Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    Nachdem ich Senator Claudius Menecrates zu uns an den Tisch eingeladen hatte und auch den Pontifex und Senator Flavius Gracchus mit einem entsprechenden Angebot aufgesucht hatte, begab ich mich zurück zur Familie.


    Alle hatten bereits die Hände gewaschen und warteten auf mich. [...]

    Die Opferzeremonie erlebte der Claudier nicht als Opferherr, was ihn von Verantwortung befreite und eine andere Sicht auf die Vorgänge gab. Zumeist lagen Organisation und Erfolgsdruck auf ihm, ob als Magistrat, als Familienoberhaupt oder als Praefectus Urbi bei der Weihe von Grundstücken. Menecrates hielt sich nicht nur für fromm, er war es. Nie scheute er Mühe, wenn es galt, die Götter zu besänftigen. Gleichzeitig genoss er heute die Rolle eines X-beliebigen Teilnehmers. Ihm wurde keine Aufgabe zuteil. Er wusste mehr als genau, den Kraftakt einzuschätzen und wertschätzte, welch enormer Aufwand hier betrieben wurde. Es ging darum, die Götter zu ehren, sie milde zu stimmen und um Unterstützung zu bitten. Der Lohn wurde in der Annahme des Opfers allen Anwesenden zuteil. Dankbar darüber folgte Menecrates auch der Einladung und somit dem Vergnügen, an der nachfolgenden Speisung teilzunehmen.

    Er wurde aufgehalten, weswegen ihm separat und verspätet die Hände getrocknet wurden. Bei seinem Eintreffen zu Tisch nutzte er eine Gesprächslücke und sagte: "Eine vortreffliche Zeremonie!" Menecrates konnte loben, aber nie überschwänglich und niemals unbegründet. Ein Lob aus seinem Mund besaß trotzdem zuweilen Rarität.

    Die unerwartet humorvolle Antwort reizte den Claudier zum Schmunzeln. Im ersten Moment klang die Aussage des Kaisers auch vielversprechend. Es wirkte geradeso, als könne frei geplant werden. Dann aber, als die offensichtlich überzogenen Beispiele kamen, fiel Menecrates auf, dass sie sich ausschließlich um seine Männer und die Castra drehten. Er würde also zweckmäßig planen müssen, wenn sein Vorstoß in Richtung weitere Stationes Erfolg haben sollte. Inwiefern der Kaiser dem Vorhaben offen gegenüberstand, musste sich erst zeigen. Menecrates würde mit ausgearbeiteten Plänen wiederkommen oder schriftlich anfragen. Das Konzept musste jedenfalls Hand und Fuß haben.


    "Dann habe ich Orientierung: kein Blattgold, keine Luxusaustattung", erwiderte er und konnte das Abrutschen seines rechten Mundwinkels nach oben kaum verhindern.

    In Erwartung, dass sie alles besprochen hatten, wartete er auf seine Entlassung aus der Audienz.

    Für Momente blickte Menecrates seine Nichte wie erstarrt an, dann suchte er sich einen Platz. Mit einem Seufzer setzte er sich. Er befand sich im Zwiespalt. Eine Kastration zu erklären, konnte Sisenna entweder nicht verstehen oder sie würde Schaden nehmen. Andererseits war ihm vor wenigen Jahren auch schon die Aufklärung mittels Bienen und Blumen misslungen, sodass eine Verniedlichung eigentlich auch nicht infrage kam. Abgesehen davon, fiel ihm spontan nicht einmal etwas Kindgerechtes als Umschreibung ein. Also am besten die Wahrheit möglichst schonend sagen und sehen, wie viel Anlauf er dafür nötig haben würde.

