Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    Während sich Menecrates in Gang setzte, realisierte er, wie vortrefflich - nahezu genial - der Zeitpunkt für dieses Gespräch war. Er entrichtete einen stummen Dankesgruß an die Götter, die ihm vortrefflich immer wieder Gründe geliefert hatten, dieses Gespräch hinauszuzögern. Was hätte er vor der Audienz beim Kaiser auch an Erläuterungen abgegeben können? Nur vage, mehr nicht. Nun, wo der Kaiser Menecrates' Konzept kannte, es auch nicht ablehnte, konnte der Präfekt die selbst auferlegte Geheimhaltung aufgeben. Erläutern musste er ohnehin, denn Minors Andeutungen hätten nicht ausgereicht. Gracchus' Sohn kannte auch nur die Hälfte aller Vorhaben.

    "Im Ergebnis des Conventus, bei dem es um die Bekämpfung der Kriminalität ging, habe ich vom Kaiser den Auftrag bekommen, ein Konzept zur Befriedung der Subura vorzulegen. Wie notwendig das ist, zeigen nicht nur der Sklavenaufstand, eine niedergebrannte Urbanerstation, diverse geschändete Tempel und erst kürzlich der Todesfall." Er stockte und blickte zur Seite, um zu erkunden, ob Gracchus verstand. Die um eine Nuance angehobenen Brauen verliehen ihm einen fragenden Gesichtsausdruck.

    Kurz darauf fuhr er fort. "In Rom siedeln sich jede Menge Fremdländer an und die Subura ist das größte aller Sammelbecken. Wir sind jedes Mal zu spät vor Ort, um Eskalationen und größere Schäden zu verhindern. Kriminelle Strukturen können unbemerkt Brandanschläge oder Tötungsdelikte planen. Wir brauchen Soldaten in der Stadt, um nicht ganz die Kontrolle zu verlieren." An dieser Stelle vermied er den Blickkontakt. Er konnte sich ausrechnen, dass Gracchus wenig Begeisterung für diese Notwendigkeit empfand.

    "Geplant ist neben dem Wiederaufbau der ersten Station am Nordzipfel der Subura die Errichtung einer weiteren in diesem Viertel, aber zum einen viel näher an den Foren und zum anderen in Kombination mit einer Feuerwache."

    Da er sich für die Meinung des Pontifex interessierte, legte er eine Pause ein, obwohl er reichlich Stoff besaß, um den Monolog weiterzuführen.

    Am Abend kam Menecrates hochgradig schlecht gelaunt nach Hause. Trotz großen Einsatzes liefen die Dinge in Rom anders als er es wollte und am Ende des Tages schlug noch eine Hiobsbotschaft ein. Im Dienst musste sich der Präfekt zusammenreißen, aber in der heimischen Villa würde er Dampf ablassen müssen. So gut es in der Toga ging, stürmte er zur Porta herein, wickelte bereits selbstständig die Anfangsbahn des Kleidungsstückes ab und riss daran herum, als es nicht weiterging.

    "Jetzt geh schon ab!", schimpfte er und die hinzueilenden Sklaven hüpften um ihn herum, weil niemand mit den auskeilenden Armen Bekanntschaft machen wollte. Endlich hatten sie es geschafft. Die Sklaven sammelten die Stoffbahn ein, die wohl erstmalig im Eingangsbereich zum Liegen kam.

    Menecrates stürmte in komfortabler Tunika weiter. Er stutzte kurz, als er Linos stehen sah, dann winkte er ihm. "Mitkommen!" Stehenbleiben und reden schien aktuell unmöglich, daher eilte er weiter. Im Garten angekommen, atmete er einmal tief durch, bevor er einen Dauerlauf startete. Wollte Linos reden, musste er mitziehen.

    Stufen, Toga und älter als sechzig Jahre erwiesen sich seit längerem als eine heikle Kombination. Eine galante Wendung bekam Menecrates in seinem Alter nicht mehr hin, aber in diesem Fall wurde sie auch nicht von ihm verlangt, weil Senator Flavius nicht aus der Ferne rief, sondern sich bereits neben ihm befand. Einen Seitenblick vermied der Claudier trotzdem, bis sie auf ebenem Boden standen.

    "Deine Frage nach der Pflichtbindung kann ich eigentlich nur mit einem 'ja' beantworten", erwiderte er lächelnd. Zum einen erheiterte ihn seine Antwort, denn er tat gut daran, sein Aufgabenprogramm mit Humor zu sehen. Zum anderen schmunzelte er, weil schon wieder vor der Problematik stand, eine passende Anrede für Gracchus zu finden. Ja, sie befanden sich in der Öffentlichkeit und Menecrates zog dort die offizielle Anrede einer befreundeten vor. Eingebunden in ein Zweiergespräch bevorzugte er allerdings die vertraute Anrede, die er für seinen Umgang mit Gracchus auf jener soeben erwähnten Cena mit dem Cognomen festgelegt hatte. Er entschied, im Moment keine Anrede zu benutzen, und stattdessen die restliche Frage zu beantworten.

    "Diese Erörterung fällt allerdings in Gänze in meinen Aufgabenbereich, insofern habe ich selbstverständlich Zeit." Sein Lächeln versiegte, denn die Angelegenheit erforderte Konzentration und außerdem eine gewisse Kraftanstrengung seinerseits. Er fühlte sich nicht wohl, weil er die Möglichkeit nicht ausschließen konnte, dass Staat, Regierung und er selbst von Priestern in die von ihnen gewünschte Richtung gelenkt wurden. Er fürchtete das von Gracchus Minor erwähnte Gutachten, was er würde hinnehmen müssen, ohne sich mit eigenem Auge bei einer für alle Laien sichtbaren Götterbotschaft ein eigenes Urteil bilden zu können. Gleichzeitig wusste er nicht einzuschätzen, wie Priester zu einem solchen Gutachten gelangten.


