Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    Als Stella zustimmte, Schutzschild bei Kinderangriffen zu spielen und bereits dementsprechend handelte, atmete Menecrates erleichtert auf. Er freute sich außerdem, dass sein Mündel einen ersten Einstieg in ein Gespräch mit Faustina lieferte. Selbstverständlich fand er das nicht. Stella hätte zurückhaltend agieren können, denn sie suchte noch Ihren Platz und ebenso ein Wohlgefühl in Rom. Zwar holperte in der Villa Claudia die Konversation zwischen den beiden Frauen, aber beim ersten Aufeinandertreffen weilte Stellas kaum länger als einen Tag in Rom, während sie inzwischen ein wenig Fuß gefasst hatte. Zumindest hoffte das der Claudier.

    Er lächelte Faustina an, als sie seinen Gruß erwiderte.


    Das Kind lenkte Menecrates ab, daher hatte er Lepidus nicht eher bemerkt. Erst als der Freund neben ihm stand und ihn am Arm fasst, wandte er den Kopf. Die Freude über das Wiedersehen musste dem traurigen Anlass des Besuches weichen, dafür drückte Menecrates umso stärker Lepidus' Unterarm, nachdem seine Hand - geschwind im Gelenk gedreht und den Arm angewinkelt - seinerseits zufasste. Er hielt den Druck aufrecht und ebenso den Blick, als er sprach.

    "Lepidus, Freund, sei gegrüßt!" Worte des üblichen Beileides äußerte er nicht. Er wählte den Zuspruch, den er vermutlich in Situationen wie dieser selbst gebraucht hätte.

    "Die Götter legen jedem von uns diejenigen Lasten auf, bei denen sie sicher sind, dass wir sie schultern können. Starken Männern werden die schwersten Lasten zugewiesen." Er kannte solche Situationen und wusste daher, wovon er sprach. "Mit der Zeit wird es erträglicher", versprach er und löste den Griff um Lepidus' Arm.


    "Deine Hütte glänzt auch ohne mich", erwiderte er schmunzelnd. "Den Sonnstrahl stelle ich dir aber gerne vor. Es ist Tiberia Stella - Tochter eines meiner Klienten und gleichfalls Freundes aus der Zeit nach Germanien. Du siehst sie zwar an meiner Seite, aber sie ist mein Mündel. Nicht dass du denkst, ich hätte mir eine junge Frau zugelegt." Er schmunzelte. Eine Frau an seiner Seite fand Menecrates zwar schön, aber derart jung sollte sie nicht sein. Wenn sie nicht so anstrengend wäre, würde er sich auch über die Rückkehr seine Gattin freuen, von der er nicht einmal wusste, wo sie lebte und wie es ihr ging.


    "Wir haben viel Zeit miteinander verpasst, weil sich unsere Bahnen über Jahre nicht kreuzten. Ich hätte dir gern Stellas Vater vorgestellt, leider ist er seit längerem verschollen. Ich lasse nach ihm suchen." Gegen den Gedanken, Verus könnte ebenfalls verstorben sein, wehrte sich Menecartes nach Kräften.

    Während die Information vom Ohr zum Hirn wanderte, dort verarbeitet wurde und schließlich in ein erleichtertes Auspusten mündete, blickte Menecrates seinen Cornicularius verständnislos an. Erst nachdem der Druck wich, konnte er sich wieder rühren.

    "Meine Güte, Octavius!" Er strich sich imaginäre Schweißperlen von der Stirn. "Musst du mich so erschrecken?" Er grinste befreit und fügte an: "Wie soll dieser Tag enden, wenn er bereits so dramatisch beginnt?" Felsblöcke fielen von seiner Schulter. Er ging zu seiner Sitzecke und ließ sich in den Korbstuhl fallen. Anschließend winkte er Octavius mittels Kopfbewegung heran. "Komm, setz dich. Was gibt es denn?"

