Germania inferior
Inhaltsverzeichnis
Daten & Geografie
Das linksrheinische Germanien bildete seit Caesar einen Teil Gallias. Augustus setzte um 13 v.Chr. eine eigene Militärverwaltung ein. Bis in die Regentschaft Domitians gab es nur eine germanische Provinz. Seit 83/84 n.Chr. taucht die Unterscheidung zwischen Germania superior und Germania inferior auf. Das Gebiet von Nieder- oder Untergermanien blieb in der Folgezeit unverändert und wurde auch nicht geteilt. Die diokletianische Reichsreform brachte lediglich eine Umbenennung in Germania secunda. Der Sitz der Militärverwaltung war anfangs Vetera (Xanten-Birten); die Hauptstadt der Provinz befand sich in Colonia Claudia Ara Agrippinensum (Köln).
Die römische Herrschaft erstreckte sich von etwa 55 v.Chr. (Eroberung durch Gaius Julius Caesar) bis etwa 459 n.Chr. (Eroberung Kölns durch die Franken); in Summe ca. 515 Jahre. Römische Gebiete rechts des Rheins blieben nach der Varus-Schlacht auf das Land der Friesen an der Küste beschränkt, das aber unter Claudius ebenfalls aus dem Staatsverband ausschied.
Die Nachbarprovinzen waren im Westen Gallia Belgica und im Süden Germania superior. Nordwestlich über die Ausläufer des Oceanus Britannicus (englischer Kanal samt irischem Antlantik) bzw. das südliche Mare Germanicum (Nordsee) konnte man nach Britannia gelangen. Im Osten lag das freie Germanien.
Die politischen Grenzen folgten im wesentlichen den landschaftlichen Gegebenheiten. Im Norden schufen die Küstenlinien natürliche Barrieren gegen Chauken und Friesen. Letztere standen bis zum Rückzug des Statthalters Gnaeus Domitius Corbulo (auf Befehl von Kaiser Claudius) unter römischer Herrschaft. Seit 47 war der Rheinlauf bei Katwijk die Nordgrenze der Provinz. Gleichfalls bildete der Rhein mit seinen Nebenarmen einen natürlichen Grenzverlauf.
Im Süden und Westen lassen sich die Provinzgrenzen schwerer ausmachen. Die westlich der Scheldemündung gelegenen Menapier gehörten schon zur Provinz Gallia Belgica. Von dort verlief die Grenze durch Noord-Brabant. Eine genaue Grenzziehung ist nicht mehr ersichtlich, möglicherweise lag sie dort wo die Flußmarsch der Maas nach Süden in die Geest übergeht. Die Maas selbst bildete nicht die Grenze, dies ist inschriftlich und literarisch gesichert. Ein Teil des Südufers gehörte noch zur Provinz.
Südwestlich von Cuijk bog die Grenze nach Süden ab und folgte ab hier dem Maastal. Dort befindet sich auch „de Peel“, ein ausgedehntes, schwer passierbares Sumpfland, das schon in römischer Zeit eine natürliche Barriere zwischen den Stämmen Niedergermaniens und der Belgica bildete. Die Grenze verlief am linken Ufer der Maas, auf dem sich die Fernstraße von Ulpia Noviomagus (Nijmegen) nach Traiectum ad Mosam (Maastricht) entlangzog. Nicht eindeutig geklärt ist bis heute der Provinzstatus von Civitas Tungrorum (Tongeren), die hier zu Niedergermanien gerechnet wird, da sie im Zuge der Diocletianischen Provinzteilungen zu Germania secunda gehörte.
Diesseits der Maas verlief die Grenze in west-östlicher Richtung, umging die zur Belgica gehörende Hohe Venn und führte in sanftem Bogen quer durch die Eifel nach Süden. Der südlichste Grenzpunkt dürfte südlich von Icorigium (Jünkerath) bei Vicus Ausava (Oos) gelegen sein. Ein sicherer Grenzpunkt ist Obrincas (bei Brohl-Lützing) an der Mündung des Vinxtbaches.
Der Rhein zwischen Vinxtbachmündung und Katwijk bildete spätestens seit 17 die West- und Nordgrenze der Provinz. Hier ist aber eher von einem Grenzraum, denn von einer Linie zu sprechen, da selbst nach dem Rückzug hinter den Rhein 47 sowohl Friesen als auch Ampsivarier direkt unter römischem Einfluss standen. Im konkreten bedeutet dies, dass zwischen Katwijk und Remhagen ein grosser Landstreifen rechtsrheinisch zur Provinz gehörte. Auch die weiter südlich liegenden Uferstreifen am rechen Rheinufer unterstanden römischer Kontrolle. Aus diesem Gebiet sind aus trajanischer Zeit sogar Tegularia Transrhenana (Ziegeleien jenseits des Rheins) überliefert. Dies alles dürfte vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen (zahlreiche Steinbrüche, Weideland) geschehen sein.
Gemessen an Provinzen vergleichbarer Größe ist die Zahl der Städte in Niedergermanien sehr gering geblieben. Es gab nur vier Kolonien bzw. Munizipien: Colonia Claudia Ara Agrppinensium (kurz CCAA genannt, gegründet 50, Köln), Colonia Ulpia Traiana (kurz CUT, gegründet vermutlich 98, Xanten), Municipium Batavorum (zuvor Ulpia Noviomagus Batavorum genannt, Marktrecht seit Trajan, Erhebung zum Municipium gegen Ende des 2.Jh.n.Chr., Nijmegen/NL) und Municipium Aelium Cannanefatium (kurz MAC, zuvor Forum Hadriani genannt, Marktrecht seit Hadrian, Erhebung zum Municipium spätestens 162, Voorburg-Arentsburg/NL).
Die Zahl der Einwohner kann nur andeutungsweise geschätzt werden. Ausgehend davon, dass Agrippina (Köln) nicht mehr als 50.000 Einwohner hatte und damit alle anderen Siedlungen und Lager dementsprechend weniger, so kommt man auf eine Zahl die wohl eine halbe Million nicht überschritten haben dürfte. Zum Vergleich: Britannia war viermal größer mit ca. 2 Millionen Einwohner Ende des 2.Jh.n.Chr.
Das wichtigste Gewässer der Provinz war - neben dem Meer - der Rhenus (Rhein). Andere Flüsse waren Mosa (Maas), Obrincas (Vinxtbach), Scaldis (Schelde), Vahalis (Waal), Neckar (Nicer), Mosel (Mosella), Main (Moenus) und Donau (Danuvius).
Schon damals hatte der Rhein drei Mündungsarme, die jedoch anderes als heute verliefen. Der nördlichste hieß Flevum, mündete wahrscheinlich nördlich von Velsen und ist entweder mit der Vlie-Mündung, wahrscheinlicher jedoch mit der Ij identisch, die bei Ijmuiden ins Meer fliesst. Der zweite Mündungsarm behielt mit Rhenus den Flußnamen. Tacitus berichtet von seinen starken Strömungen. Dieser Mündungsarm war damals viel breiter als heute und liegt unmittelbar nördlich der heutigen Stadt Katwijk. Seit Mitte des 1.Jh.n.Chr. bildete er die Nordgrenze der Provinz. Der größte Mündungsarm wurde Helinium genannt und verband in seinem Delta Waal, Maas und Striene. Caesar behauptete, dass die Schelde in die Maas münde. Wahrscheinlich gab es damals eine intakte Nebenflußstrecke zum Helinium.
Alle Mündungsgebiete des Rheins sind Ästuare (Einfluss von Ebbe und Flut) Richtung Osten mit abnehmendem Gezeitendruck. Tacitus nennt hier die Insula Batavorum (Insel der Bataver), die heute identisch ist mit der Landschaft Betuwe. Hier war die Landschaft zwar immer noch moorig, dennoch siedlungsfreundlicher da man hochwasserfreie Flächen einrichten konnte. In römischer Zeit waren hier vor allem Laubwälder mit Buchen und Eichen anzutreffen. Geändert hat sich dies erst mit planmäßigen Rodungen zur Gewinnung von Siedlungsland.
