[Forum Augustum] Templum Martis Ultoris

  • Während wir hinaus gingen und die vage Wärme des Tages um mich zunahm, die man im Tempelinneren nicht so deutlich zu spüren hatte, sann ich seinen Worten nach, erstaunt zwar, aber wohl auch akzeptierend, wie er sich selbst betrachtete - denn eine solche Betrachtungsweise konnte man nur schwerlich überhaupt ändern.
    "Warum solltest Du unwürdig sein? Du bist, wie ich Dich bisher einzuschätzen wage, ein ehrenhafter Mann, aus einer guten Familie, gesund, kräftig, und gut gewachsen - es gibt keinen Makel an Dir, der Dich vom Dienst an den Göttern zurückhalten könnte, zumindest will mir keiner auffallen. Letztendlich ist der Dienst als Priester eine Pflicht, in die man nach und nach hineinwächst, man beginnt nicht als allwissender Könner, sondern als Anfänger, und ich habe mich zu meiner Anfangszeit mit den öffentlichen Ritualen und Opfern mehr als schwergetan. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran, und lernt auch, mit den Opfernden besser zurecht zu kommen."
    Ich war sehr versucht, ihm zu sagen, dass ich früher ausser viel Alkoholgenuss und noch mehr Frauen wenig Sinn in meinem Leben gehabt hatte, und dann durch den Dienst an Mars eine gewisse Richtung entdeckt hatte, der zu folgen sich lohnte - aber einerseits war ich der stillen Ansicht, dass ihn das wohl eher nicht interessieren würde, andererseits wollte ich auch nicht zuviel sagen, denn je mehr unpassende Dinge über mich bekannt waren, desto eher konnten sie mir irgendwann schaden.


    "Dass ich mit Dir hier hinaus gegangen bin, um Opfergaben zu erwerben, sollte Dir eigentlich genug sagen - dass ich gerne bereit bin, Dir Zeit zu widmen. Letztendlich bist Du ein Verwandter meines besten Freundes, dessen Charakter ich zu schätzen gelernt habe, und wenn Dir ein Gespräch helfen kann, etwas genauer Dinge einzuschätzen, will ich Dir gern ein Zuhörer sein," erwiederte ich schließlich nach einigem Überlegen. Gab es bei den Aureliern niemand, dem er sich anvertrauen konnte? Zumindest Corvinus erschien mir immer wie jemand, der ein offenes Ohr für die Menschen hatte, die er zu schätzen wusste, aber vielleicht lag es auch Cotta nicht unbedingt, so viel über sich selbst zu sprechen - das würde herauszufinden sein.
    Wir hatten einen meiner bevorzugten Stände erreicht, der nicht nur alle Waren führte, die man für ein Opfer brauchen konnte, sondern auch noch eine angemessene Qualität vorzuweisen hatte - zu allerdings nicht ganz geringen Preisen. Zumindest konnte man bei diesem Händler, einem sehr gewieften Gallier, sicher sein, dass man den Göttern am Ende keine verbackenen Kuhfladen oder ähnliche Geschmacklosigkeiten opferte. Jedenfalls war ich mir dessen recht sicher, eine wirkliche Sicherheit, ausser man probierte die Kekse und den Wein vorher, gab es nie.


    "Der Weg zum cultus deorum ist zumindest keiner, der Dich davon abhalten kann, auch im cursus honorum Ämter zu bekleiden - mein Vetter Gracchus ist einst einfacher sacerdos publicus des Iuppiter gewesen, bis er den cursus honorum durchschritt und senator wurde - heute ist er rex sacrorum. Und ich habe ebenso vor, bei der nächsten Wahl zu kandidieren, um meinem Familienzweig Ehre zu machen, wie es ihm gebührt," führte ich den Gesprächsfaden weiter und blickte ihn aufmerksam an, wieder einmal sein Gesicht beobachtend. Eine gewisse Familienähnlichkeit gab es wohl zwischen Corvinus und ihm, doch glaubte ich bei Cotta einen unversöhnlicheren Willen zu entdecken, gepaart mit einem sensiblen Mund ... eine interessante Mischung, zweifelsohne.

  • Zu dritt, Trautwini freilich in einigem Abstand von uns beiden Patriziern, näherten wir uns jetzt mehr und mehr den Ständen der Händler, wobei es mir so vorkam, als leite mich Flavius Aquilius sehr zielstrebig zu einem bestimmten Verkäufer. Ob er mit diesem eine Art Provision vereinbart hatte - und mich auch deshalb vor den Tempel begleitet hatte? - Im gleichen Augenblick, in dem ich das dachte, erschrak ich schon über meinen eigenen Gedanken. Da war es wieder, dieses Misstrauen, das mich von anderen Menschen zurückhielt, sie aber wohl auch von mir; dieses Misstrauen, welches mir in der Politik allerdings zweifellos so manche Tür öffnen würde, die andere gar nicht sahen. Nein, ich verdammte es nicht, dieses Misstrauen, dazu war es mir zu nah.