    "Also, dir ist doch bestimmt schon aufgefallen, dass Männer anders sind als Frauen und Hengste anders als Stuten." Vielleicht führte das zu Missverständnissen, also sprach er schnell weiter. "Frauen sind meistens geduldig und Männer müssen hart an ihrer stoischen Ruhe arbeiten. Der Kopf will ruhig sein, aber das Blut schäumt zuweilen. So ist das beim Mann." Er überzeugte sich, ob Sisenna halbwegs verstand, dann fuhr er fort. "Bei Hengsten kommt außer diesem schäumenden Blut noch Raffgier dazu. Jeder Hengst will alle verfügbaren Stuten haben. Du weißt, bei Männern ist das in der Regel anders." Er fragte sich, ob sie das wirklich wusste, aber andererseits sah man immer einen Mann und eine Frau in Ehe; Seitensprünge nicht ausgeschlossen.

    "Das heißt, wenn ein Hengst nicht mehr trainieren kann, hat er nur noch Stuten im Kopf und prügelt sich darum mit den anderen Hengsten. Sie beißen einander und steigen und manchmal kommt es dabei sogar zu Todesfällen. Das wollen wir doch nicht, oder?"

    Er richtete sich etwas auf, weil er seine Einleitung sehr gelungen fand und ihn das erleichterte.

    "Jetzt gibt es einen Trick, mit dem man das schäumende Blut so zusagen ablassen kann." Er stockte. Diesen Satz hätte er lieber zurückgenommen, weil es sich stets rächte, wenn er bei Sisenna schlimme Dinge verniedlichte. "Also es ist kein Trick, es ist ein …" Ihm fehlte das passende Wort. Als ihm Momente später noch immer nichts Kindgerechtes eingefallen war, sprudelte er heraus: "Es ist ein Schnitt." Er traute sich nicht, Sisenna anzusehen.

    Obwohl Menecrates nicht von sich aus um Redezeit gebeten oder gar das Thema Grundstücksvergabe als neue Form der Auszeichnung aufgebracht hatte, sah er kein Problem darin, die Diskussion zu eröffnen. Er erhob sich und sah in die Runde.

    "Patres Conscripti, wer mich kennt, der weiß, dass ich kein Freund von Neuerungen bin. Ich halte aber nicht stumpf an Althergebrachtem fest, sondern nur dann, wenn es mir richtig erscheint. Zum Glück hat vieles, worauf wir seit Urzeiten bauen, heute noch seine Berechtigung. Ich komme aber nicht umhin festzustellen, dass sich Rom weiterentwickelt und wir dieser Fortentwicklung zuweilen Rechnung tragen müssen. Das trifft uns hart, wenn wir zum eigenen Schutz Grenzen übertreten, die uns bislang heilig waren." Er spielte auf die Teilstationierung seiner eigenen Einheit inmitten des Pomerium an.


    Menecrates breite die Hände aus und die leeren Handflächen wiesen nach oben. "Aber niemand von uns muss auf irgendetwas verzichten, würden wir in besonderen Fällen eine herausragende Quaestur oder ebensolches Vigintivirat mit einem Grundstück anstelle einer Diploma belohnen." Er wartete einen Atemzug, bevor er einschränkte: "Ich spreche ausschließlich von Vigintivirat und Quaestur, sowie ausdrücklich von einer herausragenden Amtsleistung."

    Damit diese von ihm vertretene Begrenzung bei allen Senatoren wirken konnte, schwieg er für einen Moment.


    "Jeder, der von Geburt an reich, vom Wesen her verschlagen oder einfach nur von Fortuna geküsst ist, kann sich durch solide Leistung einen Platz in unseren Reihen erarbeiten. Mir kommen jedoch Zweifel, ob diese Auswahl an Römern auf Dauer gut für das Reich ist. Ein Freund wies mich erst vor kurzem darauf hin." Zwar meinte Lepidus seine Aussage etwas anders, aber dieses hatte sich Menecrates zusätzlich herausgezogen.

    "Nach meiner Ansicht wäre es ein großer Gewinn für unser Gremium, wenn es einem Manne aus wenig vermögendem Haus, der nicht arglistig genug ist, sich Landbesitz zu erschleichen, aus eigener Kraft, nämlich auf der Grundlage persönlicher Tugenden wie Fleiß, Weisheit, aber vor allem Pflichtgefühl sich den notwendigen Landbesitz erarbeiten kann, um Senator werden zu können." Er blickte in die Runde, suchte nach Zustimmung oder Ablehnung, um sich zu orientieren, bevor er fortfuhr.

