Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • Dunkelheit lag längstens über Rom, die Bewohner der Villa Flavia hatten sich in ihre Cubicula zurück gezogen, die meisten schliefen womöglich schon. Doch in Gracchus' Zimmer brannte Licht, er hatte versucht zu Schlafen, war schließlich wieder aufgestanden und hatte eine Lampe entzündet, versuchte mit Gedanken sich von seinen Gedanken abzulenken. Er saß in einem bequemen Stuhl, eine Tabula in der Linken, einen Griffel in der Rechten, diesen jedoch nur noch zwischen Ringfinger und kleinen Finger geklemmt, brauchte er Daumen und Zeigefinger doch, um seine Unterlippe knetenderweise zu bearbeiten. Es war eine schlechte Angewohnheit, doch sie half ihm beim Denken, als würde er so seine Gedanken ankurbeln können, gleichsam war er sich dessen nicht einmal bewusst. Das Wachs der Tabula hatte er bereits mehrmals beschrieben und wieder gelöscht, denn nichts, was er in die weiche Masse ritzte, gereichte Gracchus letztlich zur Zufriedenheit. Vermutlich taugte er weder zum Philosophen, noch zum Dichter, wie auch sonstig zu nichts, und dies lag kaum nur an der späten Stunde. Indem er den kleinen Finger spreizte, ließ er den stylus aus seinem Griff gleiten, ihn achtlos zu Boden fallen, ohne mit der knetenden Bewegung aufzuhören, warf als das Klackern des Schreibgerätes, welches auf dem Boden aufschlug, verklungen war, auch die Tabula unachtsam von sich weg, dass sie durch das halbe Zimmer schlitterte und erst damit aufhörte, als sie an einem Stuhlbein hängen blieb. Seit seine Schwester entführt worden war, fehlte Gracchus Zuversicht, seit der Begegnung mit seinem Zwilling fehlte ihm eine gerade Linie und seit der Abreise seines Leibsklaven fehlte ihm jegliche Orientierung. Mit Mühe hatte er die letzten Tage der Amtszeit als Vigintivir hinter sich gebracht, war zufrieden zurück in den Tempeldienst getreten, doch mehr und mehr hatte er das Gefühl, dass in seinem Leben nichts mehr so war, wie es sollte sein. Nicht nur, hinsichtlich eigener Wünsche, die ohnehin nur marginal waren, sondern auch hinsichtlich an ihn gestellter Erwartungen und Pflichten. Alles war seinen Händen entglitten, was er versuchte zu Greifen löste sich in Wohlgefallen auf. Es war wie ein Fluch, womöglich war es noch immer sein Fluch, denn alles war erst aus den Fugen geraten, seit er versucht hatte Arrecina von ihrem Bann zu befreien. Er hatte sie spüren können, die Unterirdischen, die nach seinem Leben griffen, hatte sie hören können, die Infernalischen, die seinen Namen flüsternd die Spur wieder aufgenommen hatten. Einmal war er ihnen entkommen, hatte seine Spuren verwischt, auf dass sie ihn beinahe vergaßen, doch in jener mondlosen Nacht, als er in ihr Reich geplatzt war wie ein Licht in die Dunkelheit, in jener Nacht hatten sie sich an ihn erinnert und hatten sich wieder an seine Essenz geheftet wie ein Wolf, der einem verletzten Schaf nachfolgte. Er brachte die ganze Herde in Gefahr, gleichsam war er solchermaßen derangiert, dass er kaum vernünftig über alles nachdenken konnte, Sciurus fehlte ihm als Agenda, Schlaf fand er noch immer nur unzureichend ob seines immer wieder schmerzenden Zahnes, die Sorge um Minervina zehrte an ihm, das schlechte Gewissen hinsichtlich Arrecina, die Furcht vor Quintus, nicht zuletzt die deplorable Situation seiner Ehe. Seine Ehe - Farce und Tartarusqual, immer wenn er nach den Früchten über sich griff, zog der Wind die Äste hinfort, immer wenn er das Wasser zu seinen Füßen schöpfen wollte, zog sich das Meer zurück - und wenn es dies nicht tat, so schlürfte er das salzige Wasser, ertrank daran, wie er an der Luft um sich herum erstickte. Ruckartig stand er auf. Wenn er keinen Schlaf fand, so brauchte auch seine Gemahlin dies nicht zu tun, denn dafür war sie immerhin seine Gemahlin.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein wenig verloren durchwanderte Gracchus die leeren, graufarbenen Gänge, trat stillschweigend über den blassen, steinernen Boden hinweg und lauschte dem hohlen Hall seiner eigenen Schritte, welcher von den nackten Wänden zurück fiel. Er war zuhause, dies war sein eigenes Gedankengebäude, es war ihm so vertraut, dass er es in jedem Traume wiedererkennen würde, und doch war er fremd hier, denn es war der Flügel, in welchem sein nur so wenig gekannter Bruder innewohnte. Bedächtig schoben sich blasse, schmale Finger in sein Blickfeld, umfassten den metallenen Knauf einer Türe vor ihm. Mit der Berührung und dem Empfinden der Kälte auf seiner Haut überkam ihn die Erinnerung, dass dies seine eigene Hand war, welche die Pforte öffnete und in den Raum hinein aufstieß. Ein Lachen drang aus einer der Ecken hervor - es war sein eigenes und doch war es dies nicht, auf dem Fußboden lag ein einfaches Messer, blitzte im Licht der durch ein schmales Kellerfenster in den Raum fallenden Abendsonne.
    "Quintus?"
    fragte Gracchus vorsichtig in den Raum hinein. Doch nur die blendende Stille tönte all zu laut durch die Leere hindurch und ließ Gracchus frösteln.
    "Quintus?"
    fragte er noch einmal, ohne zu wissen, nach wem oder was er suchte, bevor er sich umdrehte und sich selbst gegenüber stand.
    "Quintus ist tot"
    , sprach er.
    "Ich bin Quintus"
    , entgegnete er sich selbst.
    "Ich bin Gracchus"
    , beharrte er.
    "Manius"
    , fügte er hinzu.
    "Quintus ist Gracchus."
    "Wie Manius."
    "Er ist tot."
    "Er ist untergegangen."
    "Quintus?"
    "Oder Manius?"
    "Gracchus."
    "Er ist tot."
    "Einer oder beide?"
    "Einer."
    "Oder beide."
    "Und ich?"
    "Du bist Gracchus."
    "Welcher?"
    "Manius."
    "Oder Quintus."
    "Beide."
    "Oder einer."
    "Oder keiner."
    Längstens stand er einem Dutzend seiner eigenen Persönlichkeit gegenüber, ein jeder Quintus oder Manius oder beide, ein jeder das gleiche Antlitz, die gleiche Stimme, die Haltung, der Gang, die Augen - sprachen sie alle durcheinander, ob Manius oder Quintus oder Gracchus oder beide oder einer, und es wurden mehr und mehr, sie drängten ihn aus seinen eigenen Gängen hinaus, aus seinem eigenen Heim, immer mehr, ob Gracchus oder Manius oder Quintus oder beide oder einer oder noch mehr.

    ~~~


    Aufstöhnend wälzte sich Gracchus in seinem Bett herum, bis endlich die Realität ihn einholte und die Augen er aufschlug. Dunkelheit umfasste ihn, es war mitten in der Nacht. Langsam drehte er sich um und erschrak, denn Sciurus, sein Leibsklave, saß auf einem Schemel neben der Türe und blickte ihn aus seinen gewöhnlich blaufarben, doch nun im Dämmern der Nacht wie alles andere graufarbenen Augen an. "Du hast dich im Schlaf herumgewälzt, Herr. Schlaf weiter, es war nur ein Traum."
    "Schläfst du denn nie?"
    "Nein, Herr, wie sollte ich sonst über dich wachen?"
    Da er zu müde war, um über solcherlei nachzudenken, gab Gracchus nur ein unverständliches Brummen von sich und drehte sich um.
    "Komm zu mir, und pass auf, dass niemand in den Westflügel geht. Ich bin dort zu oft."
    Obwohl der Sklave nicht verstand, was sein Herr, welcher noch immer halb im Traume gefangen war, mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte, stand er auf und legte sich neben Gracchus ins Bett, welcher bereits wieder die Augen geschlossen hatte und mit flachem Atem dem Schlaf verfallen war.

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Weißfarben durchbrachen die schimmernden Segel den graufarbenen Nebel, zerteilten den wabernden Dunst und gaben den Blick frei auf die epiphane Gestalt, welche langsam und bedächtig die Planke des silbrig glänzenden Schiffes hinab stieg, bis dass ihre schmalen Füße den festen Boden erreichten. Mit einem Lächeln auf den Lippen ergriff Gracchus die dargebotene, bleiche Hand und führte seine Base in den Halbkreis der neun wohlgestalteten, blassen Frauen aus weißfarbenem, makellosen Stein, bemalt mit den Farben der Sonne. Entzückt betrachtete Leontia die blühenden, blaufarbenen Blumen in Händen der Musen, welche beim Anblick ihres Hauches erfreut ihre Blätter spreizten und sich der wohligen Wärme hingaben. Wie Gracchus nach ihr in den Kreis trat, bemerkte er, dass längstens nicht mehr sein eigen Ich ihm inne wohnte, wie ein animalisches Gelüst von seinem Innersten Besitz ergriff, seine Person bei Seite drängte und seinen Körper für sich beanspruchte. Nicht mehr er streifte mit den Spitzen seiner Finger erst über den blassen Stein der Musen, nicht mehr er berührte sodann das weiche, weißfarbene Fell seiner Base, strich über die zarten Ohren, welche zu dem Lamm gehörten, welches Leontia geworden war. So unschuldig und rein stand das Geschöpf vor ihm, makellos, dass alles in ihm danach drängte, seine Zähne in seine Kehle zu stoßen und in Stücke es zu reißen. Wie ein gieriger Episit stürzte sich der Wolf, der er geworden war, auf das unschuldige Lämmlein, welches mit großen, erwartungsvollen dunklen Augen seinem Kommen entgegen sah, riss seine Raubtierzähne in die Kehle seiner Beute. Das rotfarbene Blut schoss in ungebändigtem Strom aus Leontias Kehle, der Fluss wollte kein Ende nehmen, füllte längstens die Opferschale zu ihren Füßen und ließ sie überquellen. Mit leerem Blick ließ Gracchus das schlichte Opfermesser in seinen blutüberströmten Händen sinken, drehte sich zu den schweigenden Musen um und las in ihren Augen, dass keine litatio würde verkündet werden. Er hatte Leontia geopfert, völlig vergeblich.