    Wieder blieb ich ungehörig lange stumm, doch diesmal verbot ich mir das nicht mehr. Ich fühlte mich so warm und so heimisch in diesem verschlossenen Schweigen. Stumm hörte ich den Worten aus dem Mund des Marspriesters zu, drehte und wendete sie in meinem Innern, stellte sie in Frage und zweifelte. Er, er, Flavius Aquilius, sollte am Anfang seiner priesterlichen Laufbahn sich schwer getan haben mit öffentlichen Opfern, er, ein Mann, der von seiner ganzen Statur her, von seinem Äußeren, von seinem einnehmenden Wesen her für die Öffentlichkeit gemacht war, für den Altar wie für Feste wie - ja, warum nicht auch für die rostra und den Senat? Noch zu Tagesbeginn hätte mich die Nachricht aus dem Munde des sacerdos nicht nur überrascht; ich hätte sie schlicht für einen Scherz gehalten, angetan dazu, sich selbst von seinen Sorgen um den Verwandten abzulenken und mich aus meiner Nachdenklichkeit zu locken. Doch meine Nachdenklichkeit hatte sich schon in diese Finsternis verwandelt, die mich immer häufiger umgab; und nun war ich geneigt, nichts mehr für unmöglich zu halten, auch nicht seine Kandidatur für den cursus honorum.


    "Zweifellos wirst Du Deinem Familienzweig Ehre machen, Flavius Aquilius, im cursus honorum wie im cultus deorum! Ich wünsche Dir von ganzem Herzen Glück!"


    Dieser Wunsch entsprach der Wahrheit. Denn ich war durchaus nicht glücklich über die Aussicht, selbst als vollkommener Anfänger ohne jede praktische Erfahrung in einem Amt für den CH kandidieren zu müssen. Dies aber erforderte eben die Ehre der gens, die auch mein Gesprächspartner gerade erwähnt hatte. - Die Erinnerung an diese Erwähnung aber ließ nun meine finstere Grübelei ins Stocken geraten. Hatte ich mich vorhin noch mit heißer Röte im Gesicht gescholten, dass ich nie jemanden fragen würde, wie es eigentlich ihm gehe - hier dachte ich wieder nur an mich selbst.


    "Darf ich Dich fragen: Ist es auch Dein eigener Wunsch, Dich dieser Wahl zu stellen? Oder geht es Dir dabei doch hauptsächlich um die Pflicht gegenüber Deiner gens?"


    Natürlich merkte ich gleich, dass ich mit dieser Frage mehr über mich gesagt hatte, als ich eigentlich wollte.

  • Ich ließ meinem Begleiter die Wahl unter den Keksen und dem Wein, welche sich in reichhaltigen Variationen in der Verkaufsauslage des Händlers befanden - letztendlich würde es sein Opfer sein, und er musste entscheiden, welchen Wert die Gaben haben sollten, die er Mars darbringen würde. Etwas nachdenklich stimmte mich sein Verhalten schon, denn ich hatte ihn redseliger, weniger verschlossen in Erinnerung behalten. Vielleicht machte er sich mehr Sorgen um die Soldaten, als er es zugeben wollte, vielleicht gab es auch unter den Soldaten jemanden, den er vermissen würde, wenn er nicht zurückkehrte - vielleicht einen Freund oder einen Geliebten? Der letzte Gedanke allerdings war so unerhört, dass ich ihn unvermittelt prüfend ansah. Sollte er etwa ...? Nein, wahrscheinlich nicht, dachte ich bei mir und begegnete seinem Schweigen wie seinen Worten mit Geduld und einem Lächeln, wie ich es bei so vielen anderen Menschen auch tat, tun musste, um meine Pflicht angemessen zu erfüllen.


    "Ich danke Dir für Deine Glückwünsche, Aurelius Cotta, ich hoffe, ich kann sie rechtfertigen - aber das muss wohl die politische Praxis zeigen," erwiederte ich und atmete langsam ein. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, denn bekannt war ich nicht unbedingt, als sacerdos häufte man kaum Ruhm an, vielleicht die Dankbarkeit der matronae, wenn ihre Männer gesund heimkehrten, aber sehr viel mehr auch nicht. Ich hätte vielleicht doch die militärische Karriere anstreben sollen wie mein Vetter Aristides, aber es hatte mich nie so sehr gelockt, ins Feld zu ziehen.
    Er klang zumindest ehrlich, was, wenn man bedachte, dass im politischen Feld alle gentes Konkurrenten waren, auch ungewöhnlich zu nennen war. Ob er wohl auch kandidieren würde? Aber das schien mir dann doch als Frage etwas zu persönlich und zu verfrüht. Leichter wäre es gewesen, sich über Frauen zu unterhalten. Oder das Lieblingsstück an Literatur, welches er zuletzt gelesen hatte ... was die Politik anbelangte, waren wir Römer ein doch sehr ernsthaftes Volk.


    "Ich wurde von meinem Vater so erzogen, diesen Weg zu gehen, und viele Jahre lang habe ich alles getan, um die Politik nicht eines Blickes würdigen zu müssen - ich hielt mich stets für denjenigen, der das Prestige zu erbringen hatte, welches der Rest meines Familienzweiges bereitwillig verspielt hatte. Mein Vater war Patrizier, aber keineswegs erfolgreich, und so wollte er mich als erfolgreichen Redner sehen, ließ mir alle mögliche Ausbildung angedeihen, mit dem Erfolg, dass ich gegen ihn opponierte und meinen eigenen Weg ging," führte ich das Thema mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen fort. Was hatten wir immer gestritten, und bis zu seinem Tode hatte es keinerlei Versöhnung gegeben.
    "Aber inzwischen ist es mein eigener Wunsch, geboren aus der Beobachtung dieses Staates, der Menschen, und der allgemeinen Verhältnisse. Nur in der Politik ist einem die Möglichkeit zur Einflussnahme gegeben, und nur dort entscheiden sich die wichtigen Dinge, die das Leben aller beeinflussen. Ich denke, es reicht nicht, sich ständig über irgend etwas zu beklagen, das einem nicht gefällt. Man muss selbst versuchen, es zu ändern."

