Beiträge von Herminia Tarpa

    Calvina hatte sich als geistesgegenwärtig erwiesen, denn Pomponia Pia nahm ihr sofort die Schale ab und stellte sie langsam und geradezu würdevoll auf den Hausaltar.


    "Nehmt diesen Puls für Euren Schutz."


    Sie trat zurück und gab den Laren eine Pause, das Opfer anzunehmen - zumindest wirkte es so. Puls war die traditionelle Opfergabe für die Laren - eine Speise, die von den Römern schon länger gegessen wurde als das Brot und die bis heute zahlreiche römische Soldaten nährte. Aber auch im Volk war sie auch heute noch so beliebt, dass die Römer bei anderen Völkern gelegentlich auch abfällig 'Breifresser' genannt wurden.


    "Wie der Weihrauch zum Himmel aufsteigt, so mögen unsere Gebete zu Euch aufsteigen. Wie auf einem Mahl möge Euch der Wein, jene kostbare Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit, und der Puls, jene kostbare Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit, Euch erfreuen und uns Euch empfehlen für heute und in alle Ewigkeit."


    Damit war das Hausopfer abgeschlossen und Pomponia Pia wandte sich zu ihren Schwestern um.


    "Lasst uns den Tag beginnen."




    Asinia Atilla


    An diesem Tag erschien Atilla erneut zeitig im Ausbildungsraum. Da der Tag heute recht heiß war, trug sie nur ein leichtes, weißes Gewand und hatte sogar auf die sonst übliche Stola verzichtet - aber innerhalb des Atrium Vestae war dies ja auch nicht so unüblich!


    "Guten Morgen, Sergia! Wie ich sehe, hast du meine Aufgabe bearbeitet. Zeig mir das Ergebnis!"


    Sie nahm die Tabula an und setzte sich auf ihren Stuhl. Dann begann sie langsam, die Tafel von vorn bis hinten durchzulesen. Eine ganze Weile studierte sie die Sätze, sah gelegentlich zur Decke, als müsse sie ihre Gedanken sammeln. Zuletzt legte sie die Tafel auf den Schoß und begann mit der Kritik.


    "Alles in allem hast du das Wichtigste über alle Götter gefunden. Es sind jedoch einige Flüchtigkeitsfehler - wie ich meine. So gibt es jeweils nur einen Flamen pro Gott. Es gibt nur einen Flamen Dialis, nur einen Martialis und einen Flamen Quirinalis. Kannst du mir bei der Gelegenheit vielleicht auch sagen, welche Flamines es noch im Collegium Pontificium gibt?"


    Und schon war eine hervorragende Überleitung zum nächsten Thema gegeben!



    Papiria Occia hatte eine Schale mit einem seltsamen Brei in der Hand, die sie Calvina in die Hand drückte. Dabei lächelte sie sie an und raunte ihr


    "Auf mein Zeichen!"


    zu. Es war wichtig, dass auch Amatae bereits früh mit kultischen Aufgaben betraut wurden - das wussten die Vestalinnen. Doch ehe Calvina etwas dagegen sagen konnte, begann Pomponia Pia bereits mit dem Hausgottesdienst für die häuslichen Laren.


    Sie trat in die Mitte der Frauen und warf ein wenig Weihrauch in die Einbuchtung des Larariums, in dem kleine Kohlen glommen. Während der wohlriechende Rauch aufstieg, hob sie die Hände, die Handflächen nach oben gewendet.


    "O Lares Vestalium, Schützer und Segner unseres bescheidenen Hauses! Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden schützt Ihr dieses Haus, das uns vestalischen Jungfrauen, wie auch unseren längst verblichenen Schwestern Schutz und Sicherheit bietet, uns vor den Verlockungen der Unkeuschheit bewahrt und uns so den Dienst für Res Publica ermöglicht.
    Seit der Begründung jenes Hauses durch die Väter opfern wir Euch als Zeichen unserer ergebenen Dankbarkeit, bringen Euch Wein, Brot, Puls und weiße Schweine dar.
    Steht uns auch in den nächsten Tagen, Jahren und Jahrhunderten bei, segnet dieses Haus, aufdass seine Einwohner niemals Not leiden müsssen, kein böser Geist von ihm Besitz ergreift oder irgendein Schaden über uns kommt.
    Dann können wir auch in den kommenden Tagen, Jahren und Jahrhunderten Euch demütig unsere Opfer darbringen, Eure Heimstatt bewahren und vor allem sterblichen Verfall schützen."


    Eine Vestalin reichte der Vestalis Maxima eine Bronze-Kanne. Pia goss ein wenig Wein aus dieser in eine Schale, die auf dem Lararium stand.


    "Nehmt diesen Wein für Euren Schutz."