Es folgt das Niederrheinische Flachland, das ebenfalls mit Laubwäldern bedeckt war. Den Kern der Provinz machte jedoch die Niederrheinische Bucht mit seinen Lössböden zwischen Neuss, Bonn und Aachen aus. Schon die Ackerbauern der Jungsteinzeit wussten diese Gegend für sich zu nutzen. Hier mussten die Römer nichts umholzen, das Land stand schon Jahrtausende unter dem Pflug. Der fruchtbare Lössboden und die günstigen klimatischen Verhältnisse brachten eine reiche Getreideernte hervor.
Weiter im Süden ist die Eifel. Gemeinsam mit den Ardennen und dem Hohen Venn bildeten sie ein Silva Arduinna (Ardennenwald) genanntes, geschlossenes Waldgebiet, dessen größter Teil zur Provinz Belgica gehörte. Nur die nördlichen Gebiete gehörten zu Niedergermanien. Es hatte raues Klima, viele Niederschläge und eignete sich vor allem für Wald- und Weidewirtschaft. Landwirtschaft brachte kaum Erträge. Wichtig waren aber die Bodenschätze wie Eisen, Blei, Zink, Tuff- und Kalkstein. Lange Zeit unbeachtet wurde das Gebiet erst gegen Ende des 1.Jh.n.Chr. dichter besiedelt. Auch die großen Wasserreserven wurden damit zunehmend erschlossen.
Zu Niedergermanien gehörte auch ein kleiner Teil des Mittelrheingebietes, wo sich der Fluß zäh durch das Schiefergebirge gearbeitet hat. Die geografische Enge bewirkte geringe Besiedelung und nur die Gebiete von Remagen und an der Ahrmündung waren dichter bevölkert.
Vorgeschichte
Im Mesolithikum (8000 bis 4000 v.Chr.) zogen sich die Gletscher in die Gebirge zurück, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels führte. Die Küstenlinien wanderten landeinwärts und legten ungefähr den noch heutigen Verlauf fest. Durch die Veränderung von Flora und Fauna (weniger Tiere mit Wandergewohnheiten) entsteht an den Küsten und großen Flüßen eine erste Siedlungstätigkeit. Die ausgedehnten Wälder bieten eine größere Artenvielfalt, als dies noch im Paläolithikum der Fall war. Dies führt zu einem ersten Anstieg der Bevölkerung. Manifestiert wird das ganze in der erstmaligen Anlage größerer Begräbnisplätze.
Mit 4.000 v.Chr. kannten auch die Menschen in Deutschland und Frankreich Kupferwerkzeuge; doch überwiegen jene in Stein. Die Verbreitung dürfte im Zuge der Wanderung von Bauern der linienbrandkeramischen Kultur erfolgt sein. Auch entstanden erste Befestigungsanlagen von fast burgähnlichem Charakter.
Im Zeitalter der schnurkeramischen Kulturen (2800 bis 2400 v.Chr.) kam es zu einem erhöhten Bevölkerungswachstum, da auch schlechtere Ackerflächen bebaut wurden. Typische Grabform war das Hügelgrab, das sich bis in römische Zeit halten konnte.
Entlang der grossen Wasserstrassen - wie dem Rhein - breitete sich die Glockenbecherkultur (2.500 bis 2.200 v.Chr.) aus. Kurze Zeit existierte sie neben der schnurkeramischen Kultur. Beisetzungen in Gräbern respektierten bereits bestehende Grabanlagen (Friedhöfe, Hügel).
Die folgende Bronzezeit brachte bedeutende kulturelle Entwicklungen wie Pferdehaltung, Rad, Wagen, verbesserte Boote, Urbarmachung sandiger Gebiete und Tierzucht. Der Rhein wurde als Handelsweg erschlossen (Bernsteinstraße). Vermehrt entstanden nun Befestigungs- und Wallanlagen.
Die keltisch-germanischen Kulturen der vorrömischen Eisenzeit waren Bauernkulturen mit Brandbestattung in manchmal großen Friedhöfen. Eine Trennung zwischen Kelten und Germanen ist im letzten Jahrhundert v.Chr. nicht möglich. Einen gewissen Unterschied gab es in der Siedlungsform, wo die Kelten durch das oppidium-System hervorragten. Das Gebiet der späteren Provinz Untergermanien stand dem keltischen Kulturkreis in Gallia sehr nahe.
Als die Römer Bekanntschaft mit den Germanen machten, waren diese allesamt Bauern in Einzelgehöften oder kleinen Dörfern. Wertvolle Gebrauchsgegenstände aus Eisen und Bronze sowie Schmuck wurden größtenteils aus keltisch beeinflussten Gebieten importiert.
Eroberung & Sicherung
Bei seiner Eroberung gehörte Niedergermanien zu Gallien. Caesar hatte die große Provinz zwischen 58 und 51 v.Chr. erobert. Im nordöstlichen Gebiet machten ihm die Sueben zu schaffen, die auf der Suche nach geeigneten Siedlungsgebieten über den Rhein eingedrungen waren. Mehr als einmal musste Caesar den Fluß überqueren. Berühmt sind seine Brückenschläge der Jahre 55 und 53 v.Chr. im Neuwieder Becken. Beide Feldzüge wurden abgebrochen noch bevor der Gegner endgültig besiegt werden konnte. Die Gründe dafür lagen in Rom, in dessen Politik Caesar ständig einzugreifen gedachte um nicht Pompeius oder Cato die Macht zufallen zu lassen.
Für die Römer bildete der Rhein sowohl sprachlich als auch kulturell die natürliche Grenze zwischen den keltischen Galliern und den Germanen. Caesar war der erste, der die Unterschiede in beiden Kulturen hervorhob. Doch auch er wusste bereits, dass eine vollkommene Trennung nicht möglich war. Starke germanische Kontingente, wie die Eburonen, hatten schon lange linksrheinische Gebiete bewohnt. Sie bildeten immer einen Quell der Unruhe und Caesar befürchtete, sie könnten sich mit den benachbarten Galliern gemeinsame Sache machen. Die Ausrottung der germanischen Völkerschaften links des Rheins war deshalb ein Anliegen, das Caesar mit besonderer Brutalität verfolgte. Sogar im Senat in Rom war man ob dieses Genozids beunruhigt. Cato selbst hat einen Antrag auf Auslieferung Caesars an die Germanen eingebracht.
Caesar hatte von Anfang an vor, den römischen Machtbereich am Rhein enden zu lassen. Flüße waren im geistig-religiösen Verständnis der Römer die idealen Grenzen. Auch politisch ließen sich die Kämpfe mit den Germanen links und rechts des Rheins perfekt ausnutzen in einer Zeit, da Pompeius im Osten des Reiches glorreiche Siege errang. Das Gebiet zwischen dem echten Gallia und dem Rhein sollte somit eine Pufferzone gegen eventuelle germanische Einfälle bilden. Erst Augustus richtete seine Augen bis an die Elbe.
Die letzten Widerstände wurde mit der Niederringung des Aufstandes von Vercingetorix 52/51 v.Chr. gebrochen. Die Gallier fügten sich der überlegenen römischen Militärmacht und assimilierten sich schnell in der neuen Kultur.
Das Grenzland hingegen blieb ausserhalb des überaus erfolgreichen Gesamtkonzeptes für Gallien. Es bildete ein Anhängsel, vergleichbar mit den frühmittelalterlichen Marken. Sieht man von Augustus und Marc Aurel ab, so blieb Rom an Rhein und oberer Donau immer in der Defensive. Das fehlende politische Konzept führte zu einer Kluft zwischen den Stämmen und hat schlußendlich zur Niederlage des Varus geführt.