    "Patres, es ist naheliegend, dass ein solcher Mann außerdem Würde besitzt und ich meine, Würde ist kein sonderlich brauchbarer Begleiter, wenn es gilt, sich Landbesitz zu erbetteln. Also ist auch hier wieder der an Würde ärmer ausgestattete Mann gegenüber dem würdevollen im Vorteil. Es liegt auf der Hand, welchen dieser Männer ich wertschätze.

    Vielleicht fragt ihr euch, ob wir Gefahr laufen zu verwässern. Ich denke, der Gewinn ist deutlich größer als das Risiko eines Fehlgriffs, denn ein Taugenichts könnte diese für Grundstücke geforderte außergewöhnliche Leistung ohnehin nicht erbringen. Es kämen demnach nur besitzärmere Männer mit großer Strebsamkeit, Ernsthaftigkeit, Pflichttreue und Verlässlichkeit in den Genuss. Das wiederum sehe ich als qualitativen Gewinn."


    Der alte Claudier wusste von der vielen Menschen anhaftenden Gewohnheitsliebe. Er selbst sprach sich davon nicht frei, aber wenn es darum ging, junge Männer zu unterstützen, stand es stets bereit.

    "Lasst uns junge Römer fördern, wenn sie ehrbar und fleißig sind!"

    Er setzte sich in der Erwartung, dass die Diskussion umfangreicher werden würde als bei der letzten Auszeichnungsabstimmung, auf der das Thema erstmalig aufkam.

    Der Optio hob den Zeigefinger und sagte: "Richtig, ich erinnere mich. Octavius." Sogleich begann er, nach der entsprechenden Tafel zu suchen. An den Inhalt erinnerte er sich. Im ersten Stapel fand er sie nicht, aber im zweiten lag sie gleich unter der obersten. "Hier ist sie ja." Er hob sie triumphierend hoch und trat an den Centurio heran.

    "Die Freunde von nebenan haben dich angefordert." Es handelte sich um einen Spruch. Befreundet war er dort mit niemand, eher ganz das Gegenteil. "Du bist mit sofortiger Wirkung zu den Prätorianern versetzt. Zwei aus deiner Centuria ebenfalls. Namen stehen drauf." Er übergab die Wachstafel.

    "Vergiss deine alten Kameraden nicht und werd bloß nicht so ein Großmaul wie die meisten Schwarzen. Ach ja, und vergiss nicht, die Ausrüstung abzugeben, die nicht von dir bezahlt ist." Welche das im Einzelnen war, wusste der Centurio besser oder auch der Miles in der Rüstkammer. Immerhin gab es dort quittierte Ausgabeunterlagen. Das Meiste würde aber wohl im Eigentum des Offiziers stehen.

    "Hals- und Beinbruch!" Glückwünsche fand er unangebracht.

    IN NOMINE IMPERII ROMANI

    ET IMPERATORIS CAESARIS AUGUSTI


    ERNENNE ICH

    TITUS OCTAVIUS FRUGI


    MIT WIRKUNG VOM

    ANTE DIEM VII KAL APR DCCCLXXI A.U.C.

    (26.3.2021/118 n.Chr.)


    ZUM

    CORNICULARIUS - PRAEFECTUS URBI



    Herius Claudius Menecrates

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    "Ausbilden hat mir auch lange Spaß gemacht." Auf Rullus' Gesicht erschien ein Lächeln und sein Blick rückte in die Ferne. "Egal, wie die Laune war, sie lässt sich immer am Fußvolk ableiten. Hier allerdings", sein Blick erfasste wieder Dinge im Officium, "muss man selbst mit mieser Laune fertig werden und darf sie sich nicht mal anmerken lassen." Er winkte ab. "Das Beste, du bringst erst keine miese Laune mit. Am Dienst hier gibt es eigentlich nichts zu meckern. Man sitzt im Trocknen, man ist nicht mehr Blitzableiter für Offiziere und mit dem Verdienst lässt sich nach Dienstschluss ordentlich viel anfangen." Sein Grinsen zog sich von Lachfalten unterstützt von einem Ohrläppchen zum anderen. Er zwinkerte vielsagend.

