Beiträge von Caius Claudius Cunctator

    Cunctator erstarrte. Mit allem hatte er gerechnet. Wirklich mit allem?


    Er war davon ausgegangen, daß es sich bei dieser Schulung um einen Unterricht mit Gleichrangigen handelte; zugegeben, er hoffte, optio Priscus, dem er noch eine Erklärung schuldig war, zu treffen.


    Und nun ein centurio! Womöglich kamen noch weitere Offiziere. Cunctator war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob er den tribunus überhaupt richtig verstanden hatte.


    Ihm war die hochgezogene Augenbraue des centurios, ein untrügliches Alarmzeichen für jeden legionarius, nicht entgangen. Und das wußte er von zuhause: Bringt ein centurio sein Mißfallen über was, wann und wo auch immer sichtbar zum Ausdruck, so ist für einen legionarius allerhöchste Vorsicht geboten. Ihre Vollendung kann sie nur im schnellen Entfernen aus dem Gefahrenbereich finden, wohlgemerkt, soweit es die Lage zuläßt. Schlimmstenfalls trägt eine auf dem Rücken tanzende vitis zur Vollendung bei.


    Wie das dann in der Wirklichkeit aussah, hatte Cunctator nicht nur ein Mal im valetudinarium seines unmittelbaren Vorfahren zu sehen bekommen!


    Cunctator war nicht daran gelegen, durch seine Anwesenheit den Unmut des centurios auf sich zu lenken und seinen Rücken einer außer Kontrolle geratenen vitis als Betätigungsfeld anzubieten.


    Er zog es vor, den Schulungsraum nicht zu betreten bevor der tribunus eintraf. Nur so ließ sich seiner Meinung nach die prikäre Situation erledigen.


    Er wandte sich an den Wachsoldaten. Vergiß meine Frage. Ich warte lieber hier draußen auf den tribunus!

    Nachdem sich Cunctator durchgefragt hatte, fand er endlich den Schulungsraum.


    Zielstrebig ging er auf den Wachsoldaten am Eingang, dessen zufriedener Gesichtsausdruck die Gedanken an igrendetwas Schönes erahnen ließen, zu und grüßte militärisch.


    Ich bin legionarius Caius Claudius Cunctator und melde mich zur Schulung, die tribunus Vesuvianus angesetzt hat. Darf ich den Schulungsraum schon betreten und mir einen Platz aussuchen oder werden die Plätze zugeteilt?

    Cunctator sah den Soldaten etwas verwundert an. Dieses Maß an Freundlichkeit hatte er nicht erwartet.


    In der Rüstkammer der ALA II herrschte der rüde Ton schlecht aufgelegter equites, der dazu animierte, der Rüstkammer möglichst schnell den Rücken zu kehren.


    Cunctator nahm das scutum, so wie ihm aufgetragen wurde, auf beide Arme mit der gewölbten Seite nach unten.

    Der Versuch, mit dem Wachsoldaten in ein Gespräch zu kommen, scheiterte. Schweigend gingen die beiden nebeneinander her.


    Da vorne, rechts! Der Wachsoldat zeigte in die Richtung, drehte sich um und verschwand.


    Cunctator betrat die Rüstkammer und wandte sich an den Soldaten, der mit allem und möglichen beschäftigt war und nahm eine halbwegs militärische Grundstellung ein.


    Salve, mein Name ist Caius Claudius Cunctator, ich bin legionarius und soll hier meine Ausrüstung empfangen.

    Cunctator wußte, daß er sich auf den tribunus verlassen konnte. Er war sich sicher, mit ihm zusammen eine annehmbare Lösung zu finden, zumal nach den Gesprächen mit seinem Verwandten der Wechsel zur Reiterei erst einmal in den Hintergrund getreten war.


    Cunctator nahm wieder die Grundstellung ein.


    Tribunus, legionarius Cunctator meldet sich ab!


    Dann machte er eine vorbildliche Kehrtwendung, so wie er sie bei der ALA II gelernt hatte, und verließ das officium tribuni.


    Vor dem officium wandte er sich an den Wachsoldaten, der ihn wiederum von oben bis unten musterte.


    Ich soll in der Rüstkammer meine Ausrüstung abholen und mir von Dir, wie der tribunus sagte, den Weg zeigen lassen!

    Cunctator rührte durch. In dieser Stellung ließ es sich nun mal besser reden.


