Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • Während ich im Geiste schon einen Brief aufsetze, um Labeo und Cincinnatus am 3. Tag einzuladen oder in deren Villa vorzusprechen und mir überlege, ob ich Attalus kopfüber in den Puls-Topf oder auf kleiner Flamme mit in geharztem Wein schmoren sollte, sind wir eigentlich so gut wie fertig. Onkel Gracchus ist Lage um Lage zu einem Senator Roms mutiert, die Falten liegen wie gemeißelt. Kurz, M. Fl. Gracchus locutus, audientia finita, oder so.


    "Hm, nein, Onkel Gracchus. Das ist es schon im eigentlich. Ich will Dich nicht weiter aufhalten." Ich ordne meine eigenen, vergleichsweise schlappen Falten und bewege mich, ohne mich abzuwenden, in Richtung Tür. "Vielen Dank, ich freue mich, daß wir etwas zu den Saturnalien unternehmen und Leute einladen." :)


    "Flavius Quirinalis ... er ist wohl nicht mehr in Rom, naja." fällt mir noch beiläufig ein; ich erinnere mich, daß Quirinalis ja auch ein Flavier ist, und er wirkte flott genug, um Stimmung in ein Fest zu blasen.

  • In Gedanken bereits entfernt in der Regia und beim Wohlergehen des römischen Reiches, dessen Wahrung noch immer besorgniserregend im Schwanken inbegriffen war, schob Gracchus förmlich seinen Großneffen vor sich her aus der Türe des Cubiculum - er hätte vermutlich niemals geglaubt, je ein solch ausfüllendes Wesen zu besitzen und würde dies vermutlich auch nicht, wollte irgendjemand ihn dieser Tage darauf hinweisen. Beinah war bereits er mit einem verabschiedenden Gruß auf den Lippen an Lucanus vorbei getreten, als Gracchus inne hielt und seinen Großneffen mit durchdringendem Blicke taxierte, augenblicklich schien die Temperatur innerhalb der Mauern der flavischen Villa jener eisigen Kälte zu gleichen, welche diesen Monats die Natur umgriffen hielt.
    "Flavius Quirinalis ist nicht Teil dieses Hauses."
    Fest waren Gracchus' Kiefer aufeinander gepresst, so dass seinen Worten ein leichtes Zischen anhaftete. Ein perniziöses Funkeln flackerte in seinen Augen auf, welches in Diskordanz zu seinem sonstig überaus konzilianten Gemüt stand und ihn für einige Herzschläge lang seinem Zwilling äußerst similär zeigte, ehe es erlosch und seine Stimme wieder einen moderaten Klang annahm.
    "Er mag sich diesen Namen erschlichen haben, doch dies macht ihn nicht zu einem Mitglied dieser Familie."

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  • Und erneut überzieht alles eine fingerdicke Rauhreifschicht, die Die Falten unserer Togen sind endgültig erstarrt und sehen aus, als seien sie aus Kalksandstein, fast vermute ich auch Reif an den Augenbrauen und in den Haaren meines Onkels - ich muß schneeweiß geworden sein, vom Anhauch der flavischen regina nivis. Gleich zieht er seinen Eisdolch und rammt ihn mir ins Herz um jegliche Regung in mir erfrieren zu lassen ... der Dolch zittert in der Scheide, als wolle er gleich herausspringen, aber: Jede Geschichte braucht ab und an ein "aber", sonst gäbe es nur Kurzgeschichten. (Und diese meine Geschichte dauert noch 'was. Gellt, Ihr Götter? In dieser Frage laß' ich weder ein "Nein", noch ein entschiedenes "Vielleicht gelten!)


    "Verzeih' Onkel Flavius, ich wollte Dich nicht aufregen." :verbeug: (He! Hat jemand mal Baldrian oder Riechsalz da?) "Aber ich kenne die Geschichten unserer Familie nicht, ich tappe herum wie ein Reh im Schnee, das hie und da einen Strauch aus der dichten weißen Decke wachsen sieht, aber nicht weiß, was alles sich darunter verbirgt." Vielleicht tust Du mir ja den Gefallen und zeigst mir ein wenig, was unter der Decke ist ... ?

  • Der Gesichtsausdruck seines Großneffen ließ Gracchus seine letzten Worte retrospektieren und sich seiner unangemessenen Echauffiertheit und der inadäquaten Zurschaustellung dieser bewusst werden. Es war nicht einzig das angeschlagene Wohl des Staates, der noch immer ungesühnte Frevel des Mordes an der Virgo vestalis maxima - seiner Schwester -, die seit längerem ausbleibenden Nachrichten aus Parthia und die Stagnation hinsichtlich seiner Bemühungen zur Zeugung eines Nachkommens mit der Sklavin Salambo, welche an seinen Nerven zu zerren vermochten, zudem drängte tief in ihm eine Euphorie nach Außen, wollte sich seiner bemächtigen ob der Geschehnisse in Verbindung mit Caius, welche doch keinen Platz hatte in dieser Welt, kein Recht empor zu steigen und sich in all ihrer deletären Erfüllung zu präsentieren, weshalb ein Gutteil seiner Bemühung schlussendlich gegen sich selbst musste gerichtet werden, was nicht eben der Ausgeglichenheit seines Gemütes zuträglich war.
    "Es gibt nichts zu exkulpieren, kannst du doch nicht darum wissen. Ich bin derjenige, welcher um Exkulpation muss bitten. Es wäre besser, du würdest niemals erfahren, was unter dieser weißfarbenen Decke sich verbirgt, denn es ist die Couleur der Schande und Schmach, und doch ist es auch dein Erbe, dies auf deinen Schultern zu tragen."
    Er drehte sich zurück in den Raum und betrachtete still den schmalen Tisch und die einfachen Stühle darum herum, drei an der Zahl. Dieser Platz war letztlich wohl ebenso gut, wie jeder andere, um zu Sitzen, denn dass es ein wenig länger würde dauern, dessen war Gracchus sich gewahr, war er doch kein Mann kurzer Sätze.
    "Es ist eine schwere Kost, lasse sie uns nicht im Stehen einnehmen."
    Ein Wink deutete auf die Stühle hin und Gracchus selbst nahm auf einem dieser Platz, wartete, bis Lucanus dies ebenfalls getan hatte.
    "Zuforderst, niemand in dieser Familie kann von sich behaupten, einem Zweig ohne Makel zu entspringen, lass niemals dir dies von irgendjemandem einreden. Du brauchst auf die Fehler deiner Familie nicht stolz sein, doch du brauchst dich ob dessen von niemandem demütigen zu lassen. Allgemeinhin wirst du in diesem Haus dem Unmut auf die hispanischen Flavier begegnen, doch es ist ein aussterbendes Relikt der Vergangenheit, ein krudes Gedankengebäude zudem, welches ich selbst nie durchdrungen habe, da es wahllos die Zweige zu vermischen sucht. Einerseits umfasst es den sogenannten hispanischen Zweig, die Nachkommen des Atticus, ob ihrer Unfähigkeit wegen, inkludiert jedoch dabei auch völlig untadelige Mitglieder der Familie einzig aus dem Grunde, da ihr Leben in Hispania begann, andererseits umfasst es Teile des italischen Zweiges der Nachkommen des Felix, oder dem, was man dazu zählen muss, welche sich in Hispania niederließen und dort ihr wirres Machtwerk errichteten. Dein Urgroßvater Atticus und seine männlichen Nachkommen haben es bisherig nicht weit gebracht und konnten der Familie kaum zur Ehre gereichen, dies ist ein Grund, weshalb Aquilius sich bisweilen ein wenig schwer tut damit, seinen eigenen Wert anzuerkennen, obgleich es fürwahr keinen Anlass dazu gibt, an ihm zu zweifeln. Nun, du wirst selbst wissen, dass auch dein Vater sich nicht eben mit Ruhm konnte umgeben, ebenso wie deine Tanten, von welchen eine sich einem unbedeutenden Plebejer hingab, die andere sich in die Machenschaften des italischen Zweiges hineinziehen ließ. Interessieren dich die Details der Unzulänglichkeiten deines Familienzweiges, so solltest du besser Caius dazu befragen, er hatte Zeit seines Lebens weit mehr damit zu kämpfen als ich."
    Ein neuerlicher Wink zu seinem Sklaven Sciurus hin veranlasste diesen dazu, für eine Kanne frischen Wassers und zwei Gläser Sorge zu tragen.
    "Wenden wir uns darum den italischen Zweigen, zuerst dem des Corvinus und insbesondere seines Sohnes, meines Vetters Felix zu. Er selbst ist ein überaus integerer Mann, eine Stimme am Ohr des Augustus, doch leider ist um seine Salubrität es nicht bestens bestellt, darum er seit einiger Zeit bereits auf den Landgütern auf Sardinia weilt. Ich weiß nicht genau, weshalb, doch nahm er Flavius Catus, einen Mann aus einem weit entfernten Teil der patrizischen Flavier an Sohnes statt an. Jener Catus ehelichte eine Tiberia, Messalina Oryxa, eine machtgierige Person, welche einer Spinne gleich ihr Netz im Machtgefüge der Welt zu spinnen suchte. Was letztlich ihr Ziel war, kann ich dir nicht sagen - vermutlich wollte sie Catus auf den kaiserlichen Thron setzen und selbst wie einstig Livia regieren - doch im Zuge ihrer Machenschaften nahm Catus nicht nur den begnadigten Hochverräter Tiberius Vibullius als Sohn an und in die Familie auf, sondern zudem einen Prudentier, welcher deine Tante Calpurnia ehelichte, und ebenso jenen Quirinalis, ehemals Tiberius unter freier Selbstbestimmung, welchem du in unserem Hause begegnet bist. Selbst nach Catus' Tode noch versuchte Messalina ihre Pläne zu verwirklichen, was in einem Attentat ihres Sohnes auf den Imperator Augustus während einer für sie angesetzten Audienz gipfelte. Seit diesem Tage sind sie und ihre Bagage dem oktroyierten Vergessen anheim gefallen und es ist besser, wenn du ihre Namen niemals außerhalb dieser Villa erwähnst."
    Innerhalb dieser Villa war dies ebenfalls besser, doch Gracchus wollte Lucanus nicht gänzlich verschrecken.
    "Schlussendlich der italische Zweig meines Vaters Vespasianus, welcher durch seinen Erstgeborenen Animus mit Makel wurde befleckt. Er glaubte, sich über uns alle erheben zu können, strebte dem einzig wahren Gott der Christianer zu und schwang sich letztlich gar zu deren Oberhaupt auf. Die Götter selbst richteten über ihn in der Fremde, doch auch seinen Namen solltest du nicht in Publizität erwähnen, noch sein Bestreben."
    Letztlich hatte Animus in seiner Entscheidung zudem das gesamte Familiengefüge umgestürzt, hatte seine Brüder in Positionen gedrängt, zu welchen sie nicht bestimmt waren, doch Gracchus mochte nicht mehr ihm ob dessen zürnen, nachdem er sich längstens nicht mehr sicher war, zu was überhaupt er in dieser Familie bestimmt gewesen war. Er erwähnte nicht seinen Zwilling Quintus gegenüber Lucanus, denn um dessen Existenz und Sterben wusste nur Caius, zudem gab es keinen Beweis, dass er die Familie hatte mit Makel befleckt, selbst die Decima hatte nicht mehr als eine erzürnte Ohrfeige vorzuweisen gewusst. Ein marginales Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen nach all dieser Gräuel.
    "Möchtest du nun auch um die Vorzüge deiner Familie wissen, oder gereichen dir die Schandtaten zur Zufriedenheit?"
    Ein wenig kam Gracchus sich nun doch bereits wie der alte, Geschichten erzählende Onkel vor, dessen Dasein er gut und gerne noch drei weitere Dekaden in die Zukunft hätte verschieben mögen.