    "Ich mach das hier seit zehn Jahren und hätte es auch gerne weitergemacht, aber die Augen versagen den Dienst." Er seufzte. Ein Hochziehen der Nase verriet, dass etwas wie Rührung in ihm aufkam, deswegen lenkte er schnell ab.

    "Als nächstes machen wir nen Rundgang. Du bist hier Auskunftstelle für jeden und alles. Ich zeig dir, wo was ist. Das meiste wirst du kennen, oft aber nur aus Milessicht. Wir fangen aber hier oben in der Principia an. Zuerst gehen wir zum Besprechungsraum. Dort sitzt oft der Stab, aber auch andere Runden. Ich zeige dir die Tür, aber rein gehen wir nicht. Da findet gerade eine Sitzung statt."

    Der Vergleich mit dem Limes beschäftigte Menecrates ein paar Momente und auf andere Weise, obwohl er damit rechnete, dass Petronius ihn als Vergleich für die Subura herangezogen hatte. Möglicherweise irrte er aber auch, daher fragte er nach.

    "Ich bin nicht sicher, sprechen wir noch von der Subura oder schon von weiteren Problemvierteln?" Kurz zuvor befürwortete Petronius keine einzige weitere Station in der Subura.

    "Im Vergleich mit dem Limes sehe ich alle innerstädtischen Stationes als kleinere Castella an und würde sie auch gleich besetzten, während ich die Castra Preatoria samt der beiden neuen Castella außerhalb des Pomerium als große Stützpunkte ansehe. Die Anordnung der großen ist in einem Halbmond um die kleinen. Meine Idee wäre, dass wir eine Kohorte in der Subura stationieren, also aufgeteilt auf drei Standorte. Die erste Station im Norden ist einer davon. Die zweite Kohorte verbleibt in der Castra Praetoria und Kohorte drei und vier auf den beiden neu zu errichtenden außerstädtischen Stützpunkten. Die geringer besetzten Stationes müssen also ausharren, bis Verstärkung aus den Kastellen kommt." Die halbmondförmige Anordnung erwies sich dabei mehr als günstig.

    "Erhalten wir zu wenige Mittel, um beide dieser Kastelle zu erbauen, müsste eine der Kohorten bis zur Umsetzung in der Castra Praetorio verweilen, die ja genug Platz bietet."

    Das wäre eines der schlechteren Szenarien. Es konnte allerdings noch schlechter kommen, wenn die Mittel für die drei Stationes in der Subura nicht reichten. Dann wäre möglicherweise zu prüfen, ob nicht doch eine Unterbringung in Palastnähe sinnvoll wäre. Das aber nur als Alternativplan.

    "Erhalten wir ausreichend Mittel und möglicherweise sogar mehr als eine Kohorte Aufstockung, wäre zu überlegen, ob weitere Stationes, ein oder zwei oder drei je nachdem… in zusätzlichen problematischen Vierteln errichtet werden. Lass uns zunächst grob mit zwei Centuria pro Station und einer Kohorte pro Castra planen. Das klingt vernünftig." Und es entsprach auch Petronius' Vorschlag.

    Menecrates rechnete allerdings nicht damit, dass diese Variante mit dem besten Spielraum zutraf. Er würde eine nachgelagerte Besprechung anberaumen, sollten sie tatsächlich über weitergehende Standort innerhalb der Stadt sprechen können bzw. müssen.

    An das Informationssystem hatte Menecrates auch bereits gedacht. Feuersignale schloss er aus. Er wollte die Vigiles nicht zusätzlich beschäftigen.

    "Als Signalübermittlung stelle ich mir bei Tag Banner oder Wimpel vor - zu hissen auf dem Dach. Dort müsste dann eine zweite Wachmannschaft eingesetzte werden, neben der am Eingang unten. Bei Nacht würde ich auf Hornsignale setzen. Wenn du andersartige Vorstellungen hast, höre ich sie mir gern an."