    Etwas Schlimmeres als ein Durchsickern im Vestalinnenmord konnte von Frugi nicht berichtet werden. Solange der Kaiser mit der Information nicht an die Öffentlichkeit trat, musste Menecrates sie säuberlich unter Verschluss halten - möglicherweise für immer, aber das stand noch nicht fest.

    Er hob die Brauen und zeigte sich gespannt. Was seine Klienten über den Rauswurf dachten, kam ihm derzeit noch nicht in den Sinn. Er stellte erst später fest, dass er am nächsten Tag einiges wiedergutmachen müsste.

    "So ist es Optio Purgitius", erwiderte Menecrates und wies gleichzeitig auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. "Es lohnt sich heute hinzusetzen." Er beabsichtigte, mehrere Themen anzusprechen, wollte nicht ständig hochsehen müssen und fand die Gesprächssituation insgesamt im Sitzen angenehmer.

    "Fangen wir mit den noch ausstehenden Befragungen im Fall der abgebrannten Station an." Er zog sich eine Tafel mit Notizen heran und studierte sie, bevor er aufblickte. "Wir wollten einen Kyriakos, einen Tiberios und Optio Cerretanus befragen. Letzterer ist uns noch nicht überstellt worden. Außerdem standen Ermittlungen im Fall der mutmaßlich ermordeten Iulia Phoebe und vor allem Iulius Caesoninus aus, sowie eine Befragung der Gens Furia, wenn ich nicht irre. Wie ist der aktuelle Stand?" Menecrates lehnte sich zurück, um entspannt zuhören zu können.

    Als Menecrates Frugi entdeckte, fuhr ihm der Schreck in die Knochen. Sein Cornicularius suchte ihn noch vor Dienstbeginn auf, das konnte nur Schlechtes bedeuten. Da der Octavier die Ermittlungen im Fall der getöteten Vestalis Maxima leitete, musste diesbezüglich etwas von katastrophalem Ausmaß passiert sein, sonst hätte er abgewartet, bis Menecrates in der Castra eintraf. Der Claudier vermutete, dass Internas durchgesickert waren und Teile der Bevölkerung aufbegehrten, aber er brauchte Gewissheit. Offen sprechen konnten sie vor Anwesenden über den Fall nicht, daher ließ der Hausherr das Atrium umgehend räumen. Viele der Anwesenden zeigte sich überrascht. Sie wurden regelrecht aus der Villa gedrängt. Die Sklaven - ausnahmsweise wurden nicht sie getrieben, sondern sie drängten die Klienten zum Aufbruch - entschuldigten das Vorgehen mit prekären Nachrichten.

    Als sie allein im Atrium standen, winkte Menecrates Frugi heran. "Was ist passiert?", flüsterte er. Das verbliebene Personal durfte nichts mitbekommen.

    Als Iunius mit der Akte zurückkam, überflog Menecrates den Bericht, während der Miles abschließende Worte sprach. Mit dem Inhalt würde er sich in Ruhe auseinandersetzen, aber Form und Umfang des Berichtes konnte er bereits einschätzen. Er hob den Kopf und rief dem abtretenden Soldaten hinterher: "Gute Arbeit, Miles Iunius!" Durch diesen besonderen Fall ergab es sich, dass ein einfacher Miles Medicus dem Praefectus Urbi in Erinnerung bleiben würde.


    Da bereits der nächste Mann im Vorzimmer wartete, musste Menecrates das Studium der Akte verschieben. Er verwahrte sie vorübergehend in einem Auszug seines Schreibtisches, bevor er nach draußen rief. Die Tür zum Vorzimmer stand noch offen.

    "Optio Purgitius kann jetzt eintreten!" Die Stimme kannte er bereits, weswegen eine Verwechslung nicht zu befürchten war.

    Spontane Besuche standen selten unter einem guten Stern, weil der Hausherr stets einer Beschäftigung nachging und oft nicht in der Villa weilte. Die Ianitor kratzte sich unschlüssig den Nacken, da ihm der Name zunächst auch nichts sagte.