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  • "Es gibt auch Vorzüge?" Etwas plötzlich - und unbeabsichtigt ironisch - springen die Worte über meine Lippen. Vor lauter Namen und Verwandtschaftsbeziehungen, Intrigen und Komplotten schwirrt mir der Kopf. Das ist es also, womit Onkel Gracchus die ganze Zeit beschäftigt. Die Familie! eine wandlende Sammlung von Anekdoten und Stammlinien. Lauter mir unbekannte Leute, mein Großvater hat es seiner Meinung nach nicht weit gebracht, auch mein Vater ebenso nicht. Kunststück, wenn man schon in jungen Jahren stirbt und eine junge Frau mit einen Baby zurückläßt.


    "Ich meine, natürlich - jedes Blatt hat zwei Seiten und wenigstens Du und Onkel Aquilius erscheinen mir in jedem Fall auf dieser Vorzugseitse zu stehen, nicht? Nie hätte ich davon geträumt, so bei Euch" - in Euerer WG - "aufgenommen zu werden. Meine Mutter wäre Euch auf ewig dankbar, genauso, wie ich es bin. Ich hoffe, diese Vorschüsse eines Tages zurückzahlen zu können."

  • Ein leises Auflachen echappierte Gracchus' Kehle, welches selten sonstig zu hören war, selbst innerhalb der Mauern der Villa Flavia, und er konnte nicht das amüsierte Lächeln von seinen Lippen, das schalkhafte Aufleuchten aus seinen Augen vertreiben. Vermutlich würde der Geist Lucanus' Mutter sich jenen Ahnen anreihen, welche der flavischen Familie im Allgemeinen und Gracchus im Besonderen stetig im Nacken saßen, denn kaum schien es ihm, als hätte die Foslia ihren Sohn in flavischem Bewusstsein erzogen, mit Bedacht sicherlich, sondern ihn vor jenem Erbe zu schützen versucht, bis dies ihr nicht mehr war möglich gewesen und sie keine andere Wahl mehr hatte gehabt denn ihren Sohn dieser Last auszuliefern, welche nun Aquilius und er auf Lucanus' Schultern aufluden, einer Pflicht und Verantwortung folgend, welche stets von Generation zu Generation wurde weiter getragen, ohne dass die Gesamtheit wagte, sie zu durchbrechen.
    "Durchaus ist dein Zweifel gerechtfertigt, denn gar so zahlreich wie jene Makel sind die Vorzüge tatsächlich nicht, doch vieles wird durch Abstammung allein bereits ausgeglichen, durch unzählige, längst verblasste Namen einer alten, traditionsreichen, italischen Familie, und wer braucht schon den göttlichen Romulus in seiner Ahnenreihe, Aeneas gar, so er die Verbindung zu einem kaiserlichen Geschlecht kann nachweisen? Deinen Großonkel Felix erwähnte ich bereits, ehrwürdiger Senator und Mitglied des kaiserlichen consilium principis, als vermutlich einflussreichstes, noch lebendes Mitglied unserer Familie, dazu dessen Sohn Furianus, ebenfalls Senator und Proconsul der Provinz Hispania. Deine Großtante Agripppina, meine Schwester ... sie war ... die Virgo vestalis maxima ..."
    Er stockte, zögerte, suchend huschte sein Blick über die Tischplatte, ehe er leicht den Kopf schüttelte und fort fuhr.
    "Sie wurde ermordet, kürzlich erst, noch ist ... nichts ..."
    Mit einer unbestimmten Geste wischte Gracchus das Thema bei Seite.
    "Nun, ihr Glanz wird noch einige Zeit lang auf uns nach scheinen. Aquilius, ja, er stand schon immer auf der Seite der Vorzüge dieser Gens, mehr noch nun, da er sich dazu entschlossen hat, dies der Welt zu zeigen. Und ich ..."
    Den Kopf ein wenig schief gelegt sog Gracchus für einen Augenblick die Unterlippe zwischen die Zähne, zuckte hernach mit den Schultern.
    "Es gibt wenig Vorteile, ob deren es sich würde lohnen, mit mir verwandt zu sein. Bis auf den Umstand, dass die Obhut dieser Villa derzeit in meinen Händen liegt, und du darum ein Dach über dem Kopfe hast."

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  • "Ich muß zweifellos zugeben, Dich und Onkel Aquilius nicht zu kennen, das wäre auch nichts, das zu erwarten ich mich erdreisten würde, aber ich wage doch die Vermutung, allein, daß ich Euch beide zu meinen Oheimen und nächsten Verwandten habe, ist schon ein großer Vorzug." Ich nippe vordergründig hintergründig lächelnd an meinem Becher mit frischem Wasser, das über die kleine Anhöhe meines Zäpfchens in den Rachen die Speiseröhre hinabplätschert wie ein Gebirgsbach von der Höhe. Langer Satz, Onkel Gracchus zuzuhören ist anregend, sprachlich, aber auch inhaltlich.


