Beiträge von Narrator Aegypti

    Es war am ANTE DIEM X KAL IUN DCCCLVIII A.U.C. (23.5.2008/105 n.Chr.), früh morgens, noch vor der ersten Stunde. Erst wenige Händler hatten ihre Stände aufgebaut und noch weniger Menschen waren unterwegs um einzukaufen. Die aufgehende Sonne färbe den Himmel erst leicht rötlich - die Dunkelheit der Nach überwog noch.


    Drei Männer, die versuchten unbemerkt zu bleiben und mit viel Gepäck beladen, näherten sich einem Händler, der seinen Stand in einer der Ecken des Platzes aufgebaut hatte. Sein Name war Alys und er stand bei seiner Kundschaft in dem Ruf alles aufzukaufen und zu teureren Preisen wieder zu verkaufen, was er an Waffen nur in die Hände bekam. Da er aber nicht öffentlich mit Waffen handelte tarnte er sein kleines Geschäftchen mit der Vorgabe ein Schriftenverkäufer zu sein, von denen es in Alexandria wahrlich genug gab.


    Die drei vermummten Gestalten näherten sich seinem Marktstand. Einer von ihnen ging auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Alys machte ein erstauntes Gesicht nickte dann aber und ließ sich die Ware zeigen. Am Ende des Geschäfts legten die Männer einen Großteil ihres Gepäcks vor dem Marktstand ab und bekamen ein Stoffsäckchen dafür, indem Geld klimperte.


    Dann entfernten sich die drei Gestalten schnell wieder und verschwanden im Dunkel der Nacht und der Gebäude.


    Der Händler verstaute die erworbenen Waren unter seinem Tisch und freute sich über ein gutes Geschäft.

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    Ein Lächeln huschte über das bärtige Gesicht des Fremden.


    “Mein Name ist Adherrrbal. Wirrr sind Nomaden und lagerrrn mit unserrrerrr Herrrde nicht weit von hierrr.“


    Sein Lächeln verschwand.


    “Uns sind wirrrklich ein zwei unserrrerrr Tierrre... wie sagst du? ...abhanden gekommen. Wirrr haben sie gesucht aberrr das hierrr gefunden.“


    Er zeigte auf die Kadaver. Dann sah er wieder zu Cursor.


    “Jetzt habe ich dirrr deine Frrragen wohl beantworrrtet, du mirrr meine aberrr noch nicht und auch wärrre es höflich, wenn du mirrr deinen Namen sagen würrrdest.“

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    Langsam drehte sich der Mann um und verneigte sich leicht.
    Ohne erkennbare Furcht sah er die Römer aus dunklen Augen an. Sein Gesicht war markant, wurde von einem buschigen, rabenschwarzen Bart beherrscht und sein Alter war nur schwer zu schätzen.


    “Ich grrrüßte Euch.“
    Er sprach Latein, allerdings mit einem starken Akzent.
    “Wirrr sind nur einfache Hirrrten und durrrchstrrreifen dieses Land. Diese toten Tierrre haben wirrr hierrr gefunden und warrren neugierrrig. Sie gehörrren euch?“


    Für einen angeblich einfachen Hirten trug er allerdings sehr ordentliche und saubere Gewänder und auch das Zaumzeug und die großen, reich geschmückten Sättel der Kamele waren kaum ein Ausdruck von bitterer Armut. Nichts an ihm erinnerte an die unfreien Hirten, die beispielsweise in Italia Schafherden über oft weite Strecken trieben und die dafür berüchtigt waren, gelegentlich auch schutzlose Reisende auszuplündern.
    Aber dieses Land und seine Bewohner, war es nicht auch so ganz anders als Italia?

    Als sie dort eintrafen, wo sie am Vortag die Toten entdeckt hatten, konnten sie schon von weitem erkennen, dass sie sich nicht als einzige dafür interessierten.
    Drei, in weite Gewänder gehüllte Gestalten waren zu erkennen. Zwei machten sich an den Kadavern der Kamele zu schaffen, die noch immer im Wüstensand lagen. Drei, allerdings lebende Kamele, standen am Rande des Geschehens und bei ihnen war der dritte Mann.


    Natürlich sahen sie die Römer in dieser baumlosen und offenen Landschaft kommen. Das schien sie aber kaum zu beunruhigen und sie machten keine Anstalten, reiß aus zu nehmen.