    "Ich kann nicht garantieren, dass der Praefectus Zeit hat, aber einen Versuch ist es wert. Die Salutatio ist vorbei und eigentlich verlässt er jeden Moment die Villa. Warte im Atrium, ich lass nachfragen."

    Sollte der Hausherr entscheiden, unter welche Priorität der Octavius fiel.

    Während eines feststehenden Zeitfensters - gleich zu Tagesbeginn - wurde das Atrium regelmäßig für die Salutatio genutzt. Nur zu dieser Zeit und spät am Abend traf man den Hausherrn in der Villa Claudia an. Die engeren Klienten wurden hier vorgelassen, während andere all zu oft ihren Patron nicht zu sehen bekamen, aber vor der Porta mit Geschenken - zuweilen auch mit einer Einladung - bedacht wurden.

    Seit dem Gespräch mit seinem Jugendfreund Aemilius Lepidus konnte Menecrates den prüfenden Blick auf die Pferde nicht mehr abstellen. Er sah nicht nur auf die Spitzenposition, sondern begutachtete alle Lenker und wie sie ihre Tiere behandelten. Dabei fiel ihm auf, dass das letzte Gespann zurückfiel. Er beheilt es im Auge, um zu erkunden, wie der Lenker reagierte. Nebenbei freute er sich, dass Sotion von der befreundeten Aurata weiterhin vor der Russata lag. Die Roten hatten im Vorfeld des Wagenrennens damit geprahlt, sicher den ersten Platz zu belegen. Alleine die sich anbahnende Genugtuung tröste ihn über den guten, aber nicht herausragenden Erfolg seiner eigenen Gespanne hinweg. Immerhin lagen sie im vorderen Bereich des Feldes. Es galt, noch eine Runde durchzuhalten.

    Für Momente vergaß Menecrates, dass er sich in einer kaiserlichen Audienz befand. Er unterhielt sich mit jemand, der Verus kannte, ihn nur aus anderer Perspektive sah. Zudem erörterten sie ein Thema, zu dem sich der Claudier als Patron nicht nur verpflichtet fühlte, sondern das ihm am Herzen lag. Menecrates sann den Worten des Kaisers nach, bevor er nickte. Es herrschte Übereinstimmung, trotz verschiedener Blickwinkel.

    "Die Strafe entzieht sich leider meiner Kenntnis", gestand er. "Obwohl ich Tiberius pass genau zwischen dem Rapport bei Heius und seinem Verschwinden gesprochen hatte, riss er die Konsequenzen nicht an. Vor mir stand allerdings ein zerstörter Mann. Ich habe versucht, ihm eine Perspektive zu geben und ihn bei einer senatorischen Laufbahn nach Kräften zu unterstützen." Menecrates' Schweigen, das er zum Sammeln benötigte, ließ ahnen, dass der Versuch misslang. "Ich hätte bei dir um die Erhebung in den notwendigen Ordo bitten müssen, aber", er hob resigniert die Hände, "Tiberius Verus verschwand." Der Claudier atmete einmal durch, dann fügte er an: "Ich habe erst kürzlich die Suche nach ihm angestrengt. Das Kapitel ist für mich wegen der vielen ungeklärten Details noch nicht geschlossen."


    Wegen der perfekten Zusammenfassung des Kaisers, die Castella und die Stationes betreffend, nickte Menecrates. Besser hätte er es nicht formulieren können. Nur auf den Hinweis zum Kostenfaktor musste er eingehen. "Tja, im Grunde ziehe ich in meiner Planung bereits für die erste Castra eine bestehende Kohorte aus der Castra Praetoria ab. Castra zwei ginge nur dann umzusetzen, wenn es außer einer neu ausgehobenen Kohorte zum Betreiben der beiden Stationes noch eine weitere gäbe. Allerdings", er dachte kurz nach, während er sich - ohne es zu bemerken - ebenfalls über den Bart strich, "ich halte es für eine umsichtige Vorgehensweise, zunächst mit nur einer Castra zu beginnen. Wir greifen auf keinerlei Vorerfahrung zurück. Bei der zweiten Castra könnten wir aus den Anfangsfehlern der ersten lernen."