    Papiria Occia stupste Calvina in diesem Augenblick leicht an und nickte leicht in Richtung Pomponia Pia.

    Asinia Atilla


    Wieder nickte Atilla.


    "Die Antworten sind richtig. Aber es hängt stets davon ab, in welcher Situation zu bist und was du mit deinem Gebet erreichen willst. Es ist von höchster Wichtigkeit, stets den richtigen Adressaten deines Gebetes auszuwählen, denn jeder Gott hat ein - sagen wir mehr oder weniger eingeschränktes Wirkungsfeld. Rufst du Diana wegen des Handels an oder Venus wegen eines Kampfes, so wird es dir nichts nützen. Stets ist der richtige Adressat zu beachten!"


    erklärte sie mit erhobenem Zeigefinger. Das war wohl das wichtigste Allgemeine, was man zu den Göttern sagen konnte.


    "Gut, damit beenden wir den Unterricht für heute, damit du eine weitere Aufgabe erledigen kannst: Schreibe für mich alle wichtigen Information zu den Gottheiten Iuppiter, Venus, Quirinus und Mars auf. Nicht zu lang, aber das Wichtigste sollte schon enthalten sein."


    Diese Aufgabe war relativ komplex - dafür hatte sie auch den ganzen Nachmittag Zeit!




    Wie an vielen Tagen im Jahr wurde auch heute den Laren, den geisterhaften Beschützern des Hauses, geopfert. Dazu versammelten sich alle Vestalinnen, aber auch die Amatae des Kults, denn dieser Termin war für alle wichtig.


    Im Zentrum des Raumes direkt vor dem Lararium hatte sich, beobachtet von den Pontifex-Maximus-Reliefs an den Wänden, Pomponia Pia, die Virgo Vestalis Maxima aufgestellt und wartete, dass ihre Schwestern alle erschienen.


    Sim-Off:

    Sergia Calvina bitte erscheinen ;)

    Asinia Atilla


    Wieder nickte Atilla.


    "Wie immer: Richtig! Wenn du das weißt, kannst du mir sicher auch sagen, welche Götter ein Händler bei Vertragsabschluss anrufen könnte."


    Gespannt, ob Calvina die Antwort herausfinden würde, legte die Alte den Kopf schief und sah die Amata an.




    NUNTIATIONES
    Bekanntmachungen


    Im Hof des Atrium Vestae befindet sich eine Wand, auf der ein Kalender mit Markierungen für die wichtigsten Feiertage, sowie ein Dienstplan für den Tempeldienst aushängt. Jede Vestalin ist dort regelmäßig eingetragen.


    Außerdem werden andere Aufgabenzuteilungen hier von der Virgo Vestalis Maxima ausgehängt.

    Asinia Atilla


    An diesem Tag kam Atilla zu spät und als sie den Raum betrat, war Sergia bereits anwesend. So grüßte die Vestalin die Amata und nahm die Tafel entgegen. Eine ganze Weile studierte sie die Götternamen und die angefügten Zuständigkeiten. Schließlich hob sie den Kopf und meinte


    "Alles in Allem ganz gut, allerdings hast du einen sehr bedeutenden Aspekt des Mars übersehen: Neben dem Krieg ist er auch für die Felder zuständig. Er gehört zu den am längsten verehrten Gottheiten und wurde bereits von den Bauern, die Rom gründeten, gelobt.


    Außerdem gehört auch Mercurius zu den wichtigen Göttern, den Dei Consentes, die überall im Reich verehrt werden und den griechischen Gottheiten entsprechen."


    Sie gab die Tabula zurück und erhob sich, um sich einen weiteren Papyrus-Bogen aus dem Regal zu nehmen. Dann setzte sie sich erneut.


    "Wir werden uns heute ein wenig die verschiedenen Gottheiten ansehen, wie du dir denken kannst. Es gibt verschiedene Einteilungen, die im Laufe der Zeit verändert wurden. So etwa die Göttertrias. Es gibt eine alte und eine neue: Kannst du mir sagen, wer jeweils dazu gehört?"


    Sie sah auf und blickte Calvina fragend an.




    Asinia Atilla


    Wie so oft, musste Atilla auch diesmal nicken. Dann fuhr sie fort.


    "Korrekt. Man nennt dies die Disciplina Etrusca. Auch du wirst diese eines Tages ein wenig lernen müssen. Das angenommene Opfer bezeichnet man als Litatio. Ist es nicht angenommen, muss das Opfer wiederholt werden - der Opfernde hat vermutlich etwas falsch gemacht."


    Sie rollte umständlich die Rolle mit dem Lernstoff zusammen und sah dann endlich auf.


    "Du hast heute erneut sehr gut gearbeitet. Zur Belohnung beenden wir den Unterricht ein wenig früher und du darfst die Stadt besuchen. Nimm aber eine unserer Sklavinnen mit!"


