Minervina hob stillschweigend eine Augenbraue an, als sie glaubte, eine Veränderung in Lanas Gesicht zu bemerken. Allerdings keine, die sie sich wünschte. Wünschenswert wäre gewesen, wenn Lana den Tadel der Prüfung realisiert hätte, aber das war natürlich nicht der Fall. Sie schnaubte leise. Sie würde schon noch sehen, dass sie die Blicke der Herrin von den Lippen abzulesen hatte. Es war wirklich an der Zeit, dass Lana wieder härtere Regeln erfuhr. Unerhört, dass sie nicht einmal die Blicke wirklich bemerkte. Sie wandte sich abrupt ab und setzte den Weg gen Misenum fort, wobei der erste Schritt sehr laut und ungalant war. In ihrem Bauch gärte leise Wut. In ihrem Herzen Frust. Sie war schon 18 Jahre alt und noch immer keinem Manne versprochen. Wieder schweiften ihre Gedanken in diese Richtung. Und bis heute hatte sie auch keinen getroffen, der ihrer würdig gewesen wäre. Sollte sie schon einen erwählen, sollte er auch gewisses Ansehen genießen. Sie erwartete nicht, dass sie in großen Gefühlen aufgehen würde, wenn sie einmal heiratete. Dafür war ihr Stand zu gut, als Tochter eines Senators und Patriziers. Diese kindlichen Träume waren ihr schon relativ früh ausgetrieben worden. Aber zumindest stolz wollte sie auf ihren künftigen Gemahl sein.
Da traf sie für einen kurzen Moment ein großer Zweifel. Hätte sie sich doch, wie sie es als Kind zu Lebzeiten ihres Vaters schon wollte, bei den Vestalinnen melden sollen? Vielleicht wäre ja irgendwann unter ihnen ein Platz frei geworden und sie hätte dieses ehrenvolle Amt übernehmen können. Aber noch im gleichen Atemzug fiel ihr ein, dass sie zwar keusch war, aber sie ihre Spiele mit den weiblichen Reizen nicht so prüde verbergen wollte. Und als jungfräuliche Hüterin der ewigen Flamme wäre es ein großer Frevel, dies nicht zu tun, nicht zurückhaltend zu lächeln. Sie schüttelte sich kurz. Sie wollte, dass Männer sie mochten, nicht wie sie eine Vestalin mochten, sondern.. eine Frau. Sie nickte, ohne dass sie dies wirklich bemerkte. Aber welche Männer kamen schon in Frage? Marcus war ein Peregrinus und vermutlich ohnehin schon in der Versenkung verschwunden. Er zählte für sie kaum mehr als lebendig. Und dieser eine Helvetier? Nein, was könnte ihr ein einfacher Soldat schon bieten und bis er diese Phase hinter sich hatte, hatte Vitamalacus schon einen für sie gefunden. Zwar wohl eine gute Partie diese Familie, aber... Nein. Die anderen patrizischen Familien... Was wäre mit ihnen? Aber würden sie Minervina als die 'Kreuzung' zwischen Plebejer und Patrizier akzeptieren? Trotz allem edlen Blutes dass sie in sich trug? Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen.
"Lana, es wird Zeit." murmelte sie und warf nun wieder friedlicher einen Blick zu ihrer Leibsklavin, während sie ihre Hände weiterhin im schweren Stoff vergraben hatte. Das zarte Gesicht lugte nur bedingt unter der Palla hervor.