    Die Inspektionsreise des Iuridiculus – Auf dem Fluss >>>


    Vier große Flussschiffe legten im Nilushafen der Stadt Naukratis an. Neben den viele Köpfe zählenden Besatzungen beförderten sie auch eine Doppelcenturie römischer Legionäre, also 160 schwer gerüstete Soldaten, die unter dem Befehl des Primus Pilus Quintus Octavius Augustinus Minor standen, sowie, und vor allem, den Iuridiculus Lucius Aelius Claudianus Marcellus. Er war auf einer Inspektionsreise im Auftrag des Praefectus Aegypti unterwegs und er wurde von Tiberia Sabina begleitet, einer römischen Patrizierin.


    Als die Schiffe angelegt hatten, fest vertäut und breite Planken von den Decks zum Ufer geschoben worden waren, hatte sich schon längst eine neugierige Menge versammelt.

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    Als Cleonymus von Sesterzen sprach begannen Iuchas Augen gierig zu funkeln.
    Noch immer streckte er ihm die geöffneten Hände entgegen.


    “Iucha ist ein Dummkopf, Herr, du musst es verzeihen, ja, bitte, verzeihen. Iucha versteht nicht viel von dem was er hört, aber dem Herrn wird es vielleicht nützlich sein, ja, das wird es vielleicht.
    Iucha hat von den Überfällen in der Wüste gehört. Böse Männer, ja, sehr böse Männer, tückisch! Nachts kommen sie, immer nur nachts und überfallen die ahnungslosen Reisenden, ja, davon habe ich gehört, ja.“


    Er reckte die Hände noch weiter vor, scheinbar überzeugt davon, sich mit seinen Worten bereits etwas verdient zu haben.

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    Iucha machte ein unschuldiges Gesicht. Zumindest sollte es so wirken, doch das Ergebnis war eher grotesk, als überzeugend.


    “Oh!“, rief er und warf sich wieder in den Staub. “Oh! Iucha ehrt die Toten, ja, dass tut er, ja, bestimmt tut er das!“


    Er blickte auf und fand in Cleonymus' Blick wohl wenig Anlass zu der Hoffnung, bei diesem mit seinen Beteuerungen Glauben zu finden.
    Dennoch wand er sich noch immer.
    “Iucha weiß nichts, Herr. Die Tür... ach, dass macht doch nichts, nein, gar nichts macht das.“
    Wieder verzerrte ein grausig anzusehendes Lächeln seine Lippen.


    “Aber vielleicht... manchmal hört Iucha Dinge die er nicht versteht, aber die andere verstehen können, die viel klüger sind als Iucha. So wie der Herr, ja, ja, der Herr ist viel klüger als Iucha.“


    Er öffnete seine Pranken, als ob er Cleonymus anflehen wollte, sagte dann aber:
    “Iucha ist so arm, ja, schau dich um, Herr. Bitter arm ist er.“


    Zweifellos hoffte er auf Geld.

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    “Iuscha? Oh, verzeih' Herr. Eine Verwechslung! Ja, ja, eine Verwechslung. Du suchst nicht Iucha, du suchst Iuscha, ja, ganz bestimmt, den suchst du. Du meinst nicht Iucha, du suchst einen anderen, ja, bestimmt, einen anderen suchst du. Der ist nicht hier. Nicht Iucha, nein. Iucha weiß nichts, gar nichts weiß Iucha. Wüste, Räuber, nein, nein, Iucha weiß davon nichts, Iucha geht niemals weit fort von der Stadt, nein, niemals. Keine Räuber, nein, Iucha kennt keine Räuber, nein.“


    Er schenkte Cleonymus sein schönstes Lächeln – es war ein entsetzlicher Anblick!

    Gleich darauf trat Sechem an das Heck des Schiffes. Mit den Händen formte er um den Mund einen Trichter und rief etwas in Richtung des Schiffes, das ihnen als nächstes folgte – es war die ’Amset’.
    Dort wurde anschließend ebenfalls das Segel gerefft und kurz darauf auch auf der 'Duamutef ' und schließlich erreichte der Befehl die 'Kebechsenuef', die noch immer das Ende der kleinen Flotte bildete.


    Das ganze Schauspiel wurde am Ufer von einigen leichtgeschürzten Nilfischern mit Wurfnetzen beobachtet und eine Horde lachender Kinder lief ihnen am Ufersaum nach. Sie riefen etwas, was man nicht verstehen konnte, aber dass sie winkten konnte man gut erkennen.
    Scheinbar freuten sich die hier lebenden Menschen darüber, die vier Schiffe zu sehen, welche die Namen der vier Söhne des Horus trugen.

