Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie heute wieder zur Vorlesung.
Heute beschäftigen wir uns mit den Deliktsgruppen. In einer früheren Einheit habe ich Ihnen schon einige Begriffe kurz erklärt. Heute möchte ich diese Begriffe wiederholen und vertiefen.
Beginnen wir mit den Begehungs- und Unterlassungsdelikten.
Nach der Art der Tathandlung lassen sich die Delikte in Begehungs- und Unterlassungsdelikte einteilen. Begehungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz ein bestimmtes Tun mit Strafe bedroht. Sie bilden das Gros der Delikte im Cod Iur. Beispiele: Mord, Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung etc.
Echte Unterlassungsdelikte sind Delikte, bei denen das Gesetz die Nichtvornahme eines gebotenen Tuns mit Strafe bedroht. Davon haben wir momentan im Cod Iur keinen Tatbestand, zB im Codex Militaris finden wir aber einen solchen bei § 54 Unterlassene Meldung.
Die Begehungsdelikte unterteilt man weiter in Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte. Hier geht es um die Frage, ob sich der Tatbestand in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft oder ob über die Tathandlung hinaus der Eintritt eines bestimmten Erfolgs gefordert wird.
Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte ist der Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt. Das klingt jetzt ein wenig merkwürdig, ist aber relativ einfach anhand der Beispiele zu sehen: Bei den Tötungsdelikten ist der Erfolg der Eintritt des Todes eines Menschen, bei den Körperverletzungsdelikten der Eintritt einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, bei der Beleidigung der Zugang der beleidigenden Erklärung und so weiter. Daher bezeichnet man als Erfolgsdelikte jene Delikte, die den Eintritt einer von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbaren Wirkung in der Außenwelt voraussetzen. Die meisten Delikte des Cod Iur sind Erfolgsdelikte. Beachten Sie, daß nur bei diesen sich die Probleme der Kausalität und der objektiven Zurechnung des Erfolgs stellen.
Eine Sondergruppe der Erfolgsdelikte bilden die erfolgsqualifizierten Delikte. Bei ihnen sieht das Gesetz eine höhere Strafe vor, wenn durch die Verwirklichung eines bestimmten Grunddelikts zusätzlich eine „besondere Folge der Tat“ herbeigeführt worden ist. Man spricht insoweit auch von Erfolgsqualifikationen. Nehmen wir als Beispiel jenes, das Ihnen wahrscheinlich am häufigsten begegnen wird: die Körperverletzung. Schon diese ist strafbar nach § 76 Abs 1, jedoch noch mehr in schweren Fällen nach Abs 2, erst recht, wenn die Tat den Tod des Verletzten zur Folge hat nach § 77. Beachten Sie bitte, daß bei den Erfolgsqualifikationen es reicht, wenn die besondere Folge der Tat wenigstens fahrlässig herbeigeführt wurde, sonst hätte zB § 77 Körperverletzung mit tödlichem Ausgang keine Daseinsberechtigung. Will nämlich Gaius den Lucius umbringen und nicht bloß verletzen, hat er also Vorsatz auf den Tod des Lucius, kommt § 77 nicht zur Anwendung, sondern es ist Mord oder Totschlag zu prüfen.
Beachten Sie außerdem, daß die erhöhten Schadens- und Wertgrenzen der Vermögensdelikte keine Erfolgs-, sondern Deliktsqualifikationen begründen und dafür Vorsatz erfordern. Beispiele dafür sind: Schwere Sachbeschädigung nach § 85 Abs 2, schwerer Diebstahl nach § 86 Abs 2, Veruntreuung nach § 89 Abs 2 etc.
Schlichte Tätigkeitsdelikte bilden das Gegenstück zu den Erfolgsdelikten. Als Tätigkeitsdelikte bezeichnet man Delikte, deren Tatbestand sich in der Vornahme eines bestimmten Tuns erschöpft, der Eintritt eines wie auch immer gearteten „Erfolgs“ wird nicht vorausgesetzt. Beispiele dafür wären die §§ 109 Falsche uneindliche Aussage und 110 Meineid auf Iuppiter.
Kommen wir zu den Vorsatzdelikten, den Fahrlässigkeitsdelikte und den Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen.
Einteilungskriterium ist hier die Frage, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht ist.
Bei Vorsatzdelikte bedroht das Gesetz vorsätzliches Handeln mit Strafe, Beispiele sind Mord, Körperverletzung, Sachbeschädigung etc.
Bei Fahrlässigkeitsdelikten bedroht das Gesetz fahrlässiges Handeln mit Strafe, Beispiele wären Fahrlässige Tötung, Fahrlässige Körperverletzung etc.
Die meisten Delikte des Cod Iur sind Vorsatzdelikte. Das ergibt sich aus der allgemeinen Regel des § 46. Danach ist fahrlässiges Handeln nur dann strafbar, wenn der Gesetzgeber dies für ein bestimmtes Delikt ausdrücklich angeordnet hat. Das gilt auch für die Delikte des Nebenstrafrechts.
Bei Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen verlangt das Gesetz für die Tathandlung Vorsatz, lässt aber hinsichtlich der Herbeiführung des Erfolgs Fahrlässigkeit genügen. Hauptanwendungsfälle sind die erfolgsqualifizierten Delikte.
Eine weitere wichtige Unterteilung sind die Dauerdelikte und Zustandsdelikte.
Bei manchen Delikten steht eine von der Dauer steht eine von der Dauer des strafbaren Verhaltens abhängige Unrechtssteigerung im Mittelpunkt.
Bei einem Dauerdelikt beginnt das Unrecht der Tat mit der Vornahme der Hanlung und endet erst mit deren Aufhören. Je länger die Handlung dauert, umso größer ist das Unrecht. Das Dauerdelikt schlechthin ist die Freiheitsentziehung. Beachten Sie, daß durch Prolongation der Tathandlung aber auch andere Delikte zu Dauerstraftaten werden, zB längerdauerndes Schlagen (§ 76) oder stundenlanger sexueller Mißbrauch (§ 99). Dauerdelikte und Dauerstraftaten sind bereits mit der Vornahme der Handlung rechtlich vollendet, tatsächlich beendet dagegen erst, wenn die Handlung aufhört.
Für Dauerdelikte und Dauerstraftaten ergeben sich in der Praxis bedeutsame Konsequenzen: Bei vorzeitiger Beendigung der Tathandlung, zB vorzeitige Freilassung des Gefangenen, kann sich der Täter nicht auf Rücktritt berufen. Die Verjährung beginnt erst mit der tatsächlichen Beendigung der Handlung. Im Zeitraum zwischen rechtlicher Vollendung und tatsächlicher Beendigung ist Mittäterschaft möglich.
Bei einem Zustandsdelikt erschöpft sich das Unrecht der Tat in der Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustands. Zustandsdelikte sind mit dem Eintritt des rechtswidrigen Zustands rechtlich vollendet und zugleich endgültig abgeschlossen. Damit beginnt auch die Verjährung.
Natürlich gebe es noch einige interessante Unterteilungen, die aber eher was für Liebhaber und Spezialisten sind. Ich will Sie ja nicht vollkommen verschrecken und verwirren.;)
Das wars für heute. Das nächste Mal beschäftigen wir uns mit der Versuchsprüfung und dem Fahrlässigkeitsdelikt.