    "Es würde mir entgegenkommen, wenn wir in Richtung meines Amtssitzes schlendern. Allerdings weiß ich nicht, ob sich dies mit deinen nachfolgenden Pflichten vereinbaren ließe." In den Tagesablauf eines Pontifex pro Magistro besaß Menecrates keinerlei Einblick. Er wartete daher auf die Antwort, bevor er den Weg fortsetzte.


    "Ich hatte im Vorfeld eine ausgiebige Unterhaltung mit deinem Sohn", begann er trotz des Abwartens, die Wegrichtung betreffend. "Ich werde mich, was die rituelle Rahmung betrifft, ganz nach deiner Expertise richten. Gleichzeitig hat mich eine, der von deinem Sohn angeführten Möglichkeiten, seither nicht mehr losgelassen."

    Die Situation war nicht geplant, Menecrates nicht vorbereitet. Was hatten sich die Götter nur dabei gedacht, ihn die Kontrolle über seine Emotionen vernachlässigen zu lassen? Auch hatte er nicht im Ansatz damit gerechnet, dass der Kaiser zum Thema Heius nachhaken würde. Dieser arrogante Präfekt der Garde schleimte zwar, was den Preafectus Urbi anekelte, aber es behinderte ihn nicht. Etwas anderes störte ihn - in erheblichem Maße.

    Der Plan für heute sah nicht vor, über den Praefectus Praetorio zu sprechen, aber eine Sinnhaftigkeit musste auch dieser Situation innewohnen, sonst befände sich Menecrates nicht in ihr. Als Vollversager in Sachen Diplomatie, gepaart mit der Unfähigkeit zu lügen, stand er jetzt vor einem nicht unerheblichen Problem. Obwohl das Thema nicht hierher passte, wollte er es weder abtun noch schönreden.


    "Praefectus Heius legt zuweilen das Kriegsrecht willkürlich aus. Mich ginge das Ganze nichts an, wäre nicht einer meiner Klienten davon betroffen." Es blieb abzuwarten, ob den Kaiser die fragwürdige Truppenführung bei den Prätorianern interessierte und falls ja, wann er sie erörtern wollte. In der Zwischenzeit ging Menecrates auf die gestellten Nachfragen ein. Es gab bei den Stationes Erklärungsbedarf zur Aufnahmekapazität.


    "Nicht aufnehmen", antwortete er auf die Erwähnung einer Kohorte. "Und auch nicht eine Kohorte pro Statio. Ausgelegt würden beide Standorte für die Aufnahme von maximal zwei Centurien. Ich plane eine Tag-Nacht-Schichtablösung, bei der die Soldaten nach ihrem Dienst in die Castra Praetoria zurückkehren. Das reduziert den Platzbedarf vor Ort, nicht aber die benötigte Anzahl an Soldaten." Eine Information schob er nach. "Die Statio I Urbana war für eine Centuria ausgelegt, was sich als zu gering herausgestellt hat. Die Castra Praetoria soll darüber hinaus als Teilstandort bleiben."


    Er nickte, als der Kaiser den Platzbedarf ansprach. Mit Bedenken dieser Art hatte er gerechnet.

    "Der Platz für die erste Station ist im Großen und Ganzen da, wobei wir etwas erweitern müssen. Ich werde prüfen lassen, ob eine Erweiterung nach oben geht. Die neue Station soll in der Art üblicher Feuerwachen errichtet werden, die für die zusätzliche Aufnahme der Urbaner etwas an Breite zulegen müsste, aber auch die größtmögliche Höhe einnehmen soll. Ein Grundstück dafür haben wir bereits gefunden." Die Zufriedenheit des Praefectus Urbi zeigte sich auf seinem Gesicht in Form eines Lächelns. Er hoffte, dem Kaiser die Zweifel wegen des Platzproblems etwas genommen zu haben.


    Insgesamt freute er sich, dass sein Vorschlag einer dezentralen Stationierung auf offene Ohren traf. Unsicher war er sich, ob der endgültige Beschluss erst im Senat gefasst werden würde, oder hier ein Vorentscheid fiel.

    Die Geräusche aus dem Vorzimmer ließen darauf schließen, dass die zum Rapport bestellten Urbaner eingetroffen sein mussten. Es öffnete sich auch die Tür und eine Ankündigung erfolgte, danach allerdings traute sich niemand in sein Officium. Während sich Menecrates fragte, ob man im Vorzimmer noch über die Reihenfolge verhandelte, da er einen normalen und einen Eilbefehl ausgestellt hatte, verstrich weitere Zeit. Er schüttelte den Kopf und stand auf. Seine Schritte führten ihn nicht zur Tür, sondern an das Fenster. Zugute hielt er, dass alle seinem Befehl zeitnah nachkamen. Was er vom Zögern halten sollte, würde er ansprechen. Rätseln schätzte er nicht.

    Sein Blick wanderte über die Baracken seiner Truppe, die zum Teil, wenn alles nach Wunsch lief, von Praetorianern bezogen werden würden. Zu einem anderen Teil würden sie einzig der Übernachtung dienen, während sich die Tagesaufgabe ausgewählter Truppenteile in der Subura abspielte.