  • Immer noch ein wenig enttäuscht von meiner mangelnden Selbstbeherrschung und Schwatzhaftigkeit wandte ich mich nun dem Stand des Händlers zu, zu dem der Marspriester mich mit bestimmtem Schritt geführt hatte. Als ich das Angebot nun genauer in den Blick nahm, konnte ich es dem sacerdos freilich nicht mehr verdenken, dass er mich hierhin geleitet hatte. Meine Auswahl an Wein und Opferkeksen war schnell getroffen, und Trautwini sowie ein weiterer Sklave, der sich inszwischen auf Trautwinis Wink hin hierher bemüht hatte, gingen mir hilfreich zur Hand und nahmen die Gaben an sich.


    Sim-Off:

    s. Wisim-Balken :)


    Als ich mich wieder meinem priesterlichen Gesprächspartner zuwandte, bemerkte ich, wie dieser mich prüfend ansah. Sofort kam mir der Gedanke, dass es sich offenbar schon herumgesprochen hatte, dass auch ich in Erwägung zog, für den cursus honorum zu kandidieren. Ich hielt es für das Beste, aus diesem meinem Vorhaben kein Geheimnis zu machen, ein Geheimnis, das auch offenbar schon keines mehr war.


    "Flavius Aquilius, auch ich trage mich mit der Absicht, mich zur Wahl zu stellen."


    Dass der Angesprochene mich womöglich aus irgendeinem anderen Grunde mustern könnte als aus dem, einen Konkurrenten um ein Amt in den Blick zu nehmen, kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Welcher andere Grund hätte dies auch sein können? Wozu denn bitte war ich sonst auf dieser schönen Welt? Düstere Gedanken gingen mit erneut durch den Kopf, unfreiwillig noch angestachelt durch die Worte des Flavius Aquilius, die mich sehr berührten. Einmal mehr wurde mir, während ich ihm zuhörte, bewusst, dass ich auch jetzt, über ein Jahr nach meiner Ankunft in Roma, immer noch nicht viel wusste über andere, den Aureliern doch durchaus befreundete gentes. So vieles blieb noch zu fragen und aufmerksam mitanzuhören. Ich hatte dabei dem Flavier mein Gesicht ganz offen zugewandt und sah ihm in die Augen. Als jedoch die Rede auf seinen Vater kam, senkte ich meinen Blick für kurze Zeit.


    "Ich danke Dir für Deine Offenheit! Vielleicht kann ich mehr, als mir lieb ist, verstehen, wovon Du gesprochen hast. Mein eigener war in der legio I in Mantua - und schied unehrenhaft aus dem Dienst. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich der Mann dazu bin, diese Scharte auszuwetzen."


    Gerne hätte ich Flavius Aquilius noch danach gefragt, was er denn genau in seiner politischen Laufbahn zu beeinflussen beabsichtige. Denn das er damit keine leeren Worte gemacht hatte, war für mich bei einem Mann wie ihm ganz unzweifelhaft. Diese meine Frage allerdings laut zu äußern, erschien mir indiskret; außerdem würde seine Rede vor dem Senat darüber Auskunft geben. Und eigentlich hatte ich auch das Gefühl, dass unser Gespräch sich nun in eine andere Richtung bewegte.

  • Es hätte mich wohl erstaunen sollen, aber im Grunde wunderte es mich wenig, dass auch Aurelius Cotta nun den Weg in die Politik gewählt hatte - die gens Aurelia konnte es sich, wie auch die Flavia, leisten, mehrere Männer in die Politik zu schicken, und musste nicht fürchten, dass mangelnde Geldmittel einen Fortgang beschränkten. Zudem hätte es weitaus ungeeignetere Kandidaten gegeben als ausgerechnet Aurelius Cotta. So hob ich nur leicht eine meiner Augenbrauen an und schmunzelte.
    "Dann habe ich einen interessanten Konkurrenten, gegen den zu verlieren sicherlich keine Schande wäre - wenngleich uns die Hoffnung bleibt, gleichermaßen auf ein Amt berufen zu werden." Es mochte gutmütig klingen, indes begann ich wieder einmal zu rechnen - als Aurelier würde er sicherlich auf viel Unterstützung zählen können, und wie es mit meiner Bekanntheit aussah, war wieder ein anderer Punkt. Nun, es würde wohl darauf ankommen müssen, wie der Senat entschied. Eine Argumentation hatte ich mir dafür zumindest schon zurecht gelegt.


    "Es ist doch immer das Erbe der Väter, das uns in hohem Maße beeinflusst, nicht wahr?" meinte ich. "Letztendlich kann es hilfreich sein, so der Vater erfolgreich war, aber auch behindern, indem man zuviele Hoffnungen und Erwartungen auf sich ruhen sieht, dem berühmten Vorbild nachzueifern - oder weniger hilfreich, wenn der Vater kein erfolgreicher Mann gewesen ist, da man gegen diesen Ruf ankämpfen muss. Die einen geben auf, die anderen werden dadurch beflügelt - letztlich erweist sich hier wohl am ehesten, wieviel ein Mann wirklich wert ist - wie er mit dem Erbe seines Vaters umzugehen imstande ist."
    Über dieses Thema hatte ich oft und lange nachgedacht, und es mochte mir anzuhören sein, dass ich es nicht auf die leichte Schulter nahm.
    "Was hat Dich dazu bewogen, den Weg der Politik einzuschlagen? Von einem Vater ohne politischen Erfolg ist es dann doch ein weiter Schritt." Ich bedeutete ihm den Weg zum Tempel zurück und setzte mich selbst schon einmal in Bewegung, immerhin waren wir wegen eines Opfers zusammengekommen, nicht unbedingt nur wegen eines Gesprächs.