    Tribunus! Da ich, wie Du weißt, eques in der legio werden wollte, stand für mich fest, daß ich mein Pferd in den Stallungen unterbringen würde. Deinem Rat folgend schlage ich aber die infanteristische Laufbahn ein, sodaß die Unterbringung im castellum nicht mehr gegeben sein dürfte.


    Bevor wir uns zur Villa Claudia aufmachten, habe ich mein Pferd in der caupona ganz in der Nähe Deines Anwesens untergebracht. Im Gespräch mit dem caupo stellte sich heraus, daß dieser in der LEG III ITALICA CONCORS - Du erinnerst Dich, es ist die Einheit, in der mein unmittelbarer Vorfahre dient - seinen Militärdienst leistete, und sich nur der Liebe wegen wie er sagte in Mantua niedergelassen hat. Grund genug, einen akzeptablen Preis für die Unterstellung herauszuhandeln.
    Allerdings ließ er sich nur für einen Monat darauf ein. Wie es dann weitergehen soll, weiß ich nicht. Vielleicht fällt mir bis dahin eine andere Lösung ein.


    Erwartungsvoll sah Cunctator seinen Verwandten an. Er war sich sicher, daß er ihm helfen konnte.

    Cunctator begriff sofort, daß er hier vor einem Vorgesetzten stand, auch wenn in dessen Blick nach wie vor die wohlwollende Fürsorge ihm gegenüber zu erkennen war.


    Cunctator stand noch immer in seiner militärischen Grundstellung. Es war ihm nicht gestattet worden, sich zu rühren. Nur mit einer Blickwendung wandte er sich an sein Gegenüber.


    Tribunus, was Deinen Auftrag betrifft, habe ich keine Fragen! Die Reihenfolge der Tätigkeiten bis zum Ablegen des Fahneneides sind mir aus meiner Zeit bei der ALA II noch bestens in Erinnerung. Aber was ist mit meinem Pferd? Kann oder darf ich es in den Stallungen der legio
    unterbringen? Einerseits bin ich hier ein legionarius und kein eques geschweige denn ein Offizier, andererseits ist es ein Privatpferd.

    Cunctator hatte sich schnell gefangen. Er atmete ein paar Mal tief durch. Auf alle Fälle wollte er vermeiden, gerade am Tage seines Dienstantritts einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.


    Cunctator betrat das officium tribuni, nahm die militärische Grundstellung ein und wartete. Noch stand es ihm nicht zu, das Wort zu ergreifen, bevor ihn der Vorgesetzte ansprach.

    Cunctator schlief in dieser Nacht so gut wie schon lange nicht mehr. Der gute Wein seines Gastgebers hatte dazu sein übriges getan.


    Die Sonne ging langsam auf --- kein Laut war zu hören.
    Er zog die frische Morgenluft tief in sich hinein. Ein paar Liegestützen und einige Kniebeugen brachten ihn schnell auf Vordermann.


    Auf der Suche nach dem tribunus traf er den Sklaven, der ihm zu verstehen gab, daß sein Herr das Haus bereits verlasssen habe.


    Damit hatte Cunctator nicht gerechnet. Er hastete aus dem Haus und strebte im Dauerlauf dem castellum zu.


    Die Wache am Lagertor ließ ihn, nachdem ihr Cunctator zu verstehen gab, daß ihn tribunus Vesuvianus zu sich befohlen habe, passieren, und da stand er nun, nach Luft schnappend, vor dem officium tribuni.


    Der Wachposten sah ihn verwundert an: Es war eben noch früh am Morgen.


    Ich bin legionarius Caius Claudius Cunctator. Der tribunus hat mich zu sich befohlen.

    Der gute Wein war Cunctator etwas zu Kopf gestiegen. Doch die letzten Worte seines Cousins rissen ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und ließen keinen Zweifel offen, daß nur sein Verwandter in der Lage war, aus ihm das zu machen, wofür er sich berufen fühlte.


    Du hast recht, Vesuvius. Irgendwann ist es an der Zeit, Ballast abzuwerfen. Ich hätte nie geglaubt, daß eine Unterhaltung, wie ich sie mit Dir führen durfte, so kostbar sein würde.


    Wenn ich noch einen Becher Wasser haben könnte...


    Dir einen angenehmen Schlaf und Dank für alles. Ich werde mich morgen pünktlich in Deinem officium zum Dienstantritt melden.

    Bitter wie Galle kam die Erinnerung in Cunctator hoch. Er wollte nicht zurückdenken, schon gar nicht an diesem Abend. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig.


    Unwillkürlich verdüsterte sich seine Miene als er sich an seinen Cousin wndte.