    "Wir alle haben unsere - wie nennt man das korrekt auf Lateinisch? - unsere 'càmara de Barba Azul', wo wir uns oft nicht mal selbst hineintrauen, geschweige denn andere hineinlassen. Neben den kleinen privaten Kammern scheint die ganze Familie in einem Palatium voller solcher Kammern zu leben!" Ob er den Mythos des Fürsten mit dem blauen Barte kannte?


    Vom Tod der Vestalin hatte ich über Umwege gehört, direkt angesprochen hatte es aber noch niemand.


    "Es war ein schlechtes Jahr, ein trauriges Jahr, zweifellos, hoffen wir aber, daß es im nächsten wieder aufwärts geht. Der Tod von Flavia Agrippina ist ein großer Verlust, für den Staat, die Familie und zuerst natürlich auch für den Bruder" - ich mache eine fragende Miene? - "ich werde bei Gelegenheit in der Grablege meine Aufwartung machen." Und den Verlust einer der wenigen flavischen Frauen beklagen, auch wenn sie als Vestalin ja aus der Familie genommen war. "Es gibt wohl keine flavische Frau, die in die Reihen der Vestalinnen aufgenommen werden könnte?"

  • Nachdenklich nahm Gracchus den Becher vor sich und schwenkte die klare Flüssigkeit darin, als wäre es rotfarbener Wein, konnte gleichsam doch mit dem Blick nicht darin versinken, nicht eintauchen, da er ungehindert bis zum Boden des Gefäßes drang.
    "Die Kammern der Flavier sind wahrlich zahlreich und bei den meisten ist es sicherlich besser, wenn sie auf immer verschlossen bleiben. Dennoch, wir sind Flavier und dies verpflichtet. Es gibt keine Möglichkeit dieser Pflicht zu entkommen ohne die Familie in Schande zu stürzen und darob ihren Zorn auf sich zu ziehen. Ein glühendes Feuer wohnt uns inne, verborgen zumeist, hinter dicken Brandschutzmauern wie die Subura hinter dem Tempel des Mars Ultor, doch wenn es ausbricht, so ist es verheerend, verzehrend, alles um sich herum."
    Brach es nicht aus, so verzehrte es bisweilen schlussendlich seinen Träger selbst. Fort von den einengenden Grenzen des silbrigen Bechers hob sich Gracchus' Blick zu Lucanus, so beneidenswert unbeschwert schien dieser, sorglos, hispanisch vielleicht, ein wenig wie Caius. Wie der sorglos unbekümmerte Caius, welchen doch letztlich sein Erbe hatte eingeholt, welcher noch immer unbeschwert leidenschaftlich war, doch längst nicht mehr sorglos unbekümmert. Ohne einen Schluck von dem erfrischenden Wasser sich einzuverleiben, stellte Gracchus den Becher zurück auf den Tisch, da er eines klandestinen Zitterns seiner Hände wurde gewahr, welches nicht von der Kälte der Flüssigkeit herrührte, und ob dessen er diese ineinander faltete und auf der Platte vor sich ablegte.
    Es gibt kaum noch eine flavische Frau überhaupt. Leontia, deine Großtante, und Arrecina, die Tochter des Aristides, hat das Jahr uns ebenfalls geraubt, und obgleich sie keine vestalischen Jungfrauen waren, so waren sie doch ebenso unschuldig und rein, und es scheint fast, als würden die Götter solcherlei unbefleckte Makellosigkeit dieser Welt nicht mehr gönnen, da sie in so kurzer Folge sie aus dem Leben rissen."
    Zweifelhaft war an diesem Gedanken letztlich nur, was die Götter mit Quintus wollten anfangen, welcher fern von Unschuld und Reinheit gewesen war - selbst Gracchus, welcher nicht gänzlich um die Verderbtheit seines Bruders wusste, musste dies sich eingestehen.
    "So bleibt letztlich nur meine Schwester Minervina, doch sie ist kaum zur Vestalin geeignet."
    Er beließ es bei dieser Aussage, obgleich der Zweifel an ihrer Unschuld leise darin mitschwang.
    "Der Staat wird darum auf die nächste Generation Flavia hoffen müssen."
    Dies war ein Grund, weshalb Gracchus insgeheim hoffte, dass, so er überhaupt je einen Erben in die Welt würde setzen können, dies keine Tochter würde sein, denn ob der erlebten Diffizilität, einen Erben überhaupt zu zeugen, wollte er nicht den ersten und womöglich einzigen Nachkommen, welcher je ihm vergönnt würde sein, an den Cult der Vesta verlieren, so dass letztlich zwar einer Pflicht war genüge getan, doch das Fortbestehen seiner Linie nicht von Dauer war. Denn wie wohl jeder Römer aus altem Geschlecht, sorgte sich Gracchus um das Weiterleben seiner Familie. Er blickte zurück auf eine nahezu endlose Kette von Ahnen, von welchen jeder einzelne seinen Teil zur Größe der Gens hatte beigetragen, und es war eine seiner schwerwiegendsten Pflichten, jene Linie fortzusetzen, auf dass der Strom, welcher sich in eine ferne Zukunft sollte ergießen, nicht unterbrochen wurde.

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  • Meinen Onkel Gracchus zu beobachten ist - so scheint es mir -, als betrachte man ein Schauspiel, eine Pantomime im Kleinsten. Leichte Veränderungen der Hauttönung, ein fast unmerkliches Zittern der Hände, flüchtig wie der Augenblick, in dem es erfolgt, viele Momente der Abwesenheit, ohne die eigene physische Präsenz zu mindern, ein Mensch, der in Gedanken viele ungesehene und ungehörte Orte in kürzester Zeit bereist, für einen Wimpernschlag dort verweilt, aber weiterzieht, weil er überall einen Schatten sieht. Ein wandelndes Gedächtnis, das ist er wohl, ein Gedächtnis, das nicht die heiteren, sondern die trüben Stunden zählt. Ecce homo! Seht, ein Mensch, von Sorgen umgeben, Sorgen, die wie Bodennebel die Sicht und die Wärme der Sonne verschleiern. Ein Mensch, der in jeden Freuden auch die Leiden wahrzunehmen genötigt ist, der beim Aufbruch wehmütig an den Heimweg denkt und sich vor lauter Gedanken den Augenblick verdirbt.


    Ist man so, wenn man alt ist? Hat man zu viel erlebt, als daß man nicht den sorgenfreien Augenblick genießen kann, ohne an die vergangenen und unweigerlichen zukünftigen Leiden denken muß? 'Der Grübel ist ein Übel' sagt Pedro, 'schlag ihn, wo Du ihn findest, er ist das nutzloseste Vieh, was ist.'


    "Feuer muß nicht allein zerstören, es kann auch nur wärmen und erleuchten", sage ich, "man hat ja nicht nur die Wahl zwischen in Dunkelheit zu sitzen oder sich das Dach über dem Kopf abzubrennen, nicht? Der Mensch ist Mensch, weil er nicht nur seinen Leidenschaften folgt, sich von seinem Feuer verzehen läßt, sondern das , was ihn treibt, kultiviert und fruchtbar macht."


    Leontia, Arrecina, Minervina: lauter Namen ohne Gesicht, Worte ohne Bild. Wir wohnen in einem Palast, aber so wenige wir sind, würde auch nur ein kleines Haus ausreichen, so wenige sind wir wohl. Im Lararium haben's unsere Vorfahren beengter als die Lebenden im Haus darum. Umgekehrt wäre es schöner.


    "Ich hätte gerne Geschwister gehabt", knüpfe ich an die Genealogie an, "auch meine Mutter hat sich immer eine große Familie gewünscht, viele Söhne und Töchter. Bald möchte ich ihr wenigstens die ersehnten Enkelkinder schenken, wenigstens ein Dutzend!" :) Und Pedro, mein Herzensbruder, wird von allen Söhnen der Pate, lehrt sie schwimmen und fischen und ihren Vater nicht ganz so ernstnehmen, derweil ich auf der Veranda sitze und die Sonne über mein Gesicht wandern lasse, das Rauschen der Wellen, das Schreien der Möwen im Ohr.

