Cubiculum | M. Decimus Meridius

  • Es war noch früh am Morgen. Meridius ließ sich, wie er die Gewohnheit hatte von einem Sklaven mit dem Morgengrauen wecken, wusch sich die Hände und das Gesicht und widmete sich dann einigen Leibesübungen. Das Fenster ward geöffnet, so dass die ersten Sonnenstrahlen bald hereinfallen würden, die kalte Luft welche in das Zimmer strömte, sollte abhärten und gesund erhalten.


    "Ich esse heute in meinem Schreibzimmer."


    gab er dem Sklaven die Anweisung, welcher auch umgehend verschwand um die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Wenn er hier mit seinen Hanteln, den Liegestützen und den Klimmzügen fertig wäre, würde der Statthalter zunächst das Bad aufsuchen und schon wenig später an seinem Schreibtisch sitzen.

  • Meridius dachte an die vergangene Nacht zurück. Iulias Küsse hatten sich in sein Gedächntnis hineingebrannt und ihr warmer Schoß, ihre Hüften ... wie sie die Beine um ihn geklammert hatte ... Er lächelte und stellte die Hanteln dann ab. Tief sog er die kalte Luft des Morgens ein und breitete seine Arme dann weit aus. Die Spannung auf den Muskeln tat gut und gab einem das Gefühl wach zu werden. Nun noch ein paar Klimmzüge an der Stange, welche er hatte anbringen lassen und dann wartete ein kurzes frisches Bad und der Tag konnte kommen...

  • Alles hatte sie abgesucht, ALLES! Die Latrinen zuerst, weil sie vermutete, dass Valeria der Bettpfannen überdrüssig war. Die Culina, weil sie vermutete, dass sie doch endlich Hunger hatte. Dort hatte sie auch die Köchin gefunden, ausgeibig befragt und war nach einem unwissendem Schulterzucken ihrerseits weitergezogen. Im Atrium war sie nicht, im Tablinum nich, im Triclinium nicht - auch im Stall hatte sie nachgesehen! Nirgendwo eine Spur, auch nicht im Peristyl, im Garten oder auf einem der Gänge, nicht in einem der leerstehenden Zimmer und scheinbar nicht im Domus. Alesia stand nun mit schwitzigen Händen und wild klopfendem Herzen vor der letzten Instanz, der Tür zum Refugium des Herren. Endlich rang sie sich dazu durch und klopfte, obwohl sie sich darüber im Klaren war, dass es nicht nur früh, sondern noch sehr früh war. Doch was blieb ihr anderes? Kein anderer Sklave hatte Valeria gesehen. Bald darauf erklang eine gedämpfte Aufforderung zum Eintreten, der Alesia umgehend Folge leistete. Sie schloss die Tür und blieb augenblicklich stehen, den Blick gesenkt und eine Entschuldigung murmelnd für ihre frühe Belästigung.


    ".....aber...die Herrin Valeria, ich, sie, äh, sie ist verschwunden...."


    Nun folgte eine Schilderung der Suchaktion. Alesia ließ keinen Zweifel daran, dass sie alles versucht hatte, um ihr nächtliches Verfehlen (sprich: die Wache an Valerias Bett) wieder gut zu machen. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und seufzte bedrückt.


    "...konnte sie aber nirgendwo finden, Herr. Es tut mir unsagbar leid, ich..."


    An dieser Stelle riskierte sie doch einen Blick zu Meridius und wartete auf ihre Schelte und die Reaktion des Onkels der Vermissten. Dass diese wohlbehalten in Maximians Bett schlummerte, entzog sich Alesias Kenntnis...

  • Meridius hörte der Sklavin aufmerksam zu. Nicht nur, dass sie ihn bei seinen morgendlichen Leibesübungen gestört hatte, brachte sie nun auch noch anscheinend einiges durcheinander, erzählte zusammehangslos, oder zumindest für ihn so, als käme sie nie zum Punkt. Dennoch ließ er sie zu Ende reden.


    Dann stellte er die Hantel ab, mit welcher er sich durchgehend beschäftigt hatte.


    "Hast Du die Wache schon gefragt? Aus diesem Gebäude kommt im Normalfall keiner raus. Und eigentlich kommt auch keiner rein, ohne dass sie es mitbekommt."


    Er musterte die Sklavin. Wenn also die Wache von einem Verlassen der Regia oder des Domus nichts wusste, musste Valeria im Hause sein. So einfach war die Sache.

  • "Ja, Herr, aber die wussten nichts von einer Frau, die im Morgenmantel das Domus verlassen hat", beteuerte Alesia.
    "Also muss sie hier irgendwo sein und, bei Merkur, vielleicht liegt sie hier irgendwo und kann sich nicht helfen!"