    Ich will es kurz machen, Vesuvius. Mein Vater ist medicus in der LEGIO III ITALICA CONCORS in Castra Regina. Er wollte und hoffte, daß ich einmal in seine Fußstapfen treten werde. Ich hatte nicht die geringsten Ambitionen für den Beruf eines medicus, ich wollte Soldat werden wie mein Onkel. Das ist eigentlich nicht viel und doch alles! Somit war ich in seinen Augen ein Versager.


    Cunctator nahm seinen Becher mit Wein wieder zur Hand und leerte ihn auf einen Zug und fuhr fort:


    Jetzt gibt es für mich zwei Möglichkeiten, entweder als mehr oder weniger Ausgestoßener weiterzuleben oder durch eine militärische Karriere zu beweisen, daß ich nicht versagt habe.


    Und darum, edler Vesuvius, bin ich den Göttern dankbar, daß sie mich zu Dir geschickt haben, denn ich bin überzeugt, daß nur Du mir auf diesem schwierigen Weg helfen kannst!


    Cunctator drehte den geleerten Becher in seinen Händen ...

    Cunctator setzte den Becher, den er zum Munde führen wollte, wieder ab. Er wollte an diesem ersten Abend mit seinem Verwandten nicht noch einmal an den vergangenen Geschehnissen rühren; der Abend sollte in Harmonie verlaufen.


    Aber eines zu sagen war er sich und seinem Cousin schuldig.


    Weißt Du, Vesuvius, auch ich versuche mit ganzer Kraft, die Vergangenheit zu vergessen. Bis jetzt ist es mir nur gelungen, sie zu verdrängen --- sie zu vergessen, schaffe ich auch noch. Das braucht seine Zeit, aber ich schaffe es!


    Du hast einen Freund durch eine Zwangsversetzung verloren. Glaubst Du nicht, daß es - wann auch immer - eine Gelegenheit geben könnte, ihn wiederzusehen?


    Ich erinnere mich noch genau an die letzten Worte meines Vaters, die sich wie Feuer in mein Herz brannten: "Du bist nicht mehr mein Sohn! Ich habe nie einen Sohn und noch dazu einen Versager, gehabt! Sei verdammt für alle Zeit!" Dann wies er mir Tür.


    Was meinst Du, Vesuvius, in welchem der beiden Schicksale mag wohl der Wein der beste Tröster sein? Vielleicht haben uns sogar die ewigen Götter zusammengeführt, um uns gegenseitig zu helfen und dadurch aneinander zu binden ... Dich, den tribunus, und mich, den Versager!


    Nachdenklich sah Cunctator seinen Cousin an.

    Cunctator lächelte.


    War er schon unterwegs für älter gehalten worden, der tribunus tat es ebenfalls!


    Er sah zu seinem Verwandten.


    Ich bin 26 Jahre, Vesuvius.


    Allzu gerne hätte Cunctator nach dem Alter seines Cousins gefragt. Aber da kam der Block ... der Block in Form seiner guten Erziehung: Er war nicht mehr fähig, weitere diesbezügliche Fragen zu stellen.


    Statt dessen fuhr er fort:


    Du hast mich nach meinen Zielen innerhalb der Legion gefragt. Ich benötige zum einen eine fundierte Ausbildung, die so gründlich ist, daß es mir nicht schwer fallen wird, die Offizierslaufbahn einzuschlagen und zum anderen den besten Lehrmeister, den ich mir vorstellen kann, der mir den richtigen Weg weist und allen Fragen offen gegenübersteht. Daß ich letzteren gefunden habe und dieser auch noch mit mir verwandt ist ... das kann nur eine Fügung der Götter sein!


    Bevor ich hier noch weitere Reden schwinge, edler Vesuvianus, ich möchte so werden wie Du!


    Erwartungsvoll blickte Cunctator zu seinem Cousin.

    Die Ereignisse der vergangenen Monate mußten Cunctators Gesicht gezeichnet haben. Auf dem Herritt war er unterwegs des öfteren nach seinem Alter gefragt worden. Meistens erhielt er zur Antwort, daß es das nicht gebe ... so wie er aussehe!


    Cunctator war froh, daß der tribunus das Thema wechselte. Nun wollte auch er dazu beitragen, die etwas ernste Stimmung des sich anbahnenden gemütlichen Abends zu lockern.