    ~~~


    Schweißperlen liefen über Gracchus' Schläfen, als er, geweckt von Sciurus, mitten in der Nacht aufschreckte. Von Furcht ergriffen wühlte er sich aus der Decke, den Sklaven kaum beachtend, blickte an sich herab, blickte im Dämmerlicht auf seine Hände, erwartete sie blutüberströmt, strebte zu der silbernen Waschschüssel auf einem kleinen Tisch nahe des Fensters, tauchte seine Hände in das kühle, bald eisige Wasser und rieb sie panisch aneinander, um den unsichtbaren Lebenssaft von sich zu waschen. Noch als er sie trocknete, als er sich mit leerem Blick zurück auf das Bett ließ sinken, konnte er das Blut an seinen Händen spüren, und lange fand er hernach keinen Schlaf.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Oh schaurig ists durch die Wüste zu gehn,
    Wenn es wimmelt von Skorpionengezücht,
    Sich wie Fata Morganen die Winde drehn,
    Die Sonne sich in Sandkörnern bricht,
    Unter jedem Tritte eine Verwehung entspringt,
    Wenn aus dem feinen Staube es zischt und singt,
    O schaurig ists durch die Wüste zu gehn,
    Wenn der Wind leise kinsternd spricht!


    Fest hält die Fibel der zitternde Mann
    Und rennt, als ob man ihn jage,
    Hohl über die Fläche rennt er alsdann -
    Doch was treibt ihn an ist die Frage?
    Es sind die Larven der verstorbenen Ahnen,
    Die mit durchdringlichen Worten mahnen;
    Hu, hu, irre wers hören kann,
    Hinducket das Männlein zage.


    Vom Sande starret das Korn hervor,
    Unheimlich nicket die Leere,
    Gracchus rennt, gespannt das Ohr,
    Durch glühenden Sand wie Speere;
    Und wie es rieselt und knistert darin!
    Das ist die Schicksalsspinnerin,
    Das sind die Seelen ohne Ehre;
    Die die Messer wetzen im Geröhre!


    Voran, voran! Nur immer im Lauf,
    Voran, als wollt es ihn holen!
    Vor seinem Fuße wirbelt es auf,
    Es pfeift ihm unter den Sohlen
    Wie eine gespenstische Melodei;
    Das ist der Fährmann ungetreu,
    Da kommt der diebische Hades hinauf,
    Der die Proserpina hat gestohlen!


    Da birst die Wüste, ein Seufzer geht da
    Hervor aus der klaffenden Höhle;
    Weh, weh, da ruft die verdammte Leontia:
    "Ho, ho, meine arme Seele!"
    Gracchus springt wie ein wundes Reh;
    Wär nicht Fortunen in seiner Näh,
    Seine bleichenden Knochen fände spät
    Ein Gräber im Wüstengeschwele.


    Da mählich gründet der Boden sich,
    Und drüben, neben der Marmorbüste,
    Die Lampe flimmert so heimatlich,
    Zeigt auf die Schwelle zur Süße.
    Tief atmet Gracchus, zur Leere zurück
    Noch immer wirft er den scheuen Blick:
    Ja, im Sande wars fürchterlich,
    O schaurig wars in der Wüste!*
    ~~~


    Doch auch die marmorne Büste löste sich langsam auf, Gracchus spürte das Beben seines Körpers und öffnete träge die Augen. Schweiß stand ihm auf der Stirne, gleichsam walllte Kälte durch seinen Körper. Sein Leibsklave Sciurus hatte ihn bei den Schultern gepackt und so lange an ihm gerüttelt, bis er den Träumen entrissen war. "Herr, wach auf. Du hast schon wieder nach ihr gerufen. Wenn du weiter jede Nacht ihren Namen rufst, dann wird dies nicht unbemerkt bleiben und früher oder später für Gerüchte sorgen." Die Worte des Sklaven drangen kaum bis zu Gracchus vor, noch immer war er halb im Schlafe gefangen, murmelte nur unverständliche Worte, welche mit Leontia begannen und mit Leontia endeten, und sank dann zurück in die Reiche des Traumfürsten.



    Sim-Off:

    *'Der Patrizier in der Wüste', ausgeliehen von und angelehnt an 'Der Knabe im Moor'.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Eisig kroch der scharfe Wind über die karge Ödnis der ausgedörrten Felder, schwarzfarben und von öliger Konsistenz lag das Wasser in flachen Pfützen, ein durchdringender Geruch nach fauligem Gewelk lag in der Luft. Graufarben schoben sich schwer die düsteren Wolken über den blassen Himmel hinweg, von Blitzen durchzuckt in ihrem rotfarbenen Schein, vom nahen Grollen des Donners begleitet. Auf einem unbequemen, scharfkantigen Stuhl inmitten dieses tristen Bildnis saß Gracchus, unfähig sich zu lösen aus der traurigen Starre. In warmen Tropfen, blutrot und von eben dieser Konsistenz, fiel der Regen vom Himmel aus den über ihm ziehenden Wolken, benetzte das rissig und furchenreiche Erdreich unter sich. Schmale, rotfarbenen Fäden zogen sich über die Landschaft, vereinigten sich zu reißenden Bächen, und wo das Leben von Leontia und Quintus zusammen floss, dort erwuchs ein gewaltiger Sturzbach, Strom tausend blutender Wasser, ungebändigte Gewalten, reißender Tod. Obgleich für den Sterbenden der Tod nur war ein neuer Anfang im Leben, nur das Ende eines Kreislaufes und gleichsam Beginn, so blieb für jene, welche sie zurück ließen, nur triste Hoffnungslosigkeit, trauriges Verharren, und wo einst der Duft Tausender und Abertausender Mandelblüten die frisches Sommerluft durchzog, wo Ranken sich wandten grünfarben über die fruchtbare Erde, wo aus Keimen Triebe sprossen und aus Trieben Wunderwerk wuchs, wo kein Flecken Erde war unbeseelt und kein Gedanke nicht in Eleganz gebadet und mit Brillianz verziert, dort blieb nun nur grenzenlose Leere zurück, schöpferische Abwesenheit von Sinnen und buchstabenferne Bedeutungslosigkeit.

    ~~~


    Behutsam schüttelte Sciurus seinen Herren an den Schultern. "Wach auf, Herr. Es ist schon spät, die Sonne geht bereits auf." Grummelnd drehte sich Gracchus und zog die Decke enger um die Schultern.
    "Die Sonne ... was kümmert mich die Sonne?"
    murrte er, ohne die Augen zu öffnen.
    "Der Tag ist ohnehin vergeudet, sinnfrei und leer. Ich habe geträumt, Sciurus, vom Garten der Musen."
    Nun öffnete Gracchus seine Augen, blickte den Sklaven verschlafen an.
    "Er ist leer, Sciurus. Leer und verdorrt."
    "Du musst dich zusammenreißen, Herr. Man erwartet von dir ..."
    "Schweig!"
    fuhr Gracchus ihm ins Wort.
    "Sage mir nicht, was man von mir erwartet! Ich weiß, was man von mir erwartet!"
    Das Thema war damit beendet, Gracchus drehte sich um und versuchte weiter zu schlafen, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte, so dass er sich kurze Zeit später aus dem Bett quälte und Sciurus in seiner morgendlichen Tatenreihe gewähren ließ. Der Sklave versuchte erneut, seinen Herrn zur Raison zu bringen. "Du wirst noch träge, Herr, wenn du nicht endlich diesen Defätismus ablegst. Du solltest dich um eine Aufgabe bemühen."
    "Träge? Träge! Ich verliere meine Sinne! Es bringt mich um den Verstand! Wohin ich auch blicke, entweder sehe ich in tote Gesichter oder ich sehe in Gesichter, deren größtes Unglück ich bin!"
    "Eben darum, Herr, du solltest mit deinem Vetter dem Patron sprechen. Eine Aufgabe würde dich auf andere Gedanken bringen."
    "Mit Felix? Was könnte er schon tun? Soll ich der nächste Flavier sein, welchem sie ein Quindecimvirat anbieten? Lächerlich und blamabel zugleich, lieber sitze ich untätig hier herum und gebe langsam meinen Geist auf! Auch die Erwartungen, und mögen es diejenigen der Ahnen sein, können nicht verhindern, dass ich dort hängen bleibe, wo es nicht mehr weiter geht. Was ich auch tue, was mir möglich ist, es wird einer Schmach gleichkommen, welche noch größer ist als die Trägheit, denn sie wird öffentlich sein. Du hast doch Agrippina vernommen, ich kann nicht mehr zurück, doch nach vorne gibt es keinen Weg. Also was, du einfältiger Tor, soll ich tun?"
    Sciurus antwortete nicht.
    "Ja, schweig nur! Geh mir aus den Augen und trage dafür Sorge, dass das Wasser warm ist! Los, spute dich, bevor ich mich vergesse!"
    Der Sklave eilte sich aus dem Zimmer seines missgelaunten Herrn zu kommen. Gracchus ließ sich seufzend auf der Bettkante nieder und massierte sich die Schläfen. Das schlimmste war, dass Sciurus Recht hatte, doch eine Antwort bot er ebenfalls nicht. Wenn nur die Bestattung Leontias und Quintus' schon hinter ihm läge, wenn nur all dies ihn nicht noch des Nachts würde quälen, wie es dies am Tage bei Sinnen schon zur genüge tat, wenn nur dies nicht alles wäre so furchtbar verworren.