Die Differenzen lagen vor allem im zivilisatorischen und psychologischen Bereich. Die Germanenstämme waren bei weitem nicht so homogen organisiert wie die Kelten. Es gab zwischen ihnen bedeutende kulturelle Entwicklungsunterschiede, vor allem nach Nord und Ost. Die linksrheinischen Germanen waren seit geraumer Zeit keltisiert worden. Im Mündungsgebiet des Rheins spürte man hingegen kaum etwas davon. Das Kulturgefälle entlang des Rheins machten sich die Römer schließlich selbst. In rasanter Weise entwickelte sich ein Gefälle zwischen den rasch romanisierten Menschen links des Rheins und den traditionsbewussten Germanen diesseits des Flußes. Die Kluft ging durch zahlreiche Familien und erschwerte die Beziehungen enorm.
Die Germanen bildeten den Bürgerschreck der ersten nachchristlichen Jahrhunderte, denn sie hatten es geschafft (erstmals die Kimbern & Teutonen) das römische Selbstwertgefühl anzukratzen. Beutezüge einzelner Stämme blieben beinahe an der Tagesordnung und 17 oder 16 v.Chr. gelang den Sugambrern die Erbeutung eines Legionsadlers. Eine Schande für das römische Volk. Aber selbst dies verblasste hinter dem wahr gewordenen Schreckensszenario der Varusschlacht mit ihren 20.000 Toten und 3 verloren gegangenen Feldzeichen. Auch aus diesem psychologischen Dilemma ist die Germanenpolitik, die eigentlich keine war, zu verstehen.
Lediglich Augustus bemühte sich um eine langfristige Lösung. Wahrscheinlich im Zeichen der Niederlage des Statthalters Lollius 17 oder 16 v.Chr. ließ er wohl von Agrippa, der 39/38 und 20/19 v.Chr. Statthalter Galliens war, ein Konzept zur Eingliederung der Germanen in den römischen Staatsverband ausarbeiten. Ziel war nun die Elbgrenze. Mit dem Tod Agrippas 12 v.Chr. ging die Leitung der Unternehmung auf Augustus’ Stiefsohn Drusus über. Gut dreißig Jahre sollte die Auseinandersetzung dauern und niemals zu einer direkten Herrschaft führen.
Nachdem Drusus 9 v.Chr. verunfallt war, kam das Kommando auf Tiberius, der in die Fußstapfen seines Bruders trat. Er setzte vor allem auf Verhandlung und Organisation, wusste aber auch mit aller Härte durchzugreifen. Die Sugambrer, ein Stamm der stets bei allen Unruhen an vorderster Front kämpfte, wurde von der politischen Landkarte getilgt; die kümmerlichen Reste links des Rheins angesiedelt.
Von 6 v.Chr. bis 4 n.Chr. herrschte weitgehend Ruhe an der Grenze und nur einmal begab sich Tiberius bis an die Elbe. Dann begann wieder eine Saison der Feldzüge und zahlreiche Stämme machten Bekanntschaft mit römischem Stahl. Im Jahre 6 n.Chr. galt das Gebiet als „befriedet“. Man machte sich bereits Hoffnung in späteren Jahren kräftig Tribut kassieren zu können.
Das Jahr 9 brachte aber die Wende. Tiberius’ Nachfolger Publius Qinctilius Varus handelte bereits als Statthalter und schoss bei der Organisation der neuen Provinz beträchtlich über das Ziel hinaus. Als Verwaltungsfachmann ging er von einer vollständig befriedeten Provinz aus. Der Aufstand des Arminius überraschte die Römer und nach der Ausradierung dreier Legionen stand das Imperium unter Schock. Schon sah man die barbarischen Horden - die gerade noch als loyale Untertanen eingestuft worden waren - in Gallia einfallen. Doch eine Folgekatastrophe blieb aus, was den lokalen Charakter des Aufstandes bezeugt.
In den folgenden Jahren sicherte Tiberius die Rheingrenze und ließ sich durch Germanicus die Legionsadler wiederbeschaffen. Der Kaiser verfolgte nun wieder eine reine Grenzsicherungspolitik und überließ das Gebiet den Zwistigkeiten der Stämme untereinander. Neu war die Schaffung eines Niemandslandes rechterseits des Rheins um bei drohenden Überfällen ein besseres Aufmarschgebiet zu haben. Aber nicht alles rechtsrheinische Gebiet war verloren gegangen. Das Friesenland blieb bis in die Zeit von Kaiser Claudius unter römischer Hoheit.
Unter diesen Eindrücken machte die Germanisierung Niedergermaniens, aber auch des angrenzenden Belgiens nur geringe Fortschritte. Und kaum als die römische Militärpräsenz im Frühjahr 69 einmal nachgelassen hatte, nutzten dies zahlreiche Stämme zum Aufstand. Nach dem Abzug von 60.000 Mann in Richtung Italia durch Aulus Vitellius war praktisch kein Grenzschutz mehr gegeben. Nach kurzer Zeit waren alle Lager vom Mittelrhein bis an die Küste überrannt.
Zunächst tarnte sich der Führer des Aufstandes, Iulius Civilis, als Gefolgsmann Vespasians, doch nach dem Tod von Vitellius wurden seine wahren Absichten ruchbar. Er wollte ein eigenständiges Imperium Germaniarum et Galliarum schaffen. Im Jahre 70 trafen sich die Stammesführer in Agrippina (Köln) und berieten über das weitere Vorgehen. Man überschätzte allerdings die eigenen militärischen Kräfte und nachdem Vespasian sich im Reich Respekt verschafft hatte, brach der Aufstand in sich zusammen.
Der darauf folgende maßvolle Friede entsprach wieder dem Geiste des Tiberius und Vespasian kümmerte sich rein um die Sicherung der Grenze. Man ließ die Waffen nur dann sprechen, wenn die Diplomatie versagte. Mit ein Grund dafür war die Sparsamkeit des neuen Kaisers; denn Kriegführen kostete eine Menge Geld. Vespasian tauschte nach und nach die Truppenkontingente aus und sicherte sich so die Loyalität der Soldaten. Diese Ordnung sollte bis ins 3.Jh.n.Chr. maßgeblich bleiben. Niedergermanien erlebte eine 200jährige Friedenszeit, die erst durch den Ansturm der Franken unter Kaiser Valerianus beendet wurde.
Verwaltung
Germania inferior war als Provinz seit Anbeginn ein Torso. Für Caesars Gallia bildete es einen Puffer und mit der Aufgabe der Expansionspläne war das langgezogene Gebiet endgültig Grenzland geworden. Das Gebiet hieß deshalb anfangs auch nicht Niedergermanien sondern war schlichtweg Teil von Gallia. Erst zu Beginn der Germanenkriege unter Augustus (um 13 v.Chr.) entschied man sich für einen eigenen Kommandobereich und damit einen Okkupationszustand. Der Amtssitz der Militärverwaltung lag entweder in Vetera (Xanten-Birten) oder im Legionslager apud aram uibiorum (beim Altar der Ubier; so der ursprüngliche Name Kölns).
Auch Tiberius beließ das Land unter Militärverwaltung, wenn auch die Legaten nunmehr alle 3 bis 5 Jahre ausgetauscht wurden. Es waren konsularische Legati Augusti pro praetore Exercitus Germanici inferioris. Man kannte bis etwa 82 auch nur ein Germania. Ab dieser Zeit tauchten die ersten Inschriften auf, die von Duae Germania (zwei Germanien) sprachen. So wird angenommen, dass Germania inferior ca. um 83/84 das Provinzialstatut erlangte welches Gerichtsbarkeit, Steuersystem und Verwaltung neu regelte.
Die Amtsbezeichnung des Statthalters lautete nunmehr Legatus Augustus pro praetore Germaniae inferioris. Als oberster Zivilbeamter residierte er in Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln; Bezeichnung seit dem Jahre 50 üblich), auf Inschriften kurz CCAA genannt. Der Statthalter befehligte auch die in der Provinz stationierten Legionen und Hilfstruppenkontingente. Ob allerdings schon Germanicus hier sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, ist ungewiss.
