Hungi war den Anblick des Atriums schon gewohnt, war er doch schon mehrmals hier zu Gast gewesen, wie auch der Licinier manchesmal seine - im Vergleich zu Licinius - bescheidene Villa Vinicia besucht hatte. Der erste Weg war hierbei immer der gleiche, nämlich zu dem Sklaven, der auch sogleich verstand und ihm seinen Spritzer einschenkte, der Jahreszeit gemäß sommerlich leicht, also mit spürbar mehr Wasser als Wein. Eine Himbeere, von angenehmer Säure und mit dem für diese Beeren eigenen ganz dezenten und feinen Geschmack, fand den Weg in Hungis Mund und gleich darauf verbreitete sich der Duft (im metaphorischen Sinne, denn Geruchsnerven befinden sich ja bekanntlich nicht auf der Zunge) im vorderen Rachenraum. Und wie an den Besuchen zuvor ließ sich sein Blick durch die Mosaike fesseln, und da er ohnehin auf Licinius warten mußte und daher Muße hatte, gab er dem Begehren seiner Augen nur zu gerne nach.
Allerdings, und das war eine seiner von seiner Bildung her gesehen größten Fehlplätze, war er nicht wirklich mit einem großen Sinn für bildende Kunst gesegnet, noch konnte er den Wert eines solchen auch nur abschätzen. Wenn ihm ein Bild oder eine Skulptur gefiel, dann gefiel sie ihm und das langte ihm. Stundenlang vor einem Mosaik zu sitzen und jedes einzelne Steinchen zu begutachten, langweilte ihn. Vielmehr war er von der Kunst des Wortes fasziniert, die als Dichtung, Prosa oder Theaterstück überliefert wird, ein gut gewählter Spruch, ein genial plaziertes Eigenschaftswort lockte ihn mehr aus der Reserve als die schönsten architektonischen Gebilde. Es mag sein, daß er deswegen so gerne Jurist war, denn hier wie dort feilte der Künstler (wobei er sich eher als Handwerker sah) an Worten, drehte an Formulierungen, überlegte die Wirkung des Geschriebenen so lange, bis er zufrieden war mit seinem Werk und dies der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Sein Blick blieb am Frauenportrait hängen. Er kannte die Abgebildete nicht, hatte aber auch noch nie gefragt, wer diese sei. Er vermutete eine nähere Verwandte, vielleicht die Mutter oder Schwester, obwohl es ihn auch nicht wundern würde, wenn es eine frühere Geliebte des Licinius wäre. Bei diesem Gedanken schmunzelte Hungi. Seine verstorbene Frau Livia hätte ihn in diesem Falle wohl sofort verlassen und die Scheidung verlangt.
Und zuvor sämtliches Mobiliar mit ihren eigenen Händen zerstört.