Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    In den Hierarchien kannte sich Linos offensichtlich aus, daher sparte sich Menecrates einen Kommentar darauf. Vielmehr befasste er sich mit den nachfolgenden Äußerungen, denen er zunächst aufmerksam lauschte. Linos sollte ohne jede Unklarheit auf Reisen gehen, denn unterwegs gab es niemand, bei dem er nachfragen konnte.

    Der Claudier nickte, als Linos feststellte, dass er - sobald er von Bord ging - auf sich alleine gestellt war. "Kein weiterer Punkt", bestätigte Menecrates, während er bedauernd den Kopf schüttelte. Stella kannte immerhin den Ort Themiskyra, um die Suche überhaupt an einem bestimmten Fleck starten zu können. Nicht auszudenken, wenn sie zunächst die Provinzen hätten einkreisen müssen.

    "Das ist der Grund, weswegen ich kaum jemand anderen losschicken kann. Du bist gescheit, auch gewieft, weißt dir zu helfen, kannst dich in verschiedenen Sprachen verständigen, kannst Lesen und Schreiben. Du eignest dich als Kundschafter." Das Gelingen einer Mission hing entscheidend von den Kundschaftern ab. Im Fall von Linos fand Menecrates den Alleingang sogar von Vorteil, denn mit Linos kam nicht jeder zurecht und auch Linos nicht mit jedem. Eine Gruppe fiel außerdem mehr auf als ein Einzelgänger. Mehr als zwei Personen sollten keine Nachforschungen anstellen.

    Auf die nächste Frage, fand Menecrates nicht sofort eine Antwort. Da er nicht wusste, wo und in welchem Zustand sich Verus befand, konnte er unmöglich erahnen, woran dieser zu erkennen sein würde. Er kratzte sich vor dem Ohr, strich sich anschließend über den Bart und blickte Linos ratlos an. "Ich befürchte, er wird nichts bei sich haben, was ihn ausweist. Seinen Ring trug Stella, seine Tochter, bei sich." Er atmete einmal durch, während er grübelte, dann aber fiel ihm etwas Unverwechselbares ein. Er lächelte, bevor er antwortete: "Verus' Ausstrahlung ist einzigartig. In dem Moment, wo du dich über die Maßen unwohl fühlst, vielleicht Angst um dein Leben oder deine Gesundheit hast, DANN stehst du Verus gegenüber - kalte Augen, Todesverachtung." Menecrates freute sich, dass ihm dieses Erkennungsmerkmal eingefallen war. Sein Lächeln stand in einem irrwitzigen Kontrast zum Inhalt seiner Auskunft.

    "Los geht es so schnell wir möglich. Ich lasse umgehend Vorbereitungen zum Ablegen treffen. Heute hast du in jedem Fall noch Zeit, eine Begleitung zu ordern, vielleicht auch noch morgen. Sie sollte allerdings verlässlich sein, oder du hältst dich in Äußerungen zum Zweck der Reise zurück. Wir wissen ja nicht, welche Umstände Verus von der Rückkehr abhalten."

    Wenn jemand sein Einverständnis gab und sich dabei aufrichtig zeigte, vertraute Menecrates ohne Vorbehalt. Allerdings ging er mit den Wenigsten ein Vertrauensverhältnis ein. Die meisten Personen hielt Menecrates auf Abstand. Stella schlüpfte durch die engen Maschen seines Abwehrnetzes, obwohl der Claudier nicht wusste, ob sie als vertrauenswürdig galt. Er ließ sich darauf ein - Verus zuliebe.

    "Dann haben wir einen Pakt", resümierte er. Um für Stella die Bedeutung hervorzuheben, wählte er einen für ihn unüblichen Begriff.

    "Wir kommunizieren offen unsere gegenseitigen Wünsche und Erwartungen. Fangen wir am besten gleich damit an." Während er zu einem Fleischhappen griff und ihn genüsslich kaute, überlegte er. Dabei fiel ihm auf, dass ihm jedwede Kenntnis über den aktuellen Zustand der Villa Tiberia fehlte. Nach seiner Ansicht konnten sie auch sofort mit der Planung für den Wiederaufbau beginnen. Die Atmosphäre einer Mahlzeit ließ Gedanken und Ideen fließen. Seine Bürozeiten ließen zudem wenig Spielraum zu.

    "Beim Sklavenaufstand wurde die Villa deiner Familie in Schutt und Asche gelegt, danach aber - meine ich - wieder aufgebaut? Zumindest wurde sie bewohnt. Wie sieht es denn jetzt bei euch aus? Hast du dich nach deiner Ankunft dort umgesehen?"