Der Legat war die oberste richterliche Instanz der Provinz und beaufsichtigte theoretisch alle Prozesse. In der Praxis beschränkte er sich auf wenige schwerwiegende Kriminal- und Zivilrechtsprozesse. Die niedere Gerichtsbarkeit wurde den Magistraten der Gemeinden übertragen. Da das römische Recht bereits sehr komplex war, stand dem Statthalter in diesen Fragen ein Stab von Comites (Begleitern) zur Verfügung. Diese Männer wurden von ihm persönlich ausgewählt. Überlieferte Bezeichnungen sind Adsessores (Beisitzer) und Consiliarii (Berater).
Jeder Statthalter war angehalten ein Edictum zu erlassen, in dem festgehalten war wie Recht gesprochen werden sollte. Dies entsprach der Funktion des Praetor Urbanus in Rom. Die gelebte Rechtspraxis sah folgendermaßen aus: ein Nachfolger übernahm in der Regel die Entscheidungsgrundsätze seiner Vorgänger. Damit entstand die noch heute berühmte Kontinuität des römischen Rechtes.
Der Gerichtsbarkeit ähnlich lag die oberste Polizeigewalt in den Händen des Statthalters. Diese Aufgabe umfasste die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Sicherheit auf den Transitrouten, die Überwachung der Verwaltung sowie die Beaufsichtigung der öffentlichen Bauten. In dieser Funktion wurde er von sechs Liktoren mitsamt ihren Rutenbündeln begleitet.
Das officium (Kanzlei) des Statthalters umfasste etwa 200 Personen die sich aus Offizieren und Soldaten der Legionen rekrutierten. An der Spitze stand ein Centurio als Princeps Praetorii (erster Mann des Hauptquartiers). Er wurde von einem Adiutor Principis unterstützt. Die einzelnen Ressorts wurden von Cornicularii (Stabssekretäre) verwaltet. Wie in der Provinz Obergermanien wird es drei reguläre Sekretäre gegeben haben. Zu ihnen gesellten sich drei Commentarienses (eigentl. Protokollführer), die die Justizangelegenheiten regelten. Diesen standen Speculatores (eigentl. Kundschafter) für Ermittlungsaufgaben zur Seite. Auch die Frumentarii hatten polizeiliche Aufgaben (z.B. Kerker) zu erledigen. Mehr als 30 Beneficiarii Consularis fungierten als Marktaufsicht in den Städten und als Strassenpolizei. Der Dispensator (Schatzmeister) war übrigens ein kaiserlicher Sklave.
In den unteren Dienstgraden finden sich dann noch Spezialisten wie Haruspices (Eingeweideschauer), Victimarii (Opferdiener) und Interpretes (Dolmetscher). Die Masse aber waren gewöhnliche Kanzleibeamte wie Librarii, Exacti und Exceptores.
Zu seinem Schutz hatte der Statthalter nicht nur die sechs Liktoren, sondern auch eine eigene Leibgarde. Es gab die Equites Singulares (beritten) und die Pedites Singulares (zu Fuß). Ihre Stärke betrug jeweils 480 Mann. Sie wurden aus den Alen und Kohorten rekrutiert. Die Kommandanten waren ebenfalls lokale Centurionen, die wohl vom Statthalter persönlich ausgewählt wurden.
Die Finanzverwaltung wurde von einem eigenen Procurator wahrgenommen, der dem Ritterstand angehörte und in Trier residierte. Sein Amtstitel lautete Procurator Augusti provinciarum Belgicae et utriusque Germaniae. Damit ist klar, dass sein riesiger Amtsbezirk nicht nur die beiden Germanien, sondern auch die Gallia Belgica umfasste.
Ihm zur Seite standen drei Subprocuratores, die jeweils für einen der drei genannten Provinzen zuständig waren. Die Hauptaufgabe lag in der Erhebung der direkten und indirekten Steuern. Erhoben wurden das Tributum Soli (eine Grundsteuer im Ausmaß eines Zehntels des Bodenertrags) und das Tributum Capitis (eine Kopfsteuer). Die Höhe des Tributes ist leider nicht bekannt.
Auch der Großteil der indirekten Steuern floss durch die Hände des Procurators. Es gab u.a. die Centesima rerum venalium (1%ige Umsatzsteuer), die Vicesima quinta venalium macipiorum (5%ige Sklavenverkaufsabgabe) und die Vicesima Libertatis (5%ige Freilassungssteuer). In Lugdunum (Lyon/F) war eine eigene Behörde mit der Erhebung der 5%igen Erbschaftssteuer beschäftigt. Der langatmige Amtstitel des Chefs lautete: Procurator XX Hereditatium per Gallias Lugdunensem et Belgicam et utramque Germaniam. Bei dieser Steuer kam also auch Gallia Lugdunensis noch zum Steuerbezirk hinzu. Schlußendlich wurden noch Binnenzölle erhoben. Wer die Grenze des gallisch-germanischen Zollbezirks überschritt hatte die Quadragesima Galliarum (2,5%-Zoll) auf die mitgeführten Waren zu entrichten. Die Zölle wurden an Conductores (private Pächter) vergeben. Ein gewisser Marcus Pompeius Potens ist auf diese Weise zu einem reichen Mann geworden.
Grundlage für die meisten dieser Steuern war der Provinzialzensus. Dabei handelte es sich um die Schätzung des Vermögens der Personen. Die zeitlichen Abstände zur Abhaltung des Zensus variierten beträchtlich, doch zeigen die Werte in der Regel einen Abstand von 20 bis 30 Jahren. Für Niedergermanien ist der erste Zensus für das Jahr 27 v.Chr. überliefert. Weitere erfolgten unter Drusus 12 v.Chr., Germanicus 14 n.Chr., Nero 61, Domitian 83 und Trajan 110. Die Organisation des Zensus lag bis in die Zeit der Adoptivkaiser in den Händen des Militärs. Erst unter Hadrian ist für Germania inferior ein eigener Procurator ad Census accipiendos überliefert. Namentlich bekannt ist Quintus Domitius Marsianus, der unter Kaiser Marc Aurel einen Zensus in Gallia, Belgica und Niedergermanien durchführte. Die Erhebungen mussten nicht unbedingt eine ganze Provinz umfassen, es konnten auch nur eine Anzahl von Regionen und Stammesgemeinden geschätzt werden. Provinzübergreifende Zensus gab es offenbar nicht.
Zum Provinzialzensus kam noch der Stadtzensus, der alle fünf Jahre erstellt wurde. Er wurde in allen Städten des Reiches durchgeführt und bildete auch die Basis für den Provinzialzensus. Die Magistrate der Städte hafteten persönlich für die den Städten auferlegten Abgaben. Die Duumviri quinquennales waren dafür verantwortlich und diese beiden Ämter waren hochangesehen.
Ähnlich wie in Gallia war die Verwaltung der alten Stammesgebiete (Civitates) beibehalten worden. Eine Civitas umfasste in der Regel ein Gebiet in der Grösse eines deutschen Regierungsbezirks und besaß einen Hauptort, der gesellschaftlicher, politischer, religiöser und wirtschaftlicher Mittelpunkt war. Die Bindung an Rom gestaltete sich dreierlei:
- Civitates Liberae waren weitgehend unabhängig und zahlten auch keine Abgaben
- Civitates Foederatae waren durch ein spezielles Bündnis mit Rom verbunden
- Civitates sine Foedere bzw. Civitates Stipendiariae waren ohne Bündnis und mussten Abgaben bezahlen.
Die Grenzen der Stammesgebiete waren manchmal fließend. Die Bataver etwa hatten eigentlich den Status Peregrini Dediticii (Fremde, die nur der Gnade unterworfen waren) obwohl sie innerhalb der Reichsgrenzen wohnten. Auch zahlten sie keinen Tribut und wurden von einem Magistrat verwaltet.