    Menecrates verbesserte: "Ich bräuchte im Idealfall eine Kohorte Vigiles und zwei Urbaner." Er wollte nicht unverschämt wirken, daher schob er eine Erklärung nach. "Die von dir vorhin in Aussicht gestellte Aufstockung ist mir genauso von meinem Tribun als Resümee des Conventus übermittelt worden. Praefectus Heius klang allerdings wenig später sehr überzeugend, als er mir je zwei Kohorten für die Vigiles und die Urbaner offerierte. Er rühmte sich, dir eine Rechnung präsentiert zu haben, in deren Folge du dich mit ihm darauf geeinigt hättest." Er breite in einer Geste des Unverständnisses seine Hände aus, schüttelte den Kopf und fügte an: "Das ist nicht der einzige Sachverhalt, wo ich Heius nicht mehr ernst nehmen kann." Er hob seine Augenbrauen und verzog einen Mundwinkel - sichtlich genervt. Heius stand unter seiner Beobachtung wegen einer anderen Sache. Er traute dem Mann nicht mehr über den Weg.


    "Nun ja, es ist, wie es ist. Ich habe wohlweislich nur mit einer Kohorte Vigiles geplant, was ich auch für ausreichend halte." Er unterdrückte den Wunsch, nochmals den Kopf zu schütteln. Stattdessen rieb er sich tatendurstig die Hände und begann mit einer Handweisung in Richtung des Suburaviertels.

    "Die bisherige Situation in Bezug auf Menge und Stationierung römischer Soldaten hat einen Sklavenaufstand, eine niedergebrannte Urbanerstation, geschändete Tempel und", er stockte, um einmal Luft zu holen, "eine getötete Vestalis Maxima hervorgebracht, nicht verhindern können, begünstigt, zugelassen. Wie man es nennt, spielt keine Rolle. Die Konstellation muss sich von Grund auf ändern." Vielleicht ein wenig forsch formuliert, aber inhaltlich würde der Kaiser ihm zustimmen, hoffte Menecrates.


    "Mit mehr Soldaten kann ich den straffer gestaffelten Streifendienst auch in Zukunft sicherstellen, aber das reicht nicht, um die organisierte Bandenkriminalität auf einem halbwegs kontrollierten Niveau zu halten. Teile der Stadt vollständig an Ausländer und Kriminelle abzugeben, ist für mich indiskutabel, also muss ich außer mehr Mannschaften noch schnellere Zugriffsmöglichkeiten haben." Diese Feststellung ließ er für sich allein stehen, bevor er den Faden weiterspann.

    "Machen wir uns nichts vor, die IV. Region ist eine außergewöhnlich langgezogene. Bis wir in der Castra Praetoria verständigt und letztlich angerückt sind, haben sich alle Maden in ihre Löcher verzogen und feiern den angerichteten Schaden. Deswegen habe ich mich in meinem Konzept für eine dezentrale Stationierung der Urbaner entschieden."

    Der Präfekt blickte zu Lurco und wies mit einer Geste zum Tisch, damit sich der Offizier seiner Akten entledigen konnte. "Ich benötige die Karte für gesamt Rom", erklärte er dem Optio in gedämpftem Tonfall. Er hatte sie samt Ausschnitt für das Herzstück des Konzeptes zu Frugis Akten gelegt.

    Nach Erhalt legte er das Papyrus vor den Kaiser, strich es glatt und zeichnete mittels Finger die Umrisse des Problemviertels nach. Am nördlichsten Zipfel tippte er mehrmals auf eine Stelle.

    "Hier befindet sich die erste Station. Ihren Wiederaufbau halte ich für unbedingt notwendig, um ein Zeichen zu setzen."

    Diesen Punkt seines Konzeptes sah er als unstrittig an, zumal die heiligen Hühner dem Vorhaben bereits zugestimmt haben.

    "Die Unruheherde befinden sich im Innern der Subura, das Viertel ist langgezogen und die außerhalb der Stadtgrenze stationierten Soldaten sind alles, aber keine schnelle Eingreiftruppe", fasste er nochmals zusammen. "Deswegen bildet das Herzstück meines Konzeptes eine zweite Station - weiter in Richtung der Foren und ja, innerhalb der sakralen Grenze." Aus taktischen Gründen ließ er keinen Raum für eine Zwischenfrage des Kaisers, sondern sprach sofort weiter.

    "Der Plan ist, bei dieser Statio eine Zweckpartnerschaft mit den Vigiles einzugehen. Das heißt, neben Urbanern soll diese Station zusätzlich bzw. sogar vornehmlich eine Feuerwache enthalten. Das erhöht zum einen die Akzeptanz in der Bevölkerung, denn in diesem eng bebauten Viertel mit maroder Bausubstanz gibt es keine eigene Feuerwache. Es gewährleistet zum anderen eine optimale Absprache und gegenseitige Unterstützung zwischen den beiden Einheiten. Ich erwarte wenig Widerstand seitens der Priesterschaft, weil seit Jahren Tempelschänder ihr Unwesen treiben, die aus genau den Löchern stammen, die wir mit Statio II beabsichtigen, trocken zu legen. Die Absprachen mit dem Praefectus Vigilum sind abgeschlossen, es herrscht beiderseitiges Einvernehmen."

    Hier ließ Menecrates Raum für Zwischenfragen seitens des Kaisers, bevor er den Rest des Konzeptes umriss.


    "Weitere Teile der Vollversion meines Konzeptes sind zwei außerhalb der sakralen Grenze gelegene Castella - ausreichend zum Stationieren für jeweils eine Kohorte, reine Unterkünfte ohne Exerzierplatz. Sie sind an Roms Flanken angesiedelt und je nachdem, wo Verstärkung benötigt wird, reduziert das unsere Wege. Sie sind deutlich näher an weiteren Problemvierteln dran als die Castra Praetoria. Sollte jemals wieder ein Aufstand drohen, was ich nicht hoffe, aber in so einem Fall könnten wir die Aufständischen in einen Klammergriff nehmen."

