Germania superior
Inhaltsverzeichnis
Lage und Geografie
Germania superior (dt. "Obergermanien") war eine römische Provinz, die Teile der heutigen Schweiz, Frankreichs und des südwestlichen Deutschlands umfasste. Sie grenzte im Norden an Germania inferior, im Nordwesten an Gallia Belgica, im Westen an Gallia Lugdunensis, im Südwesten an Gallia Narbonensis und im Südosten an Raetia. Östlich der Provinz lag das freie Germanien.
Den nördlichen Grenzpunkt der Provinz bildete die Mündung des Vinxtbaches in den Rhein. Von dort verlief die Grenze nach Südwesten, überschritt zwischen Bad Bertrich und Cochem die Mosella (heute Mosel), durchquerte den Pfälzer Wald und folgte dem Gebirgzug des Vosegus mons (heute Vogesen) bis zu den Moselquellen. Von dort umschloss sie südwestlich das Siedlungsgebiet der Lingonen mit den Städten Andematunnum (heute Langres) und Dibio (heute Dijon) und erreichte weiter südlich den Lemannus lacus (heute Genfer See). An seinem Nordufer entlang und weiter parallel zum Rhodanus (heute Rhone) folgte sie dem Kamm der Berner Alpen zum Grimselpass und Oberalppass. Von dort führte sie in nördlicher Richtung durch die Glaerner Alpen und zwischen Zürichsee und Walensee hindurch und stieß bei Tasgaetium (heute Eschenz) wieder auf den Rhein. Zunächst bildete der Rhein die weitere Ostgrenze, bevor diese in mehreren Schritten (s.u.) so weit vorgeschoben wurde, dass sie schließlich von Tasgaetium aus weiter nach Nordosten führte, den Danuvius (heute Donau) überquerte, und parallel zum Nicer (heute Neckar) bis nach Lorch führte. Von dort zog sie sich in gerader Linie durch den Odenwald bis zum Moenus (heute Main) bei Miltenberg und weiter nördlich unter Einschluss der Wetterau zurück zum Rhein bei Remagen.
Vorrömische Geschichte
Die Besiedlung des späteren Provinzgebietes reicht bis in die Jungsteinzeit zurück und breiteten sich zunächst vor allem an den Wasserwegen aus. Der Rhein wurde vermutlich spätestens in der Bronzezeit als Handelsweg erschlossen. Insbesondere kam es entlang seines Verlaufes zu einer Vermischung von keltischen Einflüssen aus dem Westen und germanischen Einflüssen aus dem Osten. Beide Kulturen waren im Wesentlichen Bauernkulturen, die sowohl Gehöfte als auch kleine Dörfer mit Befestigungen und Friedhöfen anlegten und die sich zum Teil auch untereinander vermischten, so dass eine strikte Trennung kaum möglich ist.
Ersten Kontakt mit den Römer hatte das Gebiet durch die Eroberungen Gaius Iulius Caesars, der zwischen 58 und 51 v. Chr. ganz Gallien unter römische Kontrolle brachte und zunächst bis an den Rhein vorrückte. Aus römischer Sicht bildete dieser die natürliche Grenze zwischen Gallien und Germanien und Caesar versuchte zeitweise, alle linksrheinisch siedelnden Germanen zu vernichten, da sie in seinen Augen offenbar ein großes Gefahrenpotenzial darstellten. Das eroberte Gebiet war zunächst Teil der Provinz Gallia Belgica und als Militärbezirk nicht selbständig organisiert.
Römische Geschichte
Bis in die Zeit des Kaisers Tiberius blieb der Rhein die Ostgrenze, bevor mit der Eroberung des als Agri Decumates bezeichneten östlichen Vorlandes begonnen wurde. Zur Zeit des Kaisers Claudius schloss die Ostgrenze östlich von Mogontiacum (heute Mainz) in etwa die heutigen Städte Wiesbaden und Hofheim im Taunus ein und reichte bis nach Heidelberg am Nicer. Unter Kaiser Vespasian wurden Teile der Wetterau und das Quellgebiet von Neckar und Donau eingeschlossen.