    Wer seine Machtfülle nach Gutdünken auslegte, landete bei Menecrates umgehend in der Kategorie 'minderwertig'. Ob Händler, Offizier, ja selbst manch ein Kaiser, darin machte er keinen Unterschied. Er entzog solchen Personen das Vertrauen und die Sympathie, ignorierte sie, wo er konnte, und kooperierte nicht. Wahrscheinlich fürchtete er, die Charakterschwäche klebte dem Subjekt äußerlich an und kleckste im schlimmsten aller Fälle auf ihn. Nicht, dass sie bei ihm einen Nährboden vorfinden würden, aber er ekelte sich. Abstand lautete seine Devise. Immerhin, seinem Klienten zuliebe näherte er sich dem Thema Präfekt der Prätorianer an.

    "Mein Klient Tiberius Verus, damals Trecenarius, hatte während dem Sklavenaufstand Feinde des Reiches inklusive der Rädelsführerin inhaftiert. Sie wurden während meines Consulats öffentlich hingerichtet. Den Befehl zur Inbrandsetzung habe ich gegeben. Das ist die Situation." Die Erklärung zur vorgeworfenen Willkür folgte.

    "Laut Codes Militaris darf niemand bestraft werden, der unter geltendem Kriegsrecht handelt, selbst wenn er Feinde des Reiches tötet. Meinem Klienten wurde erst zwei Amtszeiten später sein Handeln als Befehlsmissachtung ausgelegt und zwar in derart drastischer Weise, dass sein Ansehen beschädigt wurde. Seine Angehörigen gehen davon aus, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt. Übrigens", vor allem das betrachtete Menecrates als inakzeptabel, "die von mir veranstalteten Spiele besaßen eine derartige Größe, dass ein Praefectus Praetorio sie bemerken musste. Wäre er mit dem Vorgehen seines Offiziers nicht einverstanden gewesen, hätte er sich noch während meiner Amtszeit dazu äußern können. So aber lässt er meine Amtszeit, eine weitere und die Hälfte einer zusätzlichem Amtszeit verstreichen, bevor er zuschlägt. Ich denke, mein Klient sollte aus anderen Gründen abgesägt werden und die Hinrichtungen wurden nur als Vorwand genommen. Das und die beliebige Auslegung des Kriegsrechts nenne ich Willkür."

    Die Ereignisse lagen Jahre zurück, aber Menecrates vergaß vieles nicht - Gutes wie Schlechtes. Er brauchte ein paar Momente, um sich auf die eigentliche Thematik der Audienz zu konzentrieren.


    "Jeweils zwei Centuriae Urbaner für beide Stationes, das ist richtig, aber pro Schicht! Daher benötige ich zum Betreiben beider Stationes insgesamt eine Kohorte. Möchte ich eine Castra an den Flanken Roms außerhalb des Pomerium betreiben, benötige ich eine weitere Kohorte. Möchten wir zwei Castella an Roms Flanken setzen, würde ich eine der jetzt in der Castra Praetoria stationierten Kohorten abziehen. Das wäre die Situation bei den Urbanern."

    Der besseren Übersicht wegen, legte er eine kurze Redepause ein.


    "Eine Kohorte Vigiles nur bei der zweiten Station, die geplantermaßen mehr Feuerwache als Stützpunkt für Urbaner werden soll. Die Feuerwache - als Teil der neuen Station - ist fest besetzt, da wird nicht durchgetauscht. Sie wird betrieben wie alle bisherigen mit einer Kohorte Vigiles.

    Die Urbaner benötigen keine Schlafräume. Sie kehren nach Dienstschluss in die Castra Praetoria zurück."