  • Beneidenswert simpel schien die Welt durch Lucanus' Mund beschrieben, einem Ideal gleich, welches jeden Menschen sollte treiben, in welchem der junge Flavier zu schwelgen schien, zu schweben, so fern, so weit empor erhoben, ein wenig gleich Aristides, welcher ebenfalls immer auf einer diaphanen Wolke aus Leichtigkeit zu wandeln schien, unbesorgt, ohne Zweifel am Geschehen der Welt. Wohlweislich, dass wie dieser auch Lucanus seinen Einwand gewiss nicht würde tolerieren, verzichtete Gracchus, ihn darauf hinzuweisen, dass kaum je ein verheerendes Feuer im Ansinnen der Zerstörung entzündet worden war - im Kriege womöglich, bei Plünderung oder das ein oder andere im Wahn, doch oftmals war es nur eine Öllampe, welche Unachtsamkeit fallen ließ, eine Kerze, welche unbeaufsichtigt hernieder brannte, ein Holzscheit, welcher zu weit aus dem Herdfeuer lugte und brach, oder nur ein glühender Funke, welcher auf seine Umwelt übersprang. Es war ident bei all jenen Dingen, welche es zu bezwingen und bezähmen galt - mochten es Feinde, wilde Tiere, Feuer oder Leidenschaften sein - manch eines davon ließ sich überwältigen, befrieden, zähmen, in Ketten legen, in Zaum halten oder unterdrücken, manch eines davon bis an das Ende seiner Existenz, doch manch anderes begehrte eines Tages auf, entriss sich der Gewalt, breitete sich unkontrolliert aus und verzehrte alles um sich herum. Anderes starb in Unterdrückung. Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, ohne dass er sich dessen gewahr wurde, auch jene Thematik, zu welcher Lucanus das Gespräch hernach lenkte, war nicht eben dazu angetan, ihm die trüben Gedanken zu vertreiben. Eine große Familie brachte große Verantwortung und große Probleme mit sich, viele Tode und kaum einen Vorteil. Mit seinen eigenen Geschwistern hatte Gracchus nahezu niemals Freude oder auch nur Gemeinsames geteilt, zusammen gekommen waren sie ohnehin zumeist nur zu Beerdigungen, selbst unter einem Dach trafen sie selten aufeinander. Das einzige, was er je mit einem von ihnen hatte geteilt, war sein Antlitz mit Quintus, und selbst dies war nur der Oberflächlichkeit entsprungen.
    "So werden wir nach einer geeigneten Dame für dich Ausschau halten müssen, solch eine Angelegenheit sollte äußerst antizipierend begonnen werden - eine Aurelia womöglich, eventualiter ist Caius dort eine gute Verbindung bekannt, oder auch eine Tiberia."
    Womöglich auch eine Claudia, doch war dies längst kein Garant für ein Dutzend Nachkommen, nicht einmal für einen einzigen, wie Gracchus selbst aus eigener, schmerzlicher Erfahrung zu berichten wusste. Ohnehin war dies mit der Eheschließung nicht garantiert, es mochten Jahre vergehen, bald musste er bereits beginnen Jahrzehnte zu zählen, und schlechtestens würde er niemals wieder damit aufhören. Doch eben diese Thematik war es, über welche Gracchus keinesfalls bereits so früh am Morgen wollte sinnieren, da dies üblicherweise nur in einem vergeudeten Tag konnte enden. Darum straffte er seine Schultern und schob den Becher, aus welchem er keinen einzigen Schluck getrunken hatte, von sich hinfort.
    "Ich fürchte indes, es wird nun langsam Zeit, meinen Pflichten nachzukommen. Doch wir werden mit Sicherheit noch Gelegenheit finden, über diese Vermählung zu sprechen."

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  • Die Aussicht auf ein Dutzend Kinder im Haus scheint Onkeleins nicht sonderlich zuzusagen, jedenfalls heitert sich seine Miene nicht im geringsten auf. Im Gegenteil: er stöhnt leise leidend vor sich hin. Viele Kinder, viele Sorgen, oder wie? Ob ihn überhaupt je irgendwas aufheitert? Die Saturnalien? Ich habe da meine Zweifel. Aber vielleicht lernt er ja eine nette Frau kennen, die ihn zu nehmen weiß und die ihn auch zum Lachen bringt. 'Wer Sorgen hat, hat auch Wein' sagt Pedros Vater immer, wie ein Trinker benimmt sich Onkel Gracchus wenigstens nicht, auch wenn er den Eindruck macht, irgendwie benebelt zu sein. Wahrscheinich nur der Nebel der Trübsal. Ob er auch das Schwarze Grün kennt? Armer Onkel Gracchus. Am liebsten würd' ich ihn in die Arme nehmen und fest drücken.


    "Danke, Onkel Gracchus, daß Du Dir für mich und mein Anliegen Zeit genommen hast", er ist aus seinem Grün nach oben gestoßen und strafft sich, will auftstehen. Ob ihn jeden morgen sein Sklave weckt mit den Worten: "Es ist Zeit, aufzustehen, dominus Flavius Gracchus, Zeit, sich vor einem neuen Tag zu fürchten"? denke ich.


    "Wenn Du irgendeine Arbeit hast, bin ich immer bereit für Dich.- Und schön, daß Du mir hilfst, eine Frau zu finden, danke für Dein Wohlwollen."

  • Tatsächlich waberte der Nebel des Defätismus weit dichter und undurchdringlicher um Gracchus herum als Lucanus vermutlich je in seinem Leben würde ihn um sich verspüren, tatsächlich kannte Gracchus weit mehr Schattierungen von Grau und Schwarz als er Farben konnte benennen, und tatsächlich waren die euphorischen, die glücklichen, leichten, beschwingten Momente in seinem Leben so selten zu finden, dass es in seinem gesamten Gedankengebäude nur einen einzigen Raum gab, sie zu erinnern, abgesehen von jenen mit Caius, für welchen ein gesamter Flügel war reserviert, in welchem jedoch Desperation und Euthymie gegenseitig sich beinahe nivellierten. Womöglich hätte sein Leben divergent sein können, doch er hatte jenen Punkt versäumt, an welchem die Entscheidung getroffen worden war, so dass es längst kaum noch Entrinnen daraus gab. Er fürchtete nicht die neuen Tage, manches mal ertappte er sich gar dabei, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, da die Zukunft kaum noch konnte niederschmetternder sein als die Gegenwart - doch es waren die Tage, welche immer wieder auf ihn hinab stürzten, ihn unter ihrer Last erdrückten. Er sehnte weder Diskordanz noch Misere, doch er nannte ein darauf äußerst reagibles Gemüt sein Eigen, so dass es dem unbändigen Schicksal ein Leichtes war, ihn aus der Bahn des Alltages zu werfen und in Tristesse versinken zu lassen, in welcher er nur allzu leicht bis in die Tiefe hinab sich sinken ließ. Die Schultern gestrafft, die trostlose, fahle Idee seiner Selbst in seinem Inneren völlig in sich hinab versenkend und jenes Abbild des geforderten Flavius, jene kantige Silhouette aus Pflicht und Verpflichtung mit einem Hauch von Tugend, um sich hüllend, stand Gracchus auf.
    "So hoffe ich, dass du einen angenehmen Tag verbringen wirst. Gibt auf dich Acht, wenn du Aquilius durch Rom begleitest."
    Noch einmal zog er ein paar Falten der Toga zurecht - bis zum Forum Romanum hin jedoch würden sie ohnehin noch leiden, sodann verließ er den Raum, gefolgt von seinem Sklaven Sciurus.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Graufarben tropfte der kalte Regen vom fahlen Himmel herab, umspülte seinen Körper mit zarter Berührung, trieb seine Nadeln tief in die blasse Haut. Schritt um Schritt irrte er über den Pfad und versank in dumpfer Trägheit, bis dass deren Grund ihm bereits bis zur Hüfte stand. In einer langsamen Bewegung rührte er auf ihrer Oberfläche umher, ließ kleine Wellen enstehen, welche kreisförmig sich begannen auszubreiten, von ihm hinfort und auf ihn zu, um an seinen Körper zu branden, zurückgeworfen durch ihn die Perfektion zerstörten. Um ihn herum starb die Stadt, verbrannte in der Asche ihrer Unschuld und hinterließ nur eine Idee aus glitzerndem Staub. In einem schmalen Streifen aus purpurfarbenem Nebel zog seine Sehnsucht am Horizont vorüber und er hob seine Hand, um ihr zum Abschied hernach zu winken. In stetiger Präzision fraßen sich die Flammen der endlosen Weite durch die Szenerie, bis dass schlussendlich sie seine Konturen konsumierten, ein Hauch nur blieb von ihm bestehen, orangefarbene Flamme, heiß und unbeständig, in sich all jene liquidierend, welche er je hatte geliebt. Gierig fraß er Partikel um Partikel, granulares Element aus diaphaner Unbeständigkeit, delektierte sich am Odeur der Devastation, bis dass schließlich er sich selbst verzehrte. Rotfarben glühte die Asche seiner Seele, eine Unendlichkeit lang, bis dass die Kälte der Tropfen sie umgriff und erstickte.

