Ein weiterer Sklave platzt in die traute Zweisamkeit. "Herrin, ein Brief ist für dich abgegeben worden."
"Oh, ein Brief? Gib her." Lucilla lässt sich nur zu gerne ablenken und nimmt die Nachricht entgegen und öffnet sie. "Liebe Tante Lucilla ..." Sie verzieht das Gesicht. "Von wem ist das denn?" Ohne den Inhalt zu lesen sucht sie den Absender und findet ihn am Ende des Schriftstückes. "Oh, von Serapio! Wieso schreibt er mir denn ein Brief?"
"Serapio wer? Tante Lucilla? Doch nicht etwa von Meridius? Wie viele Söhne hat er noch gezeugt, die auf einmal Briefe schreibend in der Welt stehen und dich Tante nennen?"
"Nein, nein, Serapio ist ein Sohn meines Cousins Silanus. Der ist schon... na ja, lange tot. Ich habe Serapio eine Ewigkeit nicht gesehen, aber neulich tauchte er hier in Rom auf. Ich habe mich so gefreut, er war schon immer mein Lieblingsneffe. Naja, so viele hatte ich ja nicht, aber trotzdem. Er ist zumindest der Neffe, den ich am längsten kenne. Er war so süß als er noch klein war. Diese kleinen Pausbäckchen ... mal sehen was er schreibt."
Lucilla beginnt den Brief zu lesen, schaut aber gleich wieder auf. "Ah er hat sich die Haare schneiden lassen. Das ist gut. Diese griechische Mode sich die Haare lang wachsen zu lassen, das ist doch furchtbar. Da bin ich einmal gespannt, wenn ich ihn wieder sehe." Sie liest weiter. "Denk nur, ich bin zur Legio gegangen ... was? Aber ... und sie haben mich auch genommen ... nun bin ich Probatus ... Meinung geändert ..." Nicht nur Lucillas Blick hängt an den Worten auf dem Brief, auch ihre ganze Aufmerksamkeit und alle ihre Sinne. Sie verschlingt jeden einzelnen Satz. Je mehr sie liest, desto größer wird ihre Enttäuschung. "... Onkel Livianus hat schließlich gesagt, ich solle mein Leben in den Griff bekommen ... was hat er sich nur dabei gedacht? Oh, er weiß es nicht einmal ..." Bei Serapios Ausführungen über das Leben in der Armee muss Lucilla leise kichern, dann schüttelte langsam den Kopf. Kurz überlegte noch, wer eigentlich Serapios Cousine Caia sein soll, aber eigentlich ist das unwichtig. Ihr kleiner Wonneproppen Faustus ist bei der Legion. Er wird sterben. Sie weiß es ganz genau. Er hat doch noch nie gekämpft. Oder doch? Aber ganz egal, die unerfahrenen Legionäre stehen immer in der ersten Reihe, immer. Da hat er keinen Chance. Mit bangem Gesichtsausdruck blickt Lucilla zu ihrer Freundin auf. "Oh Jocasta, er ist in den Tod gegangen! Zur Legion! Warum? Warum machen Sie das immer nur? Er macht das doch nur, um seinen Verwandten zu imponieren, also nicht mir, aber Livianus, Meridius, Magnus, dem ganzen Soldatenpack! Ausgerechnet Serapio, der kleine, feinfühlige, sensible Serapio! Wenn Sie ihn nur gut behandeln ... kann man den Legionären auf der Reise Post schicken? Oder vielleicht ein Paket? Im Stricken war ich doch schon immer gut, wie warm ist es in Parthia? Wird er warme Kleidung brauchen? Oder vielleicht sollte ich ihm ein Amulett kaufen? Bellona und Mars vielleicht? Bona Dea, ich muss es Livianus schreiben. Er wird sicher vernünftig sein und ihn nach Hause schicken. Er ist doch noch ein halbes Kind, das kann Livianus gar nicht gut heißen! Ein Legat kann doch so einen Grünschnabel auf dem Feldzug gar nicht gebrauchen, oder meinst du?"
Jocasta zuckt mit den Schultern. Ihre Verwandtschaft zieht nie in den Krieg, auch die angeheiratete nicht. Sie weiß nicht wie das ist, sie weiß nicht was Legionäre brauchen und erst recht nicht, was Legaten brauchen. "Ich weiß noch nicht einmal, wo Parthia überhaupt liegt. Er wird schon wiederkommen, Lucilla, das tun sie doch immer. Dein Bruder, deine Cousins, Decima werden alle zu Legaten, da gibt's nichts dran zu rütteln."
Nicht alle, wie Lucilla genau weiß. Zu genau. Doch sie will nicht darüber nachdenken. "Ja," lächelt sie, "das ist wohl wahr. Legatus Legionis Decimus Serapio, so wird es sicher irgendwann sein." Sie nimmt das Webschiffchen wieder auf und führt es durch die gespannten Fäden im Webstuhl. Irgendetwas Brauchbares würde aus diesem Stoff sicher noch werden. Und wenn es ein Putzlappen für die Sklaven sein würde. Doch Faustus geht ihr nicht aus dem Kopf.