  • Einige Stunden war Ursus durch die Stadt geirrt. Er war völlig durchgefroren, als er den Tempel des Mars betrat. Was genau er hier wollte, wußte er selbst nicht. Weder hatte er ein Opfer dabei, - wie auch bei seinem impulsiven Aufbruch aus der Villa, - noch wußte er, um was er die Götter überhaupt bitten wollte. Vielleicht um innere Ruhe? Um klare Gedanken? Um Erleuchtung, was nun Wahrheit und was Irrtum war?


    Seit dem völlig verrückten Streit mit Corvinus hatte Ursus keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Er hatte versucht, sich in Corvinus hineinzuversetzen. Hatte versucht, davon auszugehen, daß Corvinus es wirklich nur gut meinte.


    Aber da paßte einfach zu vieles nicht zusammen. Schon allein die Tatsache, daß er ihm weiterhin nicht die geringste Chance gab... Wenigstens eine kleine, völlig belanglose Aufgabe hätte er ihm geben können, um ihn zu prüfen. Aber nicht einmal das. Und das konnte doch nur bedeuten, daß Ursus recht hatte.


    Aber was dann tun? Wenn er das nur eher gewußt hätte, wäre er an irgendeinen Ort im Imperium gereist und hätte dort erst einmal völlig eigenständig bewiesen, was in ihm steckte. Was er doch für ein Idiiot gewesen war, gleich nach Rom zurückzukehren. Was er doch für ein Idiot war, daß er auf die Familie gebaut hatte, daß er auf Corvinus gebaut hatte. Die Liebe zu Rom hatte ihn dazu verleitet. Er haßte es eben einfach, von dieser Stadt getrennt zu sein.


    Völlig in Gedanken irrte Ursus durch die Tempelanlage, immer noch unschlüssig, was er tun sollte. Er sollte die Wahl abwarten, sicher. Wenn er gewählt wurde, falls er gewählt wurde, und sich bewährte, dann würde sich vielleicht alles andere auch irgendwie einrenken. Er zweifelte immer noch nicht daran, daß er der Aufgabe gewachsen war, auch wenn er nun auf Ratschläge von Corvinus verzichten mußte. Immerhin hatte er eine umfassende Ausbildung genossen. Und er war festen Willens, alles zu geben, was er zu geben hatte.


    Trotzdem fühle er sich verraten. Den Rückhalt der Familie so verwehrt zu bekommen war etwas, womit er niemals gerechnet hatte. Er war immer zu Loyalität und Treue gegenüber der Familie erzogen worden. Und daß dies auch gleichermaßen zurückgegeben wurde, hatte bisher für ihn völlig außer Frage gestanden.

  • "Ähem-ähem!" räusperte ich mich, als der junge Mann, dessen Gesicht mir irgendwoher doch recht bekannt vorkam, an mir vorbeigegangen war, anscheinend so sehr in Gedanken, dass er auf seine Umgebung nicht wirklich geachtet hatte. Aber da ich hinter einer Säule gestanden hatte, wäre ich mir wohl selber auch nicht unbedingt aufgefallen, soviel zu seiner Ehrenrettung. Dass er sich nun allerdings in Richtung der Priesterräume begab, ohne selbst zum collegium der sacerdotes Martialis zu gehören, war eindeutig nicht ganz passend und sicher auch kein Teil seiner Planung.
    "Entschuldige, aber suchst Du etwas? Dieser Bereich ist eigentlich nur für die Priester des Mars gedacht, wenn Du opfern möchtest, findest Du ganz sicher im Bereich des Altars viel eher jemanden, der Dir helfen kann," sprach ich ihn recht freundlich und geduldig an, ich hatte mich hier früher auch ab und an einmal verirrt. Erst als ich bis auf wenige Schritt zu ihm herangetreten war, fiel mir wieder ein, wo ich ihn gesehen hatte - die Meditrinalia-Feier der gens Aurelia. Nur welcher der Aurelier war er nun gewesen? Ich war mir nicht ganz sicher, und deswegen vermied ich es auch einstweilen, ihn direkt anzusprechen, um mir diese peinliche Blöße nicht zu geben.

  • Ursus hatte tatsächlich überhaupt nicht bemerkt, daß er dabei war, den öffentlichen Bereich des Tempels zu verlassen und Gefilde zu betreten, die für die Öffentlichkeit gesperrt waren. Auch wenn Aquilius mitten im Weg gestanden hätte, wäre er von Ursus nicht bemerkt worden, wenn er das Wort nicht an ihn gerichtet hätte. So wenig Aufmerksamkeit hatte der junge Aurelier momentan für seine Umgebung übrig und das allein zeigte schon, wie sehr er von der ganzen Angelegenheit aus der Bahn geworfen worden war.


