Lucius Praetonius Chairedemos
http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Niemand?"
Der Praetonier schüttelte etwas enttäuscht den Kopf. Demokrit war in seinen Augen doch keiner der unbedeutenden Philosophen und zumindest seinen Leitbegriff - die Atome - hatte er als bekannt erwartet. So musste er aber doch selbst die Frage beantworten:
"Nun, Demokrit - diesen Namen solltet ihr euch merken!
Seine Lehre beruht auf der simplen Einsicht, dass wir alle Dinge teilen können - theoretisch immer weiter und weiter, bis wir zu einem kleinsten Baustein gelangen, der nicht mehr teilbar ist - den Atomen. Der Begriff ist Griechisch und bedeutet genau das: unteilbar!
Aus diesen unteilbaren Grundbausteinen ist also unsere Welt aufgebaut - egal ob sie ein Tisch, ein Stuhl, dieser Baum-"
Er deutete auf das Gewächs hinter ihn, dann auf die Nase der Plinia.
"- oder deine Nasenspitze oder dein ganzer Körper, jede Seele und jeder Geist.
Schlichtweg alles besteht aus solchen Teilchen. Wollen wir aber von unteilbaren Teilchen ausgehen, dann besitzen diese gewisse Eigenschaften: Sie müssen unveränderlich sein und damit unveränderlich. Neben diesen Eigenschaften, die sich logisch aus ihrer Unteilbarkeit ergeben, können aber nicht alle Atome gleich sein - allein mit Materie, die wir sehen, ist ja so vielfältig, dass ihre Bestandteile nicht völlig gleich sein können.
Deshalb weist Demokrit den einzelnen Atomen wesentliche und unwesentliche Eigenschaften zu: die symbebekóta und die symptomata."
Wieder machte der Philosoph eine kleine Pause, um durchzuatmen und den Jüngern die Möglichkeit zu geben, das nicht ganz einfache Gehörte zu verarbeiten.
"Die symbebekóta sind theoretisch empirisch messbare Eigenschaften, also Gestalt, Gewicht und Größe. Die symptomata sind überaus vielfältig und weniger leicht zu fassen - Armut oder Freiheit wären derartige Eigenschaften.
Denken wir aber über solche Atome nach, muss sich die Frage ergeben, wie Bewegung möglich ist. Um diese Bewegung zu denken, braucht es aber Raum, der nicht von Atomen besetzt ist, denn ohne freien Raum keine Bewegung - wenn ihr euch in Sand vergraben lasst, werdet ihr diesen Schluss leicht nachvollziehen können.
Atome und Raum sind dann aber alles, was existieren muss, um unsere Welt zu erklären. Und beides ohne Grenzen, denn was sollte sein außer leerem Raum und Atomen, die ihn füllen?
Wieder schwieg Chairedemos für einen Moment und blickte inspiriert in die Ferne.
"Die für uns sichtbare Materie muss dann aber aus diesen winzigen Teilen zusammengesetzt sein - begonnen beim winzigen Sandkorn bis hin zum mächtigen Berg. Von der unsichtbaren Seele bis zum brausenden Sturm.
Um diese Verbindungen von Atomen erklären zu können, löst sich Epikur von Demokrits Lehre. Er geht von der wahrnehmbaren Realität aus - wir hatten in der Kanonik davon gehört - und schließt daraus auf den nicht wahrnehmbaren Mikrokosmos: Atome, so nimmt er an, fallen natürlicherweise alle mit gleicher Geschwindigkeit nach unten. Es mag Widerstände anderer Atome geben, weshalb es für uns nicht so aussieht - etwa ein Stein, der ins Wasser fällt im Vergleich zu einem, der im freien Fall durch die Luft fliegt.
Wäre dies aber die einzige Bewegung, würden sich niemals ein Atom mit einem anderen begegnen. Deshalb nimmt Epikur an, dass ihr Streben nach unten durch spontane Abweichungen, die parenklisis, gestört wird, woraus wiederum Zusammenstöße und daraus Verbindungen entstehen, an denen weitere Atome anstoßen und immer so fort, bis sich daraus verschiedene Objekte ergeben: Materie wie dein und mein Körper, wie das Capitolium oder eine winzige Maus.
Die Eigenschaften dieser Gegenstände wiederum richten sich nach den Eigenschaften ihrer Bestandteile - je nach dem sind sie weich oder fest, farbig oder farblos, süß oder salzig und so fort."
Langsam legte er den Finger auf den Stein, auf dem er saß und drückte auf.
"Doch so fest und unveränderlich jede Materie wirken mag - auch in ihr sind die Atome weiter in Bewegung. Und so, wie sie zusammen stoßen und Materie bilden, so streben sie irgendwann auch wieder auseinander und lösen damit die Materie, die sie einst bildeten, wieder auf. Wer ein verendetes Tier einmal gesehen hat, wird dies bezeugen können, aber auch jeder Gärtner und jeder, der schon einmal ein abgetragenes Gewand wegwerfen musste. Nichts ist beständig - weder der Leib des Menschen, noch der höchste Berg. Alles zerfällt!"
Er hob den Finger von seiner Sitzgelegenheit mahnend in die Luft.
"Ihr mögt mir nicht glauben, dass diese scheinbar so wohlgeordnete Welt aus nichts anderem besteht als zufälligen Atomverbindungen! Aber bedenkt eines: Der Raum und die Atome sind unbegrenzt - so glaubwürdig die Annahme, dass diese Welt wohlgeordnet ist, so glaubwürdig ist es auch, dass es hunderte - nein tausende und abermillionen! - weitere Welten da draußen gibt, die anderweitig geordnet sind! Manche besser als diese Welt, manche schlechter - aber alle besieren auf nichts als dem schnöden Zufall!"
Die Hand des Praetoniers wanderte an seine Brust und er senkte ein wenig andächtig den Kopf.
"Der Zufall ist es aber damit auch, der unsere mentalen und geistige Substanz geformt hat. Denn wenn nichts als Atome bestehen - wieso sollte unser Geist, unsere Seele aus etwas anderem aufgebaut sein?
Und wenn wir dies annehmen, verstehen wir auch den zweiten Lehrsatz des Epikur: Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns."
Er blickte in die Reihe seiner Schüler.
"Auf den ersten Blick eine erschreckende Einsicht, sich ins absolute nichts aufzulösen. Doch da wir dann nicht mehr existieren, auch nicht allzu erschreckend - und zweifellos besser als die Furcht, in alle Ewigkeit in einer finsteren Unterwelt dahinzuvegetieren, in einem eisigen Strom zu schwimmen oder selbst auf einem Berg zu setzen - so hoch er sein mag - und in alle Ewigkeit nichts als Nektar und Ambrosia zur Verfügung zu haben."
Der Praetonier lächelte - sich selbst hatte er offensichtlich mit seinen Überlegungen überzeugt.