    Sim-Off:

    edit: Korrektur unverzeihlicher Fehler

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Feine, graufarbene Staubkörner durchzogen die warme Luft, erfüllten sie mit bleiernem Duft nach Schöpfung und trugen Gracchus in sich hinfort auf ihren Schwingen. In bunten Kreisen drehten sich die Rauchschwaden, überschlugen sich und verwirbelten in einem wilden Tanz anmutig wie die geschwungenen Zeichen einer fremden Schrift. Nie zuvor hatte je ein Mensch dieses Alphabet gesehen, doch Gracchus jonglierte mit den Charakteren, reihte sie aneinander, durchpflügte sie und badete darin wie in seinem natürlichsten Element. Erst als die Melodie der Sätze einer klanglos schwingenden Harmonie folgte, als die Farben prächtig ineinander flossen, die Komposition den Raum in Perfektion erschallen ließ, als die Formen ein gustiöses Prickeln auf der Zunge bewirkten und sie umgeben waren von einem anmutig, sanften Odeur, erst dann blies Gracchus die Worte leise mit einem sanften Hauch in die Gefilde seiner Base hinüber, spürte die erquickende Ruhe und fühlte sich umgeben von brennendem Atem, Sternenhauch, ganz ohne darin zu verglühen. Mit einem hellen Lachen und einem graziösen Wink sandte Leontia das Werk zurück, drehte sich um ihre eigene Achse, schrumpfte alsdann in sich zusammen. Sich aufbäumend schrie Gracchus, rief nach ihr, rief laut ihren Namen in Stille durch die opaque Luft, doch seine Base zerschmolz zu einem einzelnem goldfarbenen Tropfen, welcher schlussendlich traurig zur Erde hinab fiel und dort zerging. Noch ehe Gracchus das Ausmaß jener Misere konnte ermessen, lösten sich gleichsam die Lettern vor ihm, zerfielen zu graufarbenen Staubkörnern, welche ohne Ordnung und ohne Sinn fremdartig um ihn herumwirbelten, die Luft durchwaberten und für immer unverständlich blieben.

    ~~~

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  • Unruhig wälzte sich sein Herr im Schlaf, murrte Unverständliches, immer wieder unterbrochen vom Namen seiner Base, und warf sich wieder und wieder von einer auf die andere Seite. Längst hatte Sciurus für die Anpassung des Mahls gesorgt, so dass sein Herr nur noch leichte Speisen am Abend bekam und nicht mit schwerem Magen sich die Nacht belud, doch da Gracchus ohnehin nur sehr spärlich aß in der letzten Zeit, so änderte dies nicht viel am nächtlichen Umtrieb des Patriziers. Der Sklave dachte darob bereits über einen Medicus nach, die Griechen sollten bisweilen die Kunst beherrschen ein Loch in den Kopf zu bohren und es ordnungsgemäß wieder zu verschließen, vielleicht konnten sie einem Menschen auf diese Weise auch seinen Defätismus aus dem Hirn nehmen. Eine weitere Möglichkeit war, es bei den Italicern am Circus zu versuchen, den Stregae , oder den Magi aus dem Osten. So innig, wie sein Herr an all den Zauber der Flüche glaubte, würde womöglich auch einer dieser Scharlatane ihm mit seinem Zauber die Sinne klären können. Sciurus jedoch hielt weder etwas von Medici, noch von Stregae oder Magi, allesamt waren dies nur Gauner und Betrüger, die versuchten den Leichtgläubigen die Sesterzen aus der Tasche zu ziehen. Der Sklave musterte seinen schlafenden Herrn und schüttelte langsam den Kopf. Auf See, selbst in Baiae noch hatte er ihn bereits im Boot des Fährmannes gesehen, doch wenn sein Herr nicht endlich aufhören würde, sich den Kopf zu zermartern, so würde er letztlich doch noch die Überfahrt antreten. Sciurus lehnte sich zurück, seinen Kopf an die Wand hinter sich, und starrte noch lange in die trübe Dämmerluft des Raumes, bevor er schlussendlich mit offenen Augen in einen leichten Halbschlaf fiel.

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Leontias Stimme war dumpf und hohl, rotfarben glühten ihre Augen im Dämmerlicht und ihr Gesicht wandte sich in einer einzig wabernden Fratze. Nichts mehr war geblieben von ihrer einst so epiphanen Erscheinung, unkoordiniert und in abgehakten Bewegungen zog sie ein Bein schlurfend vor das andere, wiederholte zyklisch ihren gierigen Ruf. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Sie streckte ihre bleichen Hände nach ihm aus und stöhnte durstig auf. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" quälte sie seinen Namen über ihre aufgedunsenen Lippen und solcherart war er wahrhaft noch schauriger anzuhören, als wenn Gracchus' Gattin Antonia seinen Namen aussprach. Voller Entsetzen drehte sich Gracchus von der leblosen Hülle seiner Base weg, wollte ihr echappieren, denn dies Wesen war fern dieser Welt, nicht nur fern seiner Base, sondern fern alles Lebens, eine einzig dämonische Schöpfung. In seinem Rücken jedoch, hinter ihm, wartete keineswegs die erlösende Flucht, sondern gleichsam nur ein Paar rotfarben glühender Augen, diese zu seinem Zwilling gehörend, boshaft aufblitzend, welcher nun kaum noch seinem eigenen Abbild glich. In krummer Haltung zog auch Quintus seine Füße mehr über den Boden, als dass er sie hob, gierig griffen seine Arme nach Gracchus und auch er wiederholte permanent seinen Namen in dösigem Schlurfen. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Es gab nur einein einzigen Ausweg aus dem mundus, weit über ihnen, nur über eine schmale Leiter zu erreichen. Hastig stieg Gracchus sie hinauf, doch noch ehe er den Rand des Abgrundes hatte erreicht, spürte er die kalte Hand um seinen Fußknöchel. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Er trat mit seinem Fuß zurück nach unten, in das Gesicht seines eigenen Zwillings, sein eigenes entstelltes Gesicht, doch Quintus blieb von all dem unbeeindruckt, sah man einmal davon ab, dass ein Stück seiner Haut und seines Fleisches sich hatten von dem Wangenknochen gelöst und nun in einer wahrhaft ungustiösen Art und Weise aus seinem Gesicht herab hingen und den freien Blick auf das Knochenwerk dahinter boten. Leontia versuchte ebenfalls an seinem anderen Fuß zu reißen, mit einer Gewalt, mit einer Kraft, welche nie zuvor in ihr war gewesen, sie riss an der dünnen Kette, an welcher der goldene Halbmond war befestigt, welcher Gracchus dem patrizischen Stand zugehörig kennzeichnete, bis dass sich die Kette tief in sein Fleisch schnitt und mehr noch schmerzte als der feste, peinigende Griff seines Zwillings am anderen Bein. Wie ein Riss zog sich der Schmerz durch Gracchus' Körper, als Leontia sich an seinem Bein hinauf zog und mit beherztem Biss ihren Kiefer in sein Fleisch rammte und nicht nur die Kette riss, sondern gleichsam deutliche Spuren in Gracchus hinterließ. Wild und verzweifelt trat dieser um sich, unter sich, bis dass endlich er die Hände und Kiefer der monströsen Gestalten unter sich konnte abschütteln, welche in fleischlichem Verlangen nach ihm gierten. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Keuchend hetzte Gracchus über die Leiter empor, stürzte sie mit einem beherzten Tritt um, so dass sie hinab in den mundus fiel und blickte nach unten. Noch immer hing Quintus' Gesicht in Fetzen und auch Leontia hatte begonnen, sich aufzulösen, fauliges Fleisch und Haut bröckelte aus ihrem Gesicht und wurde unter ihr begierig von Tausenden Händen aufgefangen, welche nun aus dem Boden gierig nach Quintus und Leontia griffen. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!" Immer lauter wurde der Ruf, potenzierte sich in Tausenden Stimmen, begleitet von einem Odeur nach dem Verwesen Tausender Jahre, denn während die Hände seinen Zwilling und seine Base langsam in die wabernde Masse ungestaltener Entitäten hinab zogen, forderten sie denn nicht die Verschollenen, sondern noch immer, lauter und lauter, ihn selbst. "Ma-ni-us! Ma-ni-us!"

    ~~~


    Mit lautem Keuchen schreckte Gracchus aus dem Schlaf, noch immer den Nachhall der erdrückenden Stimmen in seinen Ohren hörend, wühlte panisch die Decke von sich und suchte schlaftrunken nach seinen Füßen. Zitternd umgriff er die Knöchel, doch keine Bissspuren, keine Wunde hatte sich dort eingegraben in das Fleisch, keine Spur von Quintus, keine Spur von Leontia. Leontia, deren Gestalt auseinander gefallen war, deren Körper sich hatte gelöst in ungustiösem Anblick. "Herr?" durchbrach Sciurus in fragender Absicht die stille Dunkelheit. Doch Gracchus sah sich außer Stande, ihm zu antworten, kämpfte er doch mit sich, das äußerst deliziöse Abendessen im Magen zu behalten, und je mehr er daran dachte, sich nicht Leontias grässlichen Anblick vor Augen zu führen, desto mehr brannte sich das Bild in seine Seele. Angelangt bei der vermeintlichen Erinnerung wie die ersten Stücke Fleisch sich aus ihrem Antlitz lösten, erlag Gracchus schließlich der Gewalt, hastete aus seinem Bett zur Waschschüssel hin und entledigte sich des halb verdauten Mahles. Als sein Magen endlich leer war, wandte er sich angewidert von der Schüssel ab und taumelte zurück zum Bett, wo seine Hände sich an die Schläfen legten.
    "Sie bringen mich noch um den Verstand... sie bringen mich um den Verstand ... wann hört das endlich auf? Wann?"
    Da auch der Sklave keine Antwort wusste - vermutlich kannten diese denn nicht einmal die Götter - so schwieg er und beobachtete nur stumm, wie sein Herr sich zitternd wieder in die Decke rollte und unruhig nach dem Labsal eines traumlosen Schlafes suchte, um sich hernach aufzumachen, die Spuren der Auswirkungen der nächtlichen Träume zu beseitigen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Diffus erst, doch sukzessive immer klarer werdend, schälte sich ein silbrigfarbener Glanz aus der opaken Dunkelheit, formte sich in schäumenden Wellen zu einem Spiegel. Ohne sich dessen bewusst zu sein, dass kaum ein Spiegel ihn von vordergründigem Antlitz würde zeigen, blickte er in die glitzernde Entität, blickte so lange in das reflektierende Bildnis hinab, bis dass er begann daran zu glauben, dass seine Seele auf die andere Seite hin übergegangen sei. Lautlos zerbarst die Scheibe, in Tausende infinitesimale Splitter, zertrümmert von eigener Hand, zu scharfkantig, um je wieder zusammen gesetzt zu werden, doch noch immer groß genug, um das Ich in Stücke zu zerschneiden. Im Versuch die Bruchstücke zu sammeln, sie erneut zu vereinen und sich neu zu komponieren, schnitten die Scherben tief in seine Haut, rotfarbenes Blut rann über seine Finger, rann auf den in der ferne schimmernden Boden hinab, mit ihm, der sich langsam niederkniete. Seine Finger fuhren über die blassen, marmornen Fließen, strichen das Blut über den Boden und versuchten eine Skizze seiner Satisfaktion zu zeichnen, doch der Grund weigerte sich, die Farbe zu trinken, denn längstens war sein Selbst im Spiegel gefangen. Er erinnerte sich an eine Welt aus den Augen eines Kindes, doch längstens war die Sehnsucht überdeckt von Erkenntnis und Abstraktion, war das Herz unwiederbringlich entschwunden in einem ungleichen Handel, gefangen in den Augen des Fremden hinter dem Spiegel. Längst verlorene Worte flüsterten aus der glänzenden Schicht heraus auf ihn ein, aus einer anderen Zeit und einem anderen Ort, füllten die hohle Leere, pochten wie ein fremdes Herz in seinem Kopf. Einen letzten Atemzug anhaltend konnte er den Odeur des süßen, entzückenden Lichtes richen, konnte die Welt der zerbrechlichen Dinge durch einen diaphanen Schleier hören, die Gedanken des Anderen in seinen Tränen schmecken, süßes, entzückendes Licht das zur Schwärze verging.