    Während er zuhörte, gönnte sich Menecrates ein Potpourri aus verschiedenem Gemüse. Er liebte Pflanzenkost, weil sie - anders als Brot - den Körper nicht verformte. Die Eitelkeit des Claudiers beschränkte sich auf seine Figur, sowie sämtliche Haare. Die Haare am Kopf und im Gesicht ließ er wöchentlich schneiden, die am Körper wurden jeden zweiten Tag entfernt. Duftwässerchen hasste er förmlich.

    Als Stella vorschlug, nicht weiter über Aufgaben zu sprechen, sondern lieber den Abend zu genießen, zeigte er demonstrativ das Karottenstück in seiner Hand. "Ich genieße!" Er schmunzelte, bevor er anfügte: "Was für Wünsche bewegen dich sonst noch?"

    Beruhigend klang die Erklärung zu seiner Nachfrage in Bezug auf Plato nicht, aber weder konnte Menecrates Linos auswechseln, noch den Kapitän. "Ihr müsst euch miteinander arrangieren. Er ist ein ungehobelter Klotz, aber ich traue ihm nicht zu, mein Eigentum ruinieren zu wollen. Dafür geht es ihm bei mir viel zu gut. Ich vertraue ihm."

    Plötzlich griff Linos ein gänzlich anderes Thema auf. Zunächst legte sich Menecrates' Stirn in falten, aber dann leuchtete ihm ein, dass sein Sklave - sollte er jemals befragt werden - natürlich wissen musste, welches Amt sein Herr innehatte. Wo auch immer Linos die letzten Jahre weilte, es musste weit hinter den Bergen sein, denn das Amt des Stadtpräfekten übte Menecrates seit Jahren aus. Vielleicht gab es aber auch keine Möglichkeiten, an Nachrichten aus dem Imperium zu gelangen.

    "Praefectus Urbi, mit einer kurzen Unterbrechung seit Jahren", antwortete er. "Die Zeit vergeht, ohne dass wir es bemerken." Er sann der Vergangenheit nach, riss sich aber nach Kurzem los und konzentrierte sich auf das Thema Verus samt Linos' Reise - zumal er die diesbezüglichen Nachfragen nicht eindeutig beantworten konnte.

    "Kompliziert", warf er als Erstes ein, rückte sich auf dem Stuhl zurecht, lehnte sich mit verschränkten Armen an und bemühte sein Gedächtnis, um an längst verstaubte Erinnerungen zu gelangen. "Tiberius Verus war Trecenarius bei der Garde. Das Komplizierte an der Sache ist, dass er einerseits Befehle vom Kaiser empfing, aber gleichzeitig kurz vor seinem Verschwinden von seinem Praefectus in unkorrekter Weise in den Boden gestampft wurde." Da Linos ein kluges Bürschlein war, holte Menecrates weiter aus. Je mehr Linos wusste, umso besser konnte er im Zweifel schlussfolgern. "Um ehrlich zu sein schien mir Tiberius , als ich ihn zuletzt gesprochen hatte, zerstört. Nicht verstört, sondern zerstört." Sein Blick streifte Linos, bevor er sich einen imaginären Punkt im Zimmer suchte und weiter in Erinnerungen schweifte.

    "Ich habe ihn als Klient angenommen, um ihn zu stützen. Tiberius handelte damals richtig, im Übrigen im Einklang mit mir, und der Praefectus Praetorio agiert mit Willkür. Ich kann also nicht ausschließen, dass sich Tiberius um den Sinn seines Daseins gebracht sah, aber ich will nicht daran glauben. Es besteht ebenso eine realistische Möglichkeit, dass er im Auftrag des Kaisers reiste, untergetaucht ist, oder aus irgendwelchen Gründen keine Möglichkeit besteht, dass er von allein nach Rom zurückfindet."

    Menecrates breitete die Hände aus, weil er die Möglichkeiten nicht eingrenzen, Linos aber hoffentlich trotzdem weiterhelfen konnte.

    Menecrates trafen zwei Hammer. Das erste Mal zuckte sein Kopf zurück, als Octavius die Obervestalin als Opfer benannte. Das bisherige Wissen, dass es sich bei dem Opfer um eine Vestalin handelte, reichte dem Praefectus Urbi bereits, um es als Gefährdung der inneren Sicherheit einzustufen. Nun also handelte es sich sogar um die Virgo Vestalis Maxima.

    Der zweite Hammer traf ihn in Form der zweiten Toten, die in irgendeiner Weise in die Angelegenheit involviert sein musste. Er atmete einmal tief durch und ließ sich auf einen Stuhl fallen.