    Inwieweit sich dieses Konzept bewährte, würde die Praxis zeigen müssen. Sie betraten Neuland.

    Der geäußerte Kampfeswille überraschte Menecrates nicht. Allein für den Wahlkampf benötigte es ihn. Gleichzeitig hatte die Vergangenheit gezeigt, dass einige Kandidaten es mit solchem Willen geradeso zur Vereidigung oder wenig weiter schafften, bevor sie aufgaben. Es blieb abzuwarten, wie weit der Atem des Seius Ravilla reichte. Nachwuchs wurde gebraucht. Die erwähnten gepolsterten Steine ließen Menecrates allerdings grübeln. Zum einen rätselte er, welche Steine wie gepolstert wurden, und zum anderen stellte er sich die Frage nach dem warum.

    "Gepolsterte Steine verklären den Blick für die Realität. Ähnlich verhält es sich, wenn man selbst in Watte gepackt ist", gab er zu bedenken. Menecrates hegte Zweifel. Die Tatsache, dass ihm unlängst und nacheinander zwei seiner Tiro, Annaeus und Iulius, bereits im vorangestellten Lehrjahr weggebrochen waren, ließ sein Vertrauen in die Jugend sinken. Seine Devise lautet zudem, die Anwärter zu fordern und nicht zu verhätscheln.

    "Die Rechtspflege ist ohne Zweifel ein interessantes Gebiet." Er nickte. "Da gäbe es auch mehr Berührungspunkte als in anderen Bereichen." Er überlegte, ob er sich - wider seine Natur - in den Strom der Abpolsterer einreihte, entschied sich aber dagegen. "Auch auf die Gefahr hin, dass du deine Kandidatur oder zumindest die Richtung noch einmal überdeckst, aber", er suchte nach passenden Worten, "ich bin niemand, der mit Polstern arbeitet. Im Gegenteil: Ich bin dafür bekannt, dass ich Fleiß erwarte und Einsatz einfordere." Sein Blick lag prüfend auf Seius, dessen Reaktion einiges über ihn aussagen würde.


    Ob jemand aus Menecrates' Sicht einen zukünftigen Gewinn für den Senat darstellte, maß er noch an anderen Kriterien. Es konnte nicht schaden, diesbezüglich dem jungen Mann auf den Zahn zu fühlen.

    "Für den Fall, dass du Traditionen anhängst, welche wären das?" Er vermied es, sich seine Absicht anmerken zu lassen, daher musterte er Ravilla augenfällig im Hinblick auf seine Erscheinung. Ein typischer Römer sah in der Regel anders aus. Gleichzeitig garantierte römisches Aussehen keineswegs eine traditionell römische Haltung. Die Chancen standen also ausgewogen.

    Innerlich beruhigt wollte sich Menecrates schon zurücklehnen, als er neue Informationen bekam. Er hielt in der Bewegung inne und hörte zu. Der neue Sachstand warf Fragen auf, also lehnte er sich wieder nach vorn und hakte nach.

    "Begleiter", wiederholte er. "Zivilisten? Soldaten?" Wenn es sich um Urbaner handelte, unterstanden sie Octavius' Kommando und der Cornicularius erhielt längst die Instruktion, äußerste Diskretion walten zu lassen. Demnach wäre diese Schwachstelle bereits durch Octavius im Griff und gesichert. Anders sähe es mit Zivilisten aus, daher wartete Menecrates gespannt auf die Antwort.


    Die nächste Aussage ließ ihn die Stirn runzeln. Ausgerechnet in diesem brisanten Fall haperte es mit der Kommunikation. Wer wann seinen Befehl nicht weitergegeben hatte, spielte momentan eine untergeordnete Rolle. Es galt, schnell zu handeln.

    "Sofort holen!", entschied er. Holen bedeutete gleichzeitig herbringen, wodurch klar wurde, dass sich Menecrates um den weiteren Verbleib der Kopie kümmern würde. Eine Version, naheliegend die Kopie, würde vernichtet werden, das stand fest.