    ~~~


    Ein Stein schien auf seiner Brust zu liegen, welcher schwer auf ihn hinab drückte, als Gracchus nach Luft keuchend erwachte, glaubte, ersticken zu müssen, bis dass Tränen ihm in die Augen stiegen. Noch halb im Schlafe ertrunken, treibend, richtete er mühsam sich auf, seine Lungen von der erdrückenden Last zu befreien, sog die abgestandene Luft der Nacht in sich und wischte die feuchten Perlen aus seinen Augenwinkeln. Er zog seine Knie an den Körper heran und bettete seine Stirne darauf, legte seine Arme um die Schenkel und verharrte so lange in eben jener Weise, bis dass die kalte Luft an seinem Rücken ihn sich der dort fehlenden Decke erinnern ließ.
    "Sciurus?
    "Ja, Herr?" tönte es von Nahe der Türe, als wäre der Sklave noch immer wach, oder schon wieder, als würde niemals er Schlaf finden.
    "Komme her. Wieso bist du nicht hier, bei mir?"
    Der Sklave erhob sich und trat zum Bett seines Herrn, verzichtete jedoch darauf, ihn dessen zu erinnern, dass er selbst ihn nach der allabendlichen Beiwohnung mit der Sklavin Salambó nicht mehr in seiner Schlafstadt wollte wissen.
    "Komm zu mir"
    , flüsterte Gracchus.
    "Mir ist kalt. Lege deine Arme um mich."
    Es war ein schlechter Ersatz nur, denn seit Gracchus wusste, wie es sich anfühlte, in den Armen Caius' zu liegen, wollte er nie wieder andere Arme um sich wissen, von ihm nur noch umfangen werden. Er sehnte sich nach seinem Geliebten, mehr als je zuvor, doch über das Sehnen, das Träumen und Erinnern schließlich glitt er erneut in Schlaf, umfangen von den Armen seines Sklaven.

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  • ~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Purpurfarbener Nebel säumte den Horizont, eine Idee aus roséfarbenem Glamour formte den Grund, welcher die Welt bedeutete. Aus der Ferne, und doch ganz nah an seinem Ohr, klang das zarte Streicheln einer Saite, das liebkosende Rühren des Trommelschlages und das harmonische Summen einer Stimme, deren epiphane Klangfarbe in transluzente Weite sich vermochte zu dehnen. Er selbst schwebte über den Boden hinweg, kaum vermochten seine Füße den Grund zu berühren, in fortwährender Drehung schwang sein Körper sich durch die Luft, umwirbelten seine Füße einander, die Arme gespreizt, im nächsten Augenblicke sich zu Heben, zu Beugen, in geschmeidiger Bewegung dem Körper Schwung zu verleihen, eins zu werden im Takt der Musik. Pastellfarbene Bänder aus transluzenter Nichtigkeit wallten um ihn herum, gleichsam mit ihm, schmiegten sich an die Konturen seiner Gestalt und umschmeichelten ihn in zartem Hauch. Verzerrt tanzte der mauvefarbene Schleier vor seinen Augen, ergoss sich in einen schwingenden Fall aus Purpur und Orange, Zwischentöne, ostinate Nuancierungen eines sehnsüchtigen, profunden Traumes, in unendlich tiefer Vibration des luziden Augenblickes, welcher schwindelnd ihn zurück ließ zwischen Zeit und Raum. Mit seinem Körper oszillierte seine Seele im Takte der Musik, drehte sich in fortwährendem Reigen und schwebte durch die Seligkeit, bis dass die Türe aufschwang.
    "Manius!?"
    Harsch durchschnitt die Stimme die Szenerie, Donnertosen gleich, traf ihn mit einer solchen Wucht, dass augenblicklich jede Bewegung aus ihm wich, er einzig unter ihrem Schlage wankte, taumelte. Mit offenem Mund starrte er sie an, denn nichts wusste er zu entgegnen, keine Rechtfertigung, kein Eingeständnis der Schuld, kein Wort des Widerspruches.
    "Du bist ein Römer, keine Lupa! Nimm dein Schwert und übe dich mit dem Gladius!"
    Karge Ödnis umfing seine Füße, harter, rissiger Grund, ausgedörrt und von Trockenheit überzogen. Unter jedem Schritt erbebte sein Körper, erzitterte die Rüstung an seinem Leib. Schwer hing das Gladius in seinen Händen, kaum konnte er es heben, kaum in Bewegung überführen. Dürre Sträucher streckten gierig ihre Klauen nach seinen nackten Schenkeln, rissen schmerzhaft über seine Haut und hinterließen darauf blutrotene Schlieren.
    "Soldaten! Angriff!"
    Markerschütternd hallte der Ruf des Praefectus über die Schlachtlinie hinweg und neben ihm stürmten seine Kameraden nach vorn, doch seine eigenen Füße waren schwer wie Blei, mühsam nur konnte einen vor den anderen er heben, die Rüstund drückte schwer auf seine Schultern, der Helm raubte jegliche Wahrnehmung. Blut schoss aus den Leibern der Soldaten, Mann um Mann fiel, da er unfähig war, den Kampf zu beginnen.
    "Bist du eine Lupa oder bist du ein Römer?"
    Die Wort hallten in seinem Kopfe wider, rüttelten an ihm, bis dass sein gesamter Körper erbebte. Tränen schossen über die Wangen des Jungen, das Schwert sank aus seiner Hand als er die Hände hob, um sein Gesicht darin zu verbergen.
    "Eine Lupa"
    , flüsterte er mit zittriger, weinerlicher Stimme.
    "Eine Lupa."
    "Eine Schande!"
    dröhnte die Stimme des Präfekten.
    "Eine Schande! Eine Schande! Eine Schande! [size=6]Eine Schande!"[/size]

    ~~~


    Erschrocken zuckte Gracchus zusammen und riss die Augen auf, sein Atem raste als würde er versuchen, sich selbst zu entkommen. Er blinzelte derangiert und hob eine Hand zu seinem Gesicht, wo Nässe sich in den Augenwinkeln hatte gesammelt. Stille durchzog den Raum, Kälte und das dumpfe Tuch der Nacht, welches jegliche Aktivität unter sich erstickte.
    "Er ist nicht hier, Manius, er ist nicht hier"
    , versuchte er sich selbst zu beruhigen, der Stille ihre furchteinflößende Macht zu entreißen. Doch als Gracchus zurück sich in sein Kissen sinken ließ, beschloss er, am nächsten Tage den Bann unter seiner Schlafstadt zu erneuern - nur, um sicher zu sein.

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  • ~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Stille rauschte durch die leblosen Gefilde der Welt, schwarzfarben und weißfarben, dazwischen Tausende und Abertausende Schattierungen des Grauen. Schroff und rau war der Stein zu seinen Füßen, unbehauener Fels ohne eine Spur der Vegetation, ohne weiche Flechten und sanfte Moose, ohne einen einzigen krummen Halm. Endlos die Weite, über ihm nur die finstere Kuppe des maroden Himmels, sternenlos, mondlos, bedeutungslos und sinnlos.
    "Hallo?"
    Dünn und fahl hallte seine Stimme durch die gierige Nacht, durchschlug die Stille gleich eines Paukenschlages und donnerte auf ihn hernieder, um unter ihrem scharfkantigen Geröll ihn zu erdrücken.
    "Hallo?"
    wagte noch einmal zitternd er die stehende Luft in Resonanz zu versetzen, anzustoßen mit seinem quälenden Hauch. Aus dem Dunst einer schemenhaften Wolke schälte sich die filigrane Silhouette einer blonden Gestalt, groß und schmal, mit lachenden Augen und freundlichem Blicke - unwirklich - nicht epiphan, doch einer anderen Ebene entsprungen, einer fernen, fremden Realität.
    "Wo ist sie?"
    fragte verzweifelt er das güldene Wesen, dessen Haar wogte im Winde, einzelne Strähnen Schlangenköpfen gleich.
    "Sie ist fort."
    Sanft umschmeichelte der Klang Ihrer Stimme die graufarbene Welt, zerteilte mit seiner Harmonie die Ödnis, bedauernd und in Wehmut gebadet.
    "Wohin?"
    Desperation hatte Besitz ergriffen von all seinen Sinnen, stilles Zerfallen in partikuläre Häuflein, sanft aufgeschichtet zu kleinen, pyramidesken Gebilden durch Ihre Hand, Auflösung in farblose Couleur.
    "Fort."
    Eine Woge von Zuhause durchschwemmte die Szenerie.
    "Dorthin, wo sie alle zurück kehren an ihrem Ende."
    Mit einem Lachen, nicht hämisch, nicht maliziös, sondern hell und singend, wirklich, unendlich, hob Sie ihre Hand und tippte mit langem, schmalen Finger an Ihre Schläfe.
    "Denn wenn ihr eigenes kleines Flämmchen sinkt, dann schlafen sie eine Nacht, für immer."
    Wie Sie Einzug hatte gehalten, verblasste Sie und verblühte zu staubiger Prärie. Einem Ozean gleich sammelte sich in seinem Auge die salzige Flüssigkeit ob des Erkennens, stieg und stieg, bis dass schlussendlich über die Wölbung seiner blassen Wange sie rann, von seiner bleichen Haut sich löste und in endloser Langsamkeit die Moleküle der Luft bei Seite drängte, den Gesetzen der Erde folgte. Das güldene Licht einer Kerze spiegelte sich auf der glänzenden Oberfläche des Tropfens, spiegelte eine bunt glühende Welt, wie sie hätte sein können und doch niemals war, bis dass die Träne den Boden berührte, mit tosendem Krachen auf dem sandigen Grund zerbarst, verschluckt wurde von der Ödnis für immer.