    "Sag mir, dass das nicht wahr ist!" Der Aufforderung haftete eine Bitte an, wobei Menecrates wusste, dass Octavius sie ihm abschlagen musste. Sein Cornicularius würde keine Spekulationen in die Welt setzen, sondern orientierte sich an den Fundgegenständen am Tatort, daher sprach Menecrates sogleich weiter. "Gibt es Zeugen? Kann es sich um einen Unfall handeln, oder müssen wir eine Tat annehmen? Womöglich eine geplante?" Er zwang sich zur Ruhe, um den Fall möglichst objektiv beurteilen zu können. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, aber ihm fehlten Fakten. Sichere Rückschlüsse ließen sich erst nach Faktenlage ziehen, Indizien boten ein wackliges Fundament.

    "Handelt es sich bei der zweiten Toten um eine Passantin, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, oder ist sie in die Vorgänge verstrickt?" Glück im Unglück wären Zeugen, die als glaubhaft eingestuft werden konnten.


    Hin wie her, das Ableben einer Vestalin betraf den Kaiser unmittelbar, unterstand doch jede Vestalin seiner Patria potestas. Die Form des Ablebens konnte allerdings die Situation noch deutlich verschlimmern. Menecrates vermied es, die zweite Tote damit in Zusammenhang zu bringen, solange es sich bei ihrer Anwesenheit am Unfall- oder Tatort noch um einen Zufall handeln konnte. Nicht auszudenken, wenn sie sich am Ende als Mörderin herausstellte - eine mutmaßliche Christin.

    Das Alter hinterließ bei Menecrates viele Spuren, aber seine Konstitution galt als gut und das Augenlicht leistete nach wie vor gute Dienste. Eine Sänfte nahm er nur selten in Anspruch. Wie von ihm gewohnt, schritt er an der Spitze seiner Begleiter zielstrebig aus und erkannte beizeiten Purgitius, der bereits auf ihn wartete. Zu dessen augenfälligem Aktenstapel gesellten sich weitere, die von Cornicularius Octavius getragen wurden.

    "Salve Optio Purgitius! Ich sehe, du bist bestens vorbereitet." Menecrates' Mundwinkel deuteten ein Lächeln an, das weniger der guten Vorbereitung galt, als vielmehr der beabsichtigten Reduzierung einer möglicherweise vorhandenen Aufregung seitens des Optio. "Der Kaiser ist uns einen Schritt voraus gewesen. Die Bauplanung ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber ansonsten wird es höchste Zeit, dem Kaiser unsere Pläne für die Befriedung der Subura vorzustellen. Insofern", er lächelte nunmehr offensiv, "die Audienz kommt uns entgegen. Gehen wir es an!"

    Eine unmerkliche Kopfbewegung - vielmehr sprachen die Augen - signalisierte einem Miles, den Praefectus samt Optio anzumelden. Da Menecrates von Person bekannt und zudem Stadtpräfekt war, würde es bestenfalls bei Lurco Nachfragen zur Person geben.

    In Vorbereitung auf die Audienz beim Kaiser am ANTE DIEM III ID SEP DCCCLXXI A.U.C. (11.9.2021/118 n.Chr.) hat sich Optio Manius Purgitius Lurco nochmals eingehend mit folgenden Akten zu beschäftigen:

    - Brand der Statio I Urbana

    - Kriminalitätsaufkommen in der Subura seit dem Sklavenaufstand, insbesondere die Taten der Krähenbande

    - Baugrundstück Subura


    Ebenfalls in Vorbereitung dieser Audienz stellt Cornicularius Titus Octavius Frugi folgende Ergebnisse zusammen:

    - Unterredung mit dem Praefectus Vigilum zum Thema Doppelstatio

    - Unterredung mit dem Praefectus Praetorio zur Befriedung der Subura

    - Tod der Vestalin


    Optio Purgitius findet sich am morgigen Tag mit sämtlichen Unterlagen zur vierten Stunde bei der Palastwache ein. Er nimmt an der Audienz teil.


    itcrom-praefectusurbi.png


    Die Fragen prasselten, ohne dass Menecrates eine Chance bekam, zwischendurch zu antworten. Immerhin zeugte das Stakkato vom erwachten Tatendrang. Als die Frage nach dem Kapitän kam, blickte der Claudier verwundert auf. "Hast du etwas gegen Plato?" Das Interesse an ihm konnte natürlich auch einen amourösen Hintergrund haben, weswegen er grinsen musste, bevor er sich erneut der Karte zuwandte. Linos und Plato konnten kaum verschiedener sein, aber mitunter zogen sich Gegensätze an. "Auf dem Schiff bist du nicht alleine, sonst schon", antwortete Menecrates, während er weiter die Karte studierte. Schließlich gab er auf, Reisezeit und Proviantmenge zu überschlagen. Plato konnte das besser und würde den Auftrag dazu erhalten.


