Tribun Manius Flavius Gracchus Minor
Castria Legio II
Mogontiacum
Germania Superior
Claudia Silana M' Flavii Gracchi Minoris s.p.d.
Hatten wir denn einen Disput? Ich erinnere mich nicht an eine Streitigkeit, sondern an einen konkludierenden Meinungsaustausch, Flavius. Dennoch freue ich mich sehr über diesen Brief, der meinen Alltag erheblich bereichert hat. Rom, trotz seiner vielen Facetten und Menschen, kann meine Welt nicht vollens besänftigen und beruhigen.
Ich bleibe neugierig und hungrig nach Erfahrungen. Ich suche sehnsüchtig nach einer Weisheit, die uns alle verbindet und finde trotzdessen nur Trennung sowie Grenzen. Du hälst mich für eine Anhängerin des Epikur? Du liegst falsch. Ich vertiefe vielerlei Ansichten und versuche über jene Grenzen brechen. Ich bin bereit Brücken zu schlagen und über die übliche Begrenzung einer Denkstruktur hinauszugehen. Du scheinst mir auch ein Suchender zu sein? Warum solltest du einer närrischen Frau sonst mit Absicht schreiben? Ich frage mich, was dich wirklich bewegt. Ist es wirklich Fürsorge vor falschen Lehren, die sich selbst eitel sind? Epikur ist keine falsche Lehre. Wie auch andere Lehren nicht falsch sind. Jeder Lehre wohnt eine Tugend inne.
Durch Ausschluss verlieren wir Weitsicht und Horizont. Ich gestand dir, dass ich Epikur vertieft habe und weite Teile seiner aufgeklärten Sicht teile. Frage dich selbst, was ist diese Welt? Was verläuft zwischen uns und den Dingen, die wir nicht sehen? Hast du dir nie die Frage gestellt, dass Existenz auch nur ein Traum sein könnte? Ein geisterhaftes Wesen in den träumenden Augen eines Leviathan? Ich will nicht abschweifen oder gar verrückte Dingen anbringen aber dieser Kosmos ist zu groß, um sich auf eine Lehre zu beschränken, die allein Pflicht und Gehorsamkeit kennt. Grenzen werden stets durchbrochen. Wichtig ist, dass wir es mit Herz und Verstand tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Herzen in Liebe schlagen und einst durch die Liebe einer Mutter auf diese Welt gebracht wurden. Hast du ebenso, wie ich, etwas verloren, was dich festen Halt suchen lässt? Ich habe meinen Halt früh verloren und dennoch erkenne ich, dass Halt nicht notwendig ist. Wir alle stürzen durch die Zeit, bis unsere Zeit verloren ist. Du selbst dienst gerade in einer traurigen Region fern der Wärme unserer Stadt. Was lehrt dich dein Dienst fern von hier? Was zeigt dir diese Region? Sind die Menschen dort anders oder auch von selben seelischen Leiden geplagt, wie wir? Du suchst dort Tugend und Tapferkeit und doch wirst du unter den Waffen keinen Frieden finden. Frieden findest du nur in dir selbst, Flavius.
Du versucht mir klarzumachen, dass du Dienst tust. Du versuchst mir zu zeigen, dass du ein guter Römer bist aber zeigst mir nur, dass du daran zweifelst. Du bekräftigst selbst, was du sein möchtest aber noch nicht bist. Wahrhaftigkeit findest du nicht in Worten oder Handlungen, sondern in deinem Gewissen. Stelle dich dir selbst in deinem Traum. Stell dich dir und erkenne, wie einst ich, dass wir uns selbst begrenzen und einschränken, um guten Idealen zu folgen, die oft nur Worte sind. Ideale ohne Seele sind leer. Römische Tapferkeit erwächst nicht aus verblichenen Handlungen, sondern aus Herzenskraft. Unsere Ahnen erbauten diese Stadt und unser Imperium durch Willen und Wahrhaftigkeit. Sind wir noch wahrhaftig oder verstecken wir uns hinter Worten? Reflektiere deine Position und dich selbst darin. Mache dich nicht zu willfährigen Handlanger einer Idee, sondern werde zum Schöpfer einer eigenen Idee. Erlaube dir einen Traum und Fantasie, die du haben kannst!
Ich vergesse dein Angesicht nicht und deine illustren geistreichen Worte, die nach mehr hungerten. Du hungerst nach Aufklärung, wie meine Person. Dennoch begrenzt du dich, Flavius. Wo ist dein Traum?
Achte auf dich auf! Insbesondere bei dieser Mission! Ich mag dich nicht verlieren, da ich gedenke, diese Standpunkte mit dir zu erörtern und dir wirklich einen Traum zu zeigen. Du kannst träumen. Mögen die Götter auf dich achten und dich zu mir zurückführen!
Claudia Silana