    ...sich links von ihm Iuchas unförmige Gestalt sich aus dem Halbdunkel des kleinen Raumes schälte...


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    Als er den herrisch und selbstsicher auftretenden, gut gekleideten Mann vor sich sah, warf er sich zu Boden.
    “Herr, o Herr“, er rutschte auf Knien und mit gesenktem Kopf über den schmutzigen Boden näher, “Iucha... nein... Iucha hat dich nicht... die Ohren... Iucha hört schlecht, Herr...“, er sah auf und offenbarte dabei die ganze Hässlichkeit seines Gesichts, “Iucha hat dich gar nicht gehört.“
    Das war offensichtlich gelogen.
    Plötzlich umfasste er mit beiden Händen – große, schorfige und ungepflegte Pranken – Cleonymus' Knöchel und Küsste ihm hastig die Füße.
    “Iucha... nein Herr... Iucha hat nichts... harmlos... unschuldig... nichts getan... friedlich lebt Iucha hier... arm... bescheiden... arm aber ehrlich... ja, ja, dass ist Iucha, ja ehrlich, ja! Harmlos! Iucha tut keinem was! Nein, nein. Niemandem tut Iucha was, nein!“
    Auch das war wohl gelogen. Scheinbar befürchtet Iucha eine Verhaftung, oder gar Schlimmeres...

    Nach dem Klopfen geschah zunächst... gar nichts.


    Schon hätte man annehmen können, der Bewohner wäre nicht zu hause. Aber dann war ein verräterisches Rumpeln aus dem Inneren zu vernehmen, gefolgt von einem unverständlichen, gedämpften Fluch.
    Doch noch immer kam niemand an die Tür, um sie zu öffnen.

    Zitat

    Original von Lucius Aelius Claudianus Marcellus
    Marcellus wurde von einem Sklaven darüber informiert, dass sich der Schiffskonvoi dem ersten Ziel der Inspektionsreise, der Stadt Naukratis näherte. Kurze Zeit später stand er selbst an Deck, um sich ebenfalls davon zu überzeugen und mit dem Kapitän und dem Centurio die weitere Vorgehensweise nach der Ankunft zu besprechen. Als er den Kapitän auf dem Achterdeck erblickte, schritt er langsam auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken.


    "Kapitän! Wie ich gehört habe ist das dort vorne bereits Naukratis."


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    “Ja, Herr, Naukratis.“, antwortete Sechem.
    “Wir werden gleich das Segel einholen. Dann dauert es nicht mehr lange, bis wir anlegen.“


    Er hob die Hand und rief einem Mann zu, der mit anderen bereits an den Wanten bereit stand: “Techsef! Refft das Segel!“


    Daraufhin erfasste die Männer aufgeregte Betriebsamkeit. Einem unvoreingenommenen Beobachter mochte es wie planlose Hektik vorkommen, doch war es ein hundertfach geübter Vorgang. Die Männer begannen unter den rhythmischen Anfeuerungsrufen Techsefs an den Seilen zu ziehen und verkleinerten damit die Segelfläche.


    Sechem wandte sich wieder dem Iuridiculus zu.
    “Das Wasser ist hier tief. Wenig Strömung. Es wird keine Schwierigkeiten geben.“

    Nun da das Haus des Menanders komplett entvölkert ist und alle Personen, die Schuld auf sich geladen haben, tot, hat der Chor das letzte Wort. Begleitet wird er von leisen, zarten Aulos-Klängen. Es ist nur noch ein etwas wehmütiger Abschied von der Tragödie, kein Paukenschlag zum Schluss, dieser ist bereits mit der Selbstentleibung des Aristides abgedeckt worden.