    Der Claudier richtete sich auf. "Natürlich nehmen wir mein Schiff. Wozu sonst habe ich es, wenn nicht für spontane Einsätze. Nimm mit, wen du für brauchbar hältst, aber aus der Villa kann ich momentan niemand entbehren. Ich habe lange alleine gelebt und die Sklavenanzahl dementsprechend angepasst. Jetzt ist nach Victor und dir auch Stella eingezogen und ich möchte nicht so lange mit der Abreise warten, bis ich das Personal aufstocken konnte. Die Impetus liegt in Ostia vor Anker. Du bekommst ausreichend Geld mit." Da niemand vorhersehen konnte, welche Bedingungen Linos erwarteten, musste der Betrag groß ausfallen, damit das Unterfangen nicht an fehlenden Mitteln scheitern würde. Kurzzeitig flammten Bedenken auf, weil er den neuen Linos noch nicht einschätzen konnte, aber er schob sie fort. Linos eignete sich damals und aktuell musste er das Risiko eingehen. Bei einem Fremden konnte er nicht einmal auf vergangenes Vertrauen setzen.


    "Verwahre es gut."

    Weder Befehl noch Bitte, er formulierte es als Empfehlung, die Hoffnung beinhaltete. "Außerdem gebe ich dir - wie das letzte Mal - ein Schreiben mit, das dir die Unterstützung staatlicher Stellen sichert und du nirgends aufgehalten wirst. Du reist in meinem Auftrag. Basta!" Er setzte dabei nicht auf sein innewohnendes Amt, sondern auf die Tatsache, dass der Name Claudius für Vermögen stand.


    "Das sind die Reisebedingungen. Reiseziel ist das Auffinden eines mir nahe stehenden Römers. Sein Name ist Aulus Tiberius Verus. Es wird viel von deiner Findungsgabe abhängen, ob die Reise von Erfolg gekrönt ist, denn wäre die Aufgabe leicht, müsste ich nicht nach ihm suchen. Dann stünde er längst allein vor meiner Tür." Er atmete einmal hörbar durch, dann fügte er an: "Bring ihn nach Möglichkeit lebend nach Hause. Solltest du von seinem Tod hören, dann erwarte ich Beweise."

    Er wartete, ob Linos Fragen zum Auftrag äußerte.

    Um sich Bewegung zu verschaffen, lief Menecrates zuweilen den Berichten hinterher, anstatt sie sich auf dem Schreibtisch servieren zu lassen. Ihm lag nicht daran, sich in seinem Officium zu verschanzen. Er pflegte Kontakt und prüfte gleichzeitig das Klima in den verschiedenen Bereichen der Castra. Seit seiner zweiten Amtsübernahme wehte ein anderer Wind. Der Praefectus hatte einen schärferen Kurs ausgegeben, nachdem die erste Station samt dort stationierter Soldaten einem Brandanschlag zum Opfer gefallen war. Er ließ neuerdings in ungeklärten, sowie eindeutig gewaltsamen Todesfällen ermitteln.


    Menecrates öffnete die Tür und vergewisserte sich, dass sein Cornicularius allein im Vorzimmer weilte, dann trat er ein.

    "Octavius, wahrscheinlich ist der Bericht noch nicht in Arbeit, aber gibt es bereits erste Erkenntnisse zum Todesfall der Vestalin?" Menecrates wusste weder, dass es sich bei dem Opfer um die Maxima handelte noch wie sie ums Leben kam und erst recht nicht durch wen. Einzig die Kunde von einer Vestalin drang an sein Ohr, blieb aber aus Gründen oberster Diskretion innerhalb der Räumlichkeiten des Praefectus und seines Vorzimmers.

    Mitunter grenzte es an Sturheit, wie Menecrates an bestimmten Prinzipien festhielt. Seine Ideale hingen hoch, Verus wusste das. Etliche teilte er sogar mit ihm. Bei aller Strenge galt der alte Mann aber nicht als nachtragend, wenn jemand Reue oder Entgegenkommen zeigte. Stella entschuldigte sich und taute damit die frostige Stimmung auf.

    "Das höre ich gern", erwiderte Menecrates mit einem feinen Lächeln. Er kannte Stellas Gedanken nicht, daher machte er sich keine Sorgen. Er lebte nach der Devise, man sagte, was man dachte. Alles andere strengte nur an, führte zu Missverständnissen oder Unzufriedenheit.