    ~~~


    "Quintus!"
    Hellwach fuhr Gracchus in die Höhe, atmete hörbar in die Dunkelheit hinein während seine Augen sich an das dämmrige Licht und den graufarbenen Schatten gewöhnten. Er hatte von seinem Bruder geträumt, nicht von Quintus Tullius, sondern von Quintus Flavius Gracchus, er hatte mit ihm ... Angestrengt versuchte Gracchus sich zu erinnern, doch die Bilder des Traumes schwanden längst aus seinen Sinnen, verwischten zu nicht vorhandener Reminiszenz. Verzweifelt versuchte Gracchus die Bilder vor seine Augen zu zwingen, doch je mehr er sich darauf zu konzentrieren suchte, desto weniger wollte ihm dies gelingen. Schließlich ließ er sich verzagt zurück in das Kissen sinken und schlief bald wieder ein.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Wolken verbargen die glimmenden Sterne, die Luft roch nach violetten und dunkelbraunen Blättern, welche in klammer Kälte vermoderten. Längst hatte das Welken auf die Welt übergegriffen, zogen dornige Ranken über die mit Rissen übersäte Mauer hinweg und suchten bis durch die Fenster ins Innere des Hauses zu gelangen. Verbrannt lag die schwarzfarbene Erde, Staub und Asche verwehte der sanfte Hauch des Windes, aus der Ferne her drang der leise Klang eines dumpfen Herzschlages, rhythmisch, sukzessive lauter werdend. Wo ist der Raum, wenn man in ihm steht? Nichts an diesem Ort schien wirklich, fremdartig und doch so vertraut, längst gekannt aus vormaliger Erinnerung, gleichsam verborgen in zukünftiger Ungewissheit. Vertraute Gesichter zogen wie Schatten vorbei, fremde Fassaden im Nebel, Meilensteine der Einsamkeit, ohne Bedauern und ohne Diskulpation. Er brauchte Schlaf, wollten endlich den Bildern in seinem Kopf entkommen, bettete seinen Geist auf einem Nest aus spitzen Federn und weichem Stein. Ein weißfarbenes, plüschiges Lamm sprang über den hölzernen Zaun, ein zweites dahinter, kontinuierlich folgte eines ums andere, so dass er versuchte, sie zu zählen. Doch immer übersah er ein einzelnes, so dass der Zug von vorn begann, von vorn mit dem weißfarbenen, unschuldigen Lamm, gefolgt von dem Wolf im Schafspelz, hernach ein Schatten aus ferner Zeit, bis zum nächsten Vergessen. Wenn der Tod nur ein Traum war, wer wollte dann schlafen und entschwinden in des Morpheus' Reich?

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schwarzfarben hielt die Nacht das Land in seinen Klauen, nahes Donnergrollen schob sich über das Gewölk, wild zuckten goldfarbene Blitze über den Himmel, in ihrem fahlen Schein ein Haus beleuchtend, eine Villa, die auf Klippen stand. Verzweifelt kämpfte er mit seinem Ross, sprang ab und flüchtete durch die spitz schneidenden Tropfen des Regens zum Tore hin, pochte laut, einmal, dann zwei, scharf zerrte der Wind an seinem Mantel. Ohne Gestalt schob knarrend sich die Türe auf, gab frei den Weg ins Innere des Gebäudes, ein dunkler Schlund, gähnende Einsamkeit durchbrochen vom rotfarbenen Glühen der Fackeln wie Augen in der Dunkelheit. Masken an der Wand begleiteten jeden Schritt, Ahnen mit ihrem durchdringenden Blick, seine Ahnen, fremde Ahnen, doch voller Vorwurf und Missgunst in den Augen, schwach erhellt aus der Ferne vom launenhaften Flackern eines Herdes Feuers. Vorbei an der Erinnerung trat er zum Feuer hin, starrte in den lebendigen Brand, die Flamme zischte, zuckend der Tanz inmitten der Glut. Tausende Augen sich lösten aus dem rotfarbenen Leuchten, tausende schmale Schlitze, bösartig und leer, übermächtig der Feind in finsterem Grollen die Welt um ihn herum in Schutt und Asche brannte. Eine einzelne tanzende Flamme erhob sich sodann, filigran und epiphan, sanft sich wiegend im fahlen Schein, ein Geschöpf aus Hitze geboren, reckte seine zierlichen Arme nach ihm, schwang das flammende Haar durch die Luft und zeigte ihr entzückendes Lächeln aus brennend rotfarbenen Lippen. Doch er konnte nicht sie erreichen, ohne gleichsam dem Feuer zu verfallen, konnte ihre Berührung nicht forcieren, ohne dass seine Haut in Hitze versank. Rotfarben glühten kleine, tropfene Kohlestücke auf ihren Wangen und es dauerte lange, bis er erkannte, dass dies Ausdruck ihrer Trauer war. Finsternis umschloss allmählich den Herd, ließ die liebliche Flamme schrumpfen, biss dass sie letztlich in einem letzten, leisen Aufstöhnen erlosch, in welchem er seinen Namen zu entdecken glaubte, bevor auch er von Finsternis wurde umhüllt.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schillernde Federn schwebten filigran durch die Luft, Tausend Blütenblätter tanzten vom Himmel herab, rotfarben, gelbfarben, in Purpur und Orange. Schmale Jünglinge in kurzen Tuniken und ledernen Brustpanzern bewegten ihre Hüften in kreisender Bewegung zu einer fernen Melodie, ihre Körper silbrig glänzend vom mit Partikeln aus Eisenstein durchsetzten Öl, ihre Wangenknochen mit graufarbener Asche akzentuiert, ebenso ihre Lider, deren Schwung mit Kajal war nachgezogen, schwarzfarben wie die Nacht. Vergessen tanzten sie zu den Klängen der Trommeln, drehten sich zu Glocken und Tibicinesgesang, wild kreisten sie ihre Körper durch die schleierverhangene Atmosphäre. Auf dem schweren eichernen Tisch war ein Festmahl bereitet, Fleisch in allen Variationen, Brot und Käse, Wein, mehr als ein einzelner Mann je könnte Trinken, und doch hatte nur ein einzelner Mann sich dort auf einer Kline gebettet und dem Überfluss den Kampfe angesagt.
    "Marcus"
    , grüßte Gracchus seinen Vetter.
    "Was machst du hier? Dies ist eine Totenfeier."
    Mit gleichsam erstauntem wie vorwurfsvollen Blick ließ sich Gracchus neben seinem Vetter auf einer Kline nieder.
    „Natürlich, Manius, deswegen bin ich doch hier. Ich bin tot. Möchtest Du Wein?“
    In seiner üblichen guten Laune, welche durch kaum etwas zu durchbrechen war, fuhr Aristides fort mit seinem Mahl, biss in eine saftig gebratene Hühnerbrust, verschlang hernach ein Schweinseuter komplett, fuhr mit einem Täubchen fort, welches er nebenbei zu den saftigen Lenden eines Ebers verspeiste, und spülte alsbald alles mit dem Inhalt einer Amphore Wein in den Magen hinab. Fasziniert betrachtete ihn Gracchus, betrachtete die Orgie um sich herum.
    "So ist dies hier deine Totenfeier?"
    Aristides hielt mit dem Essen inne und fing an kollernd zu lachen. Es dauerte, bis er sich wieder gefangen hatte und nach ein paar Mal tief Luft holen zu Atem kam.
    „Hah, herrlich! Manius, Du bist wirklich ein Uni...Unika...Unidingsbums. Du weißt schon, was ich meine, oder? Glaubst du wahrlich auf meiner Totenfeier würden diese Männer hier herumhüpfen? Bei Mars und Venus, wenn das meine wäre, dann gäbe es hier Frauen soweit du blicken kannst, braungebrannte Hispanierinnen mit tiefschwarzem Haar! Ich bin hier nur Gast, ich bin doch schon tot!“
    Aristides griff nach einem Laib Brot und riss ein großes Stück daraus.
    „Apropos tot, Manius, du wirst doch gut auf meinen Jungen aufpassen, oder?“
    "Natürlich, Marcus."
    „Sehr gut! Serenus, komm, spiel für uns!“
    Serenus betrat die Szenerie, gewandet in ein purpurnes Mäntelchen, eine goldfarbene Lyra in der Hand. Er schrammelte über die Saiten des Instrumentes und öffnete den Mund weit, um seiner Kehle seinen Gesang zu entlocken.
    “OH Parthia du stehst in Flammen! OH liebliches Feuer!
    OH Flammen in der Nacht! Brenne OH brenne mein Parthia!
    Parthia muss brennen! Papa muss brennen!
    Und Onkel Gracchus gleich mit! "

    Knisternd zuckten die Flammen unter den Klinen hervor, erfassten die Liegen schneller, als irgendwer hätte ihnen entkommen können. Furchtvoll schrie Gracchus auf als er sah, wie das Feuer über Aristides' Körper leckte, von ihm Besitzt ergriff, doch er konnte nichts tun, denn gleichsam lag auch er selbst auf einem Scheiterhaufen, brennende Zweige bedeckt von schwarzfarbenen Blättern unter sich, bewegungslos und zu Reglosigkeit verdammt, wie dies für einen Leichnam üblich war. Das Feuer erfasste sie beide, ließ das Blut in ihren Adern kochen, die Haut verschmoren, während Serenus mit entzücktem Glanz in den Augen dabei zusah und weiter auf seiner Lyra spielte.