    Die Stimme, so freundlich sie auch sprach, riß ihn nun gewaltsam aus seinen unfrohen Gedanken und er blickte den Sprecher ein wenig desorientiert an. Es dauerte einen Moment, bis er wußte, mit wem er sprach. Er hatte ihn auf dem Fest kennengelernt. Und er war ebenfalls eines der Spottopfer im Theaterstück gewesen. "Ähm.... Salve, Flavius Aquilius", grüßte er erst einmal höflich und blickte sich dann verstohlen um. In diesem Bereich des Tempels war er definitiv noch nie gewesen. "Es... tut mir leid. Ich wollte keinesfalls in unzulässige Bereiche eindringen. Ich war einfach derart in Gedanken, daß ich gar nicht auf den Weg geachtet habe." Aquilius war ein Freund von Corvinus, erinnerte sich Ursus. Und er hatte gehört, daß Aquilius ebenfalls als Vigintivir kandidieren wollte.


    Ursus atmete tief durch, drängte seinen Gedankenwirrwarr gewaltsam beiseite und lächelte schließlich. "Wenn Du mir bitte kurz zeigen würdest, wie ich in den öffentlichen Bereich des Tempels zurückkomme?"

  • Wie peinlich! Dieser Mann wusste meinen Namen, aber mir fiel seiner nicht mehr ein. Aurelius ..was auch immer. Verdammt. Cotta kannte ich. Corvinus .... auch. Und wie hatte der dritte geheißen? Irgendein Tier war es. Lupus? Aquilius ganz sicher nicht. Ich zermarterte mir das Hirn nach seinem Namen, aber mein Gedächtnis ließ mich, zuverlässig wie immer, absolut im Stich. Also lächelte ich verbindlich und suchte seine Befürchtungen zu zerstreuen.
    "Du bist nicht der erste, der sich in diesen Gängen verirrt. Ich selbst habe an meinem ersten Tag hier nur sehr mühsam den richtigen Raum gefunden, in sofern mach Dir nicht zuviele Gedanken darüber. Komm mit mir, ich führe Dich in Richtung des Altarraums," damit deutete ich einladend den Korridor entlang, dabei sinnierend, wie er denn nun heißen möge. Columbus? Nein, kein Vogel. Irgendein anderes Tier war es gewesen.


    Er wirkte etwas verstört, oder war das einfach nur eine Täuschung meiner Sinne? Letztlich hatte ich ihn bisher nur einmal auf dem Fest gesehen und ansonsten nicht. Und er hatte selbst gesagt, dass er in Gedanken sei.
    "Wenn ich Dir in irgend etwas helfen kann, lass es mich ruhig wissen. Manchmal hilft es, Dinge auszusprechen, wenn man sie klarer sehen will, und ich habe bisher oft die Erfahrung gemacht, dass man sich selbst schnell mit den Gedanken im Kreis dreht, wenn man versucht, einer Sache alleine auf den Grund zu gehen. Auch dafür sind wir Priester hier, Aurelius ... Ursus." Der Bär wars, ich war mir sicher. Der schnelle Gedankenblitz war gerade noch rechtzeitig gekommen.

  • "Danke, das ist wirklich freundlich von Dir", lächelte Ursus dankbar und lenkte seinen Schritt in die gleiche Richtung wie Aquilius. Der Flavier hatte bei seinem Namen ein wenig gezögert, ob er sich nicht sicher war, ob er Ursus war? Ursus entschied, das einfach zu übergehen. Er wußte ja selbst, wie schwer es war, die Leute, die man nur einmal gesehen hatte, auseinanderzuhalten.


    "Ich... könnte tatsächlich jemanden brauchen, der mir zuhört. Aber... bitte nimm das jetzt nicht persönlich, ich fürchte, Du bist dafür absolut nicht der richtige." Ursus seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich habe mich mit Corvinus überworfen. Sehr gründlich sogar. Es ging... um Familieninterna. Ich bin auf ihn wirklich nicht gut zu sprechen", das war die Untertreibung des Jahrhunderts, "und ich weiß, Du bist sein Freund. Ich möchte Dich in diesen sehr unschönen Streit lieber nicht mit hineinziehen." Solche Dinge trug man auch nicht aus der Familie heraus. Nach außen sollte man schließlich immer einen starken und einigen Eindruck machen. "Es... es wird schon wieder." Was eine glatte Lüge war, denn Ursus glaubte dies absolut nicht.

  • Während unsere Schritte an der Tempelwand widerhallten, hatte ich Gelegenheit, ihn etwas näher zu betrachten, und jetzt wurde mir zumindest am Schwung seiner Lippen auch die aurelische Familienähnlichkeit offenkundig. Was er sagte, war indes überraschend, demonstrierten doch auch die Aurelier eine ziemlich starke Bindung nach außen hin, wie die meisten Patrizierfamilien, dass er überhaupt zugab, dass es einen Streit gegeben hatte, war schon ein Hinweis auf etwas sehr schwerwiegendes. Kein Wunder, dass er mich nicht ins Vertrauen ziehen wollte.


    "Ich bin nicht hier als der Privatmann Flavius Aquilius, ich bin hier vor allem ein Priester des Mars, und meine persönlichen Interessen haben hinter allem anderen zu stehen, Aurelius Ursus," sagte ich nach einer Weile des Überlegens sinnierend. "Aber ich kann verstehen, warum Du Deine Gedanken für Dich behalten willst, wahrscheinlich würde es mir nicht anders ergehen. Aber wenn Du es möchtest, kann ich Dir einen meiner collegi empfehlen, denn dass Du mit etwas haderst, ist sehr wohl zu merken, und solche Schwierigkeiten lösen sich nicht, indem man sie länger und länger mit sich herumschleppt." Kurz hoben sich meine Mundwinkel, denn letztendlich befolgte ich meinen eigenen Ratschlag nur höchst selten, und dann auch nur, wenn ich musste. "Letztendlich kommt für jeden Mann in einem Amt irgendwann der Tag, an dem er sich zwischen seiner Pflicht und seinen persönlichen Dingen entscheiden muss, und wie ich höre, wirst Du diese Erfahrung sehr bald wohl auch tun müssen."