    Der bestellte Gang traf auf verschiedenen Tabletts ein und Menecrates griff zu, um Stella zu ermuntern, es ihm nachzutun. Ihr Magen meldete schon vor Minuten mehrmals Bedarf an. Währenddessen hörte er zu. Das Thema, ungebührliche Schärfe im Tonfall, lag längst in einer Ablage, als Stella zunächst eine gute Römerin erwähnte und im nächsten Augenblick auf einen Tutor zu sprechen kam. Da die junge Frau etwas eingeschüchtert wirkte - er gestand sich nicht ein, dass sie sich auch in einer Abwehrhaltung befinden könnte - sparte er sich den Witz, dass er wohl nicht als gute Römerin durchgehen könne. Stattdessen nickte er ernst.

    "Wir können das gern so machen. In dem Augenblick, wo Verus zu uns stößt, wird er wieder Vater für dich sein und ich bestenfalls ein netter Onkel." Ob er als nett durchging, würde sich erweisen müssen. Viel hing von Stellas Willen und ihren Zielen ab.

    "Ich habe dich so verstanden, dass es dir nur um die rechtliche Absegnung geht. Willst du dich wirklich selbst um die Villa Tiberia kümmern? Geld regelt vieles, aber zuweilen braucht es auch fordernde Worte. Einem Mann steht Strenge in der Öffentlichkeit gut zu Gesicht, aber einer Frau schmeichelt das nicht. Ich schlage vor, solange du mit Freundlichkeit zum Ziel kommst, entscheide allein. Sobald du Unterstützung brauchst, scheue dich nicht, mich zu fragen."


    Er wartete auf ihre Zustimmung, bevor er fortfuhr. "Die finanziellen Regelungen treffe ich." Er legte das ungefragt fest, um Stella nicht in Verlegenheit zu bringen. Woher sollte er auch wissen, wie es um das tiberische Vermögen stand.

    Zum Abschluss nickte er nochmals zufrieden. "Wenn du als eine vorbildliche römische Frau deinem Vater entgegentreten kannst, wird er sich umso mehr freuen. Das verspreche ich dir!" Nichts konnte er leichter zusagen als das, stand Verus doch als Einziger an Menecrates' Seite, als es vor Jahren darum ging, abgehobenen Frauenzimmer wieder auf den römischen Boden zu zwingen.

    Er wappnete sich mit einer Handvoll Trauben, bevor Stella antwortete. In der Berechnung ihrer Reaktionen lag er heute schon mehrmals falsch.

    In Gedanken vertieft bemerkte Menecrates kaum, wie Linos den Raum verließ. Als der Sklave kurz darauf wieder eintrat, blickte er ihn verwundert an. Die Verwunderung wuchs, je länger Linos sprach.

    "Ich muss dich anhören?" Das Erstaunen spiegelte sich auf seinem Gesicht wider, gleichzeitig machte sich ein Schmunzeln breit. Er hatte offensichtlich die richtigen Knöpfe gedrückt, um die Lebensgeister in Linos zu wecken. Dieses weinerliche Hampelmännchen von eben konnte er nicht ernst nehmen und nicht gebrauchen. Nicht einmal die Porta hätte Menecrates ihm anvertraut.

    "Wie ich sehe, hast du deinen Mut draußen wiedergefunden. Nimm‘s mir nicht übel, Linos, aber du warst in erster Linie dumm. Deine Schlussfolgerung von eben verdient dieses Siegel. Ich gebe dir einen Auftrag, erwähne die Wichtigkeit dessen und erwarte selbstständiges Handeln, während du annimmst, ich will dich loswerden. Man konnte dir in der Vergangenheit viel nachsagen, aber an schräge Rückschlüsse kann ich mich nicht erinnern."

    Insgeheim freute sich Menecrates, in seinem ehemaligem Scriba wieder mehr von der alten Persönlichkeit zu erkennen. Die garantierte zwar keine Umgänglichkeit, aber stattdessen Klugheit, Witz und Tatendrang.

    "Ich muss dir gar nichts glauben, aber ich werde es", antwortete er auf die erneut gewählte, recht unverschämt klingende Formulierung. Ein Sklave, der seinem Herr anwies, was er tun müsse, gehörte nicht zu Menecrates' Idealvorstellung eines Unfreien, aber so verhielt sich Linos schon immer. Der Claudier hatte sich längst daran gewöhnt.

    "Furcht und Angst sind keine guten Wegbegleiter", widersprach er. "Sie entziehen Kraft, die schwächt, oder sogar lähmt. Respekt vor Herausforderungen halte ich für angebrachter."

    Die Planung konnte beginnen und Menecrates zog erneut die Karte heran. Dieses Mal blickte er selbst darauf. Linos konnte sich neben ihn stellen, wenn er was sehen wollte. "Gut, gehen wir es an. Der Seeweg ist der kürzeste und vor allem einfachste: Sicilia, Achaia und dann zwischen Thracia und Bithynia durchfädeln. Themiskyra ist eine Hafenstadt.Wie praktisch für uns."