    Er wartete, bis der Miles zurückkehrte, bevor er auf die anstehende Untersuchung der Vestalin einging.

    "Ergebnisse sind mir wichtiger als Diskretion, aber", er legte eine bedeutsame Pause ein., "wenn die äußere Betrachtung der Leiche ausreichend Schlüsse auf die Todesursache zulässt und außerdem kein Zweifel bei der Bestimmung des Täters besteht, möchte ich von einer Leichenöffnung absehen. Zur Klärung, ob die Rekonstruktion des Sterbevorgangs abgeschlossen und unstrittig ist, bedarf es einer Rücksprache deinerseits mit dem ermittelnden Offizier Octavius. Strittige Punkte am besten umgehend klären." Er nickte Miles Iunius zu, was einer Aufforderung zum Wegtreten gleichkam.

    "Ja, ich auch", erwiderte Menecrates, der mit der Hand dem Siegelwachs Luft zufächelte, damit es aushärtete. "Dieses Schreiben, Linos, solltest du am Körper tragen. Es ist mehr wert als Geld." Ein Lederbeutel mit Münzen stand neben dem Tintenfass. "Ich habe so viel Bargeld hochgerechnet, damit du und dein Begleiter für zwei Monate auf dem Landweg reisen könnt. Auf meinem Schiff entstehen euch weder Reise- noch Verpflegungskosten. Außerdem verdient ein Optio nicht die Welt, daher übernehme ich auch die Spesen von diesem Chrislaus." Einmal gehört, für immer gemerkt.

    "Zumal er ja nicht im Auftrag seines Herrn, sondern eher in meinem reist." Er blickte Richtung Decke, als er überlegte, dann fiel ihm noch was ein. Sein Blick erfasste Linos. "Falls ihr länger als zwei Monate unterwegs seid, dann schreib mir einen Brief und ich sende einen Boten. Der bringt Geld und nimmt Informationen mit."

    Menecrates schob den Geldbeutel Richtung Tischkante, rollte das Papyrus zusammen und legte es neben ihn.

    "Gutes Gelingen, Linos! Die Götter mit dir!"



     

    Geleitbrief


    Dem Träger dieses Briefes ist in jeder Hinsicht Unterstützung zu gewähren. Er reist im Namen und privatem Auftrag von H. Claudius Menecrates, Senator und Praefectus Urbi, wohnhaft in Rom.


    Sämtliche Aufwendungen, die nicht sofort beglichen werden, können zwecks Erstattung in der Villa Claudia/Rom eingereicht werden. Es bedarf der Freizeichnung durch den Träger dieses Schreibens, dem Sklaven Linos.



    gez. H. Claudius Menecrates 

     

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    Die Kommunikation zum heiklen Todesfall verlief reibungslos - trotz dürftig gesetzter Worte. Menecratres registrierte Gracchus' Nicken, bestätigte seinerseits mit niedergeschlagenem und anschließend gehaltenem Blick, dass er verstand, und sah wieder nach vorn. Er dachte flüchtig an mögliche Auswirkungen auf Rom, die er als Praefectus Urbi nicht abschätzen konnte, konzentrierte sich dann aber auf Gracchus Ausführungen zur Einschätzung der Lage in Bezug auf die Fremdländer. Wenn die Thematik nicht so ernst wäre, hätte er wegen der Formulierungen schmunzeln müssen. Alles, was er hörte oder las, bildete sich vor seinem geistigen Auge ab und gerade sah er einen Sumpf. Es gab Pfade und Inseln, auf denen zottige Wilde in Bretterbuden residierten.

    Das abschließende Resümee des Flaviers holte ihn auf Roms Straße zurück, denn es erstaunte ihn, obwohl er es gleichzeitig absolut richtig fand. Erst jetzt merkte er, mit welcher Kampfesbereitschaft er in das Gespräch gestartet war. Er rechnete ursprünglich mit erheblichem Gegenwind - ungeachtet der bedenklichen Lage. Nach zwei Schlenderschritten vergewisserte er sich durch Seitenblick, dass Gracchus ohne Zweifel eine ernsthafte Miene machte.

