"In der letzten Vorlesung haben wir mit der Artillerie über die Distanz gearbeitet, nun wollen wir die Annäherung der Belagerungstruppen an die feindliche Festung weiter vorbereiten, bevor wir dann in der nächsten Vorlesung die Truppen endlich die Mauern stürmen lassen. Verständlicherweise gibt es bei der Annäherung mehrere Hindernisse: bauliche Annäherungshindernisse wie z.B. Gräben oder Mauern, den häufig vorhandenen Höhenunterschied zwischen der Festung und dem Vorfeld und die Aktionen der Verteidiger, insbesondere Beschuß mit Pfeilen und ähnlichem.
Beginnen wir mit dem Letztgenannten. Um sich gegen starken, anhaltenden Pfeilbeschuß zu wehren, kann die Truppe feste oder bewegliche Schutzdächer errichten. Dazu reichen einfache Holzkonstruktionen, die durch angenagelte Bretter oder Weidengeflechte auf dem Dach und an zwei Seiten eine Art mobilen Tunnel ergeben. Dieser kann entweder auf Rollen gesetzt werden oder von den Soldaten getragen werden. Viele dieser Segmente hintereinander ergeben dann einen geschützen Gang, über den Angreifer an die festung heran geführt werden können. Um die Tunnel gegen Brandpfeile zu schützen, sollten die Außenseiten mit ungegerbten Tierhäuten bedeckt werden, die einen wirksamen Schutz gegen Feuer darstellen.
Eine weitere Methode, geschützt an eine Festung heran zu kommen und gleichzeitig dem Höhenunterschied zwischen Boden und Mauer zu begegnen, stellen die bei den Griechen beliebten fahrbaren Belagerungstürme dar. Auch hier handelt es sich um Holzkonstruktionen, die mit Brettern oder Weidengeflecht benagelt sind und mit Tierhäuten oder sogar Metallplatten gegen Beschuß gesichert werden. Sie stehen auf starken Rollen und werden entweder über einen Mechanismus im Inneren angetrieben oder von hinten geschoben. Im Inneren verfügen sie über mehrere Etagen, so dass sie viele Soldaten aufnehmen können. Über Zugbrücken an der Vorderseite, die auf die gegnerische Mauer herab gelassen werden können erlauben sie den Ausstieg auf verschiedenen Höhen. Geschütze, die durch Wandschlitze oder von der obersten Ebene schießen, bieten Sperrfeuer. Aber so grandios sich diese Maschinen anhören, so schwierig ist auch ihr Einsatz in der Realität! Viel zu selten ist der Weg zur Festung eben genug, um problemlos einen großen Turm darüber bewegen zu können und viel zu selten steht genug Material zur Verfügung, um einen oder mehrere Türme in der benötigten Größe und Stabilität zu bauen. Und auch eine gute Konstruktion kann der Gegner noch zu Fall bringen, was nicht selten mit dem Verlust vieler in ihm befindlicher Soldaten verbunden wäre. Setzen sie Belagerungstürme daher nicht als Standardwaffe, sondern nur in Ausnahmefällen ein.
Bleiben wir beim Problem des Höhenunterschieds, so bietet sich (neben dem Einsatz von Sturmleitern, zu dem wir später kommen werden) das Aufschütten einer Rampe an. Zugegebener Maßen ist der Materialaufwand hier immens, aber der mögliche Erfolg sollte dies rechtfertigen. Über eine Rampe können viele Soldaten bequem und ggf. durch die eben beschriebenen Schutzdächer geschützt an ein Ziel heran geführt werden. Auch anderes Belagerungsgerät kann über Rampen sicher vorwärts bewegt werden.
Wer eine Rampe aufschütten kann, kann natürlich auch Gräben zuschütten, womit wir bei der Beseitigung von baulichen Annäherungshindernissen wären. Im einfachsten Fall reicht es sowohl für das Zuschütten von Gräben als auch für den Bau von Rampen, große glatte Baumstämme oder Äste passend übereinander zu stapeln bzw. in die Grube zu rollen. Die Oberfläche kann dann mit dünneren Ästen und Erde geglättet und begehbar gemacht werden. Über diese Bahnen können dann z.B. auch Rammen bewegt werden, um Mauern und Tore gezielt anzugreifen. Als Ramme verwendet man lange Baumstämme, die am vorderen Ende mit einem schweren eisernen Kopf versehen wurden. Kleine Rammen können von mehreren Soldaten getragen werden, größere können hängend unter rollenden Schutzdächern oder in Belagerungstürmen montiert werden.
