| Marcomer
Ausgenommen hatte man sie, die Bewohner des kleinen Dorfes. Nicht anders waren sie, die Legionäre. Räuber waren sie, habgierige Schweine, die nicht einmal besser waren als die anderen Räuber. Das Lager, so wie es jetzt war, würde den Winter erschweren, vielleicht würden nicht einmal alle überleben. Marcomer tobte und war wütend, einfach auf alles, sogar auf sich selbst, dass er eine solche Plünderung zu ließ. Nicht etwa, weil „sein“ Knecht versuchte, sich davonzumachen, sondern weil die Legionäre nicht anders waren, nahmen sie genauso aus wie die Räuber. Er dachte lange über etwas Bestimmtes nach, denn er wollte das so nicht stehen lassen, und sein Dorf verhungern lassen.
Er wusste… wenn die Soldaten der Legio II so habgierig und nicht hilfreich sein würden, dann lag es doch in der Hand des Dorfes zu entscheiden. Zu entscheiden, welche Seite sie auswählen würden. Selbst plündern oder ausgeplündert werden, nehmen und überleben oder geben, bis man nichts mehr hat. Räuber oder Legion… für Marcomer war eigentlich alles glasklar: Er entschied sich für die Seite der Räuber, und er wusste schnell, dass er so viele auf seine Seite ziehen wollte, wie nur möglich war. Der Großteil des Dorfes war genauso erzürnt wie er. Dies war durch den Zorn auf die Legion kein schwieriges Unterfangen, nach der Aktion der Soldaten neulich. Dass die Soldaten diese Vorräte dringend brauchen, geriet schnell in Vergessenheit.
Er betrat den Dorfplatz und ließ seine Knechte das ganze Dorf zusammenrufen, um sie für ein Räuberdasein zu begeistern. Mit lauten Schreiend lockte er die verzweifelnde Gemeinschaft zu sich und zog damit die volle Aufmerksamkeit der ganzen Leute auf sich, die sich hier einfanden. Sie hofften auf sinnvolle Lösung für ihr Nahrungsproblem. Mit Staunen merkte Marcomer, dass er schnell Gehör fand und feuchtete seine Kehle an. Nachdem er die richtigen Worte fand, sprach er zu den Leuten, die mittlerweile angekommen sind. Anfang war ein wenig unsicher, bis sich in seiner festen Stimme eine gewisse Entschlossenheit zeigte (natürlich sprach er in sauberem Germanisch).
"Hört her, meine Freunde! Diese Legionäre haben uns alle ausgenommen, und einigen unmöglich gemacht, den Winter zu überstehen! Ihr wisst, wie hart der Winter hier bei uns ist und glaubt mir, nicht jeder hier wird überleben!"
Schon wurde es in der Gemeinschaft lauter. Aufeinander fielen skeptische Blicke, verwirrte, Hoffnung suchende Stimmen erklangen wirr, so dass man niemanden verstehen konnte.
"Schweigt!"
schrie Marcomer, um seine Mitbewohner zu besänftigen. Kurz darauf wandte sich eine Frau ein, die ein Kind auf dem Arm trug. Auch sie verstand Vieles nicht.
"Die Vorräte reichen nicht, um den Winter zu überstehen! Seht euch mein kleines Kind an, wie soll ich es ernähren?!"
"Ja, und wie sollen wir uns selbst ernähren!?", riefen sogleich mehrere wütende Männer und gestikulierten mit den Armen in die Höhe.
Marcomer blickte seine Leute zufrieden an, was letztendlich zu einer Ruhe durch Neugierde führte…
"Ich und mein Knecht, wir werden uns den Räubern anschließen! Wenn ihr überleben wollt, so kommt mit mir! Ich werde dafür sorgen, dass sowohl Frau als auch Kind genügend zu essen bekommen! Und die Männer werden die Vorräte beschaffen! Seid nicht närrisch und folgt mir! Ich gehe JETZT zu den Banditen und schließe mich ihnen an! Ich weiß, wo ihr Lager ist!"
Fast jeder Mann nickte einwilligend, manche rannten jetzt schon entschlossen zu ihren Häusern, schnappten sich eigens hergestellte Speere, Schwerter und Gepäck. Manche mussten mit Mistgabeln auskommen, aber sie waren besser als nichts. Marcomer trat triumphal hervor, zerrte seinen Knecht hinter sich her.
"Folgt mir!"
schrie er und stapfte durch das Tor der Dorfpalisade. Seine Aktion war vom Erfolg gekrönt, und ein jeder atmete erleichtert auf, da viel Geld und Vorräte für das kleine Dorf winkten. Der Winter schien vorerst gerettet…