_________________________________________
An
Legatus Legionis Marcus Decimus Livianus
Castellum der Legio I Traiana Pia Fidelis
Mantua
Italia
Von
Decima Cara
Casa Anteia
Tarraco
Hispania
Hochgeschätzter Freund und Anverwandter, lieber Livianus,
Was ich lange Zeit als belangloses Leiden abzutun suchte, hat mich letztlich eingeholt. Rasch schreitet das Übel fort. Schon seit Wochen fesselt die Herzwassersucht mich an meine Lagerstatt. Ich kämpfte lange, doch die Krankheit, wie das wohl ihre Natur ist, wird bald den Sieg davon tragen; nicht einmal mein Arzt versucht noch, mir dieses zu verhehlen. Mir bleibt nur, mich in das Unvermeidliche zu schicken, und mich zu trösten mit der Erkenntnis, dass nach den Tode nichts anderes meiner harren wird, als was wir vor der Stunde unserer Geburt bereits erfahren haben, ohne uns dessen gewahr zu sein. Zudem wird der Tod mir eine willkommene Erlösung sein von den Plagen dieser meiner beschwerlichen Krankheit, deren Einzelheiten ich Dir erspare, da sie Dir gewiss ebenso zuwider sein würden wie sie es mir sind.
Schwerlich würdest Du in mir noch die junge Frau wieder erkennen, die einst am Ufer des Ebro Thymian auf den Klippen pflückte, um das Wildbret zu würzen, das zwei Brüder über dem Feuer brieten. Ein Äon scheint seitdem vergangen zu sein, und doch steht mir dieser Tag heute aufs Neue ganz klar vor Augen. Ich fühle wieder das kühle Nass der Wellen um meine Füße strömen, höre die Bienen summen, rieche den Rauch des Feuers… und noch an so viel mehr erinnere ich mich. Weißt Du noch, der Eisvogel, dem wir eine Zeitlang zusahen?
Bitte verzeih mir, dass ich heute von diesen, schon so lange vergangenen, Dinge spreche. Doch je mehr mir mein Körper den Dienst versagt, sich das Leiden zu meinem tyrannischen Herrn aufschwingt, umso mehr lebe ich in der Erinnerung.
Auch mein tapferer Gemahl, obzwar so lange vor mir verstorben, scheint mir wieder sehr nahe. Einige Male schon schlug ich des Nachts die Augen auf, und war mir ganz sicher, ihn still neben meinem Krankenbett wachen zu sehen. Er will mir nur Gutes, dessen bin ich mir sicher. Seine Anwesenheit lindert meine Furcht vor dem Hinübergehen, und besänftigt den Groll, den ich stets gegen die Götter gehegt habe, seitdem sie ihn mit entrissen, ihn, taub für das Flehen einer Gattin, in jenen Hinterhalt führten und den Pfeil von Barbarenhand sein Ziel finden ließen.
Töricht ist es, die zu beweinen, die ihr Leben für Rom geben. Aber ich bin eine Frau, und mein Herz ist töricht und schwach, das war es schon immer, wie Du weißt.
Für das, was Du danach für mich und meinen Jungen getan hast, in all den Jahren, kann ich Dir nicht genug danken. Worte vermögen meiner tiefen Verbundenheit keinen Ausdruck zu verleihen. Hättest Du dich nicht unserer angenommen, ich weiß nicht, was damals geworden wäre. Darum nimm, wenn auch in diesen dürren Worten, meinen unendlichen Dank entgegen. Ich bete tagtäglich, dass die Götter es Dir lohnen werden, was Du uns Gutes getan hast!