    Zunächst gab es für Menecrates aber etwas anderes zu hören. Seine Verblüffung hielt sich in Grenzen, obwohl die Vehemenz, mit der Petronius die Sinnhaftigkeit der Stationes in Frage stellte, klar hervortrat.

    "Es geht hier nicht um diverse Taschendiebe oder Strichjungen. Mir geht es um das Verhindern der Bildung einer Organisation von Taschendieben und Strichjungen, Christen und anderen Machthungrigen. Das Problem, was ich bei der Subura und auch im Ansatz bei weiteren berüchtigten Vierteln sehe, ist, dass uns eines nahen Tages die Macht aus den Händen genommen wird. Längst haben sich im geschützten Rahmen kriminelle Strukturen gebildet, sogar schon ausgeweitet und sie werden sich etablieren. Sie machen irgendwann ihre eigenen Gesetze, haben einen Kopf, der regiert - wenn auch im Stillen, aber mit erheblicher Macht. Sie werden eigene Kontrolleinheiten schaffen und gegen uns einsetzten. Ich vertrete die Ansicht, dieses Übel in der Entstehung zu stören und zu bekämpfen, vor allem, wenn es im ersten Schritt nicht durch Zucker aufzuweichen war. Verpassen wir den richtigen Zeitpunkt, kontrollieren wir es absehbar nicht mehr. Vielleicht hätten wir nicht so viel problematisches Volk in die Stad lassen dürfen, aber für solche Einsicht ist es jetzt zu spät." Die Zeit zurückdrehen würde ihm verschiedentlich gefallen, ging aber nicht.

    "Wir werden ihnen Herr, wenn sie ihre Drecksgeschäfte in neutrale bis bessere Stadtviertel ausdehnen, weil sie dort nur agieren, aber nicht ihre Basis und den Rückhalt haben. In der Subura selbst ist es schon jetzt für uns schwer. Wir sollten unsere Position dort nicht noch schlechter werden lassen."

    Spätestens als die Krankheit im Höchstmaß in ihm wütete, warf Menecrates kaum noch einen Blick ins politische Umfeld, geschweige denn über Provinzgrenzen hinaus. Er wusste demnach nicht, wer die Ala Numidia führte, hatte bisher auch nichts gehört.

    "Pflegst du zu den Terentiern Kontakt? Im Militär zählt ja weniger der Stand als vielmehr die jeweilig vertretenen Werte. So habe ich es immer empfunden und gehandhabt." Er drehte sich um und griff ein Häppchen, von dem er wusste, es mundete ihm. Während er kaute, hob er bedauernd Schultern und Hände, als die Absage für eine späte politische Laufbahn kam. Ein wenig Wasser spülte den Mund leer, dann erwiderte er: "Schade, sehr schade." Menecrates hätte ohne zu Zögern und mit Begeisterung seine Unterstützung zugesagt, aber Lepidus mochte ganz offensichtlich das politische Pflaster nicht. Dabei wären Diskussionen mit ihm im Senat bestimmt interessant gewesen.

    Ochsentour - so hatte der alte Claudier seinen Werdegang tatsächlich nie gesehen. Er schmunzelte, als ihm Lepidus dies erklärte und warf im Gehen einen Seitenblick zum Jugendfreund. Als er dessen angenehmen Blick gewahrte, vertiefte sich das Lächeln. Selten gingen Pflicht und Bedürfnis einher, manchmal aber doch. Selten auch konnte man sich wortlos verstehen.

    Die Lobrede auf sein Quellwasser reizte ihn dann vollends zum Lachen. "Ich bin nicht sicher, ob deine Vorstellungskraft reicht", erwiderte er, immer noch vor Belustigung glucksend. Der erste Schluck Quellwasser im Leben schmeckte meist sogar widerlich und Menecrates nahm an, dass Lepidus noch keinen einzigen genossen hatte.