    Sie rang mit den Händen und sah Meridius nicht an.

  • Meridius musste nicht lange überlegen. Im Zusammenrechnen von eins und eins war er recht fix. Valeria war wieder im Hause, Lucius hatte sie angeschleppt gehabt, mit Marcus schien sie nicht mehr zusammen zu sein, in ihrem Zimmer war sie nicht, im Rest des Domus auch nicht, die Regia hatte sie nicht verlassen. Im Grunde konnte sie nur bei Lucius sein.


    "Ist schon gut. Ich gaub, ich weiß wo sie ist."


    antwortete er der Sklavin.


    "Das wäre alles. Ich kümmer mich darum."


    Dann griff er wieder zu seiner Hantel um die selben Übungen auch mit dem anderen Arm zu tun.

  • Alesia nickte hastig und verließ dann das Zimmer des Herren. Seltsam, dass er scheinbar so unbesorgt war. Sie nahm sich vor, noch einmal alles abzusuchen, schloss die Tür leise hinter sich und begann dann mit ihrer selbstgegebenen Aufgabe.

  • Als sie sicher war, dass sie den Hausherren nicht stören würde, weil dieser erstens schon wach war und zweitens seine Leibesertüchtigungen schon hinter sich gebracht hatte, klopfte Alesia an und drückte dem Herren einen Brief in die Hand.


    Onkel Meridius,


    ich bin heute in der Frühe gen Rom aufgebrochen, Rufus, Cicero und eine Handvoll Sklaven begleiten mich. Ich werde zurück kommen, so schnell es mir möglich ist und, so es die Götter wollen, Informationen über Tertia mitbringen.


    Vale bene,
    Valeria

  • Meridius nahm das Schreiben entgegen, überflog die Zeilen und schickte Alesia dann weg. War Valeria also schon abgereist. Wenigstens hatte sie an Begleitung gedacht und auch Sklaven mitgenommen.


    Nachdenklich schritt Meridius zu dem kleinen Tischchen und legte den Brief ab, dann ließ er sich auf der Kante seines Bettes nieder und dachte an Tertia. Wieder stiegen die Erinnerungen in ihm auf. Wie sie als kleines Kind die Casa in Tarraco auf den Kopf stellte, als junges Mädchen Onkel Quintus und auch Onkel Tiberius um den Finger wickelte und auch ihren großen Bruder locker in die Tasche steckte, mit einem einzigen charmanten Lächeln. Und wie sie als junge Dame den jungen Burschen der Stadt den Kopf verdrehte, ehe sie sich entschloss, Vestalin zu werden.


    Meridius wusste bis heute nicht, warum es sie nach Rom zog, warum sie dieses Leben allen anderen Möglichkeiten vorzog. Die Familie war in Tarraco verwurzelt gewesen, sie waren vermögend, hatten über die Jahre an Einfluss gewonnen, Tertia war lebensfroh, genoß das Leben in vollen Zügen, wenn auch nicht so überschwenglich wie Lucilla, und das war es wohl, Meridius zuckte zusammen, Lucilla war eine lebenshungrige, verschwenderische, verwöhnte Decima gewesen und war es noch, sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden, war gesellig, liebte Einkäufe und Märkte, Empfänge und Feierlichkeiten, kurz war stets und überall schnell mittendrin statt nur dabei. Nicht so Tertia. Tertia war nachdenklicher gewesen, introvertierter, verschlossener, sie gab nicht so viel auf Äusserlichkeiten, hielt nicht viel von großen Empfängen, und interessierte sich schon sehr früh für die Götter, und auch den Kult der Vesta.


    Und wie war die Familie stolz gewesen, eine der ihren als Vestalin zu wissen. Nicht viele waren berufen, noch weniger wurden auserwählt. Rom konnte immer stolz auf seine Vestalinnen sein. Und Meridius war stolz auf seine Schwester gewesen. Auch wenn es ihn schmerzte zu wissen, dass sie damit der Familie entfernt sein würde, auch wenn er wusste, dass sie wohl nie eine eigene Familie würde führen können.


    Unterschiedlicher konnten seine beiden Schwestern kaum sein. Und doch vereinte sie Schönheit und der berühmt berüchtigte Dickschädel aller Decima. Hatten sie sich etwas in den Kopf gesetzt, gab es nichts, was sie aufhalten konnte. Darin waren Tertia und Lucilla ihr ganzes Leben lang eins gewesen.


    Meridius erhob sich und verließ sein Zimmer.
    Er hatte zu tun.

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