    Er wiegte einmal den Kopf. "Ich würde dafür Soldaten aus der Castra Preatoria abziehen, aber für die Umsetzung beider Standorte benötige ich die fragliche zweite Kohorte an Aufstockung. Gelegen wären die beiden jedenfalls hier."

    Er tippte auf zwei Stellen der Karte - einmal im Osten bei der Via Tusculana und nordwestlich vom Campus Martius ein zweites Mal.

    "Eine Kohorte weniger bedeutet ein Kastell weniger. An den Entwürfen für die Subura würde ich hingegen nicht den Sparstift ansetzen. Warum, kann dir Optio Purgitius erläutern, der nicht nur vom Officium aus arbeitet, sondern auch Streifendienst verrichtet. Er kennt die Basis, er kennt die Realität. Den Bandanschlag auf unsere Statio hat er miterlebt. Er kann praxisorientierte Argumente für die Durchsetzung im Senat liefern." Es war ein Angebot, das der Kaiser annehmen oder ablehnen konnte.

    Sein Ziel, Stella aufzulockern, bevor sie ihren ersten Besuch bei einer angesehenen Familie seit Jahren antrat, gelang, obwohl sich Menecrates auf dem Weg ins Atrium den Kopf über die gezeigte Zungenspitze zerbrach. Das gehörte nicht zu seinem Repertoire. Er fand seine scherzhaften Hinweise vor der Porta nicht gänzlich unberechtigt, denn mit ihrer Schusseligkeit erinnerte Stella ihn an seine Enkelin, der einst kaum ein Fettnäpfchen entging. Er beäugte skeptisch die bei jedem Schritt luftig wehende Tunika samt Palla, bis sie ins Atrium traten.


    "Bitte rette mich vor dem Kind", flüsterte Menecrates Stella zu und fügte angesichts der wilden Rennerei besorgt an: "Hoffentlich verwickelst du dich nicht in deinem Kleid."

    Während er auf Faustina zusteuerte, vermied er den Blickkontakt mit Iulia. Zum einen fehlte ihm Gesprächsstoff, zum anderen erinnerte er sich an das nicht eingelöste Versprechen mit dem Wolf.

    "Salve Faustina!" Er lächelte, weil er sich auch für Stella über Aemilias Anwesenheit freute. Sie galt für ihn als Vorzeigetochter aus gutem Hause. Anderes hatte er nie gehört. Gleichzeitig bereute er, sich keine weiteren Begrüßungsworte zurechtgelegt zu haben, denn wie immer flossen sie nicht bei ihm. Ein Kompliment aus seinem Mund würde albern wirken, weil ihn Aussehen kaum interessierte. Er hätte dann im Vorfeld auch Stella eines machen müssen. Die Schönheit einer Frau strahlte für ihn aus dem Inneren. Was nützten schöne Gesichtszüge, teurer Schmuck und adrette Kleidung, wenn aus dem Mund Gefasel quoll und aus dem Herzen Hinterlist. Aemilia zu sagen, dass er sie schön fand, weil sie für Tugenden stand, mutete seltsam an, also sparte er sich dergleichen.


    Sein Blick fiel auf dicke Kissen. Sie würden Stella behagen, deren Kleid kaum geeignet war, das Gesäß abzupolstern. Er schüttelte unmerklich den Kopf. Was machte er sich eigentlich für Gedanken?

    Die Zusage, seine Einheit bekäme eine Kohorte mehr bewilligt, freute Menecrates. Damit bestätigten sich allerdings auch seine Zweifel an der Aussage des Preafectus Heius. Wie so oft, erwies es sich als richtig, den - wenn auch älteren, aber - eigenen Informationen zu vertrauen, zumal sie vom Kaiser stammten. Trotzdem bedurfte es einer Rücksprache.

    "Mein Kaiser, es kursieren seit Monaten feste Annahmen über die geplante Aufstockung. Präfekt Heius versicherte mir, dass die Garde von neun auf zwölf, die Stadtkohorten in Rom von vier auf sechs und die Vigilen von sieben auf neun Kohorten aufgestockt werden. Mein Konzept berücksichtigt zwar beide Konstellationen, sowohl diese großzügige als auch die abgespeckte, allerdings", er fügte eine bedeutsame Pause ein, "stützt es sich in jedem Fall auf eine Aufstockung für die Vigiles um eine Kohorte." Von zwei Kohorten ging er wohlweislich nicht aus, aber auf eine wollte er hinarbeiten.


    "Ein gutes Konzept kann ich liefern. Es berücksichtigt die Situation in Rom nach dem Sklavenaufstand, die Serie an Brandanschlägen, sowie diverse Tötungsdelikte an hochgestellten Persönlichkeiten, wie einem ehemaligen Magistraten und", er stockte, bevor er leiser fortfuhr, "der Vestalis Maxima." Nach seinem Kenntnisstand verfügte der Kaiser bereits über diese Information, aber er selbst zeigte sich stark betroffen, daher ging ihm die Nüchternheit bei der Aufzählung verloren.


    In normaler Lautstärke fuhr er fort. "Ich kann bei meinem Konzept vollständig auf eine Aufstockung der Garde verzichten! Mir wurde seitens des Praefectus Praetorio für das ursprünglich angedachte gemeinsame Konzept, die Subura betreffend, nichts außer der Vergrößerung der Castra Praetoria und dem Vollstopfen dieses Standortes mit weiteren Gardesoldaten in Aussicht gestellt. Nach meiner Ansicht nützen dort zusätzlich stationierte Gardekohorten aber in keinster Weise einer Befriedung der Problemviertel."

    Menecrates wäre es weitgehend egal gewesen, ob die Garde weitere Kohorten bekommt oder nicht, aber da sich eine Finanzknappheit abzeichnete, strebte er eine sinnvolle Verwendung an, auch wenn die auf Kosten der Prätorianer ging.