    "Angemessen ja. Gibt es ein 'aber'?"


    Er ließ Raum für eine Antwort, bevor er - mit Blick nach vorn - weitere Erläuterungen folgen ließ. "Ich weiß nicht, welche kultischen Maßnahmen notwendig sind, um zusätzliche Soldaten im Pomerium stationieren zu können." Er wollte nochmals hervorheben, dass es sich um eine Stationierung und nicht um bloßen Streifendienst handelte. Zugegeben, die Mehrzahl der Männer wären Vigillen, aber es betraf auch Urbaner.
    "Auspicia haben wir eingeholt und eine Grundstücksweihe soll es ebenfalls geben. Der Kaiser ist über das Konzept informiert.
    Er wird das Vorhaben noch dem Senat vortragen. Dein Sohn sprach aber noch von einem Gutachten oder Bescheid, was Angelegenheit des Collegium sei."
    Wie ein solches Gutachten zustande kam und was es beinhaltete, entzog sich Menecrates' Kenntnis.

    "Die Götter sind wichtig, keine Frage. Darüber hinaus haben wir noch betroffene Soldaten, denen fortlaufend und nicht

    nur anfänglich die Gnade der Götter wichtig ist. Es sind Römer." Es mochte Unterschiede in der Gottesfurcht geben, aber mit einem Gott anlegen wollte sich vermutlich keiner.

    "Ich würde es gutheißen, gäbe es speziell für die Urbaner eine Formel zur alljährlichen Entsühnung." Auf die Antwort wartete er gespannt.

    Linos rettete den Tag, was sich in einem Lächeln auf Menecrates' Gesicht zeigte. Er hob den Zeigefinger, weil so besser nachdenken konnte, und sagte: "Das ist gut!" Anschließend hörte er die genannten Namen. Bei einem stutze er, den anderen kannte er bestens.

    "Chrislaus?" Er kannte sich bei weitem nicht bei allen Völkern aus, daher bedeutete es nichts, wenn er den Namen erstmalig hörte. "Wie kann man sein Kind Chrislaus nennen?" Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das Wesentliche. "Optio Purgitius ist bekannt." Obwohl er den Sklaven als Begleitperson dadurch auch nicht besser einschätzen konnte, beruhigten ihn die Besitzverhältnisse. Er wertete sie als gutes Omen.

    "Dann würde ich sagen", er rieb tatendurstig die Hände, "du packst für die Abreise morgen und ich stelle dir die Reisepapiere aus." Am Ende überraschte ihn Linos mit einer Frage, die ihn thematisch zurückwarf. Er wurde wieder ernst, freute sich aber insgeheim über die Anteilnahme. "Ja, du kannst etwas für mich tun. Bring Licht ins Dunkel um Tiberius Verus. Alles andere ist im Augenblick nicht wichtig. Nicht alle Tage laufen gleichermaßen gut, aber morgen beginnt einer neuer und darauf lass uns konzentrieren. Komm später in mein Officium, dann gebe ich dir Geld und Papiere. Ich laufe noch zwei oder drei Runden." Er machte eine einladende Geste, ahnte aber, dass Linos nicht folgen würde. Die neuerlichen Runden nutze er nicht zur Stressminderung, sondern zum Nachdenken. Er wusste nicht, was Linos' Reise ergeben würde, hoffte aber das Beste!

    Als Menecrates das Gröbste des Adrenalinpegels abgebaut hatte, gönnte er sich ein gemächlicheres Tempo. Nach drei großen Runden blieb er bei Linos stehen, stützte die Hand in die Seite und prustete die Luft aus. "Wenn du weiter so wenig Sport treibst, wirst du entweder fett oder gebrechlich", prophezeite er. Seine Augen leuchteten bereits verschmitzt, während sein Mund noch immer nicht lächelte. Sein Atem beruhigte sich zusehends, weil er in regelmäßigem Training stand. Trotzdem ließ er sich Momente Zeit, bevor er nachfragte. Er wollte außer einem normalem Atemtakt auch das Gemüt abkühlen lassen. In der Regel dauerte das nie lange.

