winkel auf dem Aventin.
Binah hat zwar niemanden zu Gesicht bekommen. Doch sie fürchtet, dass die Prätorianer noch immer wie Geier über ihrem Haus kreisen. Darum wählt sie Schleichwege. Sie betritt eine Insula, gelangt durch deren Hinterhof in die benachbarte, durch diese auf eine Seitenstraße. Ausser Atem eilt sie eine Stiege den Hügel hinauf. Dann verweilt sie in der Werkstatt eines Schneiders, und beobachtet durch ein Fenster die Straße, bis sie sich sicher ist, dass ihr niemand auf den Fersen ist.
Erst dann lenkt sie ihre Schritte zur Casa Didia. Es ist an der Zeit, ein ernstes Wort mit den jungen Leuten zu sprechen!
"Warum bei Orcus, verhaften wir die alte Wachtel nicht endlich und prügeln ihr die Scheiße aus dem Leib?"
Miles Nonius war angeödet von seinem Auftrag. Dazu war er nicht unter die Besten der Besten erwählt worden, hatte trainiert bis zum Umfallen, sich zuletzt sogar für die sagenumwobenen Speculatores qualifiziert, um hier alte Weiber und ihre Gören auszuspionieren. Gelangweilt fläzte er sich auf der maroden Kline, die das Haupteinrichtungsstück des noch maroderen Insulazimmers bildete, in dem er seit einigen Tagen, als Tagelöhner getarnt, mit seinem Co-Miles Carvilius hauste.
Dieser war auf seinem Posten am Fenster, der besten Blick auf das Waisenhaus bot
"Warte..." Carvilius spähte durch den löchrigen Vorhang. "Sie geht raus."
"Wahrscheinlich wieder Gemüse kaufen."
"Um diese Zeit? Wohl kaum. Los geht’s."
Die beiden verließen das Haus, sahen die Hebräerin noch am Ende der Gasse. Sie hefteten sich an ihre Fersen, um sie zu beschatten, zuerst Nonius, in gebührendem Abstand Carvilius.
Doch kurz darauf war die Alte in einer Insula abgetaucht. Bis die beiden den verwinkelten Übergang zur nächsten gefunden hatten, war bereits einige Zeit vergangen. Carvilius blieb zurück, um die Gebäude zu observieren, falls Binah eine der Wohnungen betreten hatte, Nonius schlug sich durch das labyrinthische Gassengewirr des Aventin, das sich dahinter entfaltete, doch musste er sich bald eingestehen, dass er die Spur der raffinierten alten Wachtel verloren hatte. Zuletzt postierte er sich an der Kreuzung von Via Ardeatina und Via Appia, wo er Ausschau hielt, ob sie vielleicht an diesem Hauptverkehrsweg vorbeikäme. Es hieß ja, dass die Christianer (wie auch sonst allerlei lichtscheues Gesindel) eine besondere Affinität zu den Katakomben an der Via Appia hatten.