Sie warf ihm bei seiner Bemerkung einen wachen Seitenblick zu. Er war ziemlich aufgeweckt. Auf seine Worte hin konnte sie nicht wirklich wiedersprechen , denn damit würde sie sich selbst in Frage stellen, da sie schon lange Gelegenheit gehabt hätte, ihn abzuweisen. Gleichzeitig aber fühlte sie sich auch leicht in die Enge getrieben und empfand es beinahe so, als habe man ihr kurzerhand eine Meinung aufgedrückt, die sie so nicht hatte. Dennoch köchelte sie wacker und ließ seine Worte einf ach unkommentiert. Sie wusste nicht recht, was sie darauf denn antworten konnt.e und bevor sie anfing, belangloses Zeug zu erzählen, war Schweigen besser.
Dieser Anstieg, dem sie folgten, war die Steigung des Mons Esquilinus, an welchem Hang die Villa Tiberia lag. Sie befand sich nicht sehr weit vom Portus Liviae entfernt. Sie fragte sich einen Moment, was sie ihrer Familie sagen sollte, wen sie da warum mitbrachte. Aber sie würde das schon richtig drehen können, immerhin machte sich Decimus auch dadurch nützlich, dass er ihr Gepäck trug. Vermutlich käme dann der Vorwurf, wie naiv sie eigentlich wäre, aber auch darauf würde sie eine passende Antwort finden. Um Antworten war sie noch nie in ihrem Leben verlegen gewesen.
„Ah, immerhin hörst du auf deinen Vater gehört, das ist doch ein gutes Zeichen.“ Meinte sie mit leichtem Schmunzeln, nicht ohne allerdings danach zu einem kurzen Seitenhieb anzusetzem. Wie beiläufig fügte sie hintenan: „Wahrscheinlich hat er dich auch gelehrt, dass man keine Gelegenheit verpassen sollte, Frauen zu schmeicheln, oder wie darf ich dein Benehmen deuten?“ Sie sah aus den Augenwinkeln zu ihm, wobei die Lider leicht gesenkt waren. Mnervina hatte recht volle Wimpern, das fiel aus dieser Sicht ziemlich deutlich auf. Aber ihrer Art war anzusehen, dass der in ihren Worten enthaltene Vorwurf nur von geringer Größe war. Vornehmlich wollte sie ihn offenkundig damit necken, dass er ihr fortlaufend Komplimente machte, die sie zwar gerne, aber auch häufig hörte.
„Oh, es ist nicht mehr allzuweit. Wir wohnen noch ein Stückchen weiter den Esquilin hinauf. Sag nicht, dass dich der Weg anstrengt?“ Sie grinste leicht. Sie jedenfalls strengte es nur minimal an. Sie war derartige Bewegung einfach nicht mehr gewohnt, aber immerhin trug sie nicht viel Gewicht mit sich herum. Genug Leute die hier hinauf gehen, hatten ein wenig mehr auf den Rippen. Und sie schnauften wie Maschínen, das hatte sie von ihrer Sänfte aus oft beobachten können. Sie selbst empfand sich beinahe als richtig anmutig dahinschreitend. Aber doch, anstrengend war der Aufstieg dennoch. Sie musste mit ihren Schritten ein wenig mehr als normal ausholen.
Minervina hatte sich also voll und ganz auf den Aufstieg zu konzentrieren. Sie bließ sich eine dünne Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihr zwischen den Augen baumelte. Sie schmunzelte, als sie sah, dass er ihren Wink verstanden hatte, aber das Schmunzeln wich eine Sekunde später wieder, als sie begann zu straucheln. Er war etwas zu ruckartig ausgewichen, sodass sie keine Gelegenheit mehr hatte, ihre Balance vernünftig zu wahren. Mit ihrer Hand suchte sie halt, aber der ‚Rüpel‘ war dieses Mal schneller und gab ihr von sich aus raschen Halt. Als sie sich plötzlich in seinen Armen wiederfand, erhob sie ihre Augenbrauen. Grinsen tat sie dieses Mal nicht. Stattdessen lag ein leichter Vorwurf in ihrem Blick.
Mit seiner Bemerkung allerdings nahm er ihr den Wind aus den Segeln und sie gab nur ein „Rüpel“ von sich, das jeder Schärfe beraubt war, die diesem Wort eigentlich anhängen sollte. Sie versuchte sich dann aus seiner Umarmung zu befreien, eher dezent, aber ehe jemand sie so sah und die Gerüchteküche wieder zu brodeln begann, versuchte sie dennoch sich freundlich aus der ungewollten Nähe zu lösen. Als sie dann endlich wieder auf die eigenen Beine kam, wankte sie noch einmal kurz und schüttelte amüsiert den Kopf. „Wenn man alles zusammenzählt könnte man fast glauben, dass deine Eskapaden Absicht sind und absolut im Detail berechnet.“ Sie lächelte und wandte den Blick wieder ab um weiterzugehen, ohne ihm seinen erhofften tiefen Blick zu schenken. So leicht war sie dann auch wieder nicht zu haben.