  • Die freundlichen Worte von Aquilius hätten Ursus beinahe dazu gebracht, ihm sein Herz auszuschütten. Doch es wäre nicht richtig. Er durfte es nicht nach außen tragen! Sein Schritt stockte, er atmete tief durch, um die Kontrolle über sich zurück zu gewinnen. Dann wandte er sich Aquilius zu. "Ich bin mir sicher, daß Du mir ehrlich versuchen würdest zu helfen, Aquilius. Und für diese gute Absicht danke ich Dir sehr. Doch selbst wenn Du nicht mit Corvinus befreudet wärest... Ich darf Familieninterna nicht nach draußen tragen. Und damit scheiden auch Deine collegi aus. Ich weiß nicht mal, warum ich hergekommen bin. Vielleicht hatte ich einfach gehofft, daß ich an diesem Ort meine Gedanken ordnen könnte. Ich wüßte auch nicht, was ich beten sollte. Und ein Opfer habe ich auch nicht dabei." Als er aus dem Haus ging hatte er nicht nur seinen Mantel vergessen, sondern auch alles andere.


    "Ja, eines Tages werde ich wohl vor so einem Problem stehen. Ich hoffe nur, daß ich dann die richtige Entscheidung treffen werde." Zumal er niemanden um Rat fragen konnte. "Du kandidierst auch, nicht wahr? Welches Amt würdest Du bevorzugen? Oder ist es Dir gänzlich egal?" Er war froh, das Thema wechseln zu können. Denn wenn Aquilius mit seiner überaus gewinnenden Art noch viel länger weitergemacht hätte, wäre er am Ende doch noch weich geworden und hätte geredet.

  • "Dann findet sich hoffentlich jemand innerhalb deiner Familie, der Dir zuzuhören bereit ist," sagte ich freundlich und hoffte es wirklich für ihn. Die Götter wussten, ich kannte das Gefühl, niemanden zu haben, dem ich meine Sorgen anvertrauen konnte, weil ich fürchtete, dass meine geheimsten Gedanken missbraucht würden. "Und es kommt nicht unbedingt darauf an, dass Du viel Kuchen mitbringst, den teuersten Wein und einen Berg Opferkekse. Wenn Dich Deine Schritte zu Mars geführt haben, wird das auch einen Grund haben. Er wird Dir auch zuhören, wenn Du nichts mitbringst, und Deine Bitte um Hilfe aufrecht und ehrlich ist. Ich bin auch schon mittellos vor Ihm gestanden, in einer Stunde des Schmerzes, und Er hat mich nicht abgewiesen." Wir bogen in den nächsten Korridor, und ein leises, hörbares Stimmengewirr verriet, dass wir uns dem Altarraum näherten, der ohne Zweifel von Betenden und Bittstellern gut angefüllt war.


    "Ganz egal ist es mir nicht, ich würde gerne als tresvir capitalis Rom dienen - es klingt für mich noch am herausforderndsten von allen möglichen Positionen, und es wäre eine Veränderung zu meiner bisherigen Tätigkeit als Priester. Welches Amt bevorzugst Du denn, Aurelius Ursus?" Ich gab die Frage gleich zurück, und hielt mich nicht zu lange bei der Antwort auf, ganz, wie es beim rhetorischen Schlagabtausch gefordert war. Zweifelsohne hatte der junge Aurelier auch eine entsprechende Ausbildung genossen.

  • In der Familie? Da gab es für Ursus nur Cotta. Und der machte sich im Moment so rar, daß er dafür nicht in Frage kam. Die Cousinen kannte Ursus kaum, sie also mit so etwas belasten? Nein, das konnte er nicht tun. "Ja, hoffentlich", sagte er also nur. Es war verräterisch genug, eigentlich hatte damit schon zuviel offenbart.


    "Du hast recht, es wird einen Grund haben, warum ich hier gelandet bin. Ich danke Dir für Deinen Rat. Ich werde es ohne Opfer versuchen." Wenn kein Mensch zuhören konnte, waren die Götter vielleicht wirklich die richtige Adresse. Die Worte von Aquilius waren für ihn jedenfalls ein Hoffnungsschimmer.


    Sie erreichten den Altarraum und Ursus bedauerte diese Tatsache irgendwie. War dieses angenehme Gespräch damit doch vermutlich so gut wie beendet. "Das ist allerdings eine Veränderung zu Deiner bisherigen Tätigkeit, ich hätte nicht gedacht, daß Du gerade dieses Amt bevorzugen würdest. Faszinierend ist es ganz sicher und es würde mich durchaus auch reizen. Doch eigentlich würde ich vorerst lieber das Amt des decemvir litibus iucandis ausüben. Es bietet einen guten Einblick in die Gesetze und in die Verwaltungsstrukturen. Außerdem komme ich dadurch mit vielen Menschen in Kontakt." Die Gerichte waren ein Bereich, dem er sich dann später widmen wollte. Immer einen Schritt nach dem anderen. Dieser erste war unter den gegebenen Umständen schon schwer genug. Er wollte sich erst einmal voll auf diesen konzentrieren.