    "Da es nun Frevel war
    musste er gesühnt wer
    den, doch der größte
    Frevel wurde getan zum
    Unglück des letzten Frev
    lers. Andere stürzten ihn
    ins Unglück, doch im Ung
    glück überkam ihn der
    Hochmut, ihn, den nie
    überkam der Hochmut
    zuvor. Zurück bleiben
    die unschuldigen, sie
    verlassen die Trümmer
    des verfluchten Hauses.
    Das Feuer hat den Schmutz
    getilgt, keine Blumen der
    Schande sind dem Feuer
    entgangen. Die Aschen
    werden brach liegen auf
    viele Jahre, doch einst wird
    ein Garten erblühen für
    jene, die zurückgeblieben
    sind und jenes, das zurück
    geblieben ist, aus dem letz
    ten Samen der Unschuld,
    der verlorenen, werden
    Blumen erwachsen rein
    und voller Lebenssaft. Sie
    gehen dahin, die Frauen,
    voller Trauer, voller Schuld,
    und verlassen vom Hochmut,
    der ihr gemeinsamer Zuhäl
    ter war, doch die Leich
    nahme werden bald verrot
    tet sein und die Erinnerung
    verblaßt, mit ihr Hochmut,
    die Schuld, das Frevelmal."


    Der Chor tanzte auseinander, die Auloi-Klänge wurden leiser, bis sie schließlich verstummten und Stille herrschte im Theater.

    Jene im Publikum, die gehofft hatten, das Stück wäre bald vorbei, sollten bitter enttäuscht werden. Derjenige, der die Aufführung leitete, schien ganz angetan davon zu sein, die langen Passagen des Originaltextes ungekürzt zu übernehmen und mit Zwischenspielen von Tänzern noch zu strecken. Manche schienen diesen Bombast zu genießen, jedenfalls wurde das Publikum zunehmend nervöser, und nicht unbedingt aus Langeweile. Einige spannende Szenen waren kaum noch zu hören, da gerade sie von den Zuschauern mit Säufzern, Geschrei und Sätzen wie "Du bist ein Hohlkopf, Aristides!" "Menander soll endlich sterben!" -"Dummschwätzer, Menander stirbt nicht, das ist eine Tragödie, da stirbt der Held" übertönt wurden.
    In schöne Worte gekleidet trieb Lysias den Menander mit Anatoles Anwesenheit und gewissen Anspielungen in die Verzweiflung. Menander wurde zunehmend zerknirschter, Aristides zunehmend verzweifelter ob des Unwillens seines Ziehvaters, ihm Hesperis zur Frau zu geben. Schließlich fielen Hesperis und Aristides (verbal) in wilder Lust übereinander her (natürlich ohne dass es unanständig wurde, nackt sind solche Dinge eher weniger geeignet, doch man kann sie in Metaphern einkleiden). Kurz darauf erfuhr Aristides die wirklichen Verwandtschaftsverhältnisse im Hause des Menanders (nämlich, dass er der Sohn von Anatole und Menander ist, ein Kind der Schande (aus der Sicht des Lysias, der sich nun mit dem IndenWahnsinntreiben an Menander rächen wollte), folglich Hesperis seine Halbschwester.) Aristides wird noch viel wahnsinniger als zuvor der Vater, er will diesen erschlagen, doch Hesperis ist ihm bereits mittels Tollkirschensoße am Braten zuvorgekommen, daraufhin muss Lysias den Kopf hinhalten, der kurz darauf nicht ganz auf dem Hals sitzt. Schließlich rammt sich auch Aristides voller Verzweiflung einen Dolch in die Brust, er haucht Abschiedsworte an Hesperis, doch diese will davon gar nichts hören, beschämt wendet sie sich ab. Nach diesem Massaker verlassen Hesperis und Anatole das verwaiste Haus des Menanders.

    Der Eponminatographos:


    Wieder einmal nahm sich der Eponminatographos mehr Zeit, als er brauchte. So verging einige Zeit, bis die große Flügeltür sich öffnete und zusammen mit einem Schwall aus dem Rauch von Blumen und Duftkräutern der Priester auf die Vorhalle hinaustrat. Sein Gewand und seine Hände waren von Blut bespritzt. Diese blutigen Hände hielt er nun vor der Menge in die Höhe und sprach, begleitet von den Musikanten.


    "Er nahm unser Opfer an
    und er wird schützen
    diese Stadt und ausbrei
    ten seine Hände über
    diese Stadt; danken mö
    gen wir ihm, dem Un
    sterblichen, schützen
    möge er auch den Ba
    silieus, der seine Un
    sterblichkeit gab für
    uns, es lebe er, es le
    be der Basileus und es
    sei gepriesen der Gott."


