Bedrohlich, imposant und undurchdringlich war der Eindruck, den der Bürger von Artaxata dieser Tage erhielt, wenn er von den Stadtmauern hinab, auf die „Besucher“ blickte, die vor seiner Stadt Stellung genommen hatten. Nichts schien ihnen entrinnen, nichts sie aufhalten zu können – und dennoch, kaum jemand in der Stadt hatte Angst. Denn sie hatten ihn. Parthamasires, Neffe des Sháh in Sháh, ihr Herrscher. Er würde sie vor den Römern beschützen.
Seit die Legionen als schwarze Flecken am Horizont erkennbar gewesen waren, hatte der Satrap mit keiner Geste, keinem Wort Zweifel daran gelassen, dass es eine Kleinigkeit sei, diese Söhne einer Wölfin im Wüstenstaub zu zertreten wie die unwürdigen Insekten, die sie waren. Und genau das war es, was der junge Herrscher beabsichtigte. Sicherheit, Zuversicht schaffen. Denn er selbst war sich sicher: Niemand hier war im Stande, einen Angriff abzuwehren. Keinen Tag würden die Mauern Artaxatas standhalten, wenn sich der römische General endlich dazu entschloss, anzugreifen. Doch er schien zu zögern.
Nein, Parthamasires war kein Feldherr. Doch er war auch kein Dummkopf. Er wusste, eine Panik in der Stadt würde das Unvermeidliche nur beschleunigen. Doch er würde die drei Legionen vor seiner Stadt so lange wie möglich am Weitermarsch hindern. Und sei es nur durch Finten und Tricks.
Auf eben diese Art und Weise hielt er auch sein Volk bei Laune. So kam es, dass zu später Stunde der gesamte Palast hell erleuchtet war. Ein Fest, nach römischen Maßstäben ein ausuferndes Gelage, wurde gefeiert. Nur wenige, enge Ratgeber des Satrapen flüsterten sich hinter vorgehaltener Hand zu „Er ist verrückt geworden.“. Es laut auszusprechen war jedoch undenkbar. Er musste schließlich einen Plan haben. Irgendetwas.
Parthamasires lag, umringt von Speichelleckern, lokalen Adligen und tanzenden Sklavinnen (und Sklaven), auf einem Pulk aus bequemen Kissen in jeder denkbaren Farbe. Sämtliche auffindbaren Kerzen und Kandelaber waren hervorgeholt worden und erleuchteten den Palast als wäre es helllichter Tag. Es wurde getrunken, gegessen, gefeiert als gäbe es kein Morgen. Nun, vielleicht gab es das auch tatsächlich nicht.
„Er ist genial!“, lallte einer der hochrangigen Gäste seinem Nebenmann zu, der jedoch Auge und Ohr auf eine der wohlgestalteten Tänzerinnen gerichtet hatte.
„Sieh dir das an! Er feiert, während die Römer vor den Toren der Stadt lagern. Er muss wirklich einen ausgefallenen und unnachahmlichen Plan haben! Ahura Mazda sei dank, dass wir ihn haben, ohne Parthamasires wären wir verloren!“
Und damit sprach er aus, was alle Anwesenden dachte. Alle, bis auf einen. Dieser leerte gerade eines von ungezählten Weingläsern an diesem Abend und grinste zufrieden. Genie hatte man ihn bereits des Öfteren genannt. Zu dumm, dass Genie und Wahnsinn oft so Nahe beieinander lagen.
„Sieh doch, er lächelt sogar!“, bemerkte ein weiterer Gast und nickte in Parthamasires’ Richtung. Er musste sich seiner Sache wirklich sicher sein.
„Satrap.“, wandte sich Gotarzes, einer der engsten Vertrauten und militärischer Berater des jungen Herrschers an ihn, „Wollt ihr nicht wenigstens mir euren Plan verraten?“
Doch Parthamasires lächelte nur hintergründig. Was gab es schon zu verraten? Wie lange er glaubte, diese Verzögerungstaktik noch durchhalten zu können?Wie er sich aus dem Staub machen würde, kaum waren die Tore gefallen? Wie er seinem Onkel, dem Sháh in Sháh das Desaster erklären würde?
Mit einem weiteren Schluck aus dem frisch gefüllten Glas spülte er diese Gedanken beiseite. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er all diese Pracht hinter sich lassen musste. Bis dahin hatte er sich vorgenommen, es zu genießen.
Und das tat er. Ohja, noch lange würde man von diesem Gelage sprechen.