Plautius drehte sich zu dem angetrunkenen Störenfried herum und legte ein ein „ausdrucksloses Centurio-Gesicht“ auf, was bei den meisten Soldaten auf dem Exerzierplatz zur Verunsicherung führte, weil man nicht wusste, woran man bei dem Centurio gerade war.
Neben der Störung des Theaterstückes erregte der Kerl mit dem Inhalt seiner verbalen Äußerungen den Unmut von Plautius. Offensichtlich waren einige von Medeias Bekannten aus der Vergangenheit nicht gerade Musterbeispiele für Diskretion und gute Manieren. Plautius musterte sein Gegenüber und nahm auch die neugierigen Blicke der nächst sitzenden Besucher zur Kenntnis, die aufmerksam und mit großen Ohren die Szene verfolgten. Das war Roma. Kaum passierte “Etwas”, schon stand eine geifernde Menge bereit. Er fühlte sich an die Geier und das Opferlamm erinnert. Zufrieden registrierte er aber auch, dass die ihn begleitenden Soldaten (in der Reihe hinter ihm und Medeia sitzend, durchweg alle eher kulturell unterbelichtet und bestenfalls von der Schwertkampfszene begeistert) den Störenfried und ihn aufmerksam musterten. Sie warteten nur auf ein Zeichen.
„Ah, Decius! Wie geht es Dir! Du schaust gut aus. Wie ich sehe bist du von deiner Geschlechtskrankheit wieder genesen. Deine Frau hat sich ja vor uns beiden (er wies auf sich und Medeia) auf der Feier in der Casa Artoria in einer Art und Weise geäußert, dass wir ernsthaft um deine Gesundheit fürchteten als wir hörten, dass Dir dein bestes Stück nach dem Besuch in einem persischen Lupanar in Trans Tiberim abgefallen sein soll. Nur gut, dass du ja schon verheiratet bist und so eine fürsorgliche und treue Frau hast. Ich hoffe deinen Kindern geht es gut? Aber etwas blass siehst du noch um die Nase aus? Was macht deine Lungenkrankheit? Immer noch diese spontane Atemnot?“
Plautius klopfte dem Mann bei diesem Worten freundschaftlich auf die Schulter und stellte fest, dass eine Toga mitunter auch ein praktisches Kleidungsstück war, wenn der viele Stoff Handlungen verbergen sollte. Mit der antrainierten Schnelligkeit eines Soldaten rammte Plautius dem Mann die Faust des anderen Armes unter die kurze Rippe. Nach Luft japsend knickte der Mann in der Körpermitte ein.
„Oh weh, mein Guter. Da spreche ich es an und schon passiert es. Keine Sorge. Meine Männer werden dich schnell nach draussen bringen, raus aus der Menschenmenge, damit du wieder in Ruhe zu Atem kommen kannst. Lucius! Spirus! Bringt meinen Freund nach draussen und sorgt dafür, daß er in seinem angeschlagenem Zustand nicht die Treppenstufen hinab fällt. Das letzte Mal brach er sich dabei versehentlich die Hand, das Handgelenk, den Ellenbogen, den Arm und die Schulter.”
Plautius Stimme hatte jetzt einen fürsorglichen Ton. Die beiden Männer packten den noch immer keuchenden Decius! Spirus nickte Plautius zu und lächelte. Dann schleiften sie ihn schnell durch die Zuschauermengen wieder weg.
Plautius nahm wieder Platz und wandte sich an Medeia, so daß es die Umsitzenden hören konnten.
“Mit so einem Zwischenfall habe ich schon gerechnet. Ich habe über die Schauspielertruppe und den Schreiber des Stückes bereits in Germania viel gehört. Er bezieht in den Pausen das Publikum der ersten Reihe durch Schauspieler ein. Jede Wette der Senator links neben uns wird mit einer dieser halbnackten Tempeltänzerinnen konfrontiert, die wir bei unserer Ankunft hinter die Bühne huschen gesehen haben. Und die Dame zu deiner Rechten, werte Medeia, bekommt sicher einen dieser muskelbepackten Gladiatoren ab. Und dabei beleidigt man das Publikum auf übelste Weise was man als künstlerische Freiheit bei der Darstellung der Dekadenz oder so auslegt. Wirklich eine sehr moderne Form des Theaters. Irgendwie provokant!”
Der alte Senator schien aus seiner Erstarrung zu erwachen und reckte interessiert den Hals und hielt schon Ausschau nach der Tänzerin, was ihm einen Rippenstoss von seiner Frau einbrachte, die man auch nicht mehr als “Jung” bezeichnen konnte. Die Dame "mittleren Alters" an Medeias Seite errötete dagegen und wandte ihr Gesicht wieder starr nach vorne zur Bühne. Ab und an schielte sie nach der hoffentlich nächsten Störung, während ihr jugendlicher Begleiter grimmig drein schaute. Sollet der Gladiator nur kommen ...
Plautius zwinkerte Medeia zu und flüsterte leise.
“Also wenn das ein Freund von Dir ist, dieser Decius, dann sollte ich Ursus hinterher schicken. Spirus ist ein intelligenter Soldat, der die Worte auch ungesagt zu deuten weiß.”