    Sie wartete einen Augenblick, dass Calvina die Freude darüber genießen konnte. Dann meinte sie jedoch


    "Ich gebe dir aber auch eine Aufgabe bis morgen. Schreibe mit auf einer Wachstafel die zehn deiner Meinung nach wichtigsten Gottheiten mit ihren Zuständigkeitsbereichen auf. Morgen früh werde ich sie kontrollieren und wir sprechen ein wenig darüber."


    Damit erhob sie sich, verabschiedete sich und verließ den Raum um sich an das Mittagessen zu machen.




    Inzwischen hatte Papiria Occia sich satt gegessen. Zum Nachtisch nahm sie sich noch einen Apfel von der Schale, die eine Sklavin hereintrug. Dann beendete sie das Mahl endlich.


    "Es hat mich sehr gefreut, dass du mit mir gegessen hast. Wir sollten das unbedingt einmal wiederholen, Sergia!"


    meinte Occia schließlich. Dann ließ sie sich die Finger waschen und die Hände waschen. Endlich erhob sie sich und verabschiedete sich.


    "Vale, Sergia!"

    Asinia Atilla


    Wieder nickte Atilla. Calvina wusste tatsächlich viel und diese Wiederholung war wohl eher eine kleine Auffrischung ihres Allgemeinwissens. Dennoch musste sie gemacht werden.


    "Diese Dinge schließen auch uns von den Opferhandlungen und vielen Diensten im Tempel der Vesta aus.


    Aber zurück zum Opfer. Dieses beginnt nach der Reinigung mit dem Voropfer, das häufig innerhalb des Tempels der Gottheit vollführt wird. Dabei werden die Gaben der Gottheit präsentiert - wie du schon sagtest - und meist auch ein Opfergebet gesprochen. Was dann mit dem Opfer geschieht, ist unterschiedlich. Teilweise wird es verbrannt, teilweise aber auch nur eine Zeit lang im Tempel hingestellt. Die Priester haben dann zumeist das Vorrecht, die Opfergaben zu verbrauchen, soweit es sich um Speisen handelt. Hier enden unblutige Opfer.


    Beim Blutigen hingegen findet eine mehr oder weniger große Prozession statt - bis zum Opferaltar eben. Er befindet sich meistens vor dem Tempel oder in einem Hain. Dabei wird das Opfertier, aber auch Musikanten und häufig Götterstatuen und Ähnliches mitgeführt. Dort erst beginnt das eigentliche Opfer. Das Tier wird begutachtet und entkleidet. Dann wird es der Gottheit geweiht. Dies geschieht gewöhnlich mit Mola salsa, einer Substanz, die wir Vestalinnen herstellen - darauf komme ich aber zu einem anderen Zeitpunkt.


    Eine Alternative ist etwa Wein. Danach wird das Tier von seinem Schmuck befreit und symbolisch vom Opferherrn - also etwa dem Priester - entkleidet. Dann wird häufig ein weiteres Gebet gesprochen und das Tier wird geschlachtet. Nicht alle Tiere werden dabei angebunden. Bei einem Schaf hält der Opfermetzger das Tier häufig nur fest und schneidet mit einer Hand die Kehle durch. Auch ein Priester sollte einen derartigen Schnitt hinbekommen, auch wenn es bei großen Opfern praktisch immer von einem Fachmann, der meist Metzger ist, erledigt wird.


    Dann werden die Vitalia entnommen und überprüft. Auch dies sollte jede Vestalin können, obwohl es dafür Spezialisten gibt. Weißt du, wie man sie nennt?"


    nach so viel Gerede musste Atilla erst einmal Luft holen und auf die Antwort der Frage warten.




    "Ach, er war Soldat. Das erklärt einiges."


    stellte Occia fest und dachte daran, dass ihr Vater ebenfalls Soldat gewesen war - zumindest für ein paar Jahre, in denen er in verschiedenen Legionen als Tribun gedient hatte. Sie hatte es damals allerdings noch nicht gegeben - ihr Vater war nur verlobt gewesen.


    "Und Graecia? Warst du schon einmal in Graecia? Mein Bruder hat dort studiert. Es muss faszinierend sein, in einem Land zu sein, in dem Menschen wie der große Homer oder Helden wie Achill gelebt haben. er hat mir geschrieben, dass er sogar auf Ithaka gewesen sei - dort wurde Ulixes* geboren."