    "Praefectus Heius verfügt über keine konkrete Verwendungsidee dieser zusätzlichen Einheiten, zumindest hat er mir keine mitgeteilt. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass in den letzten Jahren keine Angriffe gegen den Palast oder deine Familie geführt wurden, sehr wohl aber ein steiler Anstieg der Kriminalität in der Stadt zu verzeichnen ist, insbesondere der Subura. Als Einheiten stehen dieser Entwicklung die Stadtkohorten und die Vigiles entgegen. Ich benötige eine Kohorte mehr bei den Vigiles! Die Aufstockung dieser Einheit anstelle der Garde ließe sich dem Senat - im wahrsten Sinne des Wortes - leichter verkaufen. Sie kosten deutlich weniger."


    Es sah es als verfrüht an, sein Konzept in Gänze vorzustellen. Zuerst musste ein Konsens in Bezug auf die Vigiles gefunden werden. Der Kaiser deutete ein Feilschen mit den Prätorianern an. Feilschen konnte Menecrates auch, vielmehr: Er musste es.

    "Es ist richtig, der Wiederaufbau der Statio ist Bestandteil meines Konzeptes, gleichzeitig aber nur eine von insgesamt vier Tragsäulen. Mit einer Aufstockung meiner Einheit um zwei Kohorten und den Vigiles um eine, kann ich dir die Großfassung des Konzeptes präsentieren. Abstriche bei meiner Einheit, nimmt eine der Tragsäulen weg, was noch verschmerzbar wäre, aber die Nichtberücksichtigung der Vigiles lässt das Konzept im Herzen wanken." Er breitete bedauernd die Hände aus und fügte mit einem Schmunzeln an: "Welche Variante des Konzeptes möchtest du hören, mein Imperator?"

    Der Tag, an dem sich Menecrates in Begleitung seines Mündels Tiberia Stella zur Villa Aemilia aufmachte, entsprach durch die Wetterlage dem Anlass. Bedeckter Himmel passte besser zu einem Besuch, der eine verspätete Beileidsbekundung und Anteilnahme vorsah, als strahlende Sonne. Allerdings wählte der Claudier den Zeitpunkt nicht nach dem Wetter, sondern nach der Lage seiner freien Termine. Für ihn stand fest, er würde zu Fuß gehen - zumindest, solange es nicht regnete. Eine Plauderstunde in durchweichter Kleidung fand er nicht erstrebenswert. Stella konnte er in verschiedener Hinsicht noch nicht einschätzen, daher gab er ihr nur den Treffpunkt und die ungefähre Zeit bekannt. Sie konnte somit frei zwischen Fußmarsch und Sänfte wählen.
    Traurigkeit begleitete Menecrates nicht. Er freute sich auf gute Gespräche und wollte den Freund der Jugend ablenken, bestenfalls sogar aufheitern, aber nicht gemeinsam mit ihm Trübsal blasen. Zwar wusste er nicht, in welcher Gemütslage er Lepidus vorfand, aber die Zielrichtung stand für ihn fest.

    Vor der Porta wandte er sich an Stella. "Ich würde mich freuen, wenn Faustina Zeit für dich hat. Ich kenne sie ein wenig und denke, sie könnte dir eine Freundin sein." Zumindest hoffte Menecrates das. Er verfolgte das Ziel, Stella in Rom zu verankern, wobei die Ankerpunkte solide und für die junge Frau förderlich sein sollten. "Schön wäre, wenn du heute nicht beabsichtigst, ein Bad zu nehmen." Er schmunzelte. "Besser ist auch, du lässt Vasen und Statuen stehen. Reden hingegen kannst du, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Du sollst dich schließlich wohl fühlen."


    Nach dieser nicht ganz ernst zu nehmenden Einweisung schickte Menecrates einen der ihn begleitenden Sklaven zur Porta und ließ sich sowie Stella anmelden.

    Der Praefectus hörte sich die Schilderung an, registrierte den uneindeutigen Tatbestand, wer die Mörderin in Selbstjustiz gerichtet haben soll, und nickte zufrieden, als ein schriftlicher Bericht in Aussicht gestellt wurde. "Den Bericht zuerst auf meinen Tisch und vorerst NICHT zu den Fallakten." Er zog - in Überlegungen vertieft - die Luft durch die Zähne. "Äußerste Diskretion, Octavius, äußerste!" Dieser Fall würde Wellen in einem Ausmaß schlagen, die sich Menecrates lieber nicht vorstellen wollte. Entscheidungen musste er zum Glück nicht treffen, nur Vorsorge, aber diese umfänglich. Er blies Luft durch die Lippen.

    "Nichts darf nach draußen dringen, nicht mal in die Principia und schon gar nicht weiter. Du ermittelst diskret, aber konsequent. Wir müssen wissen, wer die Täterin war und wer diese Täterin letztlich gerichtet hat. Folgendes: Du bestellst sowohl die Vestalin Valeria als auch den Liktor zeitgleich zur Befragung. Zwar bei den Vestalinnen, aber nicht im offenen Atrium. Es muss ein abschließbares Officium, Speiseraum, was auch immer sein. Du vernimmst sie unmittelbar nacheinander, damit sie sich nicht absprechen können, und lässt dir am besten mittels Zeichnung oder Figuren die Tatortsituation zeigen. Wenn sie beide haargenau gleich sind, sagen sie die Wahrheit. Die Schlüsselfrage, die beide getrennt voneinander beantworten sollen, ist: Wo befand sich der Liktor - beim Spaziergang, bei Angriff und beim Akt der Selbstjustiz. Wann trat er wohin?"