Diese politische Gliederung der Provinz hat sich erst im 1.Jh.n.Chr. herauskristallisiert und stand im Zusammenhang mit der Umwandlung vom Okkupationsgebiet in eine reguläre Provinz. Die Truppen wurden nun nicht mehr beliebig hin- und hergeschoben, sondern hatten fixe Frontabschnitte zu verteidigen. Sieht man von Agrippina (Köln) und Traiana (Xanten) ab, so verblieb die unmittelbare Reichsgrenze in Militärbesitz. Der Rest konnte in Privat- bzw. Stadteigentum übergehen.
Die Zahl der Civitates ist leider nicht bekannt, jedoch werden die größten angesiedelten Stämme (Ubii, Tungri, Cugerni, Bastavi und Cannanefates) ihre eigenen Verwaltungsstrukturen gehabt haben.
Militär
Augustus konzentrierte nach der Niederlage von Varus zwischen Mogontiacum (Mainz) und Batavodurum (Nijmegen/NL) acht Legionen. Damit stand fast ein Drittel der römischen Militärmacht am Rhein. Vier dieser Legionen waren in Niedergermanien stationiert. Ihre Lager waren Vetera (Xanten-Birten) und „beim Altar der Ubier“ im Gebiet des heutigen Köln. Bis zum Jahre 16, als Tiberius seinen Neffen Germanicus von der Rheinfront zurückrief, stand auch in Batavodurum eine Legion. Auch das Lager beim Ubieraltar wurde schließlich aufgegeben und die Einheiten nach Novaesium (Neuss) und Bonna (Bonn) verlegt.
Die Zahl der Truppen blieb auch nach dem Bataveraufstand der Jahre 69/70 konstant. Man löste lediglich das Doppellegionslager in Vetera auf und legte eine Legion wieder nach Batavodurum. Die Donaukriege Domitians waren äußerst verlustreich und so wurde die in Vetera stationierte Legion im Jahre 92 abgezogen. Trajan löste um 105 das Lager in Novaesium auf und schickte die Legion nach Vetera. Novaesium wurde zum reinen Hilfstruppenlager. Der friedliche innere Entwicklung führte schließlich zur endgültigen Auflösung des Lagers von Batavodurum. Damit standen in Niedergermanien nur mehr zwei Legionen in Bonna (Bonn) und Vetera (Xanten-Birten).
Auch Hilfstruppen waren überaus zahlreich in der Provinz stationiert gewesen. In Summe kennt man 20 Alen und 34 Kohorten mit Namen. Meist trugen sie die Namen jener Völker unter denen sie ausgehoben wurden (z.B. Batavi, Cannanefates, Tungri, Ubii, etc.). Viele Einheiten wurden nicht für den lokalen Dienst, sondern für ausserhalb - vor allem Britannia - ausgehoben. Zur Zeit des Tiberius standen etwa 8 Alen und 30 Kohorten in der Provinz. Rechnet man noch die Legionen hinzu, dann kann man von einer Truppenstärke von ca. 38.000 Mann ausgehen. Die Grenzlinie erstreckte sich über etwa 320 km; folglich kamen auf den Kilometer gut 120 Soldaten.
Bis zum Bataveraufstand rekrutierten sich die Hilfstruppen hauptsächlich aus Germanen und Galliern. Ähnlich den Legionen wurden die Einheiten von Vespasian und seinen Nachfolgern fast völlig ausgetauscht. Unter Vespasian kennt man 6 Alen und 21 oder 22 Kohorten und unter Hadrian 6 Alen und 13 Kohorten. Zu Beginn des 3.Jh.n.Chr. waren es 7 Alen und etwa 15 Kohorten. Mit den 10.000 Legionären dürfte dies in Summe 21.000 Mann ausgemacht haben. Numeri - Hilfstruppen die sich direkt aus der Provinzbevölkerung rekrutierten - spielten in Niedergermanien eine untergeordnete Rolle. Man kenn lediglich vier dieser Einheiten (namentlich bekannt: Numerus Exploratorum Batavorum stationiert bei Leiden & Numerus Ursariensium in Quadriburgium), die erst im 3.Jh.n.Chr. nachweisbar sind.
Wichtig hingegen war die Rheinflottille. Die Classica Germanica hatte ihre Flottenbasis südlich von Agrippina. Weitere Basen waren Fectio (Bunnik-Vechten/NL), Matilo (Leien-Roomburg/NL) und Lugdunum (Katwijk-Brittenburg/NL). Die Hauptaufgabe der Flußstreitkräfte bestand in der Gewährleistung der freien Schifffahrt auf dem Rhein und seiner Nebenflüße. Daneben fungierte sie auch aus Logistikunternehmen großen Stils. Der Statthalter konnte die Schiffe jederzeit für sich in Anspruch nehmen. Die Steine der Brüche des Brohltales im Siebengebirge wurden durch die Flotte transportiert. Auch lebensnotwendige Güter wie Getreide und Wein, die auf dem Landweg nur mühsam in ausreichenden Mengen fortbewegt werden konnten, wurden befördert. Da der Flottendienst bei den Römern nicht angesehen war, dienten vor allem Freigelassene bei den Fluß- und Seestreitkräften. Belegt wird dies durch zahlreiche griechische und orientalische Namen der Mannschaften.
Besonders bekannt für ihre internationalen Einsätze war die in Bonna stationierte Legio I Minervia, die nicht nur in den Dakerkriegen Trajans zum Einsatz kam, sondern auch in Parthien unter Lucius Verus und Caracalla. Auf einem Grabstein wird für die glückliche Heimkehr vom Fluß Alutus (Terek im Kaukasus) gedankt aber auch von schlechtem Kriegsglück und Verlusten durch die Pest berichtet.
Da Untergermanien eine Grenzprovinz war hatte sie an ihren äußeren Rändern betont militärischen Charakter. Am Augenscheinlichsten wurde dies durch die Anlage von Lagern für Legionen und Hilfstruppen, Stützpunkten, Wachtürmen und Wallanlagen. Der niedergermanische Limes wurde als Straßenweg wohl bereits von Agrippa im Jahre 20/19 v.Chr. geplant und war ursprünglich mit äußerst wenig Truppen besetzt. Die Lager entlang der Lippe wurden nach der Niederlage von Varus aufgegeben.
Der Limes an sich ist nicht in einem Stück geplant worden, sondern entstand schrittweise. Den Startschuß gab man um 16/17 n.Chr. ab, als klar wurde, dass der Rhein eine sichtbare Grenze werden würde. Die Grenzbefestigungen wurden allerdings nur sehr zögerlich ausgebaut. Unter Augustus existierten sieben, unter Tiberius zehn Anlagen. Einen Schub an Neubauten gab es unter Kaiser Claudius während der Vorbereitungen für seinen Britannienfeldzug. Nach dem Bataveraufstand mussten zahlreiche Kastelle ersetzt werden. Fertiggestellt war die Grenzsicherung unter Trajan, die sich auf etwa 30 Lager stützten konnte.
Angelegt wurden Stützpunkte gerne an Altarmen des Rheins, da so eine Versorgung per Schiff garantiert werden konnte. Gegenüber Flußmündungen liegende Punkte sollten die Einfallstore des freien Germanien kontrollieren. Die Lager etwas im Inneren der Provinz wurden wohl im Angesicht der Aufstände der Bataver und anderer Stämme errichtet. Auch der Schutz des Drusus- und Corbulokanals war wichtig.
Ergänzt wurden die fixen Truppenlager durch Wachtürme sowie Marsch- und Übungslager. Von letzteren sind wenigstens 60 bekannt. Der Niedergermanische Limes war eine reine Defensivanlage. Im Gegensatz zur Donau verzichtete man sogar auf vorgeschobene Militärposten. All dies genügte fast 250 Jahre den Anforderungen. Erst der Frankensturm von 256/257 zeigte die Schwächen der Verteidigung. Bis zu diesem Zeitpunkt war aber auf germanischer Seite auch kein ernsthafter Gegner gestanden.