    Menecrates sah das Entsetzen und hörte die von Furcht getragenen Worte. Er konnte unmöglich einen solchen Sklaven auf eine der wichtigsten Missionen der letzten Jahre schicken. Ein Scheitern wäre vorprogrammiert. Wie gut, dass bislang außer dem Reiseziel keine Einzelheiten zur Sprache kamen. Er würde jemand anderem den Auftrag anvertrauen müssen. Ein Sklave, der bei der Übertragung von Eigenverantwortung als erstes daran dachte, man wolle, dass er verschwindet, war weder belastbar noch vertrauenswürdig. Menecrates eignete sich von Person her nicht zum Seelentröster und aktuell schlug er sich mit etlichen Problemen herum. Er brauchte Unterstützung und keine weiteren schwierigen Situationen. Er brauchte Personal, das ihn unterstützte, entlastete, Arbeit abnahm.


    "Tja, so wird das nichts", entgegnete er, während er den Kopf schüttelte. "Ich werde den Auftrag jemand anderem geben. Danke Linos, du kannst dann wieder gehen." In Gedanken ging er die anderen Sklaven durch, aber schloss diese Möglichkeit beizeiten aus. Er würde einen bezahlten Mann beauftragen.

    Die Auskunft beinhaltete leider nicht den Umstand, wie Linos - einst weitgehend frei beweglich - in diese bewachte Situation geraten war. Menecrates begann eine der für ihn typischen Wanderung durch das Zimmer und dachte nach. Er fragte sich, ob die Kenntnis über das fehlende Teilstück der Vergangenheit die Situation verändern würde. Linos blieb für Jahre verschwunden, tauchte nun wieder auf und begab sich freiwillig in die Versklavung. Wieso entschied sich jemand dafür? Natürlich bot die Villa Claudia einen besonderen Komfort auch für Sklaven, gute Kleidung, regelmäßig Essen und Sicherheit, aber wog das die verlorene Freiheit auf? Der Claudier bezweifelte dies. Vielmehr kam er zu dem Schluss, dass Linos entweder eine persönliche Bindung zu seinem Herrn aufgebaut hatte, deren Wert ihm während der Trennung vor Augen stand, oder er über einen sehr anständigen Charakter verfügen musste, der es nicht zuließ, auf unkorrektem Weg das Verhältnis zu beenden.

    Menecrates blieb stehen und strich sich über die Stirn. Die letzte Möglichkeit passte nicht zu Linos, zumindest nicht zu dem, der er früher war. Zwar musste er den neuen Linos erst einschätzen lernen, aber er riskierte nichts, wenn er die angebotenen Dienste annahm. Er drehte sich zu seinem Sekretär und entschied: "Wir knüpfen dort an, wo wir vor Jahren aufgehört haben."

    Damit machte er deutlich, dass alles zwischen ihnen als geklärt galt. Er ging zu seinem Schreibtisch und nahm Platz.

    "Dein letzter Auftrag bestand in einer Reise mit heiklem Auftrag. So in etwa wird deine erste Aufgabe auch sein und sie beginnt, sobald du dich reisefähig fühlst." Er blickte hoch und erkundete die Reaktion, bevor er zu einer Karte griff und sie Richtung Linos schob. "Ziel deiner Reise wird Themiskyra sein. Das ist eine Stadt weit im Osten, in der Provinz Cappadocia. Ich kann von hier aus nicht einschätzen, ob es ratsam ist, zunächst die Hauptstadt aufzusuchen, oder direkt nach Themiskyra zu reisen. Du wirst selbstständig Entscheidungen treffen müssen."


    Er wartete auf die Reaktion, bevor er Einzelheiten preisgab. Sollte sich Linos nicht in der Lage sehen, hielt Menecrates es für klug, ihn nicht mit Wissen über die Mission auszustatten.

    Als Stella feststellte, es sei legitim Christen zu verbrennen, wenn die Urteile gerecht waren, wies Menecrates die leere Handfläche vor, was ausdrücken sollte: 'Sag ich doch!'. Er brauchte zwar nicht die Freisprechung durch ein Mädchen, aber ihre Erkenntnis erleichterte das Gespräch. Der Claudier besaß Prinzipien und gewann im Laufe des Lebens Erkenntnisse, von denen er sich - wenn es um Christen ging - gewiss nicht verabschieden würde. Die Ereignisse in Rom trugen eher zu deren Verfestigung bei.