  • Mars war mir immer ein Freund gewesen, und auch wenn ich ihn in der Regel nur in wirklich wichtigen Momenten behelligt hatte, wusste ich doch um diese tröstliche Gewissheit, dass ich prinzipiell immer kommen durfte, wenn Not am Mann war. Der Soldat, der in der Feldschlacht Mars anrief, um sein Leben zu retten - oder ehrenhaft zu sterben - konnte schließlich auch nicht einen Beutel Kuchen mit sich herumschleppen und erst einmal Weihrauch verbrennen, bevor er zu beten begann.
    "Du solltest allerdings das Opfer dann auch mit Gaben wiederholen, um Deinen Respekt zu beweisen. Den Göttern steht dies zu, und auch wenn Du vielleicht jetzt aus irgendeinem Grund nichts zu opfern bei Dir haben solltest, denke daran, dann Deine Gaben vorzubringen, sobald Du genügend Geld bei Dir hast." In einigen Dingen erinnerte er mich an mich selbst - wahrscheinlich hatte er sein Erbe nicht in Achaia verprasst und dann erst einmal sehen müssen, wo er blieb, aber ich hatte bisher seinen Namen auch nicht im Zusammenhang mit viel Besitz vernommen, letztendlich blieb ohnehin alles in der Familie.


    "Nun, ich muss gestehen, ich mag die Abwechslung sehr - als Priester hat man diese bereits durch die vielen verschiedenen Menschen, die den Tempel besuchen, aber letztendlich gleichen sich die Dinge, die man tut, doch sehr - man hilft bei Opfern, bietet ein Ohr an, wenn jemand Sorgen hat und dergleichen mehr. Von der Tätigkeit als tresvir capitalis verspreche ich mir einen Einblick in ein ganz anderes Gebiet - und im Anschluss daran denke ich an ein Militärtribunat." Ich sprach so sicher und bestimmt, als würde ich eine Niederlage gar nicht erwarten - auch wenn es in mir anders aussah, er war immerhin ein Konkurrent und vor einem solchen wollte ich nicht unsicher auftreten.
    "Als decemvir litibus iucandis wirst Du allerdings in große Fußstapfen treten müssen, ich hoffe, Du bist Dir dessen bewusst, dass ein gewisser Erwartungsdruck herrschen wird. Mein Vetter Gracchus wurde für seine Arbeit als decemvir vom Senat ausgezeichnet, und ich denke, dass dies auch Deinem Vetter bevorsteht." Schließlich standen wir am Durchgang zum Altarraum und konnten dort nun hineinblicken - es war gut voll, und er würde wohl warten müssen, bevor er zu seinem Gebet kam.

  • Ursus nickte ernst. "Ich werde ganz gewiß nicht vergessen, das Opfer nachzuholen." Er würde zwar in nächster Zeit nicht zum opfern haben, doch es kamen sicher auch wieder bessere Zeiten. Und er würde die Götter ganz sicher nicht vergessen, das hatte er nie.


    "Ja, ich weiß, es ist ein sehr anspruchsvolles Amt, gerade durch die Verdienste der Vorgänger. Ich bilde mir auch nicht ein, daß ich es ihnen gleichtun kann, dafür fehlt mir einfach die praktische Erfahrung. Doch schlecht werde ich es auch nicht machen, ich bin fest entschlossen, mich da durchzubeißen." Er gab sich da keinerlei Illusionen hin. Doch mußte jeder Amtsinhaber sogleich ein Überflieger sein? "Du hast auch vor, ein Militärtribunat anzutreten? Obwohl Du dazu nicht verpflichtet bist?" Er lächelte unwillkürlich. "Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, ob gleich im Anschluß an das Amt. Ich weiß nämlich nicht, ob ich es fertig bringe, Rom so bald wieder zu verlassen." Er merkte ja jeden Tag, was für ein großer Fehler es gewesen war, so lange fort zu sein. Und er hing nun einmal sehr an der Stadt.


    Er sah, wie voll es war und seufzte. Das bedeutete nicht nur, daß er noch eine ganze Zeit warten mußte, sondern auch, daß er nicht unendlich Zeit hatte für sein Gebet. "Sag mal, Aquilius, wie gut kennst Du Corvinus eigentlich? Er ist übrigens mein Onkel, nicht mein Vetter..." Was Aquilius natürlich angesichts des geringen Altersunterschiedes nicht wissen konnte.

  • Sein Wort das ausstehende Opfer betreffend klang aufrichtig und ernst, und ich akzeptierte diese Ankündigung mit einem leichten Nicken. Mehr zu zweifeln hätte auch bereits an seiner Ehre gekratzt, und das war nichts, was ich einem eigentlich fremden Patrizier antun wollte. Es gab schon zu viele bittere Dinge in der jüngsten Vergangenheit, dem wollte ich nicht auch noch einen Streit mit einem Fremden hinzufügen.
    "Manchmal ist der Willen, etwas zu schaffen, bedeutsamer und wichtiger als das Wissen, wie es zu erreichen ist. Es gibt doch so viele Beamte dieses Staates, die zwar so einiges zu tun imstande wären, aber doch keinen Finger rühren, um irgend etwas zu verbessern. Das ist für meinen Geschmack verschwendetes Wissen, da wäre mir jemand lieber, der vielleicht noch nicht die Erfahrung aufweisen kann, aber den Willen hat, etwas zu erreichen."
    Dass Ursus ebenso ein Tribunat angeplant hatte, ließ mich kurz schmunzeln - er schien zumindest nicht zu den Faulenzern der patrizischen Schicht zu gehören, das empfand ich als einen guten Ansatz, um auch in der Politik den richtigen Weg zu gehen.