    "Es sah vorhin so aus, als hättest du auf mich gewartet. Was gibt es denn?" Er hoffte auf gute Nachrichten zu den Reisevorbereitungen. Schwierigkeiten fürchtete er.

    Die Auskunft fiel umfänglicher als erwartet aus. Auch inhaltlich zeigte sich Menecrates zufrieden.

    "Das ist gut!", resümierte er, bevor er zu Erläuterungen ansetzte. "Cornicularius Octavius ist instruiert und sorgt für Diskretion bei den Soldaten am Tatort. Beim Eintreffen im Valetudinarium war also außer dir und Octavius niemand sonst anwesend." Er wiederholte für sich die erhaltene Auskunft und spann sie weiter.

    "Die Leiche an sich ist ja unbedenklich. Sie kann von anderen gesehen werden, ohne dass brisante Rückschlüsse gezogen werden können. Wenn niemand mithören konnte und du die Hintergründe der Obduktion verschwiegen behandelt hast, haben wir in deinem Bereich keine Mitwisser. Siehst du das auch so?" Er wollte sich rückversichern und nicht spekulieren.

    "Dieser Fall unterliegt der absoluten Geheimhaltung. Der Obduktionsbericht und die Ermittlungsakte kommen in kein Archiv, Erörterungen dürfen nur mit Cornicularius Ocatvius oder mir erfolgen." Er überlegte, was noch zu berücksichtigen war, kam aber zu dem Schluss, dass dieser Bestandteil der Ermittlungen unter Kontrolle war und nicht nur schien.

    Brisant wurde es wieder beim Leichnam der Maxima.

    "Ich gehe davon aus, dass die Vestalinnen ein eigenes Interesse daran hegen, den Mord ihrer Virgo Vestalis Maxima mit Diskretion zu behandeln. Wie muss ich mir das Anschauen deinerseits vorstellen?" Ohne Kenntnis, konnte er keine Anweisungen geben. Seine Vorstellung reichte nicht dazu aus, ob der Leichnam nur äußerlich und aus Abstand begutachtet wurde, oder ob eine gründliche Untersuchung stattfand. Iunius konnte ihm sicherlich das medizinisch Notwendige erklären, was aber das im Höchstfall Mögliche seitens der Vestalinnen war, stand auf einem anderen Blatt.

    Nach dem Debakel vergangener Grußentrichtungen versöhnte diese makellose Meldung den Präfekten mit der ungewohnt langen Wartezeit. Er sparte sich daher eine Nachfrage. Die gewünschte Reihenfolge beim Eintreten passte auch. Er hörte es, ohne sich umwenden zu müssen.

    "Miles Iunius, es passiert nicht oft im Leben eines Soldaten, dass es zu einem direkten Gespräch mit dem Praefectus Urbi kommt", begann er und drehte sich anschließend um. Menecrates erinnerte sich an seine Anfangszeit im Militär, wo beim Vorzimmeroffizier jeweils Endstation war. Nicht einmal ein durchschnittlicher Optio wurde damals zum Legaten vorgelassen. Diese Strenge hatte er übernommen und doch machte er heute eine Ausnahme. "Wahrscheinlich ahnst du, weshalb ich dich per Eilbefehl einbestellt habe. Es geht um den Vestalinnenmord."

    Menecrates atmete einmal durch, schritt zu seinem Stuhl und ließ sich nieder. Er rieb sich die Stirn, weil ihm die Angelegenheit Kopfzerbrechen bereitete, dann fuhr er fort.

    "Zuallererst: Wie viele Soldaten und Offiziere sind inzwischen eingeweiht?"