    ~~~


    Panisch schreiend fuhr Gracchus aus dem Schlaf.
    "Marcus!"
    Nicht nur auf seiner Haut glänzten silbrigfarbene Tropfen, auch in seinen Augen hatte sich salziges Wasser gesammelt.
    "Marcus ..."
    Erschöpft sank er zurück. Längst hatte sein Leibsklave Sciurus aufgegeben, ihn durch Worte zu Beruhigen versuchen, er hielt ihn nur fest bei den Schultern, versuchte durch seine Nähe zu beruhigen, was beinahe ebenso vergeblich war. Unsanft stieß ihn Gracchus zur Seite, drehte sich und wühlte sein Gesicht in das Kissen hinein, leise schluchzend, des Nächtens duldend, was des Tags ihm verwehrt blieb.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Fliederfarben, durchzogen von einem Hauch von Purpur hing der abendliche Himmel über der goldfarbenen Ebene aus Wüstenstaub. Weit in der Ferne gellte ein braunfarbener Habicht seinen markerschütternden Schrei die die Welt hinaus, doch der Wind kam von Nordnordwest, so dass der Vogel kaum von einer Handsäge zu unterscheiden war. Träge wölbten sich kleine Hügel aus dem Staube empor, Korn um Korn kullerte von den silbrigen Helmen der Milites, welche sich aus dem Sande erhoben, ihm entstiegen in endlosem Marsch, Paradebeispiel eines perfekten Soldaten, gefallener Krieger. Ein Einzelner bot den Anblick der Masse, nur ein einzig Gesicht zierte die Körper zu Tausend und Abertausend, Tausend ein Einzelner mit lachender Miene und schalkhaftem Blitzen in seinen braunfarbenen Augen.
    „In Formation!“
    schrie der Centurio und die Masse gehorchte, stand stramm in Reih und Glied. Einzig Gracchus' Erscheinung wollte nicht recht sich einordnen lassen, nicht in die Reihen Aristides rechts von ihm, nicht in die Reihen Aristides Links von ihm, auch nicht in diejenigen hinter ihm, er stach aus seinem tausendfachen Vetter hervor wie ein Fremdkörper, so dass er letztlich auch dem Centurio nicht verborgen blieb.
    „Manius, Manius, so wird doch nie ein Soldat aus dir“
    , schüttelte Aristides verzweifelt den Kopf.
    „Brust raus“
    , er packte ihn am Halsausschnitt des ledernen Brustharnisch und zog nach vorn.
    „Und Bauch rein!“
    Mit einem brummigen Lachen schlug er mit der vitis gegen Gracchus' Unterleib.
    „Dazu die Schultern gerade und den Kopf hoch halten! Versuchen wir es, auf in die Schlacht! Vorwärts, age!“
    Blass und fahlfarben wehte der Dunst über das Heer hinweg, zog die graufarbenen Wolken in schmächtigen Fetzen über das dunkle Himmelsgewölbe. Schimmernd blitzen die Rüstungen im heißen Schein der erbarmungslosen Luna, fern glomm der verheißungsvolle Glanz des nahenden Sieges. Unerschrocken marschierten sie vorwärts, furchtlos, zu allem entschlossen, voll Mut und Ehre, doch den Feind konnten sie nicht erblicken. Schatten gleich kroch er aus der Wüste hervor, wie ein vermeintlicher Lufthauch umschlich er ihre Silhouetten, streifte leise kichernd ihr Ohr und liebkoste mit zaghafter Berührung ihren Leib, messerscharf, eisig kalt und deletär. Ein ums andere Mal fiel Aristides, starb mit entsetzter Miene, ließ sein Leben mit einem Schrei, verendete ungesehen, ging leise aus der Welt, schied dahin mit einem Seufzen, erlitt den Tod unwiederbringlich, lebte heroisch ab, kam unspektakulär ums Leben, erstarb weinend, erlosch flackernd, atmete seinen letzten Hauch mit einem Lächeln, beendete seine Existenz mit Paukenschlag, entschlief zufrieden, ging honorig zugrunde und schloss für immer seine Augen - zu Tausenden, bis auch der letzte Mann wurde getroffen durch tödlichen Streich, qualvoll verendend zurück taumelte, von Pein überkommen in Gracchus' Arme, welcher ihn fest umschlungen hielt.
    "Marcus, tue das nicht!"
    Verzweifelt entriss Gracchus den schartigen, rostigen Helm von Aristides' Kopf, wischte die von Schweiß durchtränkten Haare seines Vetters aus dessen Stirne, strich über sein Haupt und über seine Wangen, versuchte den Tod von ihm abzustreifen, drückte Aristides' Körper an seine Brust.
    "Geh nicht, Marcus, geh nicht!"
    Früh morgens war es, der Tau spiegelte sich silbrigfarben glänzend auf den Halmen der grünfarbenen Gräser, blass und bleich lag der bloße Körper in Gracchus' Armen, ein einfacher Dolch nur in seinem Rücken, und doch blutüberströmt nach dieser gewaltigen Schlacht.
    "Marcus ..."
    Desperat rüttelte noch einmal Gracchus den längst erkalteten Leichnam, versuchte ihn zu erwecken, während klandestin schimmernde Perlen salzigen Wassers den Weg in seine Augen suchten. Doch der Tod war endgültig, ließ sich nicht negieren. Exhaustiert ließ Gracchus schlussendlich seinen Körper zur Seite fallen, blieb reglos im sandigen Grase liegen, den toten Körper Aristides' eng umschlungen, dessen Kopf an seine Brust gebettet, zitternd in seinen Armen.