Der Exercitus des spätantiken Untergermaniens ist leider nicht überliefert. Die beiden verbliebenen Legionen I Minervia und XXX Ulpia Victrix befanden sich aber noch in ihren angestammten Lagern. Da die militärischen Kommanden von den zivilen Aufgabenträgern getrennt worden waren, übte um 400 ein Dux Germaniae Primae den Oberbefehl über die Truppen der Provinz aus.
Wirtschaft & Gesellschaft
Gepflasterte Straßen waren in Untergermanien auf Städte wie Agrippina (Köln) beschränkt. Die Überlandstraßen entsprachen dem allgemeinen Standard römischer Straßenbaukunst. Sie waren geschottert, in der Mitte aufgewölbt und teilweise auf einem bis zu 1 m hohen Fahrdamm angelegt. Am Rand waren dann noch Treppelwege angebracht, auf denen etwa Herden getrieben wurden.
Die Straßen wurden von zahlreichen Begleitbauten gesäumt, von denen jedoch nur sehr wenige ausgegraben werden konnten. Eine Statio samt Horreum (Getreidespeicher; hier für die Ablieferung für Naturalabgaben) ist bei Advatuca Tungrorum gefunden worden. Brücken sind sowohl inschriftlich als auch archäologisch bekannt. Das größte derartige Bauwerk war die Rheinbrücke zwischen Agrippina (Köln) und Divitia (Köln-Deutz) mit über 400 m Länge und ca. 10 m Breite. Im Gegensatz zu allen anderen Brücken in Untergermanien, die aus Holz erbaut worden waren, bestand diese aus 19 Steinpfeilern mit hölzernem Oberbau. Erbaut wurde sie unter Kaiser Konstantin I. 336. Die Bauzeit zuvor betrug mehrere Jahrzehnte.
Die Wasserwege der Provinz hatten überragende Bedeutung, da die Frachtkosten zulande mehr als die Hälfte des Warenwertes ausmachen konnten. Uferbefestigungen und Kaianlagen wurden zahlreich ergraben und Treppelwege ausgemacht. Untergermanien hatte den Vorteil nicht nur über ein dichtes Flußverkehrsnetz, sondern auch Anschluss ans Meer zu besitzen. Die eindrucksvollste Kaianlage wurde bei Xanten freigelegt, wo sich einstmals ein schiffbarer Rheinarm befand. Der Hafen versorgte seit etwa dem Jahre 80 n.Chr. die Cugerni-Siedlungen.
Wasserleitungen sind bislang nur für Traiana (Xanten) und Agrippina (Köln) nachgewiesen. Am bekanntesten ist die Eifelwasserleitung von den Bergen der Voreifel nach Agrippina (Köln) durch ihre Länge von mehr als 100 km. Sie konnte bis zu 20.000 m³ Quellwasser pro Tag transportieren.
Aus wirtschaftlicher Sicht galt Untergermanien als entwicklungsfähiges Land an der Grenze. Gegenüber dem freien Germania (wo nur der Handel als gewinnbringend galt) hatte es den Vorteil, dass sowohl Bodenschätze (wie Trachyt u.a. Steine) als auch Landwirtschaft und Viehzucht vorhanden waren. Plinius lobte etwa die Ubier für ihre Ackerbaukunst sowie die zahlreichen germanischen Gänse (Daunenproduktion).
Zu Beginn musste noch vieles importiert werden, da die Siedlungen und Militärlager schneller wuchsen als die lokale Wirtschaft. Die Abhängigkeit von Gallia und Italia dürfte dann aber der Ansporn gewesen sein, den Bedarf aus eigener Produktion zu decken. Dies ging mit dem Ausbau der Verkehrswege einher. Nicht einmal ein Jahrhundert wurde benötigt, um die Importe maßgeblich zurückzudrängen. In bescheidenem Umfang konnte sogar exportiert werden. Qualitätsprodukte wurden zwar nach wie vor importiert, doch konnten die lokalen Handwerker billiger produzieren und Waren aus Italien und entfernten gallischen Städten waren schon alleine der Frachtraten wegen teurer.
Ein wichtiger Bodenschatz war Blei, das im Auftrag des Statthalters durch die legio XVI und legio XIX gewonnen wurde. Zentren des Abbaus lagen zwischen Kommern, Mechernich und Keldenich in der Nordeifel. Auch beiderseits der Rur wurde fleißig geschürft. In der Nordeifel wurden zudem Rot- und Brauneisenstein im Tagebauverfahren gewonnen. Kupfer gab es in der Provinz keines, jedoch lagen Vorkommen rechts des Rheins bei Rheinbreitbach, wo Spuren römischen Abbaus gefunden wurden. Steinkohle gewann man zwischen Aachen und Eschweiler. Die Kohle wurde einerseits in den Häusern verheizt, andererseits zum Aufkohlen des Eisens verwendet. Der Goldbergbau spielte nur eine geringe Rolle, etwa in der Hohen Venn westlich von Monschau/Eifel. Wichtiger war wohl das Rheingold, der schon damals als aurifer (goldtragend) galt.
Die Bauwirtschaft entwickelte für Untergermanien völlig neue Berufe, wie Architectus (Baumeister) und Lapidarius (Steinmetz). Da anfangs noch keine Fachkräfte vor Ort zur Verfügung standen, zogen in den ersten Jahrzehnten zahlreiche Gallier zu, die bereits das hohe Niveau römischer Bau- und Mosaikkunst beherrschten.
Die wichtigsten Baumaterialien (Grauwacke, Basalt, Trachyt und Tuff) wurden allesamt im Süden der Provinz gebrochen. Eine Ausnahme bildete der für Bauzwecke kaum verwendbare Kalksandstein am Liedberg bei Mönchengladbach. Das grobe Sedimentgestein Grauwacke fand man in der Nähe der Provinzhauptstadt gleich am Flußufer und wurde in grossen Mengen verschifft. Leicht gewinnbarer Säulenbasalt wurde in der Mittelrheinregion sowohl linkerseits als auch rechterseits des Rheins abgebaut. Das Vulkangestein Trachyt brach man am Drachenfels und am Rüdenet bei Königswinter. Das meistverwendete Baumaterial war Tuffgestein, welches im Brohltal und in der Pellenz nördlich und südlich des Laacher Sees in rauen Mengen gewonnen wurde. Importware bildete Jurakalkstein (beliebt wegen seines hellen und warmen Farbtons) aus der Gegend südlich von Metz und natürlich Marmor, der aus allen Winkeln des Reiches bezogen wurde.
Auch an anderen Baumaterialien wie Holz, Kies und Sand bestand kein Mangel. In der Nordeifel gab und gibt es grosse Dolomitbänke, die eine industrielle Kalkgewinnung rentabel machten. 1966-69 wurde eine ganze Calcaria (Kalkfabrik) ergraben und einer der Öfen konnte erfolgreich in Betrieb genommen werden. In der Antike werkten zahlreiche Calcarii (Kalkbrenner), angehende Baumeister und Soldaten unter der Leitung eines Magister calcariorum (Brennmeister).
Bekanntlich mauerten die Römer gerne mit Ziegeln und wie überall anders auch standen die größten Tegularia (Ziegeleien) unter militärischer Führung. Neben den Legionsstandorten lag ein wichtiges Produktionszentrum auf dem Holdeurn südöstlich von Nijmegen/NL. Überwacht wurden die Arbeiten meist von einem Magister Figulorum (Töpfermeister). Neben den Ziegeleien für die Großbauten hatten auch viele Villen auf dem Lande ihr eigenen Hausziegeleien. Über die ganze Provinz verstreut fand man auch ganze Töpfereibezirke. In Coriovallum (Heerlen/NL) fand man ein ganzes Töpferdorf, das Gebrauchsgeschirr für die Umgebung herstellte.
