Der Primicerius gestattete sich ein leichtes, aber weiterhin respektvolles Schmunzeln. "Ich fürchte, einfach ist kein einziger Posten zu erlangen. Ich habe in meiner ganzen Zeit hier auf diesem Posten noch so gut wie keine Stellenbesetzung gehabt, die ganz nach den Wünschen des Suchenden verlaufen wäre, ohne dass es dabei explizite Wünsche von höherrangigen Offizieren oder Beamten gegeben hätte. Stell' dir einfach vor, du bist der Statthalter einer Provinz. Wen hast du lieber als Kommandeur einer der Einheiten in deiner Gegend: Den Neffen eines Freundes, den du schon einmal bei einem Gelage kennengelernt hast, oder den Sohn deines Schwagers, der deiner Frau schon Zeichnungen geschickt hat, als er noch zu jung zum Schreiben war, oder einen dir völlig unbekannten Mann?" Wie schon zuvor ließ der Primicerius die Frage unbeantwortet im Raum stehen. "Wenn dein Patron dir helfen kann, deinen Wunschposten zu erreichen, kannst du das gerne versuchen. Ich kann deinen Fall problemlos solange zurückstellen, aber die offenen Posten ändern sich natürlich auch im Laufe der Zeit."
Dass der junge Mann nichts weiter über die Einheiten wusste und daher kein Urteil fällen konnte, überraschte den Primicerius nicht. Für ihn selber waren manche Einheiten auf kaum mehr als ein Eintrag auf einer Liste. Im Gegensatz zu frisch ernannten Rittern, die üblicherweise auch vorher schon unter Rittern und anderen Offizieren verkehrten, kannte er nicht einmal einen ehemaligen Offizier einer solchen Einheit persönlich, wenn man von rein dienstlichen Kontakten in der Kanzlei einmal absah. "Soll ich dich dann einfach für Germania vormerken? War dein Patron nicht sogar einmal Statthalter dort? Vielleicht hat er noch Kontakte, um dir den Einstieg oder zumindest die Reise zu erleichtern", schlug er dann vor, um zumindest eine vorläufige Entscheidung herbeizuführen. Die letztliche Vergabe machten ohnehin sein Voregesetzter und der Kaiser aus. Bei unkritischen und eher niederrangigen Posten folgten sie dabei allerdings gerne gut vorbereiteten Vorgaben aus der Kanzlei.
Germania ist besser als sein Ruf. Man muss nicht alles glauben, was in Rom über die Provinzen erzählt wird.