    Er wußte, daß es unhöflich war, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten --- da er aber gespannt war, wie alt ihn sein Verwandter schätzte, stellte er seine gute Erziehung hinten an und meinte:


    Nun, Vesuvius, Dir ist der Umgang mit Menschen vertraut und für Dich ist es bestimmt ein Leichtes, mein Alter zu schätzen. Was meinst Du, sieh` mich genau an, wie alt kann ich sein?


    Cunctator nahm einen Schluck aus dem inzwischen wieder gefüllten Becher und sah sein Gegenüber fragend an.

    Na also! Hatte Cunctator seinen tribunus nicht doch ein wenig aus der Reserve geholt? Ihm war es, als sei die seinem Verwandten entgegengebrachte Sympathie übergesprungen. Wem nützt es denn, wenn er innerlich sich selbst einen Schutzwall errichtet?


    Cunctator hatte sich allen ernstes vorgenommen, nur noch nach vorne zu blicken und vielleicht schaffte er es, auch seinen Verwandten dazu zu bewegen.


    Er nahm nun auf seiner Liege eine bequeme Haltung ein, ergriff seinen Becher, dankte für den auf ihn ausgesprochenen Toast und strahlte seinen Verwandten an.


    Ich danke Dir Vesuvianus und trinke darauf, daß wir beide unsere trübe Gedanken erzeugenden Geschehnisse im Laufe unseres Zusammenseins hinterspülen. Es müßte mit der gesamten Unterwelt zugehen, wenn wir es nicht fertigbrächten, uns einmal hier in der villa zu treffen, um das schöne Leben - und das ist es zweifelsohne - zu genießen und vor allem daran teilzuhaben.


    Gaudeamus igitur iuvenes dum sumus (laßt uns also fröhlich sein, solange wir noch jung sind)!


    Wir sollten über alles reden, Angenehmes und Unangenehmes, Reden erleichtert und ein guter Zuhörer spendet mitunter Trost.


    In diesem Sinne, Vesuvianus, vivas (Du mögest leben!) Du hast mein Vertrauen erwidert und ich werde Dich nicht enttäuschen!


    Cunctator leerte den Becher auf einen Zug und genoß den köstlichen Wein, der ihm kredenzt worden war.


    ... Cunctator hatte sich seit langem nicht mehr so wohl gefühlt. In der Nähe seines Verwandten fühlte er sich geborgen. Und er wußte eines:
    Diesen Zustand würde er bis zum letzten verteidigen.

    Cunctator hatte sein Gegenüber genau beobachtet. Der bittere Gesichtsausdruck des Tribunen war ihm nicht entgangen. Irgendetwas belastete ih. Vielleicht konnte er ihm helfen. Er wollte es auf alle Fälle versuchen.


    Cunctator setzte sich auf die angebotene Liege und sah seinen Verwandten an.


    Über meine Ziele bei der Legion bitte ich Dich anschließend unterrichten zu dürfen. Verzeih`, Vesuvianus, wenn ich Dir jetzt unbotmäßig erscheinen mag. Aber das mit Deiner Auffassung von Familienzusammenhalt nehme ich Dir nur bedingt ab.


    Ich fühle mich hier bei Dir und in dieser Umgebung nicht wie in einem Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, sondern in einem verwandtschaftlichen Verhältnis. Ich will damit sagen, daß ich Dir voll vertraue und ich bin mir sicher, daß das, was ich mit Dir besprechen will, unter dem Siegel des gegenseitigen Vertrauens steht.


    Ich habe in der letzten Zeit sehr viel schlucken müssen, das meiste davon unverschuldet und manches, das mir fast das Herz aus dem Leibe riß.


    Ich sehe es Dir an, Du schleppst irgentetwas mit Dir herum, das Du zwar in den Hintergrund drängst, das aber von Zeit zu Zeit und immer wieder herauskommt.


    Spucke es aus, Vesuvianus, sc hreie es aus Dir heraus! Ich höre Dir zu, aber ich habe nichts gehört. Glaube mir, das erleichtert! Die Zeit heilt Wunden und hilft Ruhe vor sich selbst zu finden.


    Könnte ich Dir mit meinem Vorschlag - zumindest ein wenig - helfen?


    Cunctator wartete. Vielleicht wertete Vesuvianus die angebotene Hilfe als pure Neugier. Wie dem auch sei! Cunctator wollte seinem Verwandten helfen --- und das war für ihn ausschlaggebend.

    Wie riesige Wogen brachen die Eindrücke der letzten Stunden über Cunctator herein. Er konnte nicht begreifen, daß sich sein Verwandter, mit dem er bis vor kurzem sehr wenig Kontakt hatte, in einer Art und Weise um ihn kümmerte, die er zuhause so nötig gehabt hätte.