    Um eine Diskussion zu beginnen, bräuchte es Hintergrundwissen, über das Menecrates nicht verfügte. Er traf den Seius bei zwei Gelegenheiten und konnte nicht behaupten, ihn zu kennen. Eine Wortmeldung hielt er für überflüssig, weil sie nichtssagend ausfallen würde, aber er schloss sich bei der anschließenden Abstimmung denjenigen an, die den Wunsch des Mannes unterstützten, den Tresviri capitales zugeteilt zu werden. Da sich für jene Magistrate erhebliche Berührungspunkte mit dem Praefectus Urbi ergaben, hoffte er, nicht enttäuscht zu werden.

    Er horchte auf und hakte nach. "Wie hieß dieser kaiserliche Beamte?" Er wollte wissen, ob er ihn kannte, und mit dem eigenen Eindruck abgleichen. Anschließend hörte er weiter zu, während er zu weiterem geschnippelten Gemüse griff. Die Villa stand also, war nur in Teilen heruntergekommen, was ihn nicht verwunderte. Die Schilderung warf allerdings Fragen auf.

    "Sind die Wände auf Tragfähigkeit geprüft? Oder meinst du nur die optische Komponente, die einer Sanierung bedarf. Das wäre ja leicht: Putzen und dann wahlweise Mosaik oder Farbe samt Bildern. Wie stellst du es dir vor?"

    Sein Magen meldete Platznot an, daher unterließ er weitere Naschereien. Der Höflichkeit halber blieb er aber liegen, denn Stella musste zwangsläufig noch Hunger haben. In jungen Jahren aß man mehr, sie kam mit Kohldampf in der Villa an und redete jetzt mehr als dass sie aß.

    "Wähle dir morgen Sklaven aus, die dich begleiten. Versuche dein Glück bei Handwerkern und solltest du auf Schwierigkeiten stoßen, lass es mich wissen. Ich bin immer nachmittags in der Praefectura Urbis, also leicht erreichbar. Notfalls musst du etwas warten." Er überlegte, dann fügte er an: "Ach ja, ein paar neue Sklaven können wir auch gebrauchen, seit hier mehr Gäste und Familienmitglieder weilen. Das bekommst du hin, oder?"

    Als Stella ihre Wünsche aufzählte, wirkte sie zum ersten Mal unbeschwert, was Menecrates ein Lächeln ins Gesicht zeichnete. "Das sollst du alles haben, mein Kind. Das und vieles mehr." Seine Stimme klang warm. In die Terme musste sie selbst gehen, aber er merkte sich, dass sie gerne las und Wagenrennen erleben wollte. Er würde es nicht vergessen. "Leben bedeutet, Erfahrungen machen und Eindrücke sammeln. Leben heißt auch Lieben, sich öffnen, damit verletzlich sein und sich spüren. Für alles Schöne gehst du zunächst ein Risiko ein, aber du hast es in der Hand, wo und bei wem." Es blieb abzuwarten, ob Stella vertrauensvoll eintauchte, oder aus Erfahrung zurückschreckte. So oder so, er würde mehr über sie erfahren.

    Wie der Kaiser beabsichtigte, die Aufstockung der Einheiten zu bezahlen, interessierte Menecrates nur am Rande. Er musste Klarheit über das Maß der Erhöhung haben, denn dieser entschied darüber, in welchem Umfang sein ausgearbeitetes Konzept umgesetzt werden konnte.

    "Moderat - was bedeutet das in Zahlen?" Er glaubte diesbezüglich nur bedingt der Aussage des Praefectus Heius Vibulanus und wollte den Fakt stattdessen aus dem Mund des Kaisers hören. Eine Information zur Lage in der Subura schob er nach, denn bislang hatte er alle Themen nur angerissen.

    "Der verhältnismäßig moderate Stand der Kriminalität in der Subura - nach der Serie an Brandanschlägen - ist erarbeitet, er wurde uns nicht geschenkt. Ich habe die Taktung der Streifen erhöht. Die gesteigerte Präsenz der Soldaten behinderte womöglich die Erstarkung neuer verbrecherischer Strukturen und führte zu frühzeitiger Entdeckung von Delikten. Ich strebe außerdem eine erhöhte Aufklärungsarbeit an. Wir können besser Rückschlüsse ziehen, ob es sich um Taten einzelner oder erstarkte kriminelle Strukturen handelt, die dahinterstecken. Aber auf längere Sicht ist dieses Niveau nicht zu halten. Die Soldaten laufen am Limit, sowohl die im Streifendienst, als auch die Ermittler."

    Da der Kaiser eine Antwort zum Konzept wünschte, riss der Präfekt dieses an, würde es aber erst näher ausführen können, wenn die Zahlen vorlagen.

    "Das Konzept stützt sich natürlich auf die Aufstockung der Einheiten. Ich bin, was die Stationierung angeht, aber mit Praefectus Heius nicht zu einem Konsens gelangt." Da Menecrates vor Monaten vom Kaiser federführend bei dem anvisierten Gemeinschaftskonzept zwischen den Urbanern und der Garde beauftragt wurde, stellte er nicht nur seine, sondern auch die Vorschläge des Praefectus Praetorio in den Raum. Mochte sich der Kaiser ein eigenes Urteil bilden.

    "Während Heius die Castra Praetoria in Richtung der Felder ausweiten möchte, habe ich gänzlich anderes im Sinn. Ich möchte die Soldaten dezentral stationieren." Er war klug genug, nicht vorab und von sich aus das erwartete Missfallen des Kaisers anzusprechen. Er erinnerte sich noch gut an ihr Gespräch zu erstmaligen Stationierung von Soldaten in der Subura, bei dem der Kaiser wenig Begeisterung zeigte. Andererseits hatte der Augustus auf dem Conventus eingeräumt, dass Menecrates' Vorstoß in die richtige Richtung ging.