    ~~~


    Nicht schreckhaft war Gracchus' Erwachen in dieser Nacht, ein langsames Hinausdämmern aus dem Reich des Todes' Bruders in die wache Welt der Erkenntnis, doch um so schmerzvoller, um so mehr voll Pein und Weh. Sie war fort, fort auf immer. Sein Leib zitterte, erbebte klandestin, Kälte kroch ihm durch Mark und Bein und das Frösteln wollte nicht weichen, so sehr sich Gracchus auch in die Decke wickelte. Das unangenehme Gefühl des feuchten Kissens unter seiner Wange ließ ihn gewahr werden, dass Tränen seinen Augen echappierten, Ströme von glänzenden, salzigen Perlen. Für sie, die nie gewesen, und doch so viel bedeutender als alles andere gewesen war.
    "Kalliope."
    Ein erstickter Hauch nur, ein Aufstöhnen der Erkenntnis, sich eilends in der Dunkelheit verlierend, sich verflüchtigend in der Kälte der Nacht - und doch alles war, was blieb von ihr. In weiter Ferne des Schlafes erklang das Lied eines Rastlosen, welcher von Kreuzung zu Kreuzung eilte, an vielen vorbei und doch von niemand erinnert, von Küste zu Küste floh, Zug um Zug dem Morgen entgegen, begleitet von seinem einsamen Klagen den Sonnenstrahlen hernach, denn ohne die süße Muse wollte auch er nicht verweilen.

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  • Ein Jahr war vergangen, doch die Retrospektive dessen war Gracchus nicht sonderlich gefällig, weshalb er vermied, dessen zu gedenken, da die Verluste, Miseren und das Unglück nur die Momente des Triumphes und Glückes würden unter sich begraben. Das neue Jahr hatte Einzug gehalten, ohne dass es sich auffällig hätte präsentiert, mit einigen neuen Löffeln, aus welchen doch keine neuen Weisheiten zu schlürfen waren. Indes war es seit jeher Tradition, das neue Jahr mit guten Vorsätzen zu beginnen, und Traditionen waren etwas, das Gracchus seit jeher in Ehren hielt. Es kam daher, dass er nach der Beiwohnung Salambós, welche er bereits aus dem Raume hatte gesandt, allein in seinem Bett lag und nachdenklich die Decke betrachtete, darüber sinnierend, welcher Vorsatz angemessen würde sein. Nach einer Weile schob er eine Hand unter die Decke und strich prüfend über seinen Bauch. Er hatte das Training seit seinem Einzug in die Politik sträflich vernachlässigt, so dass langsam eine mäßig Besorgnis erregende Rundung sich zu formen begann. Eine leidliche Miene überzog Gracchus' Gesicht.
    "Mhm. Nächstes Jahr ..."
    Womöglich sollte er weniger Trinken oder etwa aufhören zu Rauchen. Die Misere daran war nur, dass er ohnehin nicht viel trank und nicht rauchte, so dass der Vorsatz kein richtiger Vorsatz würde sein, was darum nicht zählte.
    "Allfällig könnte ich Antonia öfter ... nein ... nein, das ist zu hart."
    Von vorneherein zum Scheitern verurteilte Vorsätze waren ebenfalls nicht zu konnivieren. Gracchus holte tief Luft und blies die Backen auf, ließ langsam den gefangenen Atem entweichen.
    "Etwaig Caius öfter ... nein, das ist viel zu einfach."
    Vorsätze, welche keine ernst zu nehmende Herausforderung bargen, sondern stille Verwirklichung tiefer Wünsche waren, konnten ebenfalls nicht in Betracht kommen. Lange Zeit noch lag Gracchus' wach, stierte an die Decke ohne zu einem Entschluss zu gelangen und schlief schlussendlich über die Grübelei ein.


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    In sanften, filigranen Schwingungen umspülte das grünfarben schimmernde Wasser zart, mit einem warmen Hauch seine Haut, welche in silbrige Schuppen gekleidet war. Schnellen Flossenschlages schlängelte er sich vorbei an regenbogenfarben glitzernden Perlen, durch die tanzenden Stränge wogender Algenwälder, durch ein schroffes Tor aus Felsen bis in die weit verzweigten Gänge der endlosen Höhlen hinein, in welchen sich das Licht der oberen Welt in allen Facetten des Blau brach, von den steinernen Wänden dispergierend widerhallte und die Welt in einem leisen, flüsternden Klingen verstummen ließ, als würden Eiszapfen im Wind aneinander schlagen. Ein Wort nur gereichte die Luft zum Erzittern zu bewegen, das Wasser um ihn herum gliederte sich subaltern zu feucht schimmernden Tropfen, welche im einen Augenblicke noch still in der Luft neben ihm verharrten, im anderen bereits sich der Schwerkraft ergaben und prasselnd auf den Grund unter seinen Füßen hernieder schlugen, um mit einem letzten, zufriedenen Aufseufzen in ihm zu versinken. Aus dem Felsen vor ihm nickte das steinerne Relief eines Faunus ihm zu und streckte sodann einen starren Arm, die Pforte ihm zu öffnen. Ohne einen Schritt trat er durch sie hindurch, geworfen, gestoßen durch des Faunus' starke Hand, das maliziöse Lachen im Keime erstickend. Rotfarben glimmte der Dunst der Verheißung, wirbelte hinab in endloser Sehnsucht und verlor sich in beständiger Eintönigkeit. Verlangen durchbrach die Stille und fraß sich empor bis zum Gipfel der Selbstsucht, markerschütternd bis tief hinab in sein Gebein. Aus den nebeldurchfurchten Tiefen kroch die saphirfarbene Verdammnis hervor, überwucherte den Leumund der Eitelkeit und verdarb jegliche Disposition. Blaufarben war die Verlockung, blaufarben und deletär. Dennoch streckte seine Hände er empor, griff nach einer der süßen Früchte aus Ambrosia und beraubte sie ihrer Schale, welche mit dumpfem, hohlen Klang hinab zu Boden fiel. Süß lag das Fleisch ihm auf der Zunge, rann bitter seine die Kehle hinab. Langsam verlor sich die Couleur trübe in farbloser Melancholie, versank in devastativer Ödnis und echappierte aus den freudlosen Verließen der Exiguität.