    Daß ihn Vesuvius nun noch mit in die Villa Claudia nahm ...


    Obwohl Cunctator nicht gerade auf dem Mund gefallen war --- aber jetzt verschlug es ihm ganz einfach die Sprache. Daß er auch noch zum Abendessen eingeladen wurde ... er schluckte ein paar Mal ... das war für ihn zuviel!


    Schnell hatte er sich wieder gefaßt. Er wollte auf alle Fälle vermeiden, daß der tribunus seine Gefühle bemerkte; er wollte Soldat werden und nicht als Memme dastehen.


    Cunctator sog die milde Abendluft des Südens in sich ein und sah seinen Verwandten an.


    Vesuvius, es war alles ein bißchen viel. Ich weiß nicht, wie ich Dir für Deine herzliche Aufnahme und Deine Unterstützung danken kann. Ich weiß nur eines: So es die ewigen Götter wollen, irgendwann werde ich mich für alles revanchieren!

    Cunctator hatte den optio beobachtet. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er diesem mit seinem Wunsch zur Lagererkundung nicht den geringsten Gefallen erwiesen hatte. Wenn der optio auch nichts dagte, aber seine Gedanken waren nicht schwer zu erraten.


    Nun saß Cunctator in der Zwickmühle: Auf der eine Seite war sich der tribunus sicher, über keine gravierenden Gründe informiert zu werden, auf der anderen Seite --- Cunctator war noch nicht einmal Soldat --- wäre es ein Afront seinem Verwandten gegenüber, irgendetwas Gravierendes zu entdecken. Das versteckte Schmunzlen in den Augen des tribunus war ihm nicht entgangen.


    Cunctator dankte dem tribunus, nahm Grundstellung ein und wandte sich an den optio.


    Optio Priscus, Du bist hier "zuhause" und kennst Dich aus. Nutzen wir die Stunde, die uns der tribunus bewilligt hat. Ich folge Dir.

    Cunctator blieb das Zucken in den Augen des tribunus nicht verborgen. Aber nach einer Mißbilligung sah es nicht aus.


    Er wandte sich noch einmal an den tribunus.


    Nicht, daß Du falsch von mir denkst, Vesuvianus, ich dachte (Cunctator wußte, daß ein Soldat nicht denkt, sondern Befehle und Aufträge ausführt --- aber zum Glück war er noch Zivilist) wenn Du mir einen Dienstgrad zur Lagererkundung mitgibst, handelt es sich um eine angeordnete Maßnahme, vor allem gegenüber den anderen Soldaten im Lager. Wenn ich alleine im Lager unterwegs bin und mich niemand kennt, würde man mich vielleicht bei meinen vielen Fragen mißverstehen und argwöhnisch werden. Ein Claudier als Spion im carcer wäre undenkbar!

    Cunctator konnte nichts Besseres passieren: Daß im noch ein paar Tage z.b.V. verblieben kam ihm sehr gelegen.


    Wenn Du einverstanden bist, Vesuvianus, möchte ich die Zeit bis zur Rückkehr des legatus dazu nutzen, nicht die Umgebung, sondern das castellum zu erkunden. Deshalb bitte ich Dich, bis dahin im Lager wohnen zu dürfen. Du wirst mich verstehen, daß es mir - selbst als Deinem Verwandten - in meiner jetzigen Lage nicht zustehen kann, in Deiner villa zu wohnen. Werte dies nicht als ein Gefühl der Minderwertigkeit --- aber die Erziehung zuhause läßt sich nicht abschütteln.


    Cunctator ging auf den optio zu und nahm vor ihm Grundstellung ein.


    Salve, optio Priscus. Ich bin Caius Claudius Cunctator und ich freue mich, daß Dich der tribunus mir als Ausbilder zur Seite stellt.


    Cunctator wandte sich wieder dem tribunus zu.


    Wäre es Dir möglich, Vesuvianus, optio Priscus vom Dienst freizustellen. Er könnte mir bestimmt bei der Lagererkundung sehr nützlich sein. Der optio wird bestimmt nicht dagegen sein. Ich bin der Meinung, daß die genaueste Kenntnis eines Lagers, vor allem in der Größe wie das der legio, in jeglicher Beziehung und Situation äußerst wichtig ist.


    Cunctator sah den tribunus an und hoffte, daß dieser seinem Wunsche entsprechen würde.