    Das Gespräch vereinnahmte ihn, sodass er das Essen vergaß. Da Reden durstig machte, nahm er einen Schluck des Quellwassers und hörte weiter zu. Aber nicht alles, was er zu hören bekam, gefiel ihm. Dabei ging es weniger um die Inhalte als vielmehr um den Tonfall. Er stellte in einer demonstrativ langsamen Bewegung den Becher ab, suchte und hielt den Blickkontakt.

    "Ich weiß nicht, welche Form der Konversation du gewöhnt bist, aber ... in meinem Haus reden wir respektvoll miteinander." Seine Stimme wirkte zwar nicht kühl wie die Stellas, aber entschieden. "Diese Bedingung hatte ich offensichtlich vorhin vergessen zu erwähnen." Nach einem Moment des Schweigens fügte er an: "Ich belasse jedem die eigene Meinung und schätze Ehrlichkeit, sofern dies nicht in Belehrungen endet." Stella hatte ein Stück der Sympathie verspielt, denn es gab nichts, womit Claudius ihren Tonfall rechtfertigen konnte, und auch wenn die nachfolgenden Worte gemäßigter klangen, zog er sich innerlich ein wenig zurück.


    Ihre Tränen berührten ihn, aber nicht mehr so tief wie noch vor Augenblicken. Nichtsdestotrotz stand er für Hilfe bereit. "Wenn du etwas auf dem Herzen hast, werde ich Zeit für dich finden." Dieses Versprechen gab er ohne Bedenken ab. Nach was auch immer Stella suchen würde, die Verpflichtung zur Hilfe ging er bereits damals ein, als er Verus als Klient annahm.

    Als Stella fragte, ob er sie als Mündel annehmen würde, löste das Nachdenklichkeit aus.

    "Zwei Gedankenanstöße, Stella. Gerade habe ich dich zurechtgewiesen. Ich bin nicht nur der liebe Freund deines Vaters, ich hänge Idealen an, stelle Ansprüche an das Auftreten und die Grundhaltung, erwarte Sittlichkeit. Prüfe zunächst, ob du dich mit dem arrangieren kannst." Er lächelte leicht, denn die Empfehlung meinte er gut. "Der zweite Gedankenanstoß betrifft deinen Vater. Indem du mich bittest, dein Tutor zu sein, sendest du deine geringe Hoffnung in Bezug auf sein Überleben an die Götter. Wollen wir nicht zunächst nach deinem Vater suchen, bevor wir endgültige Maßnahmen beschließen?"

    Zum Glück hielt Stella einen ersten Hinweis zum Aufenthalt bereit, wobei Menecrates den Ort noch nie zuvor gehört hatte. Themiskyra - er bemühte sich, den Namen einzuprägen. In einem flüchtigen Rundblick schloss er die Provinzen Germanien, Britannien, Spanien und Ägypten aus. Er tippte auf den Osten, irgendwo in Richtung dieser Proconsulprovinzen. Er würde Karten zu Rate ziehen müssen und mit etwas Glück stellten sich bessere Bedingungen heraus als spontan befürchtet. Ob Proconsul oder Legatus Augusti pro Praetore, vielleicht fand er in der Provinzverwaltung einen Römer vor, zu dem eine ferne Beziehung bestand.

    "Ich werde Nachforschungen anstellen", versprach er, bevor Stellas Magen unverschämt laut rumorte. "Jetzt iss erst einmal und denk währenddem über alles nach. Uns hetzt nichts." Er winkte den Sklaven, um den nächsten Gang in Auftrag zu geben. Seine väterliche Seite kam zögerlich zurück.

    Die Art und Weise, mit der Menecrates von einer jungen Frau zur anderen sah, verriet seine Ratlosigkeit. Als Gastgeber musste er bleiben, gleichzeitig kämpfte er gegen das Bedürfnis an, sich fortzuschleichen. Was sollte er auch zu Frauenthemen beitragen? Die Erkenntnis, dass ihm an dieser Stelle Kompetenz fehlte, kam ihm nicht zum ersten Mal.

    Als Hausherr sollte er die Lage im Griff und die Zügel fest in der Hand halten, doch er fühlte sich weit davon entfernt.

    "Tja, wie machen wir das jetzt, meine Damen?" Die beste Devise lautete immer, direkt mit der Sprache heraus. "Gehst du, Stella, dich umkleiden und stößt anschließend wieder zu uns?" Er traute sich nicht, Faustina zu fragen, ob sie alternativ das Gespräch gemeinsam in der Villa Aemilia fortsetzen wollten, denn das würde einem Rauswurf gleichen. Die idealste aller Konstellationen wäre gewesen, wenn Stella und Faustina in die faszinierende Welt der Frauen eintauchen würden und er bestenfalls den Gedankenergüssen zuhören musste. Er seufzte lautlos, atmete aber hörbar aus. Die Götter meinten es selten gut mit ihm, denn sie schickten ihn immer wieder in derart schwierige Situationen, aus denen er kaum einen Ausweg kannte. Ihm fehlte eindeutig eine Frau an seiner Seite, wobei er zwar als verheiratet galt, aber trotzdem allein in Rom weilte. Die Ehe existierte nur noch auf dem Papier.

