'Bedauerlich' war nicht das Wort, das Axilla im Zusammenhang mit dem eingezogenen Erbe durch den Kopf ging. 'Bedauerlich' war noch nicht einmal die höfliche Form davon. Wenn sie es höflich formulieren hätte müssen, wäre 'furchtbar' wohl noch unter den Worten gewesen, die man in einer normalen Konversation sagen konnte.
Was hatte Archias sich nur dabei gedacht? Wieso, wieso, wieso hatte er Salinator noch beleidigen müssen? Wieso? Hat er gedacht, das sei witzig? Hatte er gedacht, dass dieser ihm nach dem Selbstmord sowieso nichts mehr antun konnte? Axilla fand es einfach nur egoistisch, und nicht mutig oder gar lustig. Es war feige von Archias gewesen, so etwas erst vor seinem Tod zu sagen und dann alle Probleme hinter sich zu lassen, so dass Axilla nun diejenige war, die mit den Konsequenzen leben musste. Mehr noch. Als sie versucht hatte, die Konsequenzen abzumildern, hatte sie für Archias Dummheit die Rechnung zahlen müssen. So sehr, dass sie mittlerweile nicht wusste, ob sie es noch einmal versuchen sollte. Sie hatte Angst, was Salinator fordern mochte.
“Tiberius Durus meinte, ich solle aufgeben, das Erbe bekommen zu wollen. Das war allerdings schon, bevor ich zu Salinator gegangen bin und er letztendlich die Sklaven herausgegeben hat. Und ich bin mir nicht sicher, was das angeht. Ob ich es wirklich einfach bleiben lassen soll.“ Sie seufzte einmal und sah sich einfach im Tablinum um. War wirklich lange her, dass sie hier gewesen war.
Aber bei der anderen Sache fragte Axilla sich schon, ob sie sich wirklich neutral positionieren konnte. Eigentlich hatte sie gedacht, dass der Octavier aufgrund seines Klientenverhältnisses zu Livianus eine recht deutliche Position gegen Salinator einnehmen würde. Doch wie man hörte, hatte sich Livianus zurückgezogen, um seinen Lebensabend in Hispania zu verbringen. Gut und schade zugleich, sonst wäre Axilla noch auf die Idee gekommen, ob er nicht vielleicht eine Ehefrau gebrauchen könnte. Das wäre definitiv eine klare Positionierung gegen Salinator gewesen.
“Das wäre wirklich sehr nett, wenn du das machen könntest. Also, erst einmal pro forma, ohne konkretes Angebot, versteht sich.“ Das würde ohnehin Seneca dann unterbreiten müssen.
Bei dem Gedanken an ihren Vetter bekam Axilla ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Vielleicht war es gefährlich, diesen schritt in Erwägung zu ziehen. Gefährlich für sie, gefährlich für ihn. Was hatte der Präfekt gleich gesagt? Ihr Vetter würde tun, was er will. Axilla konnte nur hoffen, dass Salinator das Ganze schlicht vergessen hatte und Seneca nicht zu irgendwas aufforderte. Kurz kratzte sie sich in einer Übersprungshandlung doch am Unterarm, und bereute es sofort, als die Haut wie verrückt zu brennen anfing. Kurz verzog sie schmerzend das Gesicht und rieb sich über die brennenden Hautstellen, um diese zu beruhigen.
“Ich hoffe, deinem Bruder geht es gut? Kämpft er auch im Süden?“ Irgendwas musste Axilla noch sagen, und das andere Thema war so schwer und mit so vielen unangenehmen Gedanken verbunden. Und wenn sie schon einmal hier war und sich mit Seiana unterhielt, konnte sie auch versuchen, dieses zart geknüpfte Band ein wenig zu intensivieren. Sie hatte sie beim Cognomen genannt und wollte für sie den Octavier fragen. Oder ihren Bruder über die Absichten des Octaviers, so genau hatte Axilla das nicht verstanden, wen Seiana mit 'ihn' meinte. So oder so sah es danach aus, als würde nach einem Jahr ihr Verhältnis vielleicht langsam ein klitzekleines bisschen besser.