    Sim-Off:

    * Ulixes ist der lateinische Namen für den griechischen Helden Odysseus

    Asinia Atilla


    Atilla wartete geduldig und hörte sich dann die Erzählung an. Im Prinzip hatte sich Calvina die meisten wichtigen Dinge, die bei einem Opfer zu beachten waren, gemerkt. Dennoch machte die erfahrene Vestalin noch einige Anmerkungen:


    "Was du berichtest, entspricht den römischen Sitten. Es ist allerdings auch wichtig, vor dem Opfer das Opfertier zu überprüfen: Es dürfen den Göttern nur makellose Tiere dargeboten werden. Außerdem ist es wichtig, die Opferhandlungen korrekt auszuführen und die Opfergebete fehlerfrei zu sprechen - nur ein korrekt ausgeführtes Opfer hat Aussichten auf Erfolg.


    Das Genauere, insbesondere Fragen zur Eingeweideschau und den speziellen Opfergaben werden wir später besprechen. Zuerst aber Allgemeines:


    Ein Opfer kann blutig oder unblutig sein, wobei ein blutiges Opfer zumeist auch unblutige Opfergaben im Voropfer enthält. Wir besprechen also nur das blutige Opfer, auch wenn viele unserer Opfer nur unblutig sind.


    Das Opfer beginnt, wie du bereits erkannt hast, mit einer rituellen Reinigung. Insbesondere drei Dinge schließen den Menschen von einer kultischen Handlung aus. Weißt du, welche das sind?"




    "Ah, Aegyptus! Zu gerne hätte ich mir dieses Land einmal angesehen. Aber mein Vater ist ja Senator und die lässt der Kaiser nicht in seine Provinz. Aber es soll dort wundervolle Bauwerke geben, wie ich gehört habe. Hast du deinen Vater dort einmal besucht?"


    Aegyptus war tatsächlich ein heimlicher Traum von Occia Papiria. Dieses Land, das angeblich älter war als Italia, ein Reich, mit dem schon die Griechen gekämpft hatten, wie sie gelesen hatte. Und Bauwerke, so hoch wie der Himmel!

    Asinia Atilla


    Diese Antwort hatte die Asinierin beinahe erwartet. Zwar war es Frauen durchaus erlaubt, dem Cultus Deorum beizutreten, dennoch gab es - besonders auf dem Land - mehr männliche Sacerdotes. Und zu Hause war sowieso der Pater Familias der Hauspriester. Aber immerhin hatte sie schon zugesehen - das wiederum war für eine junge Dame ihres Alters geradezu zu erwarten.


    "Nun, das ist kein Problem. Erinnerst du dich denn, wie ein solches Opfer im Allgemeinen abgelaufen ist?"




    "Wo würdest du gern hin? In die Provinz? Oder doch lieber in Italia?"


    fragte Occia weiter. Über Pläne für die Zeit nach dem Dienst sprach sie überaus gern. Von jeder Vestalin kannte sie die Pläne - außer von der verstorbenen Flavia, die ja so grausam um die Früchte ihres langen Dienstes beraubt worden war. Der Gedanke ließ einen leichten Schleier über ihren Blick ziehen, der jedoch sofort verschwand, als sie neugierig die Antwort erwartete.

    Asinia Atilla


    Dass Calvina dies wusste, war eigentlich relativ klar. Aber sofort kam die alte Vestalin auf den eigentlichen Punkt zu sprechen.


    "Wieder richtig. Dann können wir zum eigentlichen Tagesstoff kommen: Hast du schon einmal ein Opfer abgehalten?"


    fragte sie erneut. Das Frage-Antwort-Spiel war ihrer Meinung nach wesentlich geeigneter, zumal sie eine große Freundin des Sokrates war, der das Fragen geradezu zum Ideal der Bildung gemacht hatte.




    "Ah, ich bin auch in Rom geboren. Mein Vater ist ein Senator, musst du wissen. Im Winter, Frühling und Herbst waren wir immer in der Villa in der Stadt, im Sommer meistens in Baiae. Da gibt es wunderbare Bäder, die sogar heilende Wirkung haben. Ich glaube, wenn ich irgendwann meinen Dienst beende, werde ich mir dort eine Villa kaufen."


    erklärte Occia und ihre Augen leuchteten bei der Erinnerung an die Quellen und Becken, in denen sie als kleines Kind gespielt, als Jugendliche dann entspannt hatte.

    Asinia Atilla


    Auch diese Antwort war korrekt. Eine Weile war die Vestalin zwar etwas verwirrt gewesen, weil Calvina einen Aspekt Apollos betonte, der ihr in diesem Zusammenhang nicht ganz so wichtig schien, dann kam sie jedoch auf die klassischen Bitten an den Gott der Heilkunst. So konnte sie alles abnicken.


    "Ein solches Körperteil oder eine Statue trägt dann häufig die Buchstaben 'V.S.L.M.'. Kannst du mir auch sagen, was das zu bedeuten hat?"


    fragte sie dann. Heute würde sie wesentlich mehr fragen als am gestrigen Tage, hatte sie beschlossen.