    Vom Auftreten seines Sklaven hing vieles ab. Menecrates musste klären, ob er ihm noch immer vertrauen und mit pikanten Aufträgen betrauen konnte, daher kam diesem Gespräch besondere Bedeutung zu und Linos galt die ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Claudier lehnte sich zurück, faltete die Hände über dem Bauch, der nur wegen des üppigen Abendmahles ein wenig hervorwölbte, und hörte zu. Er nickte zufrieden, als er von der Gesundung hörte. Bevor er zur Antwort ansetzte, erhob er sich und trat hinter dem Schreibtisch hervor.

    "Ganz richtig, wir sprechen heute über deine zukünftige Arbeit. Um die zu definieren, bräuchte ich zunächst einmal eine Erklärung, was nach meinem letzten Auftrag geschehen ist. Der Bürgerkrieg erklärt vieles: Menschen verschwanden, Nachrichten gingen unter, aber warum bist du erst jetzt zurückgekehrt?"

    Sein Blick studierte das Antlitz seines Sklaven, der oft genug mit Sonderaufgaben betraut wurde, allerdings einmal auch entfliehen wollte.

    Und?

    Nur ein Hinweis, um nicht in kleinteilige Diskussionen zu verfallen. Es ist für euer Rollenspiel ohnehin unerheblich, da Stadtpräfekt einen rigorosen Kurs fährt und somit jedwedes Delikt ermittelt haben möchte. Das ist zwar neu aber nicht ungewöhnlich, da die Urbaner befehlsgebunden sind.

    So ist es Stella, es gibt einen Wandel bei den Cohorten. :) Noch vor kurzem waren die Spieler frustriert, weil sie im IR von anderen IDs wie Trottel dargestellt wurden. Damit ist jetzt Schluss. Die Urbaner denken nicht "modern", sie passen sich den Bedingungen an, die da heißen: niedergebrannte Statio und Sklavenaufstand. Fazit: Wir greifen härter durch.

    Solange würde ich die Urbaner noch um Geduld bitten wollen.

    Aber auch ihnen dürfte bewusst sein, dass der sakrale Bereich über einen gewöhnlichen Kriminalfall hinausgeht.

    Und auch ihr hättet von Kind an eine gewisse Scheu und Respekt vor dem Atrium Vestae.

    Zu Beginn der Ermittlungen wurde "nur" die Leiche einer wenig gepflegten Frau gefunden, die keinerlei Rückschluss auf einen Zusammenhang mit Vestalinnen zulässt. Da sie sich in einem Sack befindet, liegt ein Verbrechen nahe, also wird ermittelt. Erst die Aussage der Sklaven deuten eine Verbindung zu den Vestalinnen an. Die Sklaven müssen meiner Meinung nach (vor Ort) befragt werden, denn welcher Miles ist schon so einfältig und glaubt auf Anhieb einer hingeworfenen Aussage von kriminell wirkenden Sklaven?

    Am Abend nach Stellas Einzug fasste Menecrates den Entschluss, aktiv nach Verus suchen zu lassen. Nachforschungen konnten nie schaden, ganz gleich, wo Verus weilte, was ihn zu dem jeweiligen Ort trieb, oder wer ihn geholt hatte. Er brauchte Klarheit und auch Stella würde erst zur Ruhe kommen, wenn sie entweder ihren Vater umarmen oder ihn mit Ehren bestatten konnte.

    Gleichzeitig nach dem Bruder zu suchen, würde die Kräfte halbieren, was die Erfolgschancen minderte. Außerdem kannte er den Sohn so wenig wie gestern noch Stella. Verus wollte er aus eigenem Antrieb finden.

    Er ließ Linos zu sich rufen und erwartete ihn in seinem Arbeitszimmer. Die letzten Tage verbrachte sein ehemaliger Sekretär eher wie ein Gast als ein Sklave und Menecrates hoffte, diese Sonderstellung war ihm nicht zu Kopf gestiegen. Es blieb abzuwarten, wie er auftrat und ob noch derselbe von früher, oder durch die lange Trennung ein gänzlich anderer Linos vor ihn trat.


    Als sein langjähriger Sklave eintrat, wartete er dessen Begrüßung ab und prüfte anschließend die Lage. "Die Tage der Ruhe haben hoffentlich Gutes vollbracht. Wie steht es aktuell um deine Gesundheit?"