Das Wirtschaftszentrum der Provinz war Agrippina (Köln). Die dort ansässige keramische Industrie produzierte nicht nur für den lokalen Markt sondern auch für den Export. Bereits vor der Stadterhebung im 1.Jh.n.Chr. gab es dort ein großes und vielfältiges Angebot an Geschirr und Lampen. Mehr als 20 Öfen waren damals in Betrieb. Die anfangs noch dominierenden einheimischen Motive wurden mit der Zeit durch rein römisches Formengut verdrängt. Neben Gebrauchsgütern produzierte der Keramiksektor auch den Nachschub für einen ausgedehnten Devotionalienhandel mit kleinen Götterstatuetten. Auch die Herstellung von Theatermasken aus weissem Pfeifenton ist gesichert. Die agrippensischen Tonwaren erfreuten sich in der ganzen Provinz großer Beliebtheit und im Export gelangten sie hauptsächlich nach Britannia.
Der berühmteste Wirtschaftszweig war aber die Glasherstellung. Reiner Quarzsand wurde westlich von Agrippina (Köln) in großen Mengen gewonnen. Aufschwung nahm die Industrie mit der Erfindung des geblasenen Glases, das einige Jahrzehnte v.Chr. wahrscheinlich in Sidon (im Libanon) erstmals das Licht der Welt erblickte. Sand- und Tonkerntechnik sowie Formenpressung bei der Glaswarenproduktion traten ob dieser neuen Technik völlig in den Hintergrund. Zahlreiche Vitriarii (Glasbläser) brachten besonders seit dem 2.Jh.n.Chr. eigene künstlerische Kreationen hervor. Nicht nur allerlei Formen und Schnörkel verzierten die Gläser, sondern auch der Glasschliff fand bereits Anwendung. Besonders augenscheinlich sind die sog. Diatretgläser, deren Netzmuster in aufwendigen Verfahren mittels kleiner Schleifrädchen herausgeschliffen wurden. Dass derartig Filigranes die Zeiten überdauert hat, grenzt schon an ein Wunder. Exportiert wurden sie in alle Regionen der Nord- aber auch Ostsee (freies Germanien).
In Handwerk und Gewerbe war in Untergermanien der Familien- oder Kleinbetrieb vorherrschend. Bei erhöhter Nachfrage wurden die bestehenden Betriebe nicht erweitert, sondern es entstanden neue; dafür nahm die Spezialisierung und Arbeitsteilung zu. Die meisten Arbeiter waren Freie und keine Sklaven. Letztere waren teuer und deshalb in der vorherrschenden Produktion nicht wirtschaftlich verwendbar. Auf dem Land, fernab der Städte herrschte indes Selbstversorgung so gut es ging.
Collegia (Berufsvereine) gab es zahlreich; nicht nur für produzierende Berufe wie Tignarii (Zimmerleute) oder Tectores (Verputzer) und Händler sondern auch für weniger augenscheinliche Professionen wie die der Focarii (Küchenjungen). Als Sitz einer Schiffergilde ist Fectio (Bunnik-Vechten/NL) bekannt. Zu den angeseheneren Berufen gehörten Ärzte, unter denen besonders viele griechische Namen anzutreffen sind, und Scolastici, die sowohl Rhetoriklehrer als auch Rechtsanwälte sein konnten.
Betrachtet man die Weihealtäre, so dominieren eindeutig die Negotiatores (Händler & Kaufleute). Ein Zeichen dafür, dass es genug zu handeln gab, was Gewinn versprach. Ob es sich dabei um lokale oder Fernhändler handelte lässt sich heute bis auf wenige Ausnahmen kaum mehr erschließen. Salben wurden etwa importiert, Wein dürfte lokal bzw. im angrenzenden Gallia gehandelt worden sein. Tonwaren wurden nicht nur lokal erzeugt und exportiert, sondern auch eingeführt. Manche Händler machten beides. Sie exportierten niedergermanische Tonwaren und importierten Terra sigillata aus der Region um Vichy in Gallia.
Die wichtigsten Märkte ausserhalb der Provinz waren Britannien und das freie Germanien. So gab es eigene Negotiatores Britanniciani (Britannienkaufleute). Der Salzhandel war offenbar in Agrippina (Köln) monopolisiert. Transferhandel dürfte es mit Wein, Salz und Fischsaucen gegeben haben. Besonders in spätrömischer Zeit erlangte der Getreidehandel eine überragende Bedeutung.
Religion
Mit der Eroberung durch die Römer kamen auch deren religiösen Vorstellungen in die germanischen Provinzen. Die Methode, einheimische Gottheiten und Kulte dem griechisch-römischen Pantheon anzugleichen führte zu einem komplexen religiösen Gesamtbild.
Großer Beliebtheit erfreute sich Merkur, da er zahlreiche Funktionen in sich vereinigte. So wurde er von den antiken Schriftstellern mit den unterschiedlichsten einheimischen Gottheiten (Wotan, Teutates, Esus, etc.) verschmolzen. Im Zweifelsfall kombinierte man einfach die Namen beider Götter, wie bei Mercurius Gabrinius, einer Mischung aus Merkur und dem in der Bonner Gegend verehrten Gebrinius.
Seit 63 v.Chr. stand in Rom auf dem Kapitolhügel eine Säule mit dem thronenden Iuppiter. Sie wurde seit der Zeit Neros vor allem in den germanischen und nordgallischen Provinzen nachgeahmt. Besonders am Land waren derartige Iuppitersäulen üblich. Eine Besonderheit des ostgallischen Raumes waren Säulen mit dem Bild des reitenden Himmelsgottes samt eines sich ergebenden (oder niedergerittenen) Giganten. Hier mischte sich die römische Religion mit der einheimischen. Taranus, dessen Symbol auch das Rad war, und der laut Überlieferung in Form einer Eiche verehrt wurde, glich sich dem Iuppiter an. Die Angleichung der Götterwelten erfolgte keineswegs unter Zwang oder einseitig von den Römern aus. Sie vollzog sich in beiderseitigem Einvernehmen und zeigt auch die Ähnlichkeiten in vielen Kulten auf.
Neben der kapitolinischen Trias (Iuppiter, Iuno und Minerva) und Merkur spielten die anderen Götter des römischen Pantheons eine eher untergeordnete Rolle. Bekannte Kultstätten galten Aesculapius, Vesta, Pluto, Proserpina, Neptunus und Ceres. Sie alle wurden nicht mit einheimischen Göttern verschmolzen.
Mars hingegen erfuhr wiederum eine Angleichung; etwa als Mars Halamardus oder Mars Camulus. Mit Victoria und Hercules wurde ähnlich verfahren. Letzterer galt bei den Germanen als römische Version des Donar. Hercules Saxanus (=der felsenharte) war der Schutzpatron der Arbeiter in den Steinbrüchen.
Apollo wurde vor allem als Heil- und Gesundheitsgott verehrt und verschmolz in dieser Funktion mit dem einheimischen Grannus, der schon Heilquellen seinen Namen verliehen hatte (Aquae Granni). Ihm zur Seite gestellt waren manchmal Sanus (Gesundheitsgöttin), Diana (als waldbetonte Jagdgöttin) und Silvanus (als Gott der Wälder und Fluren). Der Bärenfänger Cessorinius stiftete letzterem in Vetera (Xanten) eine Statue. Dem Volcanus entsprach ein lokaler Gott, der namentlich nicht überliefert wurde, den Attributen nach aber als Schlägel- und Hammergottheit bezeichnet wird. Fortuna wurde in zahlreiche Statuetten geformt und galt als Heilgöttin im Gefolge des Apollo. Sie beschützte in Untergermanien öffentliche Bäder. Der Schwerpunkt der Venusverehrung lag nicht in ihrer Funktion als Liebesgöttin, sondern in ihrem breiten einheimischen Bogen als Muttergottheit.
Der einer Gottheit geweihte Orte hieß Fanum (manchmal auch Cella). Rein römische Götter wurden mit klassisch-römischen Bauwerken verehrt. Die einheimischen Tempel hatten hingegen ein anderes Aussehen. Die Cella bestand aus einem turmartigen Gebäude mit zwei Stockwerken und einem offen Säulengang rundum. Ein solches Heiligtum wird als „gallo-römischer Übergangstempel“ bezeichnet. Diese Bauform wurde in der ganzen Provinz zahlreich ergraben. Tempelanlagen in einheimischem Stil beherbergten oft mütterliche Segens- und Fruchtbarkeitsgöttinnen. Die Matronen von Oberitalien bis Britannien weihten dort ihre Gaben meist drei Muttergottheiten. Ihre Namensvielfalt ist sehr groß (über 100) mit eingeschränkter regionaler Kultbedeutung.