    "Absolutes Einvernehmen hingegen besteht zwischen dem Preafectus Preatorio und mir in Bezug auf die erste Station: Sie muss wiederaufgebaut werden! Allein schon um ein Zeichen zu setzen und Roms Unnachgiebigkeit zu demonstrieren. Mehr noch: Heius schlägt vor, diesen Schlag ins Gesicht der öffentlichen Ordnung mit einer öffentlichen Hinrichtung zu quittieren." Er wiegte den Kopf, denn er bevorzugte andere Wege.

    Um bei Lurco keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, drehte sich Menecrates leicht zu ihm. Am Ende glaubte der Optio noch, man müsse in einem kaiserlichen Officium in Linie antreten. Die kurze Zeit des Wartens füllte der Präfekt mit weiteren Hinweisen, denn obwohl er seit längerem die korrekte Ausführung von Gruß und Anrede in der Einheit kontrollierte, erinnerte er sich, dass Lurco ihn bis vor kurzem noch per Cognomen ansprach.

    "Optio Purgitius, wenn du nachher den Kaiser begrüßt, dann kannst du in der Anrede nach Belieben wählen zwischen Augustus, Kaiser oder Imperator. Nichts davon wäre falsch, aber bitte nicht Severus sagen. Das wäre fatal." Sein Blick unterstützte die Dringlichkeit seines Hinweises, der keinen Moment zu früh kam, denn der Kaiser trat über die Schwelle.


    Menecrates verstummte prompt und straffte sich. Seit er Toga trug, sparte er sich den vollständigen militärischen Gruß, aber Respekt durch Haltung konnte er in jedweder Kleidung beweisen, ohne dass es unpassend wirkte.

    "Ave, mein Imperator!" Es gab Kaiser, da sparte sich Menecrates das Wort 'mein'. Er nahm nicht jeden Kaiser gleichermaßen an, diesen und Valerianus aber in besonderem Maße. Sein Blick streifte Lurco. Er hoffte, der junge Optio würde trotz Aufregung einen korrekten Gruß abliefern, denn mangelnde Form fiel auf die Einheit und letztendlich auf den Praefectus zurück.


    Als der Kaiser ohne Umschweife das erste Thema ansprach, hob sich Menecrates' rechter Mundwinkel eine Nuance. Palaver fiel ihm in der Tat zur Last und der Augustus musste sich dies gemerkt haben. Der Praefectus warf Lurco einen kurzen Blick zu, nickte aufmunternd, um dem Optio zu signalisieren, dass die Abwicklung in seinem Sinne geschah, und beantwortete anschließend die an ihn gerichtete Frage. "Ich kann - die Subura betreffend - überwiegend Positives berichten. Nach dem Kriminalitätsconventus ließ sich kein besonderer Anstieg der Delikte verzeichnen, wir sind in den Ermittlungen zum Brandanschlag auf die Statio I Urbana vorangekommen und ich habe mit Unterstützung der Praefecti beider Stammeinheiten das gewünschte Konzept für die bessere Befriedung dieses berüchtigten Viertes ausgearbeitet." Er unterließ es zu erwähnen, dass die ursprünglich gleichermaßen beauftragten Praetorianer so gut wie nichts zu diesem Konzept beigetragen hatten, und wartete ab, zu welchem Punkt der Kaiser Erläuterungen wünschte.

    Während sie den Weg zum Officium zurücklegten, versuchte Menecrates weiterhin, Lurco die Aufregung zu nehmen. Er sollte nicht durch Schweigen erstarren, also fragte er ihn: "Ist das dein erster Palastbesuch?" Er wandte im Laufen den Kopf und musterte den Optio. "Hab ein Auge für die Wandmalerei, die Mosaike. Du wirst es im Nachhinein bereuen, wenn du in der Castra gefragt wirst und dich ans nichts erinnern kannst." Menecrates hatte gut Reden, denn er konnte seine Besuche im Palast schon lange nicht mehr zählen, aber er erinnerte sich noch an seinen ersten. Das Herz schlug ihm damals derart hoch, dass er glaubte, man könne es hören.

    Da Cornicularius Octavius mit den anderen Begleitern bei der Palastwache wartete, erhielt Lurco noch zwei Papyri mit den Stichpunkten aus den Besprechungen mit beiden Präfekten, sowie Notizen zum Vestalinnenmord zur Verwahrung. Er wirkte damit keineswegs wie ein Packesel, sondern wie ein Optio ab actis, der er auch war.


    Ihnen wurde das entsprechende Officium gewiesen und Menecrates trat ein. Er deutete Lurco mit einer Kopfbewegung an, sich neben ihn zu stellen. Sie warteten auf den Oberbefehlshaber.

    Das Erkennungsmerkmal, über das sich Menecrates eben noch freute, musste Linos verstört haben. Sein Sklave zeigte sich nicht nur äußerlich beeindruckt, auch die Stimme klang brüchig. "Was sorgst du dich? Er hat keinen Grund, dich aufzufressen. Du wurdest von mir geschickt, also sag ihm das beizeiten. Falls nicht, und sofern er Hunger hat, musst du wohl doch mit allem rechnen." Menecrates schmunzelte. Er fand es witzig, seinen Sklaven symbolisch auf den Arm zu nehmen. Endlich konnte der Claudier tätig werden, endlich gab es einen Punkt, wo er ansetzen konnte, um hoffentlich Licht ins Dunkle zu bringen. Diese Hoffnung beflügelte ihn, ließ sein Blut schneller kreisen und schüttete etliche positive Stresshormone aus.