    "Ich denke, worum es im Leben geht, muss jeder für sich entscheiden. Die einen sind glücklich, wenn sie etwas erschaffen können, die anderen, wenn sie etwas erleben. Erlebnisse und Erinnerungen sind für etliche nicht in Geld aufzuwiegen und für manche reine Geldverschwendung. Letztere wollen etwas Bleibendes, etwas Stoffliches, aus dem sie Zufriedenheit ziehen. Ich glaube, da kommt es am Ende auch nicht darauf an, dass sie die Dinge alle nicht mitnehmen können. Vielleicht will mancher nur seine Nachkommen absichern." Er schwieg und ging einige Schritte weiter, bevor er merkte, dass Lepidus zurückblieb.
    Er resümierte währenddessen, denn er gehörte definitiv nicht zu den Lebemännern. Er hortete auch nicht, sondern hatte die Freude am Verschenken entdeckt. Was für ihn selbst richtig war, wusste er nicht. Eigentlich dachte er immer nur an die anderen und vermied, über sich selbst nachzudenken.


    Ein Krächzen riss ihn aus den Gedanken und er wandte sich um. Mit geweiteten Augen registrierte er, wie Lepidus um Fassung rang. "Weinst du?", fragte Menecrates entsetzt mit Blick auf die schwimmenden Augen - wobei er vor allem nicht wusste, ob aus Traurigkeit oder aus Belustigung. Andererseits hatte er Lepidus gar nicht lachen hören. An seiner Antwort vorhin konnte das unmöglich liegen, oder doch? Menecrates - kein Meister im Trösten - versuchte sein Heil in der Ablenkung.


    "In den Osten? Ich dachte immer in den Norden", warf er ein, auf die Frage nach dem Verbleib des Ducciers. "Modestus hat der Fährmann abgeholt." Das wusste er sicher und bei Lupus kannte er keinerlei Details. "Weißt du, das Absurde ist, dass der Lupus als Emblem zu meiner Gens gehört und das schon seit Generationen. Eine der größten Plagen wurde aber vor Jahren ebenfalls Lupus genannt. Es muss eine üble Laune der Götter gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Jener Lupus ist der Neffe meines ehemaligen Kameraden in der Prima und der war ein vortrefflicher Mann." Mernecrates schüttelte den Kopf. "Zuweilen gibt es ja auch Kuckuckskinder.

    Kennst du aus deiner Geschichte auch ein ähnliches Paradoxon"

    Als die Frage nach der Personeneinschätzung kam, blies Optio Rullus die Backen auf und ließ die Puste hörbar entweichen. "Das findet du mal schön alleine raus." Letztendlich würde es auch an Frugi liegen, wie gut er mit dem Praefectus auskam. "Der hat auf jeden Fall so ein paar Prinzipien." Eine Andeutung musste reichen.

    "Grundsätzlich gilt aber bei jedem Vorgesetzten: Arbeit abnehmen und nicht Arbeit verursachen." Wobei sich ja jeder erst einmal in seine neue Aufgabe reinfinden musste, daher glaubte Rullus, dieser Grundsatz würde erst später greifen.


    "Gut, kommen wir zum Wesentlichen. So gut wie alles hier wird schriftlich festgehalten. Achte also auf deine Sehkraft und lass dir nichts auf die Finger fallen. Wenn jemand kommt und zum Beispiel mündlich eine Beförderung vorschlagen will, verlangst du eine schriftliche Einreichung. Die prüfst du auf Vollständigkeit, also wer beantragt, wer soll befördert werden, Name, Rang, Begründung usw. Fertig bearbeitet legst du es dann dem Praefectus Urbi vor.

    Will jemand von außerhalb den Praefectus sprechen, braucht er einen Termin. Termine vergibst DU. Pass aber auf, dass sich die Termine hier und in der Praefectura nicht überschneiden. Du bist für den gesamten Terminplan zuständig. Für irgendwelche Anliegen der Stabsoffiziere aus unserer Einheit versuchst du immer, spontan eine Lücke zu finden. Notfalls muss der Offizier ein bisschen warten. Ein Centurio geht zu seinem Tribun, ein Optio zu seinem Centurio usw. Kennst du ja.