    "Er ist Dein Onkel?" Ein bisschen überrascht blickte ich ihn nun doch an - die beiden waren recht jung, und diese Art der Familienkonstellation war dann doch etwas eigenartig. Mich trennte wenigstens von meinem Großneffen mindestens eine Dekade Jahre. "Nun, wie gut kennen wir uns ... wir sind gut befreundet, würde ich sagen, und kennen uns schon hmm ...einige Jahre. Wiedergesehen haben wir uns allerdings erst, als er vom Militärtribunat zurückkehrte. Warum fragst Du?"

  • Ursus lächelte leicht bei den wohlwollenden Worten von Aquilius. "Ich wünschte, Du wärest einer der Senatoren", scherzte er schließlich. "Aber Du weichst meiner Frage nach dem Tribunat recht geschickt aus", stellte er zugleich fest und lächelte ein wenig breiter. Er nahm es Aquilius keineswegs übel. Sicher gab es Gründe und vielleicht wollte er diese nicht vor einem quasi Fremden ausbreiten. Das war durchaus legitim.


    Um ihn nicht in Bedrängnis zu bringen, antwortete er lieber auf die letzte Frage von Aquilius. "Ich würde gerne wissen, wie Du ihn siehst. Ich meine, charakterlich." Immerhin kannte er Corvinus im Grunde überhaupt nicht. Und auch wenn Corvinus nicht bereit war, sein Bild von Ursus zu überdenken, so wollte doch Ursus wissen, mit wem er es wirklich zu tun hatte. Denn daß er Corvinus nicht wirklich beurteilen konnte, war ihm durchaus klar. Er sah nur, daß Corvinus ihn ausbremste. Und dies offenbar mit Berechnung...

  • Ich hob etwas die Schultern, dann musste ich doch schmunzeln. "Du scheust Dich nicht, einem anderen Deine Ansichten zu sagen, das ist eine gute, wenngleich nicht immer nützliche Eigenschaft ... was das Tribunat angeht, nun, es nicht zu müssen bedeutet ja nicht, dass es einen nicht auch herausfordern könnte. Den meisten Mitgliedern meiner Familie ist das Militär eher fremd, und vielleicht reizt es mich gerade deswegen herauszufinden, ob ich dafür tauge oder nicht. Nicht zuletzt sollte ein Marspriester das Leben der Soldaten einmal geteilt haben, es ist sozusagen auch eine Verpflichtung, die ich mir darin selbst auferlege.
    Seine zweite Frage allerdings ließ mich kurz stutzen, die Stirn runzeln, bevor ich ihn mir dann genauer ansah. Immerhin war er mit Corvinus verwandt, sie lebten im selben Haus, ein wenig sollte er seinen Onkel dann schon kennengelernt haben.
    "Nun ... er war mir stets ein verlässlicher, treuer Freund, auf den ich mich in der Not würde stützen können, so ich ihn darob fragen würde. Warum fragst Du nach seinem Charakter? Er sollte Dir doch bekannt sein aus eurer häuslichen Gewohnheit." Es musste richtigen Ärger zwischen ihm und Corvinus gegeben haben, wenn er mich schon solche Dinge fragte.

  • "Es kommt immer darauf an, mit wem ich rede", meinte Ursus und blickte Aquilius in die Augen. Er wußte nicht warum, aber er vertraute dem Flavier irgendwie. Obwohl sein Verstand ihm einzureden versuchte, daß er einem Freund von Corvinus vielleicht besser nicht trauen soltln. Vielleicht war es ja auch ein Fehler, doch Aquilius machte eben auf ihn nicht den Eindruck eines Mannes, der leichtfertig weitergab, was er in einem Gespräch wie diesem erfuhr.


    "Das sind gute Gründe für ein Tribunat. Hast Du schon eine Idee, wo Du eingesetzt werden möchtest?" Manchmal wurden solche Wünsche ja schließlich berücksichtigt. Ihm selbst war es im Prinzip egal, wo. Am liebsten nicht so weit weg von Rom. Ansonsten war doch ein Castellum so gut wie jedes andere. Sie ähnelten einander wie ein Ei dem anderen.


    Natürlich entging ihm nicht, daß Aquillius bei seiner letzten Frage aufhorchte. Und dann kam ja auch schon die verwunderte Nachfrage. Ursus konnte nur den Kopf schütteln. "Nein, ich kenne ihn im Grunde überhaupt nicht." Und im Grunde kannte auch Corvinus seinen Neffen nicht, aber das würde er natürlich nie zugeben. "Seit ich aus Athen zurück bin, war er eigentlich immer in seinem officium oder irgendwo unterwegs. Wir ... haben nie die Gelegenheit gehabt, richtig miteinander zu reden. So viel wie heute haben wir in den ganzen letzten Monaten nicht zueinander gesagt. Und das heutige Gespräch hat uns nicht unbedingt einander näher gebracht." Er schnaubte verbittert und spürte, wie die Wut wieder in ihm hochkam. Schnell blickte er zur Seite und kämpfte das Gefühl nieder. Dadurch entstand eine kurze Pause, doch er wandte sich dann gleich wieder Aquilius zu. "Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee, mal jemanden zu fragen, der ihn tatsächlich kennt." Aber die Auskunft von Aquilius war nicht gerade erschöpfend gewesen. Ein treuer Freund konnte auch jemand sein, der in der eigenen Familie intrigierte und immer nur sich selbst nach vorne brachte.

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