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  • Da Gracchus dieser Tage fast nurmehr in der Villa zubrachte, so las er ankommende Schreiben bald schon nach ihrer Ankunft und nicht erst des Abends in seinem Officium, wie er es früher zu tun gepflegt hatte. Der Tag hatte noch nicht an Helligkeit verloren, noch schien die Sonne durch das Fenster herein und befleckte den Boden mit hellen Schlieren, nur durchbrochen von Gracchus' Füßen, der eben das Zimmer hatte betreten, um nach einer Schrift zu suchen. Sciurus trat hinter ihm in den Raum, brachte einen graufarbenen Schatten mit sich herein. "Ein Brief, Herr, von Flavia Agrippina aus Baiae."
    Der Name allein ließ Gracchus aufhorchen, zumeist in der Hoffnung, seine Schwester würde ein Schreiben ihm senden, doch kaum je hatte sich diese Hoffnung der Wahrheit müssen ergeben, kaum je war es nicht seine Tante, welche ihre Worte sandte. Er erschauderte allein ob des Gedankens an sie, vermutlich enthielt ihr Brief nur ein vernichtendes Urteil.
    "Lies ihn vor."
    Der Sklave tat, wie ihm geheißen, begann mit dem aufrichtigen Gruße, ob dessen von Gracchus' nur ein leises Schnauben zu vernehmen war, fuhr fort mit schlimmer Kunde und elysischen Feldern. Längst war Gracchus auf die endgültige Bestätigung Aristides' Tod vorbereitet, doch ein junges Mädchen durchbrach alle Vorbereitung, durchbrach jede Beherrschung und innere Ruhe.
    "Arrecina!? Gib mir den Brief!"
    Noch ehe Sciurus eine Gelegenheit hatte, seinem Herrn das Schreiben auszuhändigen, hatte dieser es ihm entrissen.
    "Hinaus!"
    Allein zurückbleibend ließ sich Gracchus auf sein Bett sinken, hielt das Pergament in Händen und musste sich schwer zwingen, die Zeilen zu lesen. Nicht ob Aristides' Tod trug Agrippina Trauer, denn um den ihrer Enkelin, gleichsam schien sie nichts von Marcus' Dahinscheiden zu wissen. Marcus. Arrecina. Leontia. Quintus. Langsam breitete sich ein feines, subliminales Zittern über Gracchus' Körper aus, als wäre jedes Leben aus ihnen einer eisigen Kälte gewichen lösten seine Finger den Griff um das Pergament, so dass es mit leisem Rascheln zu Boden glitt. Sukzessive kroch die Kälte über seine Haut, umfasste von ihm Besitz, von seinem Äußeren wie Inneren, bis hin in seinen Geist, löschte Flamme um Flamme aus seinem Herzen, bis dass kein Funke mehr war geblieben. Mit trübem, leeren Blick starrte Gracchus zwischen seinen Händen hindurch auf den Boden vor sich, durch diesen hindurch, in eine Welt, in welcher nichts konnte bestehen, in welcher nichts konnte sein, denn endlose Abwesenheit allens. Er hatte keine Kraft mehr zu Trauern. Nichts war mehr in ihm geblieben, was konnte zerbrechen, nichts, was ihm noch konnte genommen, geraubt werden. Ein Herz war gleich eines Herdfeuers, nahm man dort einen Teil hinfort, so regenerierten sich die Flammen mit der Zeit da sie neuen Brennstoff erhielten, so dass später man konnte erneut einen weiteren Teil davon nehmen, um sie in die Dunkelheit zu tragen. Doch entriss man dem Feuer zu bald zu viele seiner Flammen, so war es letztlich nicht mehr überlebensfähig, so blieb keine Glut mehr übrig, um sich zu neuem Leben zu entfachen. Von Gracchus' Flammen war längst nichts geblieben, Leontia hatte einen Teil mit sich getragen, Quintus einen weiteren, bald darauf Marcus den letzten, so war ihm nurmehr eine tiefe, schwarzfarbene Düsternis im Herzen geblieben. Endlose Schwärze schob sich in seinen Geist, begann die Erinnerung an Arrecina hinfort zu wischen, aufzufressen. Trotz Aquilius' Worte konnte und wollte Gracchus nicht an dessen Bild seiner Nichte glauben, er hielt an der Erinnerung des unschuldigen, jungen Mädchens fest, welches fast noch ein Kind war, viel zu jung, um zu sterben, jene verängstigte, wie eine Pappel im Winde zitternde, schmale Person, welche er in seinen Armen hatte gehalten, da sie aus Furcht vor den rachsüchtigen larvae bald vergangen war. Ihr würde keine Gelegenheit mehr gewährt sein, ihr Verhalten in Zusammenhang mit dem germanischen Sklaven zu erklären, darob würde Gracchus an ihrer Unschuld festhalten, würde ihre makellose Persönlichkeit im Geiste bewahren. Nicht mehr nur der Tod war Fluch der Familie, doch gleichsam augenscheinlich auch, dass ein Flavia erst musste das Leben lassen, um ein untadeliges Mitglied dieser Gens zu sein. Der Fluch, die Larven, der rachsüchtige Geist einer striga - war es am Ende all dies gewesen, welches Arrecina hatte dem Leben entrissen? War nicht Gracchus selbst es gewesen, welcher hatte versagt, den Fluch von ihr zu nehmen, der gleichsam womöglich die Bindung zu seinen eigenen Dämonen nur hatte verstärkt, statt zu lösen? Wie ein schwarzfarbener Schleier aus Rauch hatte sich der Fluch über die Familie gelegt, sie wie ein fürsorgliches Wohlwollen umhüllt - sein Fluch - und er war nicht im Stande, dies abzuwenden, dies zu novellieren. Die Familie zerbrach nicht ob seiner Schuld, viel schlimmer löste sie sich langsam auf, zerfiel sukzessive zu Staub und Erinnerung. War dies sein Fluch, zurück zu bleiben, während um ihn herum all jene aus dem Leben wurden gerissen, welche ihm wertvoll waren, oder hatte er den Fluch über sie gebracht, dass sie an ihm zu Grunde gingen? Vermutlich war es beides. Langsam ließ Gracchus seinen Kopf herab sinken, zwischen seine Hände, schloss die Augen und kämpfte still seinen Schmerz in sich hinab.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Silbrigfarben glänzte das Meer aus verwaschenen Tränen, umspülte die Gestade Tausender lebloser Körper mit sanftem Hauch, während noch sich die fahlen Schatten Fischen gleich an ihren Resten labten. Schwer war sein Körper, leblos und erhaben, ohne Sinne und ohne Last, von Defätismus getragen wie eine Feder, welche im Atem der Fortuna verweilte in endlosem Tanz. Schlieren gleich zogen schwarzfarbene Tauben über den Himmel, zerpflügten das Meer mit ihren scharfkantigen Krallen, durchwühlten die unbeständige See und entließen die traurigen Silhouetten in stummem, kakophonischen Ruf.
    "Du hast sie gerufen! Rufe, laut, schreie! Ich vertraute dir, einen Tag nur, ach, Manius, kein Fluch war geboren. Die Unterirdischen, Manius, warum hast du das Chaos, das Vergehen erschaffen? Einen Tag nur wollte ich, keine andere Absicht haftete mir an, aus deinem Leben. Du hast den Fluch, teuerster Vetter, bis dass du die Larven an mein Genick bandest, geschaffen! Wach auf! Sie erhängten mich, doch wohin? Wieso hast du dies getan, aus welchem Grunde, weshalb hast du das getan? Du musst mit diesem Strick sie zurückschicken. Auf meinen Weg. Hast du mich geführt, Manius? Du bist doch sonst in die Tiefen so brilliant, aus denen Du gekrochen bist, in welche Du stießest mich hinab. Ich habe dir, Vetter, sie hergeholt aus diesen Tiefen. Hast du mir je vertraut? Warum musstest du diesen Fluch in diese verfluchte Familie, über uns bringen? Ich habe dir geglaubt, bin dir gefolgt. Dorthin, auf dass ich wirklich, an deiner Statt, Manius, den Tod finde. Wie konntest du? Du hast mich belogen. Musst du mein Leben zurückschicken, sie zurückschicken, obgleich dir anvertraut? Du, bei deinem Genie, hast alles zerstört."
    Schlingen gleich zog sich der Schmerz um seine Glieder, blendete die Wahrheit in allgegenwärtigem Scham, kein Weg war zu finden als die Dunkelheit verschwand, denn die Morgendämmerung brach die Stille, welche in endlosem Kampfe mit der Wahrheit focht. Nicht alles konnte hinfort gespült werden vom endlosen Ozean, nicht alles konnte in Sehnsucht erlöschen, doch wo das Land im Sterben inbegriffen war, dort war die Made ein König.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Sanft plätschernd rollten glitzernde Wellenkämme über die am Strande liegenden Kiesel hinweg, entlockten ihnen mit jeder Bewegung ein Geräusch, als würden Murmeln in großer Zahl über den Boden einer Schatulle kullern, sortierten sie gleichsam in immer neuer Ordnung, so dass kein Augenblick gleich dem nächsten war, obgleich die Zeit längst nicht verrann. Fern auf dem grünfarbenen Meer ruderte ein Schiff verzweifelt mit den Armen, suchte dem gewaltigen Sog der Unvermeidlichkeit zu entgehen, musste doch schließlich sich seinem Schicksal ergeben und sich verschlingen lassen vom allzeit hungrigen Geschöpf der See. Als der Ozean sich geschlossen, die Wogen sich geglättet hatten, blickte er auf, vom leisen Rascheln eines Gewandes angelockt.
    "Nichts bleibt bestehen im Angesicht der Unendlichkeit"
    , sprach er leise und erhob sich, um sie ein Stück ihres Weges zu geleiten.
    "Die Unsterblichen sind ewig. Die Unsterblichen sind perfekt. In der Perfektion liegt das Immerwährende. Die Schönheit ist die Perfektion. Darum ist die Schönheit nicht vergänglich."
    Wie das sanfte Wogen der Wellen brandeten ihre Worte über seine Ufer hinweg, glätteten die Spuren im nassen Sand, verwischten sie zur Unkenntlichkeit.
    "Der Tod ist fern. Das Nichts unmöglich. Lass uns den Vogel erklimmen. Ich habe Dir viel zu erzählen."
    Gewaltig schien der rotfarbene Felsen im Licht der nebulösen Sonnenstrahlen, welche wie ein Schleier den Staub durchzogen, scharfkantig ragten die schattigen Risse durch den graufarbenen Grund.
    "Ist er nicht schön?"
    Es war der sublime Hauch der Harmonie, der zarte Odeur einer zweisamen Einsamkeit, welcher ein feines Lächeln seine Lippen kräuseln ließ.
    "Er ist Wahrheit und darum schön."
    Sie überquerten einen mit weichem Moos überwachsenen Pfad, aus welchem pflanzengleich pergamentene Blätter erwuchsen. Eine einzelne Grille zirpte im Dickicht verloren ein warmes Lied, welches nach subkonszienter Entzückung und klandestiner Reminiszenz längst vergangener Tage schmeckte. Vorsichtig beugte er sich herab und pflückte eine der Pergamentrollen, hob sie empor und öffnete sie. Eine stille Freude strahlte aus seinen Augen und das Lächeln verbreiterte sich in einer Art, wie die Realität sie ihm kaum jemals konnte abringen.
    "Es ist ein Epitheton ornans."
    Zufrieden hielt er das flache Blatt in den blaufarbenen Himmel, betrachtete wie das rotfarbene Blut der Schrift hinab auf die grünfarbene Wiese tropfte, und blies es sodann mit zartem Hauch in die Welt hinaus, wo es zu einem bleichen Segel sich aufspannte und im Fluss der Gezeiten hinfort fuhr. Zufrieden. Er war zufrieden und eins. Schmal führte der Pfad hinauf auf den Rücken des Federgetiers, vorbei an luftigen Höhen, hinab durch endlose Tiefen, gesäumt von diffusem Rauch, genährt von den Flammen eines fernen Brandes, dessen Äste dürr und kahl vor dem schummrigen Himmel prangerten. Mühelos streckte er seine Hand und zupfte eine schimmernde Träne aus Tau vom Horizont. Er drehte sich zu ihr, faltete den Tropfen und steckte ihn unter ihr Herz.
    "Ich wünschte, ich könnte sie dir schenken, denn nichts gibt es hier, was mehr zum Geschenk dir gereichte, doch gleichsam ist nichts mein Recht hier zu nehmen."
    Perlmuttfarben schimmerte der ferne Glanz, bedeckte des Vogels Schwingen mit blaufarbener Fluoreszenz, wie nur der endlose Ozean sie zu schenken vermag.
    "Mein Geschenk ist das Erkennen selber. Mein Hirte der Seele."
    Ihre Augen schienen ihn einladen zu Verweilen, zu Blicken, zu Erkennen. Wie alles in dieser Welt gehörte auch sie genau an diesen Ort, war ihre Anwesenheit in seiner Existenz vollkommen indispensabel und indisputabel. Wahr. Er sah in ihre Augen und wusste um Vollkommenheit. Er sah in ihre Augen und erkannte, dass der Tod nicht das Ende war. Mochten Städte fallen, mochten Heerscharen zu Grunde gehen, mochten Schiffe vom Meer verschlungen und der Himmel von Feuer überzogen werden, nichts würde je das Ende sein in ihrem Anblick.
    "Dir schenke ich, was niemand erfahren hat."
    Gleichsam war ihr Anblick nur mehr der Anfang, wie Tropfen eisig kalten Wassers perlte die Erregung seiner Sinne aus seiner Haut, den Rücken hinab und schlug Tausende winziger Dolche dort hinein.
    "Der Gott unter den Göttern. Der Kaiser unter den Kaisern. Der Strahlendste. Der Vollkommenste. Und der Schönste."
    Niemals.
    "Liebste. Du bist zurück gekehrt. Und einen Besucher hast Du mitgebracht?"
    Fahl schimmerte der Marmor, geädert mit blutfarbenen Rissen, während sich der Himmel in fliederfarbenem Glanze verlor.
    "Du"
    , keuchte er, drehte sich fort von ihm, zu ihr. Er blickte in ihre Augen und sah eine Welt, welche nicht existierte. Er blickte in ihre Augen und sah eine Welt, in welcher er wünschte zu sein.
    "Er?"
    Erneut die Drehung, nicht um sich selbst, doch die Welt um ihn, einem Glockenspiel gleich in hauchdünnem Odeur.
    "Warum sie?"
    War es Eifersucht, war es Unverständnis oder gar nur Erstaunen, welches sich durch seine Adern zog, Abbild des harten Steines? Wohl kumulierte sich alles in diesem Augenblick zu einer glänzenden Kuppel, einem gläsernen Dach, filigran wie eine Seifenblase, welche sich über die Szenerie hinab senkte und ihr den strahlenden Schein raubte. Verständnislos setzte er sich nieder auf einen goldfarbenen Löwen, an welchem der Rost bereits begonnen hatte zu nagen, versuchte einen Sinn zu blicken, welcher ihm eben noch vor Augen schien. Niemals mehr würde er jemanden finden gleich ihr, niemals wieder, scharfe Klingen und sterbende Rosen flehten darum, nicht sich abzuwenden, Halbgötter und hungrige Geister, Götter wussten, dass er nicht zuhause war.
    "Suchende suchen. Verlorene werden gefunden. Sie hat mich aufgespürt. Weil sie mich finden wollte."
    Die Lichter erloschen im Hauch des verlorenen Flackerns, Gezeiten brachen über den sanften Fluss der Wellen hinein, nicht Flehen, nicht Bitten konnte das Unabwendbare verhindern.
    "Erkennt das Theater des Lebens. Wir sind nur Puppen. Schatten der Götter. Sie lenken uns, sie führen uns. Das Schicksal ist finit."
    Ungesagte Worte zerteilten den Horizont, geschlossene Wände und ratternder Sand trieben den Strom des Vergessens nach Hause, nichts konnte ihn stoppen.
    "Keiner entrinnt dem Los, was uns beschieden wurde."
    Aus den Meeren hinaus in verpasste Gelegenheiten war er Teil des Allheilmittels gleichsam wie auch der Krankheit, doch er war und nichts anderes war vergleichbar.
    "Deus ex machina."
    Er war.
    Zu Hause.