    Sein Lächeln versiegte, als er sich auf die gestellte Frage konzentrierte. "Narben hat er durch den Dienst sicherlich, aber wo die sind, weiß ich nicht. Dafür müssten wir seine Bettgefährtin befragen. An Offensichtliche kann ich mich jedenfalls nicht erinnern." Flüchtig überlegte er nochmals, schüttelte dann aber den Kopf und wandte sich dem Thema Tätowierungen zu. Meist trug Verus Dienstkleidung, aber zuweilen trafen sie sich privat. Eine Tunika verbarg seine verblasste Tätowierung nur knapp, daher kannte Menecrates sie.

    "Er besitzt eine Tätowierung, aber sie ist ungeeignet, ihn zu identifizieren. Sie dient bestenfalls dazu, einen Mann im Zweifel
    auszuschließen, wenn er diese Zeichen nicht auf seinem Oberarm trägt."
    Da Linos stets mitdachte, entschloss sich Menecrates zu einer Erläuterung, anstelle der bloßen Beschreibung. "Es handelt sich um ein Kürzel, das seinen Ursprung in der Republik hat. Es findet sich eher auf einem Legionssignum als auf dem Oberarm. Die Buchstaben SPQR sind es, aber - wie gesagt - mittels ihnen identifiziert du Verus nicht, weil es ein allgemein gültiger Ausdruck ist und kein persönlicher." Er stockte, weil er nicht wusste, wie er es besser erklären sollte, befand aber dann, dass die bisherige Erklärung reichen konnte. Das Wichtigste war ja der Schriftzug.


    Wie es aussah, hatte es Linos plötzlich eilig und Menecrates hinderte ihn nicht daran.

    Sein Plan ging nicht auf, weil keiner seine Gedanken lesen konnte. Menecrates hasste es, sich anders verhalten zu müssen als er fühlte, und anderes zu sagen als er dachte. Aber noch viel mehr als das verabscheute er Frauengespräche. Kochen, Kindererziehung, Einkaufen, Wehwehchen behandeln, alles Dinge, die ihn - könnte er frei zu seinen Gefühlen stehen - laut schreiend davonlaufen ließen. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er verschrieb sein Leben nicht alleine deswegen dem Militär, um seine Familie abzusichern und zu Ansehen zu verhelfen. Er flüchtete auch vor dem Alltag mit seinen beiden Gattinnen und der Kinderschar. Kleine Kinder fand er besonders nervig. Je größer sie wurden, umso mehr konnte er mit ihnen anfangen. Er spielte nie mit ihnen, aber er tauschte Gedanken aus und hörte zu. Die erneute Erkenntnis, ein schlechter Vater gewesen zu sein, traf ihn dieses Mal besonders schwer. Er würde an seinen Enkeln und Schutzbefohlenen noch mehr gut machen müssen als bisher, um die Versäumnisse der Vergangenheit halbwegs auszugleichen. Seinen Kindern nützte diese Einsicht nichts mehr. Er seufzte hörbar, riss sich dann aber zusammen und nickte Stella zu. Sein Lächeln wirkte nicht nur ehrlich, es kam von Herzen. Hilfe gab er ungeachtet der Mühen und Kosten. Einzig die anstehende Unterhaltung zwischen Stella und Faustina grauste ihn.

    Doch dann - die Götter hatten ein Einsehen mit ihm - sah es danach aus, als wolle Faustina gehen. So sehr er sich erleichtert fühlte, trübte das schlechte Gewissen seine Stimmung. 'Dieser verdammte Balanceakt zwischen Pflicht und eigenem Bedürfnis!' Mit einem schlechten Gewissen konnte er kein bisschen besser umgehen. "Richte deinem Vater aus, ich komme in den nächsten Tagen. Ich werde außerdem Stella mitbringen." Er lächelte, denn der Plan gefiel ihm. Wenn Stella und Faustina Frauenthemen austauschten, konnte er in Ruhe mit Lepidus über die wichtigen Dinge dieser Welt diskutieren. Falls Ablenkung keine Lösung für den Freund darstellten, könnte Menecrates auch zuhören oder tröstende Worte finden. Bei Männern konnte er das, Männer tickten anders. Sie weinten selten, fielen nicht um den Hals. Menecrates, der sich stets schwer tat, private Konversationen zu führen, bevorzugte eindeutig Zweiergespräche mit Tiefgang. Seichter Konversation, Alltags- und Frauenthemen wich er, wo er konnte, aus. Es gelang nur wenigen, durch seine Abwehrmauer zu brechen.

    Faustinas letzten Satz überhörte er. Was hätte er auch darauf antworten können, ohne sich zu winden. Menecrates wollte unter keinen Umständen ein schlechter Onkel sein, aber vor allem wollte er nicht lügen.


    Im nächsten Moment tauchte Victor auf. Die Götter schickten ihm tatsächlich Victor zu Hilfe. Er schickte ein stille Stoßgebet nach oben und nahm sich vor, am nächsten Morgen etwas Besonderes zu opfern.

    "Ich hätte sofort Zeit", versicherte er freimütig. "Die Damen wollte beide gerade gehen. Faustina", er wandte sich an Aemilia, "das ist mein Großneffe Victor." Er sah zu Victor und wies auf seinen weibliche Gast."Faustina Aemilia, die Tochter meines Jugendfreundes", erklärte er lächelnd.

    Anschließend wartete er ab, ob die jungen Leute noch ein paar Worte wechseln würden, bevor er einem Sklaven anwies, Faustina zur Porta zu begleiten. Er hoffte, Iulia würde nicht mehr an den Wolf denken, den er ihr versprochen hatte zu zeigen.


    Als die Gäste und Stella das Atrium verlassen hatten, ließ sich Menecrates erschöpft in einen der Korbsessel fallen. "Ich brauche jetzt Wasser mit einem Schuss Wein."