    ~~~


    Mitten in der Nacht erwachte Gracchus aus einem merkwürdigen Traum. Benommen stierte er an die Decke und wunderte sich darüber, dass die Decke über ihm war.
    "Diese Ominösitäten"
    , murmelte er im Delirium des Halbschlafes treibend - in einer fernen, hinteren Region seines Denkvermögens darüber sinnierend, ob es für diese Gegenden eine Gottheit geben mochte, Halbbruder des Somnus' womöglich.
    "Ich werde dies einstellen."
    Endlich war der gute Vorsatz gefasst, gerade rechtzeitig, bevor Gracchus erneut zurück in Schlaf versank.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Seine bloßen, nackten Füße strichen vorsichtig über das in grünfarbenen Schatten versinkende Gras hinweg, beugten Halm um Halm und brachen manch einen Zweig unter der Bürde seines Gewichtes entzwei. Geschmeidig drückte der Bogen in seinen Händen sich an seinen Körper, war eins mit ihm, er ein Teil dessen - dunkles, edles Holz hielt die gespannte Sehne und der Pfeil lag zielsicher auf, gleich einer Verlängerung seines Armes. Längst hatte seine Beute er vor Augen, ein braunfarbener Rehbock, welcher mit dahin fließender Bewegung langsam durch das Unterholz strich, ein edles Tier mit sanften, dunklen Augen, den Kopf stolz in die Höhe gereckt, seine Stirne durch ein prächtiges Geweih geziert. Seit Tagen bereits hatte er ihm nachgesetzt, war seiner Spur gefolgt, selbst da er ihn gefunden hatte noch lange klandestin hernach geschlichen. Er konnte den Odeuer des Opfers wittern, das trügerische sich Wiegen in Sicherheit, durchzogen von einem Hauch aus Wachsamkeit. Als den Pfeil er lautlos zurück zog und langsam den Bogen spannte, bog sich das Holz nachgiebig unter seinen Händen, nur unbedeutend schnitt der Strang in die weiche Haut seiner Fingerkuppen. Zischend schoss der Pfeil seinem Ziel entgegen, fegte bei Seite Blätter wie Geäst und bohrte sich durch die unsichtbaren Barrieren der transluzenten Luftpartikel. Scharf waren die Kanten seiner Spitze, stark und unbeugsam sein Schaft, und obgleich ein wenig auf seinem Flug er um die eigene Achse rotierte, verließ er nicht die vorbestimmte Bahn, strebte wie gefordert auf sein Ziel hin zu. Schon hatte er es vor Augen, spitze seine Lippen, begierig darauf den Tod zu küssen, durch das weiche Fell hindurch zu schlagen, zu schneiden bis in das helle Fleisch, hinein in blutrotfarbene Adern, konnte bereits den eisernen Geschmack auf seiner Zunge schmecken, als das Opfer den Kopf zur Seite hin ruckte. Knapp nur hatte die Waffe seines Jägers ihn verfehlt, seit Tagen bereits war er auf der Flucht vor dem furchterregenden Episit, seit Stunden sich des Verfolgers drängend bewusst, doch niemals war er so nahe ihm gekommen. Kein Blick noch blieb für den Pfeil in der rauen Rinde des Baumes, sein Herz pochte in wildem Reigen, seine Füße forderten bereits den Weg, welchen zu gehen mehr als bereit er war, den Feind hinter sich jeden Augenblick fürchtend. Einzig Flucht war sein Ausweg, war sein Heil, denn wenn der Jäger obsiegte, blieb für den Gejagten nurmehr der Tod. Seine bloßen, nackten Hufe hasteten eilig über das in grünfarbenen Schatten versinkende Gras hinweg, beugten Halm um Halm und brachen manch einen Zweig unter der Bürde seines Gewichtes entzwei.

    ~~~


    Mitten in der Nacht erwachte Gracchus aus einem merkwürdigen Traum. Benommen stierte er an die Decke und wunderte sich darüber, dass die Decke über ihm war.
    "Diese Ominösitäten"
    , murmelte er im Delirium des Halbschlafes treibend, riss augenblicklich die Augen auf und sog scharf die Luft ein.
    "Dius Fidius! Der Vorsatz! Dahin!"
    Das Jahr hatte noch nicht einmal Gelegenheit erhalten, gänzlich seinen ersten Atemzug auszuhauchen, da war der Vorsatz bereits gebrochen.
    "Nächstes Jahr dann ..."
    Resignierend seufzte Gracchus, gerade rechtzeitig, bevor erneut zurück in Schlaf versank.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Weißfarbenen, dunstigen Nebelfetzen gleich zogen sich die dicken Stränge durch die warme Luft, vibrierten leicht bei jedem Schritt, welchen er baren Fußes auf ihnen tat. Beständig breitete die sanfte Schwingung sich unter ihm aus, bis zu den Rändern, dort, wo die feinen, seidenen Fäden im Geäst der Rosensträucher waren verankert. Seine hauchdünnen Flügel schimmerten regenbogenfarben, zart im hellen Sonnenlicht, einem Lockruf gleich, einer willigen Forderung. Langsam kniete er sich hernieder, setzte sich herab auf die mit zähflüssiger Masse bedeckten Stränge und bettete schlussendlich seinen Körper im klebrigen Netz, streckte weit von sich seine Glieder, zog und zerrte an den filigranen Fäden, bis dass erneut das gesamte Konstrukt in heftige Schwingung geriet. Nicht lange musste er darben, ließ der Jäger auf sich warten, witterte die willige Beute in seinem Netz. Mit einem leisen Kratzen schoben seine Beine sich langsam über das dürre Geäst, ließen die welken Blätter der Rosenbüsche rascheln, bis er den Rand des Gespinnstes erreichte. Einem filigranen Tänzer gleich schwebte er mit seinen acht Beinen über die Seile, schweifte akrobatisch über die luftleeren Zwischenräume hinweg, bis dass er endlich vor ihm angelangt war. Gierig beugte die Spinne ihr Haupt herab, um ihre Beute zu mustern, und Caius' ließ seine tiefbraunen Augen über seinen Körper wandern.
    "Friss mich"
    , säuselte er selbst und bereitete sich darauf vor, verzehrt zu werden. Die Bestie riss weit ihr Maul auf, entblößte scharfe Zähne - bei deren Anblick er wohlig erschauerte -, einen gierig tiefschwarzen Schlund - in dessen Endlosigkeit er wollte versinken -, und entließ ein markerschütterndes Grollen daraus ertönen. Doch als sie den Mund wieder schloss, war es Antonias Antlitz, welches ihm mit einem Male aus gleißenden Augen entgegen funkelte.
    "Mit Vergnügen!"
    Panisch versuchte er sich zu drehen und zu wenden, doch sein Körper haftete fest in ihrem Netz, und je mehr er mit seinen Gliedmaßen riss und rüttelte, desto mehr verhedderte er sich in den weißfarbenen Strängen. Maliziös drang ihr Lachen und erfüllte seine Welt, gierig klapperten ihre aus dem Maul hervorstehenden Reißzähne. Mit glühenden Augen beugte sich ihr Kopf zu ihm herab, eines ihrer dünnen, spitzen Spinnenbeine schob sich über ihn, dann riss sie ihm den Bauch auf, dass das rotfarbene Blut nur so spritzte.

    ~~~


    "Ahhhhhhhhh ..."
    Wild schlug Gracchus um sich, verhedderte sich mehr und mehr in seiner Decke, riss entsetzt die Augen auf und schrie in die dunkle Nacht hinein. Sogleich eilte seine Sklave Sciurus herbei, drückte die Arme ihm hernieder mit der einen und seinen Kopf mit der anderen Hand - er war dererlei längst gewöhnt. "Beruhige dich, Herr, beruhige dich! Es war nur ein Traum, nur ein Traum!"
    Als wäre er nach der Schlacht bei Marathon von dort bis nach Athen gerannt keuchte Gracchus, versuchte Atem zu schöpfen und die grauenerregenden Bilder aus seinem Kopfe zu vertreiben. Zähflüssig nur rannen die Worte des Sklaven in seinen Verstand hinab.
    "Antonia ... sie wollte mich ... sie ... "
    stammelte er zusammenhanglos.
    "Sie ist nicht hier, Herr. Es war nur ein Traum", wiederholte der Sklave noch einmal, bis dass Gracchus endlich derangiert, doch affirmierend nickte.
    "Nur ein Traum. Ja."
    Doch er wusste es besser.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein Hauch von Ambrosia durchzog das glühende Eismeer, an dessen Strand bikubische Formen sich aufstapelten, die Welt durchwanderten in feistem Orange. Gierig leckte eine gewaltige, raue Zunge über das kühle Wasser hinweg, benetzte es mit goldfarbenen Partikeln, bevor im wolkenverhangenen Himmel sie verschwand und Raum schuf für den feisten Horizont. Gleich einer Nussschale trieb sein Boot auf den gefrorenen Wogen, zerteilte die auf der beinfarbenen Flut dahinwankenden Schaumkronen in beständiger Fahrt. Dort vor ihm - Achaia, die Wiege der Wahrheit, so nah und doch unendlich ihm fern - sein Ziel, beständiges Treiben. Ein gewaltiger Vogel zog über den Horizont, schwarzfarben, mit dem Kopf seiner Gemahlin, ihre Nase Schnabel und Federn ihr Haar, Klauenbewehrte Füße und giftiger Flaum. In wildem Entsetzen und blanker Panik begann die Ruder er zu schlagen, seinen Atem zu pusten in das sich blähende Segel, auf dass Landeinwärts es ihn mochte treiben, doch längst war das Boot aufgelaufen auf den felsigen Grund der Untiefen des Meeres, umschäumt von hauchzartem Grün, umwogen von tiefgründigem Blau. Mit lautem Kreischen stürzte hinab sich der Episit, zerriss das Tuch, zerfetzte die Segel, ließ splittern den Mast in Tausende Stücke, so dass begraben er wurde unter hölzernem Spänenmeer. Wimmernd, den Kopf in Händen verborgen, harrte er aus in der glimmenden Hitze, bis dass die Dunkelheit sich erhob, hinfort wurde getragen von schmalen Händen. "Manius." Von fern die Stimme her, die einen Namen rief. "Mein Manius." Ein Echo aus längst vergangener Zeit, welches ihn drängte, der Welt zu entfliehen.