    Allmählich verflüchtigte sich der Rauch. Das Räucherwerk war nun bald verbraucht, ebenso die Kraft der Musikanten. Auch der Eponminatographos wirkte etwas matt, als er den Rückweg in den Tempel antrat. Die Flügel der Tür schlossen sich wieder. Dabei enstand ein dumpfes Schlaggeräusch. Die Musikanten hatten zu spielen aufgehört, sodass dieser Schlag, vom Stein der Säulen weitergetragen und verstärkt, auf dem ganzen Platz zu hören war. Als das letzte Echo, das sehr lang anmutete, als dauere es ganze Bruchteile einer Stunde, verhallt war, begannen die Klageweiber wieder mit ihrem Geschrei. Die letzten Fetzen rissen sie sich von den unbedeckten Teilen ihrer Haut, die letzte Kraft der Stimmen warfen sie achtlos fort in die näher kommende Mittagshitze. Als endlich das letzte Klageweib heiser war, das letzte Bündel Räucherwerk verkohlt, der letzte Tropfen Thymianwasser verspritzt, löste sich die Menge langsam auf. Nur gewisse Würdenträger der Stadt blieben, um den Eparchos gescharrt.

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    Sechem stand auf dem leicht erhöhten Achterdeck der 'Hapi' und beobachtete mit konzentriertem Blick den Fluss. Hin und wieder gab er dem Steuermann mit ruhiger Stimme einen Befehl, oder dem Mann, der für das Trimmen des Segels zuständig war und Mitschiffs hinter dem Mast stand, ein Zeichen.


    So fuhren die vier Schiffe mit der 'Hapi' an der Spitze den Kanopos-Arm des Nilus aufwärts, bis hinter einer Biegung, am rechten Ufer, also linker Hand, die Stadt Naukratis in Sicht kam.

    Der Eponminatographos:


    Der Eponminatographos ließ sich Zeit, schließlich schickte es sich nicht für einen Mann seiner Stellung und seines Altes, zu eilen. Das Eilen überließ er den jungen Leuten, wie dem Exegetes, den er für sich einen unverschämten Grünschnabel nannte.
    Er hatte die Prozession erwartet, doch obgleich er hinter der Tür, die in die Säulenhalle hinausführte, gewartet hatte, kam er nicht sogleich hinaus. Er ließ sich sein purpurgesäumtes Gewand im Halbdunkel von einem jüngeren Priester richten. Dann ließ er sich weitere Augenblicke dazu Zeit, eine würdevolle Haltung anzunehmen. Schließlich gab er dem anderen Priester einen Wink, worauf dieser die Flügel der Tür aufzog.
    Der Eponminatographos trat hinaus. Sogleich wurde sein soeben gerichtetes Gewand von einem Windstoß, der über den Platz vor dem Kaisareion ging, wieder in Unordnung gebracht. Der Priester ließ sich nichts anmerken. Ihn kümmerten sehr wenige Dinge nur noch in letzter Zeit. Die Zeit, in der er als Demagoge gefürchtet und verehrt war, war vorbei. Dies würde sein letztes Amt bleiben, danach würde er dafür sorgen, dass ihn niemand mehr eine solche Bürde auflud.
    Mit einem huldvollen und etwas geringschätzigen Nicken begrüßte er den Exegetes. Inzwischen waren aus dem Tempelinneren dem Eponminatographos der jüngere Priester, zwei weitere Priester sowie eine größere Anzahl prachtvoll herausgeputzter Tempeldiener gefolgt. Diese gingen nun, an den Rändern der Freitreppe, um in der Mitte den Blick auf den Eponminatographos freizugeben, auf den Platz hinab, wo sie die Opfertiere in Empfang nahmen. Höflich, beinahe unterwürfig grüßte der Eponminatographos den Eparchos der Rhomäer, dann im Kollektiv alle übrigen Anwesenden, wobei sein Tonfall bei letzteren längst nicht so geringschätzig war wie beim Exegetes. Dieser hatte inzwischen die Säulenhalle wieder verlassen, um dem Eponminatographos nicht die Bühne zu nehmen, was dieser mit einem kaum merklichen ironischen Lächeln beantwortete. Gut hatte der Exegetes daran getan, anderenfalls hätte sich der Eponminatographos vielleicht sogar die Blöße gegeben, ihn zurechtzuweisen.
    Nach dem kurzen Gruß verschwand der Eponminatographos wieder im Tempel, Priester und Tempeldiener mit den Opfertieren folgten ihm.
    Als sich die schweren, hohen Türen hinter der Priesterschaft geschlossen hatten, begannen die Musikanten wieder zu spielen. Auch wurde wieder Räucherwerk verbrannt auf dem Platz.