Die Zahl der einheimischen Gottheiten, die nicht mit dem römischen Pantheon in Verbindung gebracht wurde, blieb indes ebenfalls nicht unerheblich. Dies bedeutet aber zugleich, dass über ihre Namen und Funktionen kaum etwas überliefert wurde. Bekannt sind etwa Requaliuahanus, Varneno, Hludana, Hurstrga, Iseneucaega, viradegdis, Apadeua oder Sandravdiga. Für sie alle sind Cultores Templi (Tempelpfleger) bezeugt. Sunux(s)al gilt als Stammesmutter der Sunuci, die wohl in der Umgebung von Aachen beheimatet waren. Von überregionaler Bedeutung scheint Vagavercustis gewesen zu sein, da ihr sogar ein römische Prätorianerpräfekt einen Altar stiftete.
Bessere Überlieferungen gibt es bei Epona, der Schutzgöttin der Reisenden, Zug-, Last- und Reittiere, ihrer Führer, Stallungen und Unterkünfte. Epona wurde ursprünglich in Tiergestalt als Stute verehrt, bevor sie unter römischem Einfluss zur Reitergöttin mutierte; dargestellt zwischen zwei Pferden oder Maultieren sitzend, die ihr aus der Hand fraßen oder reitend im Damensattel und mit der Mähne in der Hand. Als keltische Göttin besaß sie provinzübergreifende Bedeutung von Germanien über Gallien, die Donauprovinzen bis hin zu Oberitalien und sogar Rom selbst.
Ebenfalls gut bekannt ist Nehalennia, eine Beschützerin der Kaufleuten und Händler die entlang des Rheins bis nach Britannien schipperten. Die Britannienkaufleute schworen bei Nehalennia vor der Abfahrt einen Altar für den Fall zu setzen, falls die Überfahrt gelänge und die Waren sicher in Londinium (London/GB) ankämen. Sie hatte nur regionale Bedeutung. Ihre Darstellung ist in der Regel matronenhaft (=sitzend) mit der linken Hand einen Früchtekorb umfassend und mit der rechten eine große Frucht haltend. Ein Fuchshund zu ihren Füßen ist ihr ständiger Begleiter. Dazu kamen noch andere überquellende Fruchtkörbe. In spezieller Funktion konnte sie auch stehend dargestellt werden, mit dem linken Fuß auf einem Schiffsbug. Manche Altarseiten zeigen ein Steuerruder.
Mit den römischen Göttern hielten auch orientalische Mysterienkulte Einzug in den germanischen Provinzen. Der Kybele-Kult ist durch das Taurobolium (Blutstaufe) in Neuss archäologisch erwiesen. Das Zentrum des Isis-Kults dürfte Agrippina (Köln) gewesen sein, wo sie als Myrionyma (Isis mit den 10.000 Namen) verehrt wurde. Belege gibt es auch für die Verehrung des ägyptischen Himmels- und Sonnengottes Ammon (meist mit Iuppiter gleichgesetzt) und dem Iuppiter Dolichenus, der besonders beim Heer beliebt war. Von letzterem sind Kultstätten in Vetera (Xanten-Birten), Agrippina (Köln) und Rigomagus (Remagen) identifiziert worden. Dargestellt wurde er mit phrygischer Mütze, Doppelaxt und Blitzbündel in den Händen und auf einem Stier stehend.
Der wichtigste Mysterienkult in Untergermanien war der des persischen Lichtgottes Mithras. Die Zahl der belegten Kultstätten ist jedoch bei weitem nicht so gross wie in der Nachbarprovinz Germania superior. Die Orte der Verehrung waren klein und einer Höhle nachgebildet, die das Himmelsgewölbe darstellten. Interessant ist, dass bei einer Vergrößerung der Gläubigen nicht die Kultstätte vergrößert, sondern eine neue geschaffen wurde. Für Köln sind alleine drei Mithräen bekannt, weitere in Belgica (zw. Euskirchen-Billig und -Rheder), Durnomagus (Dormagen) und Traiana (Xanten). Da der Kult der größte Konkurrent des Christentums war, wurden später alle Mithräen systematisch zerstört.
Die ersten christlichen Gemeinden soll es in den germanischen Provinzen bereits Ende des 2.Jh.n.Chr. gegeben haben. Die erste ergrabene christliche Kirche ist für Köln unter dem heutigen Dom bezeugt; die meisten aber waren Cellae Memoriae (Gedächtniskapellen) auf Friedhöfen. Fast alle untergermanischen Kirchen hatten ihre Existenz solcher Friedhofskapellen zu verdanken. Sie bildeten denn auch oft den Kern der mittelalterlichen Städte, wohingegen die Römersiedlungen aufgegeben wurden und heute in mancher städtischer Randlage zu finden sind.
Grabbauten mit entsprechender Ausstattung je nach dem Besitz des Toten sind für die gallischen und germanischen Provinzen typisch. Besonders reich sind Beigaben im gallisch-germanischen Grenzgebiet; wohingegen sie dem Rhein hinauf wieder abnehmen. Gräber wurden konsequent außerhalb der Stadtmauern angelegt. Die Ausnahme Traiana (Xanten) rührt von sehr alten Gräbern aus der Zeit vor der Stadtgründung her, wo es bloß einige Gehöfte in der Gegend gab. In Köln konzentrierten sich die Friedhöfe (mit einer Ausnahme von Gräbern vor der Siedlungsgründung) um die Stadt an den Ausfallsstraßen. Ähnlich verfuhr man auch an den anderen Orten.
An Bestattungsarten kamen in Untergermanien sowohl Sepelire (zu Grabe tragen) und Urere (verbrennen) vor, wobei letztere in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten überwog. In der 2. Hälfte des 3.Jh.n.Chr. hatte sich die Körperbestattung endgültig durchgesetzt. Die Kontinuität der Gräber auf den Friedhöfen reicht von der frühen La-Tene-Zeit (ca. 300 v.Chr.) bis in die christliche Epoche. Dies kann nur dadurch erklärt werden, dass sich die Bestattungsriten der Germanen und Römer nicht wesentlich unterschieden haben dürften.
Viele Gräber in Gallia und den germanischen Provinzen wurden reich mit Beigaben versehen; vor allem bei Frauengräbern. Männer erhielten nur dann Beigaben, falls sich in der Gegend keltisches Brauchtum erhalten hatte, Werkzeuge und ähnliches Gerät mit ins Grab zu leben. Soldaten gab man keine Waffen ins Grab, da diese nicht Privat- sondern Staatseigentum waren. Echt römisch hingegen war die Beigabe von Lampen, die dem Toten als Lichtquelle im Dunkel des Jenseits dienen sollte.
Besonders reiche Hügelgräber fand man im Gebiet westlich der mittleren und unteren Maas, was auf starken keltischen Einfluss zurückzuführen sein dürfte. Solche Bestattungen sind namenlos und entsprechen nicht dem römischen Sinn nach Erinnerung durch die Nachfahren. So sind die zahlreichen steinernen Grabmonumente das sichtbarste Zeichen der Romanisierung der Provinz Untergermanien. Die ersten Grabsteine wurden noch importiert; später entstanden entlang des Rheins zahlreiche Werkstätten um den Bedarf zu decken. Immerhin machen Grabsteine den größten Fundbestand in Museen aus. Aus dem griechischen Raum wurden schließlich Hypogäen (unterirdische Grabkammern) übernommen, wovon alleine in Agrippina (Köln) wenigstens neun nachgewiesen werden konnten. Auch diese waren über die Jahrhunderte in Gebrauch.