    ~~~


    Langsam öffnete er seine Augen, blinzelte hin in trübes Dämmerlicht. Verschwommen die Konturen des Mobiliars, die Luftpartikel mit farblosem Nebel durchsetzt. Warm hielt die Decke ihn umfangen, hielt seinen Geist in Antriebslosigkeit. Es war sein Ruf, doch es war nicht ihm zu folgen, nimmermehr. Ohne einen weiteren Gedanken drehte Gracchus sich um und ergab sich dem graven Verlangen, die Lider erneut zu schließen, tat nur wenige Atemzüge und hatte bereits das Wachen hinter sich gelassen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Das Land um ihn herum verschwamm Grau in Grau, umhüllte ihn in feinem, diffusen Nebel. Vor ihm zerbrach ein goldfarbener Kelch am Boden, hinterließ einen schimmernden Splitter, zu welchem er sich hinab beugte und einen Venuswurf darin sah.
    "Wenn die Venus dir entgegen blickt
    eile ins Lupanar,
    denn dann ist die Lupa ganz entzückt
    und gibt wonnevoll sich dir dar."

    Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und Marcus' kollerndes Lachen durchdrang den Raum.
    "Du musst ein wenig üben, Manius, eines Tages wirst du eine Frau haben, da wirst du wissen müssen, wie du sie anpackst."
    Er drehte den Kopf und blickte Caius entgegen, welcher mit einem breiten Grinsen auf dem Gesichte ihm gegen überstand und akklamierend nickte. Wie ein Beutetier fühlte er sich ob dessen in die Ecke gedrängt, den Rücken an der Wand, ohne Ausweg, ohne Möglichkeit zur Flucht. Er wusste, dass seine Vettern recht hatten, dass eines Tages ihn dieses Schicksal würde einholen, doch noch war dies weit entfernt, fort in Italia, in den Gedanken seines Vaters.
    "Und wenn schon"
    , gab er trotzig zurück.
    "Zephyrus hat Chloris, Alexander hatte Roxane, am Ende ist eine Frau nur notwendiges Beiwerk."
    "Hahaha!"
    Aristides brach in lautes Lachen aus und schlug sich auf die Schenkel.
    "Haha! Köstlich, Manius, köstlich! Eine Frau als Beiwerk des Lebens, so etwas kann auch nur dir einfallen! Haha! Da sieht man wieder, je gelehrter der Kopf, desto abgehobener die Ideen! Haha!"
    Fest presste er die Lippen aufeinander und kehrte in sich. Was nur musste ein Mensch tun, um so zu sein, so zu werden wie sein Vetter Marcus, welcher die Welt so leichthin umarmte, sie sich unbeschwert einverleibte, auf geflügelten Schultern sie zu tragen schien? Er suchte den Blick Caius', und obgleich diesem ebenfalls ein Lachen anhaftete, so schien jenes Gesicht seinen Gedanken doch nur mehr recht zu geben, denn viel mehr als jede Frau, viel mehr als jede Lupa, ersehnte er diese Person, begehrte er Aquilius. Die Musik um ihn herum - die wilden Klängen der Kithara, das rasselnde Pochen des Tamburin und das Rauschen der Schellen - durchmischte sich mit der aufkommenden Stille, verdrängte sie, untermalte Sciurus' Stimme, jener treuen Seele, welche längst weit fort im Elysium weilte.
    "Was quälst du dich, Manius male sanus? Was quälst du dich wieder deine Natur, wo das Begehr dir ins Gesicht geschrieben ist?"
    Die rauen Finger des Sklaven glitten über seine Schenkel, hinterließen einen wohligen Schauer, ließen das Begehr in ihn nur mehr noch erwachsen, doch er fegte die Hand mit einer harschen Bewegung beiseite, drehte zornig auf der Kline sich fort.
    "Alter Narr, was weißt du schon von meinem Begehr?! Schaffe mehr Frauen heran, noch mehr Frauen!"
    Er vernahm die Stimme nah an seinem Ohr, ohne dass das Gesicht des Sklaven neben ihm emergierte.
    "Caius ist dein Begehr, ich bin dein Begehr, Ximander ist dein Begehr - keine einzige dieser Frauen jedoch, mit welchen du versuchst, dich über dich selbst hinweg zu täuschen, hast du je berührt. Tag ein Tag aus umgibst du dich mit ihren wonnigen Körpern, für deren Anblick allein mancher Mann würde einen Monatslohn opfern, doch du schaust sie nicht einmal an. Sie schweben an dir vorbei, grazil wie Nymphen, doch du nimmst sie nicht einmal war. Du verschleuderst dein Vermögen auf dieser Insel, erzürnst jene, die vor dir hier waren, versuchst ein Mensch zu sein, welcher du nicht bist, und baust dir dabei deinen eigenen Scheiterhaufen!"
    "Ich baue nur dir einen Scheiterhaufen, Sciurus, nur dir"
    , antwortete er bestimmt und kniete vor den toten Sklaven hin, berührte zögerlich das Messer in seinem Rücken, welches in der Morgensonne glitzerte. Eine weitere Hand und griff die seine, und als er den Blick hob, sah er sich selbst in die Augen, doch nicht er war es, sondern sein Bruder, gleich im Angesichte.
    "Du hast längst dich selbst verloren, wozu also brauchst du diesen Nachkommen, wenn du ohnehin nichts weiterzugeben hast als nur eine Hülle, eine Farce, ein Bild? Du willst dich selbst weitergeben, dein Erbe? Du hast stets verleugnet, wer du bist, es gibt dich nicht einmal, du bist nur noch eine Idee deiner selbst, eine Figur in einem Spiel, die selbst ihren Weg nicht mehr bestimmt, sondern der Willkür ihres Spielers ausgeliefert ist. Wie selbstlos von dir, dass du mir dies überlassen wolltest. Was bist du nur, Manius? Armer Tor in deiner beschränkten Welt. Aus dir wird niemals ein Mensch werden, du wirst ewig eine Marionette bleiben."
    Von den Fäden an seinen Gliedern gezogen bewegte er sich vorwärts, sah die leuchtende Frucht vor sich, um seinen hungernden Magen zu füllen, das kühle Wasser, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Doch immer dann, wenn er nach der Frucht wollte greifen, nach dem Wasser sich bücken, wurde er zurück gerissen von unsichtbarer Hand, so dass er weiter musste darben, weiter dürsten. Quintus hatte recht, er war nur eine Marionette in diesem Spiel.

    ~~~


    Zuckend erwachte Gracchus und war augenblicklich hellwach, zu deutlich war die Erinnerung an seinen Traum, jenen Nachhall einer fernen Realität.
    "Das ist nicht war! Ich bin viel mehr als das!"
    sprach er trotzig in die düstere Nacht hinein. Einige Augenblicke verstrichen, dann ließ sich ein leises "Herr?" von der Türe her vernehmen. Verwundert drehte Gracchus den Kopf, als würde er eben erst sich der Welt um sich herum gewahr.
    "Nichts, Sciurus, nichts. Schlafe weiter."
    Resignierend legte Gracchus seinen Kopf zurück auf das Kissen und blickte noch einige Augenblicke in die Dunkelheit. Er war nicht nur eine Marionette, er war nicht nur eine Figur in einem Spiel, er war viel mehr als das, dessen war er sich sicher. Kurz bevor er zurück in die Gefilde des Somnus glitt, glaubte er ein leises, fernes Lachen zu hören, doch womöglich rührte dies nur aus dem Traumreiche, jener anderen, fernen Realität her.

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