    ~~~


    Die ersten Strahlen der frühmorgendlichen Sonne hatten den Horizont gerade erklommen, da erwachte Gracchus aus dem Schlafe, blickte blinzelnd in die farblose Welt über sich und sann darüber nach, was es gewesen war, welches er nicht wollte vergessen, sollte vergessen. Einer fernen Reminiszenz gleich wehten Fetzen der Erinnerung aus seinem Traume zu ihm, ein Vogel, ein Tautropfen auf blasser Haut, doch nichts ließ sich in Sinn bringen, nichts bot Halt. Es war wichtig gewesen, doch er hatte es vergessen. Der Platz neben ihm war leer, Sciurus also bereits aufgestanden, so dass auch Gracchus nun die Decke zurück schlug, sich langsam aufsetzte und seine Glieder streckte. Seit langem war sein Schlaf nicht mehr in dieser Art erholsam gewesen und es war darob ein guter Anfang für einen guten Tag.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Sanft und samtig bogen sich die wolkenen Fahnen im Wind, beugte sich das weiche Gras unter seinen Füßen dem Echo der Sonne, verblasste der wehende Habicht im Ultramarin des Staubes, in welchem kleine Fußabdrücke von ihrer Anwesenheit kündeten. Befremdlich schien ihm der Augenblick, apart der Ort, denn das ferne, lachende Knistern des Wasserfalles wollte nicht hierher gehören. Die Beklemmung schwand indes, als das gewaltige Ungetüm, die schattige Schlange sich vor ihm aus dem steinernen Grund erhob und den luftigen Raum umrundete - eingesperrt, eingemauert, dem gab es kein Entrinnen und keine Flucht, doch gleichsam gab es keine Okkupation von außen, keine Penetration, keine Invasion, niemand konnte den Frieden und die Stille mit seinen Blicken rauben.
    "Jeder ist einsam. Egal womit er sich täuscht."
    In den Horizont stand der Schriftzug matt gezeichnet, auf güldenem Pergament mit Tinte aus Pech, verraucht im Augenblick des Erkennens. Nach der Täuschung folgte nur das Ent-täuschen, doch er folgte ihr klandestin auf leisen Sohlen, verwischte sie, blies sie hinfort mit dem sanften, warmen Odem des Zephyrus.
    "Träget das Schicksal dich, so trage du wieder das Schicksal.
    Folg ihm willig und froh; willst du nicht folgen, - du mußt."

    Behutsam beugte er sich zu ihr nieder, hob ihren Körper auf, eine wiegende Feder in seinen Armen, ein kostbares Kleidod in seinem Herz.
    "Muss ich."
    Je näher er dem gewaltigen Wurm entgegen trat, desto mehr erschloschen von den flackernden Fackeln, welche dort oben auf dem schuppigen Buckel in weißfarbenem Feuer brannten.
    "Viel tiefer nur ist zu finden, was des epiphanen Minotaurus' Esprit verbarg und ein einziger Faden nur führt durch das Labyrinth, an dessen Ende des Damokles' Schwert auf uns wartet. Es ist dir überlassen, ob du ihn spinnen, bemessen oder durchtrennen willst."
    Weit öffnete die Hydra ihr Maul, entließ nebelfeuchten Odeur ihnen entgegen, welcher Augenblicke nur die Sicht verbarg auf spitze, scharfkantige Zähne und blutiges Fleisch. Unerschrocken trat er über die Grenze hinüber, die steinerne Höhle über sich und setzte sie auf der weichen, rotfarbenen Zunge ab.
    "Komm. Wenn der Morgen Gestern wäre, so könnten wir das Heute genießen, doch es bleibt nicht die Ewigkeit beständig."
    Er ergriff ihre Hand und wies in die Finsternis hinein, an deren Ende ein glitzerndes Feuer loderte. Ohne einen Schritt zu tun, flog die Welt an ihnen vorüber, Abbild der Wirklichkeit, Spiegelung des Seins, Zerrbild aus Splittern der Unendlichkeit, und fern gleitete der knöcherne Torwächter an ihnen vorbei, lange, nachdem sie längst die Pforte hatten durchbrochen.
    "Leid ist das Leben. Nur die Würdigen erheben sich darüber hinweg. Sind wir würdig?"
    Merkwürdig. In sonderbarer Manier erhob sich ein filigran gewundener Schlüssel. Fragwürdig. Jeden Tag, jede Nacht erneut im Zweifel geboren. Glaubwürdig. Denn nichts konnte je realer erscheinen als jenes, was der Geist sich selbst hatte erschaffen. Liebenswürdig. Nichts anderes konnte ihr als Panzer angedeihen. Ehrwürdig. Denn nichts war Profanes an ihr, in diesem Augenblick, da die Schönheit sich aus ihrem Wesen erhob.
    "Vollendet ist der Mensch. Schön ist er. Wenn er rein und lauter ist. Einem Vogel verwandt erhebt sich seine Seele über die Götter. Sie neiden uns. Weil wir größer als sie sind. Darum strafen sie die Sterblichen."
    "Nicht neiden, nicht strafen kann das Prinzip, denn von Emotio ist es frei. Es ist wahrhaftig, nicht mehr, nicht weniger. Wie kann Schönheit über Schönheit sich erheben, wie kann Wahrheit wahrer sein denn wahr? Einzig der unbedarfte Mensch drängt die Götter in eine Hülle, gibt Stimme und Zorn, denn der unbedarfte Mensch ist es, der die Götter braucht, nicht die Götter den unbedarften Menschen."
    Seitlich des Weges wuchsen vögelne Köpfe aus der tönernen Erde, schillerten Fragmente eines verlorenen Lebens wie nasse Perlen im Grund. Gleißend spiegelten sich die Strahlen einer nicht vorhandenen Sonne im silbernfarbenen Glanz eines schmalen Dolches, welcher dem Berge im Leibe steckte, welchen eben sie bestiegen.
    "Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit.* Nicht Emotio leitet noch den Episit, denn einzig der Drang nach Leben, ein jener Drang, welcher gänzlich unbekannt der Wahrheit ist."
    Vorsichtig hob er seine Hand und strich in zärtlicher Art über die schimmernde Klinge - kalt war sie, gleichsam brannte seine Haut wie von Feuer verzehrt- umrundete die kantige Falte und zog blutend seine Hand zurück, um sie vor ihren Augen zu präsentieren.
    "Wann war je der Mensch schön und lauter, der er seinem Gegenüber einzig neidet, weil es größer ist, als er? Wann war rein der Mensch, der zerfressen von Gier und Neid die Schönheit vor seinem Auge nicht zu denken vermag, die Wahrheit aus seinem Ohr vertrieb und die Wahrhaftigkeit aus seinem Munde spuckte?"
    Trostlos war die Wahrheit in ihrem Angesicht.
    "Die Wahrheit kann ohne die Lüge nicht leben."
    Tonlos barst der Spiegel, zersplitterte in Tausende Scherben, welche in sprödem Regenschauer sich auf sie hinab senkten, sie bedeckten mit einem funkelnden Film aus Schuppen, von welchen die mauvefarbene Flut wurde in hauchdünnen Strahlen zurück geworfen in die unwirkliche Welt.
    "Das Schöne besteht nicht ohne das Hässliche. Licht ist blass ohne die Dunkelheit. Die absolute Wahrheit ist eine Lüge. Ein obligates Paradoxon."
    Nivellierung, Kompensierung, Egalisation, sie war ob seiner Selbst, sie war ob seines Lebens wegen, das Paradoxon seines Selbst zu lösen. Weißfarben ihre Hände, welche die seinen - schwarzfarben - umfassten, kalt ihre Berührung, welche sich mit der Glut seines Körpers vermischte, nah ihr Hauch auf seiner Ferne, leicht durchdrang sie die Schwere.
    "Die Vögel tanzen. Die Fische fliegen. Wollen wir ihnen folgen? In das Reich der ewig Lebenden."
    Sie verschlang ihn, er verschlang sie, träge zerflossen ihrer beider Leiber zu graufarbener Existenz, lösten sich in granulare Partikel, lösten sich in kakophonischer Harmonie, einer Kaskade aus Stille unterworfen. Ein Flüstern aus schwerem Hauch, leichter Odem, welcher in der Luft zu Eis gefror, nicht von ihr, nicht von ihm, von irgendwo aus der Unendlichkeit, nahe dem Ursprung, nahe dem Ende, aus ihnen heraus, der homogen divergenten Anomalie im Gefüge der Traumweberei.
    "Ich bin die Wahrheit. Ich bin die Lüge. Ich bin die Dunkelheit. Ich bin das Licht. Ich bin der Tod. Ich bin das Leben. Ich bin der Fluch. Ich bin die Hoffnung."
    Stille.