Man kann auch versuchen, Mauern und Türmen zu begegnen, indem man Tunnel gräbt, um die Fundamente zu untergraben und die Bauwerke so zum Einsturz zu bringen. Dies setzt eine gewisse Präzision in der Positionsbestimmung und der Berechnung der Tunnelroute voraus, um tatsächlich das gewünschte Ziel zu erreichen. Natürlich kann man auch versuchen, über den Tunnel gleich bis ins feindliche Lager vorzudringen!
Dem Verteidiger steht eine ebenso große Menge an Möglichkeiten zur Abwehr der Angriffe zur Verfügung. Aus Holz aufgeschüttete Rampen und Grabenfüllungen wird er versuchen, durch Brandsätze zu entzünden. Gelingt ihm dies, zerstört das Feuer von selbst meiste die gesmte Konstruktion und der Angreifer muss von vorne beginnen. Auch gegen Rammen, Belagerungstürme und Schutzdächer kann man versuchen, mit Brandsätzen vorzugehen. Wo Geschosse nicht reichen, hilft vielleicht eine gezielte Aktion einiger mutiger Kämpfer, die im Schutz der Dunkelheit die Festung verlassen und gezielt Feuer an feindlichem Gerät legen.
Ebenfalls vom Angreifer unbemerkt erfolgt das Anlegen von Verteidigungtunneln. So wie der Angreifer mit Tunneln versucht, Fundamente anzugreifen, kann der Verteidiger mit Tunneln versuchen, den Untergrund unter Rampen soweit auszuhöhlen, dass er einstürzt. Auch ein regelrechter Kampf im Untergrund ist möglich, wenn der Verteidiger gegnerische Tunnel vermutet und diese durch eigenen Gegentunnel stören will. Dabei ist allerdings stets zu bedenken, dass durch die dann entstehenden durchgängige Tunnelverbindung auch Angreifer in die Festung gelangen könnten, wenn man den Kampf unter der Erde verliert.
Materialaufwändiger und spektakulärer (und damit möglicherweise psychologisch wirkungsvoller) sind technische Vorrichtungen, die gegnerisches Kriegsgerät zerstören. Über große Haken, die an langen Ketten oder Seilen befestigt sind, kann man versuchen, anrückende Belagerungstürme umzureissen oder kurz vor der Mauer stehende Schutzdächer oder Rammen von oben hochzuheben und dann am Boden zersplittern zu lassen. In der Eingangsvorlesung erwähnte ich ja auch schon den berühmten Haken des Archimedes, mit dem er Kriegsschiffe im Hafenbecken von Syrakus versenkte. Natürlich sind solche außergewöhnlichen Mechanismen der Einzelfall und ein Verteidiger sollte wohl überlegen, ob er viel Material und Energie in eine technische Konstruktion steckt oder diesen Aufwand lieber für andere Ziele nutzt.
Nicht unbedingt materialschonender, aber weitaus einfacher ist es beispielsweise, schwere Steine (zur Not aus den Bauwerken einer belagerten Stadt entnommen) von den Mauern auf Rammböcke und Schutzdächer hinab zu werfen um sie nur mit dem Gewicht zu zerstören. Außerdem können als Gegenmaßnahme gegen Rammen zusätzliche Erdwälle vor oder hinter der Mauer aufgeschüttet werden, um die Stöße abzufangen. Und natürlich sollte es jeder Verteidiger in Betracht ziehen, seine Mauern einfach zu erhöhen, wenn er fürchtet, dass die Rampen oder Türme der Angreifer die Mauerkrone erreichen.
Traditionell gilt der Zeitpunkt, in dem der Kopf eines Rammbocks zum ersten Mal die feindliche Mauer berührt, als der Zeitpunkt, zu dem es kein Zurück mehr gibt. Vorher kann die Belagerung noch abgebrochen werden und der Verteidiger kann seine Festung friedlich übergeben. Schlägt der Rammbock aber einmal an, dann ist Gnade in der Regel ausgeschlossen. Was alles passiert, wenn dann nun endlich die Soldaten über die Rampen die Mauern erklommen haben und den Verteidigern direkt gegenüber stehen, das betrachten wir in der nächsten Vorlesung."