Der Liktor zuckte mit den Schultern und stützte sich auf seinen Stock.
"Zehn Jahre, denke ich."
erwiderte er dann, doch ehe er mehr über sich erzählen konnte, öffnete sich die Tür erneut und Occia kam zurück. Lächend kam sie auf Romana und hielt einen Strauß aus Gräsern hoch, den sie schließlich in den Eimer der Claudierin fallen ließ.
"Ich beginne jetzt. Wie gesagt, kein Wort, bis wir fertig sind. Und folge mir!"
Ihre Fröhlichkeit wich aus dem Gesicht. Stattdessen begann sie nun auf ungewohnt ernste Weise ein Gebet zu sprechen:
"Haec aqua fontis impuritates a corpore meo temploque velut plumbo ad aurum mutando eluat."
Sie tauchte ihre Hand in den Eimer und benetzte ihre Stirn, ihre Brust und ihren Bauch mit dem kühlen Nass. Dann drehte sie sich zum Tempel und nahm den Strauch mit dem sie Wasser auf den Tempel spritzte.
"Purga templum!"
Wieder tauchte sie den Strauß ein, dann spritzte sie erneut auf den Tempel und begann, den Tempel zu umrunden und dabei von allen Seiten zu bespritzen.
Als sie wieder am Eingang angekommen war, trat sie langsam die Stufen hinauf. Oben angekommen öffnete sie die Pforte und trat erneut ein, wobei sie erneut ein
"Purga templum!"
verlauten ließ und erst dann eintrat. Sie ließ die Tür offen, sodass auch Romana nun zum ersten Mal den Tempel der Vesta betreten durfte. Die einzige Lichtquelle innerhalb des Tempels das Loch in der Mitte des Daches. Darunter stand ein gemauerter Herd, in dem das Herdfeuer der Vesta glomm, denn es war nämlich gar kein Feuer, sondern eher eine stete Glut. Gegenüber des Eingangs befand sich eine Art Marmorbecken, in dem Kohlen aufbewahrt wurden. Davor stand eine goldene Schale.
Entlang der gesamten Tempelwand standen Steinbänke, auf denen eine etwas ältere Vestalin saß und aufblickte, als die beiden eintraten. Als Occia an ihr vorübergegangen war, erhob sie sich und verließ den Tempel.
Der Raum war insgesamt wesentlich kleiner, als der Tempel von außen wirkte. An einer Stelle konnte man sehen, warum: Es befand sich eine relativ tiefe Nische in der Wand. In ihr stand eine bronzene, uralt wirkende Statue, die das berühmte Palladium, das Aeneas aus dem brennenden Troja gerettet hatte, sein musste. Die marmorne Innenwand war mit kassettenartigen Reliefs versehen. Alles wirkte sehr alt, aber auch sehr würdevoll.