Sinnierend lehnte sich Marcus zurück. Manchen Männern sagte man nach, daß sie ihre Tiefsinnigkeit am Grunde eines Bechers Wein fanden. Bei Marcus war das mit Sicherheit manchmal auch der Fall, doch viel öfter überkam ihn das am Tage nach einer durchzechten Nacht, wenn eine gewisse Melancholie und die profanen Kopfschmerzen ihn ergriffen. In seinen Gedanken ging er immer und immer wieder das Wort durch. Es klang erhaben, er mußte es sich auf jeden Fall gut einprägen, vielleicht konnte er es eines Tages ausnahmsweise passend in eine Konversation hinein streuen.
„Auch das ist wahrlich ein erhabenes Wort. Altruistisch und somit selbstlos. Fein, sehr elegant. Weißt Du, Manius. Manchmal bedauere ich es doch sehr, kein allzu eifriger Leser zu sein. Ich gebe ja zu, daß die Schuld alleinig bei mir liegt. Wenn ich mich ein wenig mehr bemühen, ein wenig mehr meinen Geist anstrengen würde, aber wenn ich die ersten Zeilen einer Schrift sehe, ergreift mich jedes Mal eine unsäglich und bleierne Müdigkeit. Aber mein Faible liegt einfach woanders...“
Mit einem bedauernden Lächeln sprach er jene für ihn manchmal doch bittere Erkenntnis aus. Wie viele in der Familie waren gebildet, klug und gewitzt? Fast alle! Er war es nicht. Sicherlich, nicht überall war er ein grober und unsensibler Klotz, wie wohl manche von ihm dachten. Die Musik, er liebte die Musik über allen Maße, wenn er auch nicht oft zu jenem Zeitvertreib kommt und es auch nicht sonderlich angesehen war, selber das Instrument zu ergreifen. Früher hatte er das jedoch oft getan und mit ausgesprochner Fröhlichkeit und ergriffenen Gefühlen. Marcus fing langsam an mit dem Stuhl zu wippen, wollte das Thema jedoch noch nicht ganz verlassen und in die Wüste schicken.
„Caius hat mir vor einigen Monaten mal ein Band von einem römischen Dichter ausgeliehen. Ich konnte ihn einfach nicht zu Ende lesen. Es ging nur um Liebe, Liebe...Ich weiß, Frauen schätzen dieses Thema sehr, doch mir ist es eher ein Lästiges. Außerdem was soll man mit der Liebe, wenn man alleine unter Tausenden Männern in einem Kastell sitzt und die nächste Frau, der man die Liebe schenken kann, Hunderte von Meilen entfernt ist, in eine völlig anderen Provinz hin verreist ist?“
Marcus seufzte leise und seine Gedanken schweiften zu der schönen Lucilla. Die Nachwirkungen des Weines verstärkten seine dunklen Säfte noch mehr und er konnte es nicht lassen mitunter noch mal zu seufzen. Heirat? Tochter? Mitgift? Das waren alles Themen, mit denen sich Marcus nie auseinander gesetzt und hat das wohl auch nicht oft tun würde. Seine Mutter- Sehnsucht nach ihr stieg in Marcus auf- würde das alles zur rechten Zeit klären und auch für die Mitgift sorgen, so hoffte Marcus.
„Arrecina...ja..“
Mehr als dieses Murmeln bekam Marcus auch nicht mehr zustande, denn der Fluch schwebte wie ein Verhängnis über sie alle. Schnell wischte er ihn aus den Gedanken, er würde gleich noch mit Gracchus darüber sprechen müssen. Reminiszenz? Verständnislos sah Marcus seinen Vetter an. Bezog er sich damit auf Marcus Gedanken- die er wohl kaum erahnen konnte- oder auf den Brief? Gestern bis heute?
„Was soll verklungen sein, Manius? Herrje, Manius, machst Du das mit Absicht, oder merkst Du es schon nicht mehr, wenn Du solche absonderliche Worte benutzt? Aber nun ja, man merkt Dir an, daß Du nun mal ein Gelehrter bist, und ein seltsamer Kauz dazu.“
Marcus grinste und stutzte. Ihm fiel dabei etwas auf. War der Kauz nicht das Tier der Athene, die gleichzeitig die Göttin der Gelehrten war. Ihm kam der Gedanke, ob man daraus nicht ein kleines Bonmot formen könnte.
„So ist es, ein gelehrter Kauz bist Du...verstehst Du? Wegen Athene, diese komische Eule war doch...“
Marcus konnte nicht fortfahren, so sehr mußte er über seinen eigenen Witz lachen. Sein vom Exzerzierplatz, Wind und Sonne gebräuntes Gesicht wurde tiefrot, seine Augen zogen sich zu funkelnden Schlitzen zusammen, und sein kollerndes Lachen füllte den Raum.
„Herrlich, Manius. Ha, ha, ha! Aber eigentlich…”
Mühsam japste Marcus nach Luft und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Erst als er sich einigermaßen beruhigt hatte, nur noch leise gluckste, wandte er sich wieder der ernsten Materie seines Besuches zu.
„...eigentlich wollte ich noch etwas Ernsthaftes mit Dir besprechen. Das mit dem Brief ist jetzt nicht so eilig...aber das mit dem Fluch schon. Was meinst Du, Manius. Du hast Arrecina doch gestern erlebt. Was ist jetzt zu tun?“