Meine Angelegenheiten sind geordnet, die Inschrift für das Grab bestellt. Ich habe nur noch zu warten. Doch eine Sorge bleibt mir, und lastet zentnerschwer auf meiner Seele. Du kannst Dir sicher denken, dass ich von Faustus spreche. Über seine Undankbarkeit und seinen grenzenloses Eigensinn habe ich mich in vorherigen Briefen zu Genüge ausgelassen. Und noch immer versetzt der Gedanke an seinen Aufbruch damals mich in Empörung. Doch nun, wo ich das Ende nahen spüre, sehe ich auch meinen Sohn klarer. In dem, was mir damals brutaler Ungehorsam, und unverzeihliche Respektlosigkeit dünkte, erkenne ich heute nur mehr jugendliche Phantasterei, Ungestüm und Verblendung.
Vielleicht war ich zu hart zu ihm. Doch sah ich in ihm schon von klein auf deutlich die guten Anlagen seines Vaters, und mühte mich stets diese mit Bestimmtheit und Disziplin zu fördern, um sie nicht in einem Dickicht von Trägheit, Müßiggang und nichtsnutzigen Träumereien ersticken zu lassen. Ich war gewiss hart zu meinem Sohn, doch aus keinem anderen Grund als dass ich ihn liebe. Und nur weil mein Schmerz und meine Enttäuschung so unermesslich waren, als er sich von der Familie abwandte, sprach ich zu ihm so schonungslose Worte, nannte seine Entscheidung endgültig und unwiederbringlich, kündigte ihm an, ihn zu verstoßen. Wie unsäglich reuen sie mich nun, jene im Zorn gesprochenen Worte!
Lange hatte ich keine Nachricht von seinem Verbleib. Doch vor einigen Monaten sandte ich einen treuen Freigelassenen nach Rom, um meinen Sohn zu suchen und nach Hause zu holen. Vor kurzem kam der Mann zurück, doch ohne meinen Jungen. Er berichtete mir wie er ihn, nach langer Suche, schließlich gefunden hatte, in ärmlichsten Verhältnissen lebend, und in sehr schlechter Gesellschaft. Der Bote wollte mich schonen, doch ich bestand darauf, die ganze Wahrheit zu hören. So eröffnete er mir, dass er Faustus in einem verrufenen Lokal, "Zum Wilden Mann", gesehen hatte, wo er, zur Belustigung der Gäste… - es beschämt mich, Dir dieses zu offenbaren, doch ich will Dir nichts verhehlen - wo er also Gossenlieder auf der Flöte spielte. Er habe auch abgemagert und nicht gesund ausgesehen, schien getrunken zu haben, und war für die Worte meines Boten ganz unzugänglich. Dies zu hören, hat mir mein krankes Herz vollends gebrochen.
Doch ich vermag ihm nicht mehr zu helfen, und darum bitte ich Dich inständig, Livianus, tu Du es! Mein Faustus ist ein guter und aufrichtiger Junge, klug und mit einem großen Herz - doch er ist auf schlimme Irrwege geraten. Wenn jemand noch etwas ausrichten kann, dann bist Du es. Du weißt, er hat Dich immer sehr verehrt.
Ich flehe Dich an, sprich zu ihm wie ein Vater, damit er sich besinnt, seiner Pflichten wieder gewahr wird, und auf den Pfad der Tugend und des Dienstes an Rom zurückkehrt.
Und - gewähre mir diese letzte Bitte - sei ihm ein Vater! Denn wenn ich nicht mehr bin, so wird er ohne Familie alleine sein und verloren, und dies ist meine größte Furcht.
Mögen die Götter Dich segnen und für Deine Güte belohnen. Ich vermag es nicht. Leb wohl, Livianus, und vielleicht denkst Du einmal an mich zurück, wenn im Frühjahr der Thymian blüht, oder wenn Du einen Eisvogel siehst.
_________________________________________
Postscriptum:
In der dunkelsten Stunde der Nacht, die auf den Tag folgte, an dem sie diesen Brief an Dich, hoher Dominus Decimus Livianus, diktiert hatte, glitt die Domina Decima Cara nach langer Agonie in einen Dämmerschlaf und verschied bald darauf, von ihrem Haushalt aufs bitterste beweint.
Dies schrieb Anteianus Chabrias zu Tarraco, ANTE DIEM XV KAL APR DCCCLVII A.U.C.