    ~~~


    Erst ein sanftes, zufriedenes Brummen durchbrach die Stille wieder, ein leises Rascheln und die Wärme eines Körpers. Es war Gracchus, welcher den anbrechenden Tag mit seinem Brummen begrüßte, die mit Schwanendaunen gefüllte warme Decke, welche über den beiden Leibern raschelte und Sciurus' Körper, welcher warm neben dem seines Herrn lag und Grund für dessen Zufriedenheit war. Behutsam strich Gracchus über die feinen, kaum sichtbaren Linien auf Sciurus' Rücken - Spuren eines längst vergangenen Lebens - fuhr den Nacken, den schmalen Hals hinauf, grub seine Hand in das blonde Haar und sog den Odeur des Sklaven ein. Wiederum brummte Gracchus.
    "Lass das Frühstück heute außer Acht. Mir steht der Appetit nach anderem"
    , flüsterte er begierig in des Sklaven Ohr und begann hernach, sich zu nehmen, nach was es ihm verlangte, ehe der Tag seinen Anfang nahm.




    Sim-Off:

    * Plautus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch, wenn er nicht weiß, welcher Art [sein Gegenüber] ist.

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  • Die villa war still geworden über Nacht, die arbeitenden Sklaven, die noch immer besorgt waren, uns ihren Dienst zu erweisen, um nicht bestraft zu werden, hasteten auf leisen Sohlen durch die Korridore, hoffend, niemanden zu stören, nicht bemerkt zu werden - allerdings, wer diese Elegie der Stille störte, war kein Sklave, sondern ich. Ich rannte ausgesprochen unpatrizisch von der porta durch das atrium, gönnte den Ahnenmasken im Nebenraum nicht einmal den sonst üblichen Blick, hätte fast eine nubische Putzsklavin zu Fall gebracht, die ansetzte, sich eilig zu entschuldigen, und die ich doch in meiner Hast fast gänzlich übersah - sie hätte wohlgeformt sein können wie Venus selbst und ich hätte sie höchstwahrscheinlich immernoch nicht bemerkt.
    Ein einziger Raum war es, nach dem es mich verlangte, nur dorthin wollte, musste ich: Schon donnerte meine Faust gegen das edle Holz, reichverziert, sorgsam gearbeitet, ein Meister seines Fachs hatte sich um diese wichtigen Bestandteile der flavischen Villa gekümmert, und auch dies bemerkte ich nicht.


    "Manius! Manius! Wach auf!" Schon hatte ich die Tür geöffnet, damit rechnend, entweder gleich rückwärts wieder hinaus zu fliegen oder meinen Vetter mit Sciurus im Arm in seinem Bett liegend anzutreffen, doch das Bett erwies sich als leer, war er vielleicht ausgegangen? Oder noch in seinem Arbeitszimmer? Ich blickte mich rasch um, und was mich sonst hätte innehalten lassen - sein Gemach, sein Duft, das Bewusstsein seiner häufigen Gegenwart, alles so geformt und eingerichtet, wie es ihm gefiel und ihm allein - berührte mich heute keinen Augenblick lang, konnte mich nicht so bewegen, wie es sonst geschehen war.
    An einem einzigen Tag in meinem Leben war ich mir der überbordenden emotionalen Bindung zu ihm nicht so bewusst wie sonst, ein seltener Glücksfall, ein Geschenk der Götter? Oder nur geboren aus der Notwendigkeit, meine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren?
    Da endlich, ich vernahm die Schritte, nicht zu leicht, nicht zu gewichtig, überlegend, wie so oft, wenn er in Gedanken versunken war - er kam den Korridor entlang, wohl auf dem Weg in sein cubiculum - und ich eilte ihm entgegen, mit fliegenden Fahnen, nein, eher fliegender tunica. "Manius! Es ist geschehen! Es ist passiert! Ich bin Vater, Vater eines gesunden Sohnes!"

  • Die Sonne war längst unter gegangen - früh geschah dies bereits, da die Tage kürzer wurden - doch die Tage des Manius Flavius Gracchus wurden entgegen dem Rhythmus der Natur wieder länger. Wo noch er in der Woche zuvor erst spät am Tag sein Cubiculum hatte verlassen und gleichsam früh dorthin zurück gekehrt war, da ohnehin nichts ihn umtrieb, da kehrte er ihm dieser Tage bereits den Rücken wenn die Sonne gerade sich zaghaft anschickte, den Himmel zu erkunden, und fand sich erst spät wieder darin ein, wenn längstens die Dunkelheit Rom in seinem festen Griffe hielt. Noch nie hatte er viel des Schlafes bedurft und nun, da endlich er wieder einen Sinn hatte in seinem Leben, zog nichts ihn in sein Bett, solange sein Geist noch in wachen Sinnen wandelte. In wachen Sinnen jedoch war nicht notwendigerweise immer identisch mit den Räumlichkeiten, welche seine Füße durchschritten, so dass Gracchus seinen Vetter erst bemerkte, als jener in freudiger Euphorie auf ihn zu eilte und ihn mit der seiner Sicht nach frohen Kunde überschüttete. Ein wenig überrascht war Gracchus ob der Tatsache der Vaterschaft seines Freundes, denn in den ersten Augenblicken wusste er nicht, wie Aquilius ohne Gemahlin zu einem Sohn sollte gekommen sein, doch die Erinnerung an jene merkwürdige Episode im Leben seines Caius drängte sich baldig in seine Sinne.
    "Tatsächlich?"
    Die Begeisterung auf Gracchus' Antlitz wie auch in seinem Inneren hielt sich in äußerst überschaubaren Grenzen. Was sollte er seinem Vetter und liebsten Freund sagen? Dass Kinder ein schlimmeres Mysterium denn Frauen waren, dass ihm als Vater eine gar furchtbare Zeit würde bevorstehen? Oder das der Junge trotz allem immer nur ein Bastard würde sein, welcher niemals würde in irgendeine Welt Einzug finden, nicht in diejenige der Patrizier und vermutlich auch nicht in diejenige der einfachen Bürger? Er bemühte sich um ein Lächeln und rang sich schließlich eine Umarmung ab, da er wusste, wie viel dieses Ereignis seinem Vetter bedeutete, und immerhin - wäre nicht er selbst längstens über einen Bastard erfreut, da dies die Zweifel um seine persönliche Unfähigkeit zur Zeugung würde endlich hinfort wischen? Wie viele Betten hatte Caius je durchstreift, ohne sein Erbe einer Frau zu hinterlassen - ein glücklicher Umstand natürlich, doch womöglich waren auch in ihm ob dessen Zweifel erwachsen.
    "Ich freue mich für dich, Caius."
    Kurz nur währte die Umarmung, viel zu kurz die enge Berührung, das leise Knistern zwischen ihren Körpern, der wehende Hauch Aquilius' Odeur, gleichsam konnte Gracchus nicht endgültig sich von ihm lösen, ließ eine Hand auf der Schulter des Freundes ruhen, nur um nicht irgendwann vergessen zu müssen, wie dies sich anfühlte, wie wundervoll, wie überwältigend, wie wahr.
    "Es ist schon spät, doch es ist niemals zu spät, ein solches Ereignis zu feiern, nicht wahr? Ich wollte mich ohnehin noch ein wenig dem Thyestes Senecas widmen, doch viel lieber als dem Tyrannen widme ich mich dem Freund. Zudem genießen wir noch immer das Privileg, für einen guten Schluck Falerner keinen Fuß vor die Türe setzen zu müssen, denn Felix hat kaum etwas von seinen Vorräten aus dem Keller mitgenommen, vermutlich lagern die wahren Schätze ohnehin längst auf Sardinia. Zudem gibt es tatsächlich noch mehr freudige Begebenheiten zu feiern."
    Ein schalkhaftes Glimmen stahl sich in Gracchus' Augen und seine Lippen kräuselten sich in pueriler Vorfreude.

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  • "Tatsächlich!" antwortete ich bekräftigend, und die Freude über diese Vaterschaft war an mir wohl kaum zu übersehen. Welchen besseren Beweis für die Gnade der Götter konnte es schon für einen Mann geben, als das Wissen darum, fruchtbar zu sein und Söhne zeugen zu können? Mit niemandem sonst wolte ich diese erste Freude teilen denn mit meinem Seelengefährten Manius, egoistisch hatte ich die Neuigkeit bewahrt, bis ich die Zeit dazu fand, ihm alles zu erzählen. Die kräftige Umarmung, die auf die Neuigkeit folgte, schien mir viel zu kurz zu sein, aber sie waren es immer, wir berührten uns so wenig, dass mein Körper viel zu leicht darin verlockt wurde, ihn über Gebühr in meiner Nähe zu halten. Dennoch, gänzlich riss der Kontakt nicht ab, und ich bekräftigte die Geste dadurch, dass ich meine Hand auf seinen Oberarm legte, eine so freundschaftlich-männliche Haltung, dass uns kein neugieriger Zuschauer irgend etwas hätte andichten können.


    "Der Tyrann kann warten, heute haben wir etwas zu feiern, Manius. Alle Schriftrollen der Welt können heute ruhen und meinetwegen verschimmeln - na gut, nicht alle - heute will ich einfach nur den Tropfen der Freude kosten, von dem wir beide viel zu selten trinken können. Ausserdem gibt es da etwas mit Aristides, worüber ich mit Dir sprechen muss, und ... auch etwas anderes über die Zukunft. Wir sprechen zu selten miteinander, mein Freund, viel zu selten ... und ich gedenke das zu ändern, wo es möglich ist, ohne Deinen und meinen Tagesablauf zu sehr durcheinander zu werfen," erwiederte ich, aber die Neugierde auf seine Neuigkeiten stahl sich ebenso in meinen Blick, wie mich sein schalkhaftes Lächeln erfreute. Wann hatten wir schon die Gelegenheit, so frei miteinander umzugehen, so locker und so unbeschwert?

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