    Du wirst auch Schreiben für den Praefectus verfassen, da kommt er dann auf dich zu. Kleiner Tipp: Lass ihn lieber die Rechtschreibung kontrollieren, ehe du was in seinem Namen raushaust, wo Fehler drin sind.


    Über den Schreibkram hinaus bist du hier für alles zuständig: Getränke für Besprechungen, den Vorart an Wachstafeln, Archivierung von Kartenmaterial und es empfiehlt sich, die bessere Acta diurna zu sein." Rullus blickte bedeutungsvoll.

    "Du kannst dir aber jederzeit einen Miles kommen lassen, wenn du zwei Hände, Beine oder Augen mehr brauchst. Kann natürlich auch ein Tiro sein."

    Optio Rullus zeigte sich mit seiner Form von Einführung in einen neuen Posten zufrieden und grinste wieder. "Weiß nicht, warum ausgerechnet du. Irgendwer wird dich empfohlen haben. Manchmal ist der Grund Diensteifer, manchmal Loyalität oder sonst was." 'Vielleicht war er ja auch nur beliebt', dachte Rullus. Das verhalf auch zu größeren Sprüngen auf der Karriereleiter.

    "Bist nicht irgendein Cornicularius. Bist der vom Preafectus Urbi. Das bedeutet dreifacher Sold."


    Frugis nächste Frage war einfach gestellt, aber nicht einfach zu beantworten. "Du arbeitest hier, ja, aber nicht nur. Du wirst auch im Wechsel mit dem Optio ab actis in der Praefectura Dienst schieben und regelmäßige Körperertüchtigung gibt es außerdem. Hier im Officium werden nur die Augen schlecht, die Muskeln besser nicht. Was mich betrifft, ich helfe noch als Springer aus, aber die meiste Zeit meines letzten Jahres bilde ich noch aus. Meine Augen lassen nach, ich kann die Schriften kaum noch lesen. Haste Fragen, dann frag auch später, aber im Grunde bin ich kaum noch in der Principia."

    Nun kam der wichtige Teil: die Einarbeitung.

    "Ich gehe davon aus, du kannst Schreiben und Lesen?" Blöde Frage eigentlich. Er hätte sonst den Posten nicht bekommen.



    Optio Rullus besaß Menschenkenntnis und hatte den Neuen genau da gepackt, wo es weh tat. Das Ergebnis stellte ihn zufrieden.

    "Na bitte, geht doch!" Er grinste, dann fuhr er fort. "Diesen Gruß, so wie er ist, entrichtest du gegenüber dem Kaiser, der Augusta, dem Praefectus Urbi, den Consuln und sonst", er grinste erneut, "niemandem!" Vor Rullus stand nun ein Optio, der weder in Wort noch in Geste oder Haltung unsicher wirkte. So sollte es sein. "Movemini!", brülle er nun seinerseits. Optio Frugi würde nun wieder locker stehen dürfen.

    "Alle anderen, die hier reinkaspern, behandelst du individuell. Ein Centurio ist dir im Rang übergeordnet, aber du bist hier der Chef, das ist DEIN Reich und DU hast die Macht über die Tür zum Praefectus Urbi. Wer sich blöd aufführt oder schlampig meldet, den kannst du abblitzen lassen. Das betrifft auch einen überheblichen Prätorianer. Beim Prafectus Praetorio wäre ich eventuell etwas vorsichtig, aber auch von dem musst du dir nichts gefallen lassen, sollte er meinen, die Schwarzen wären etwas besseres als wir. Vorsicht durchaus auch beim Pontifex Pro Magistro, aber zum Beispiel dummdreiste Magistrate müssen hier auch die Form einhalten. Das machst du denen unmissverständlich klar. Andererseits, wer sich korrekt verhält, dem bietest du Hilfe und Unterstützung auf ganzer Linie an." Optio Rullus musterte den Neuen prüfend und brüllte: "Verstanden, Cornicularius Octavius Frugi?" Er mäßigte den Ton und fügte grinsend an: "Hier ist deine Beförderung." Wachstafel Nummer eins klatschte gegen Frugis Brust und wartete darauf, dass er sie entgegennahm. Wo genau der Dienst für den Neuen stattfinden würde, verriet Rullus noch nicht. Bissel was zusammenreimen würde der sich das schon können.