Unter Domitian erfolgte vermutlich als Folge des Krieges gegen die Chatten 83 n. Chr. die Umwandlung von Germania superior in eine eigenständige Provinz, deren legatus augusti pro praetore seinen Sitz in Mogontiacum hatte. Die Grenzlinie wurde dabei noch einmal weiter vorgeschoben und umschloss nun die gesamte Wetterau, stieß bei Seligenstadt auf den Main und durchlief den Odenwald bis nach Bad Wimpfern am Neckar. Erstmals wurde nun auch damit begonnen, die Grenzlinie als limes aus Wachtürmen und Sperranlagen systematisch zu sichern.
In einer weiteren Phase wurde die östliche Grenzlinie 157 n. Chr. noch einmal vorverlegt und führte nun von Miltenberg am Main in gerade Linie nach Süden bis nach Lorch, wo sich der Nordgrenze der Provinz Raetia anschloss. Bis dahin hatte die Provinz seit ihrer Eroberung eine weitgehend friedliche Zeit erlebt, in der es nur wenig Grenzkonflikte gab und sich wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben frei entfalten konnten. Zwei Einfälle der Chatten 162 und 170 sowie der Maternusaufstand 185/186 läuteten das Ende dieser friedlichen Zeit ein.
Unter Caracalla wurden die östlich des Rheines auftretenden Alamannen 213 n. Chr. noch vernichtend geschlagen, aber seit 233 n. Chr. häuften sich ihre Einfälle und bereits zwischen 254 und 259 wurde der Grenzverlauf wieder auf den Rhein zurückgenommen. Germania superior schloss sich 259 auch dem imperium Galliarum an, das für einige Entlastung sorgte, bevor es nach wenigen Jahren wieder ins Reich eingegliedert wurde.
Durch die gezielte Ansiedlung germanischer Truppen auf dem Provinzgebiet wurde versucht, eine sichere Pufferzone zu schaffen, die gleichzeitig zu einer weiteren Vermischung der römischen und germanischen Kultur in der Provinz führte.
Unter Diokletian wurde die Provinz in Germania I im Norden und Maxima Sequanorum im Süden geteilt und der dioecesis Galliarum unterstellt. Im 5. Jahrhundert traten im Zusammenhang mit der Völkerwanderung für kurze Zeit Burgunder (407-443) und Alamannen, dann schließlich nach der Schlacht von Zülpich/Tolbiacum (496) die Franken die Nachfolge der römischen Herrschaft an.
Wirtschaftliche, strategische und kulturelle Bedeutung
Als ehemaliger Militärbezirk hatte Germania superior lange Zeit vor allem militärische Bedeutung und beherbergte im Doppellegionslager Mogontiacum sowie in Argentorate (heute Straßburg) und Vindonissa (heute Windisch) zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. vier Legionen. Hinzu kamen unzählige Auxiliarlager, nicht nur entlang der verschiedenen Ausbaustufen des limes.
In der friedlichen Zeit ab dem späten 1. bis zum 3. Jahrhundert erfolgte aber auch eine deutlich sichtbare zivile und kulturelle Entwicklung der Provinz, die systematisch in civitates gegliedert wurde. Links des Rheins stellen diese Hauptorte wie Noviomagus (heute Speyer) und Borbetomagus (heute Worms) die ältesten deutschen Städte dar. Im Rechtsrheinischen bestand diese Kontinuität weniger, da hier die römische Herrschaft nur bis in das 3. Jahrhundert währte. Hauptorte wie Nida (heute Frankfurt-Heddernheim) waren deswegen nicht bis in das Mittelalter kontinuierlich besiedelt, während in anderen Hauptorten wie Dieburg, Wiesbaden oder Ladenburg eine Siedlungskontinuität unter einfacheren Umständen wahrscheinlich ist.
Neben den Hauptorten, den militärischen Lagern und den vici wie Altiaia (heute Alzey) und Eisenberg gab es zahlreiche römische Landgüter (villa rustica), von denen einige einen beträchtlichen Luxus aufwiesen.
Literatur:
Lexikon
Tilmann Bechert, Die Provinzen des römischen Reiches, Mainz, 1999