    Tja, das war es wohl mit der erwarteten Einsicht, dachte er bei sich. Er rieb sich teils ratlos, teils frustriert die Stirn und atmete hörbar aus. Plötzlich ging ihm ein Licht auf.

    "Moment! Ich sagte, er muss gelegt werden, nicht erlegt. Das ist ein Unterschied!" Ein gravierender sogar, daher holte Menecrates, den neue Hoffnung erfüllte, tief Luft und startete die Aufklärung.

    "Wird ein Tier erlegt, ist es tot. Wird ein Tier gelegt, lebt es weiter. Gelegt werden können nur männliche Tiere. Sie sind danach umgänglicher." Manche stumpfen auch ab, aber das erwähnte Menecrates nicht.

    "Bist du damit einverstanden?" Er musste fragen, obwohl er lieber bestimmt hätte. Als Tutor hatte er dazu sogar das Recht, aber er würde mit Sisenna unter einem Dach weiterleben müssen und das wollte er so erträglich wie möglich gestalten.

    Der alte Optio Rullus hörte schlagartig auf mit Wedeln und schlug die Hände über dem Kopf zusammen - samt Wachstafeln.

    "Du meine Güte, wo haben die denn dich ausgegraben?" Sein abschätzender Blick musterte den jungen Optio von oben bis unten, dann nahm er die Hände wieder vom Kopf. "Na gut, fangen wir unüblicher Weise mit Anweisung Nummer zwei an. Ich soll dir Schliff verpassen." Das stand zwar dort nicht wortwörtlich, traf aber den Sinn.

    Furchen entstanden auf Rullus' Stirn, weil er nicht wusste, wo er anfangen sollte. Um den jungen Unteroffizier nicht zu verschrecken, begann er mit etwas Positivem. Augenscheinlich dem einzigen Positivem, was er bis jetzt entdeckt hatte.


    "Fangen wir mit der guten Nachricht an: Du beherrschst eine recht passable Begrüßung. Straffe Haltung ist wichtig, ein zackiger militärischer Schlag auf die eigene Brust", er betonte 'eigene', denn mancher Hampelmann verteilte auch schon mal an sein Gegenüber Boxschläge, "dann die volle Bezeichnung des zu Grüßenden mit Rang und Namen. Den eigenen Namen nicht vergessen, sofern du auf Befehl da bist, also eigentlich alles ganz ordentlich. Etwas mehr Zack, das üben wir kurz!" Er stellte sich breitbeinig vor Frugi auf, verschränkte die Arme vor der Brust und harrte der Dinge.

    Wiedereinzug nach der Krankheit


    Die Praefectura musste ein wenig auf den Einzug Menecrates' warten, weil bei den Urbanern einiges zu klären notwendig war. Inzwischen befand sich alles auf dem Laufenden und so konnte der Praefectus Urbi - wie bereits früher - den Nachmittag des Tages in der Praefectura Urbis verbringen. Die Vormittagsstunden blieben der Einheit vorbehalten, wobei er je nach Lage auch individuell die Tage aufteilen würde. Er rechnete damit, häufiger in der Praefectura als in der Castra zu sein.

    Seine erste Amtstat stand ohnehin mit der Einheit und seinem Amt als "Bürgermeister" in Zusammenhang. Darüber hinaus sogar mit seiner Funktion als Dominus Factionis der Praesina. Daher wusste er, dass der amtierende Aedil Ludi plante. Normalerweise würde Menecrates kaum zuvorkommend arbeiten, weil es der Umfang seiner Aufgaben nicht zuließ, aber in diesem speziellen Fall mochte er den Magistraten und wollte ihm auf halbem Weg entgegenkommen. Er zückte höchst persönlich eine Tabula, weil sein neuer Cornicularius noch eingearbeitet wurde, und hielt schriftlich den Befehl fest. Ein Bote würde ihn in die Castra bringen.